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Niewiadomski Jozef: Auf den Spuren eines vielfältig Engagierten. Zum breiten Oeuvre Wolfgang Palavers
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Auf den Spuren eines vielfältig Engagierten. Zum breiten Oeuvre Wolfgang Palavers
(Referat beim Kolloquium des RGKW anlässlich von Wolfgang Palavers Übertritt in den Ruhestand)

Autor:Niewiadomski Jozef, Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-10-19

Inhalt

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Teil 1 von Józef Niewiadomski

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Es dürfte der 1. Oktober 1979 gewesen sein: ein Montag. Als blutjunger Assistent durfte ich  (J.N.) bereits zum zweiten Mal den theologischen Part des Allgemeinen Proseminars halten. Pünktlich um 11.00 Uhr saßen im damaligen Hörsaal V zwei fleißige Menschen, die mit ihrem Theologiestudium beginnen wollten. Silvia Hell und Wolfgang Palaver, sonst niemand. Nachdem sich in den nächsten 15 Minuten nichts getan hat, kamen sie auf die Idee zum Anschlagsbrett zu gehen, um dort zu erfahren, dass – gemäß dem damaligen Usus – die Lehrveranstaltung in der zweiten Woche beginnt. Die Anekdote, die Wolfgang gerne erzählt und ich sie auch nur von ihm kennen kann, deutet auf den unbewussten Perfektionsdrang der Betroffenen; bei Wolfgang artikuliert durch das Begehren der „Primus inter pares“ zu sein – kabarettistisch frei nach Helmut Qualtinger formuliert: Man weiß zwar nicht warum und wohin man will, dafür ist man aber umso schneller dort. Warum der heiter anmutende Beginn?

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Spätestens seit dem Sommer 1982 – als ich die Rolle des Seelsorgers in dem von Wolfgang geleiteten Klub der Katholischen Studierenden Jugend am Domplatz (vulgo: „Schülerclub“) übernommen habe – durfte ich das Ringen des jungen Theologiestudenten um das Profil des Zieles zu dem er bewusst, halbbewusst und unbewusst gelangen wollte, beobachten und dieses Ringen auch teilweise mitgestalten. Die ersten Konturen des Weges dorthin markierte sein Engagement in der Katholischen Jugend in Sachen Friedensbewegung. Am 12. Dezember 1979 hat die NATO den Beschluss in Sachen atomare Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen gefasst. Was darauf folgte, war jahrelanger gewaltiger Protest auf den Straßen Europas: Es war dies die Geburtsstunde der Friedensbewegung.  Die Schlagwörter: „lieber tot als rot“ versus „lieber rot als tot“ polarisierten die Öffentlichkeit. Die theologische Szene (auch oder gerade an der Fakultät) wurde aufgeweckt und aufgeregt durch die 1979 publizierte berühmt berüchtigte „schwarze Broschüre“ der Katholischen Sozialakademie. Herwig Büchele und Raymund Schwager publizierten und kommentierten ein Dokument des „Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden: Iustitia et pax“ mit dem Titel: „Der Vatikan zur Rüstung“ und plädierten in der Atmosphäre des Kalten Krieges für die Unterbrechung der Rüstungsspirale durch vorsichtige einseitige Vorleistungen des Westens in Sachen Abrüstung. Nicht nur die Tageszeitung war damals entsetzt und qualifizierte die Autoren als Selbstmordprediger, die den Leninorden verdienen, ab, der Diözesanbischof Reinhold Stecher lief buchstäblich rot. Konflikte (natürlich auch) in Sachen Sexualmoral, vor allem aber im Kontext des Dilemmas „Gewalt versus gewaltfreien Widerstand“ und eine klare Linie in Sachen „Zivildienst“ prägen die ersten Konturen des Zieles des engagierten Theologiestudenten. So tritt er u. a. im März 1983 in die Öffentlichkeit als (Mit-) Organisator des großen Friedenstagung der KJ, bei der Raymund Schwager und ich Referenten waren.  Einen gewissen Höhepunkt dieses Weges stellt sein Engagement für die Pax-Christi-Bewegung dar. Auch dank seiner Zähigkeit wird 1988 die Tiroler Landessektion gegründet (als erste österreichische Sektion mit ökumenischem Charakter). Wie allseits bekannt ist Wolfgang heute der (erste nicht bischöfliche) Präsident von Pax Christi Österreich. Die Bemühungen um die Gründung von Pax Christi in Tirol gingen Hand in Hand mit dem Engagement für die Seligsprechung von Franz Jägerstätter. Diskussionen, ökumenische Gottesdienste und theologische Reflexionen des schon fertig studierten Theologen (vgl. den ersten Artikel in diesem Zusammenhang: „Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedensethik nach dem Zweiten Weltkrieg“)  schärfen fortan seinen Fokus auf das Ziel zu dem er unterwegs sein will.

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Kehren wir aber noch in die Studentenzeit zurück. Begeistert für Anton Pelinka an der Politikwissenschaft und den Sozialethiker Herwig Büchele bei uns schreibt er seine Diplomarbeit zum Thema: „Politische und theologische Implikationen der innerkirchlichen Demokratiediskussion“ und schließt 1984 sein Studium ab, wird ab September (neben dem halbtägigen Job als Leiter der Stadtjugendseelsorge) als halbtägiger Assistent am Institut für Fundamentaltheologie und Dogmatik angestellt. (Ausgerechnet bei P. Walter Kern, der ja in Sachen Nachrüstungsdebatte klarer Vertreter des Slogans „lieber tot als rot“ war, von dem er also etwas auch in Sachen Toleranz lernen konnte, die dieser bei allen politischen Unterschieden gegenüber seinem Ordensmitbruder Raymund Schwager, den er gewaltig unterstützt hat, zeigte.) Das theologische Interesse der damaligen Zeit kreist auch um die Fragen der Demokratie, der Communio und des Kommunitarismus. Dabei verschiebt sich und vertieft sich nach und nach der Fokus von der – in der Zeit der Diplomarbeit noch im Zentrum stehenden – Frage nach der Demokratisierung der Kirche (einer der ersten Aufsätze trägt den Titel: „Demokratie in der Kirche“) zugunsten der Fragen nach der Bedeutung des Christentums für die Entwicklung der Demokratie und später auch kommunitaristischer Zugänge zur Ethik und Politik. Einen gewissen Abschluss findet dieser Strang der Bemühungen um die Klarheit des Zieles zu dem er unterwegs sein will in dem Grundsatzpapier für den Forschungskreis RGKW, den er zusammen mit Wilhelm Guggenberger verfasste und unter 1998 dem Titel: „Pluralismus ethische Grundintention – Kirche“ publizierte.

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Gut zehn Jahre vorher wird allerdings die Thematik: „Religion-Politik“ um eine wichtige Nuance ergänzt. Es ist das die Frage des Fundamentalismus, die Wolfgang im Zusammenhang mit der Initiative des aktiver gewordenen Assistentenverbands an Fakultät vertieft. Im SS 1987 veranstaltet der Verband zum ersten Mal eine (damals) viel besuchte „Ringvorlesung“ zum Thema: „Eindeutige Antworten. Fundamentalistische Versuchung in Religion und Gesellschaft“. Wolfgang übernimmt den Part über den amerikanischen Fundamentalismus, rückt in den Mittelpunkt den (mit den Präsidenten Carter und v. a. Reagan deutlich gewordenen) Einfluss der fundamentalistischen Gruppen auf die Tagespolitik in den USA (Stichwort:  „Moral Majority“) und fällt kritische Urteile über „Vermischung von Politik und Religion“. Die methodische Klarheit gibt ihm schon da die von James Barr in seiner kritischen Studie über Fundamentalismus erarbeitete These von der „Formalisierung der traditionellen Theologie“ und der damit Hand in Hand gehenden inhaltlichen Depotenzierung bestimmter biblischer Inhalte. Den simplen Positionen, die jegliches Festhalten am Wortlaut der Bibel als Fundamentalismus diffamiert, hält er die Haltung des Franz von Assisi entgegen. Dieser hielt sich ja buchstabentreu an die Worte der Schrift und fand so zu einem Leben in Armut. Er begriff aber den Unterschied zwischen dem Geist der Schrift und dem tötenden Buchstaben, konnte deswegen – um der „schwachen Mitbrüder“ willen, damit sie nicht beschämt werden – die klaren Bestimmungen übertreten. Bei einer Diskussion im ORF Nachtstudio zum Thema: „Zurück zum Gehorsam“ war Wolfgangs Nacherzählung der Legende, wie der Franz in der Nacht die Mitbrüder aufweckt, weil einer im Schlaf schrie: ‚Ich sterbe vor Hunger‘, den Tisch bereitet und alle zusammen essen, damit jener nicht bloßgestellt werde, der pikante Gegenwurf gegen allzu simplizistische Vorwürfe, religiös motivierte Haltungen würden per se fundamentalistisch sein. (Am Rande gesagt: Seine früh erworbene Expertise in Sachen Fundamentalismus führte ihn 1990 zu seiner ersten selbstständigen Publikation in der renommierten Reihe Bensberger Manuskripte: „Electronic Church. Charismatische, evangelikale und fundamentalistische Initiativen im Fernsehen der USA“).

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Die Auseinandersetzung um den Fundamentalismus und die Suche nach einem Kriterium für die theologische Wahrheit von Glaubensüberzeugungen war Ursache und Frucht zugleich der wohl entscheidenden Begegnung für die Entwicklung weiterer Weichen seiner theologischen Biographie. Durch seine Beheimatung am Institut vertiefte sich die Beziehung zu Raymund Schwager. Wie kaum ein anderer schloss sich Wolfgang ohne anfängliche Skepsis der Schwager‘schen Begeisterung für Girard an und wurde dann das, was einer der Kritiker auf die Kurzformel brachte: „Palaver is a true believer“. Durch Schwager geführt, fand er in Girard das für ihn bisher klarste methodische Instrumentarium zur Bearbeitung nicht nur der Fragen nach unterschiedlichsten Ausprägungen der Religiosität im gesellschaftspolitischen Bereich, sondern auch der dort greifbaren religiösen Wahrheit. (Über die Genese und auch die Bedeutung seiner Begeisterung für Elias Canetti und dessen Theorem der Klagereligionen, den er immer wieder in Verbindung mit girardschen Differenzen brachte, möge Wolfgang selber etwas sagen. In der Diskussion wies Wolfgang darauf hin, dass er diese Begeisterung dem Experten für moderne Literatur und damaligen Dozenten P. Alfred Focke SJ verdankt, bei dem er ein Seminar gemacht hat).

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Mit einer ihm eigenen Emsigkeit arbeitet sich Palaver durch das Werk von Thomas Hobbes und legt 1990 eine umfangreiche Dissertation mit dem Titel: „Politik und Religion bei Thomas Hobbes. Eine Kritik aus der Sicht der Theorie René Girards“ vor (Publikation 1991). Als aufmerksamer Detektiv sucht Palaver nach biblischen Zitaten im Werk des englischen politischen Philosophen (einen Nebeneffekt stellt das von der International Hobbes Association noch vor der Abgabe der Dissertation publizierte 8-seitige „Bibelstellenregister für die wichtigsten politischen Werke von Thomas Hobbes“ dar). Der Fundus mündet in „eine Kritik der biblischen Theologie von Hobbes“. Umfassend werden das Mose-Bild, das Gottesverständnis von Propheten und die Vorstellung vom Reich Gottes behandelt. Bei all den Themen geht bei Hobbes eine umfassende Bibelkenntnis mit einem sehr selektiven Umgang mit der Schrift Hand in Hand. Viele wichtige Stellen hat Hobbes ausgelassen, andere in einem ganz bestimmten Licht interpretiert. Und was bedeutet diese Exerzierstunde in Sachen Bibelexegese? Es sei die Theorie Girards, die hier nicht nur die entscheidende Klarheit nach den Gründen für diese eigenartige Bibelhermeneutik liefert, sondern auch den tiefsten Sinn dessen offenbart, was das Ziel dieser politischen Philosophie sei.  Der Vergleich beider Denker legt sich dem Autor nahe, weil einerseits Hobbes davon ausgeht, „dass im Naturzustand jeder Mensch „ein Wolf“ für seinen Mitmenschen war, und weil anderseits für Girard das zentrale Problem menschlichen Zusammenlebens darin besteht, dass die Menschen  – unter der Wirkung der Mimesis – zu einer allgemeinen Gewalttätigkeit tendieren. Dieser all-gemeine Vergleich erhält von der englischen Revolution her einen konkreten Hintergrund, die das Denken von Hobbes entscheidend geprägt hat und die auch für Girard eine wichtige Rolle spielte. Der Vergleich beider Denker spitzt sich auf die Problematik des Gesellschaftsvertrags (Hobbes) und des Sündenbockmechanismus (Girard) zu. Wolfgang kann überzeugend zeigen, dass die Art und Weise, wie Hobbes den Gesellschaftsvertrag beschreibt, viele Elemente dessen enthält, was Girard systematischer mit dem Sündenbockmechanismus zu fassen sucht“.

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Nun konnte es in Sachen der Fokussierung des Zieles nach der sprichwörtlichen Logik „Schlag auf Schlag“ weiter gehen. Mit dem Projekt: „Kollektive Sicherheit in Europa und österreichische Neutralität. Eine ethische Reflexion aus der Sicht der Katholischen Soziallehre“ bewirbt sich Wolfgang um ein österreichisches Stipendium für Stanford und siedelt sein Projekt dort am „Center for International Security and Arm Control“ an, reist vorher (1990) zu einem Symposium der Girardisten nach New Orleans und geht 1991 für ein Jahr nach Stanford, wo er mit einem der Girardisten der ersten Stunde, Robert Hamerton-Kelly, in einem Gebäude arbeitet, ein immer intensiver werdendes Verhältnis zu Girard pflegt und sein eigenes – von Schwager unterschiedenes Forschungsfeld – in Sachen mimetische Theorie entwickelt. Das deutlichste Ergebnis der jahrelangen Beschäftigung des echten Girardisten stellt seine – zum ersten Mal im Jahr 2003 publizierte (mehrmals neu aufgelegte und später auch ins Englische übersetzte) Monographie „René Girards mimetische Theorie im Kontext kulturtheoretischer und gesellschaftspolitischer Fragen“ dar. Nach kurzen Hinweisen zu einzelnen Theoremen der Theorie rekonstruiert Palaver jeweils die dazu passenden Werke unzähliger Schriftsteller und Philosophen (vornehmlich jener, die in den Überlegungen von Girard kaum vorgekommen sind). Seine Brillanz verdankt das Buch der Tatsache, dass Wolfgang dessen Inhalte in den (mehrmals gehaltenen) Vorlesungen vorbereitet und präsentiert hat. Aber auch seine (im Jahr 1997) finalisierte Habilitation verdankt sich größtenteils dem Aufenthalt in Stanford, den dort erhaltenen Impulsen und der Bestärkung in Sachen des Zieles zu dem er unterwegs war. So ist seine Habil dem klar formulierten Ziel, zu dem er unbewusst oder auch bewusst schon seit Jahren unterwegs ist, verpflichtet. Man kann es durch eine zugespitzte Frage anzeigen: Soll die katholische Soziallehre weiterhin im Kontext eines modernisierten Naturrechtsdenkens entfaltet werden und damit eher zu den philosophisch geprägten Fächern zählen oder soll eine genuin theologische Begründung dieser Wissenschaft in den Mittelpunkt gerückt werden. Als Hilfe für die Begründung seines Plädoyers für den theologischen Charakter wird der berühmt-berüchtigte Carl Schmitt herangezogen. Wolfgang dürfte auf den Denker durch die im Jahr 1988 ausgelöste neue Schmitt-Diskussion aufmerksam geworden sein. (In der Diskussion korrigierte Wolfgang diese Behauptung: es war Bischof Reinhold Stecher, der ihm zu Beginn der 80-er Jahre im Kontext der Auseinandersetzungen über das Engagement der KJ in Sachen Friedensbewegung ein Büchlein von Gerd Klaus Kaltenbrunner über die Notwendigkeit der Feindschaft empfohlen hat. Dort ist er zuerst auf den Namen Carl Schmitt gestoßen.)  Es war Heinrich Meiers Buch: „Carl Schmitt, Leo Strauß und ‚Der Begriff des Politischen‘“ und die dort vertretene These, Schmitts Werk sei als politische Theologie zu verstehen, das Wolfgang elektrisierte. Er stimmte Meier zu, dass „theologische Prämissen wesentlich sind, um Schmitts politische Argumentation verstehen zu können“; er machte aber darauf aufmerksam, dass Meiers Systematik den theologischen Implikationen Schmitts nicht gerecht wird. Mehr noch: Sie kann von der theologischen Seite nicht befürwortet werden. Der entscheidende Grund liegt bei der Formalisierung der Diskussion. Die Unterscheidung zwischen politischer Philosophie und politischer Theologie vermag keine inhaltlichen Kriterien anzugeben, scheitert deswegen auch bei der spezifischen Position von Schmitt. Vielmehr sei eine „inhaltliche Bestimmung der politischen Theologie“ von entscheidender Bedeutung. Die methodische Hilfe dazu bietet die mimetische Theorie. Diese hält daran fest, dass politisches Zusammenleben nur unter der Berücksichtigung religiöser und theologischer Faktoren verstanden werden kann, dass es aber einen fundamentalen Unterschied gibt zwischen den archaischen religiösen Mythen und der biblischen Perspektive. Aus der Sicht der Theorie Girards zeige demnach die politische Theologie Schmitts größere Nähe zu der Welt der Mythen als zu der der jüdisch-christlichen Offenbarung. Mit diesem Vorstoß bricht Palaver eine Lanze für das Ernstnehmen der biblischen Tradition im Kontext der rationalen Argumentationszusammenhänge. Was lässt sich nun zusammenfassend über das Ringen Wolfgangs um die Klarheit des Zieles sagen?

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Für die Theorien von Hobbes, Schmitt und Girard ist die logische Priorität des Chaos entscheidend. Die Bewältigung des realpolitischen Lebens erfolgt auch nach sakrifiziellen Mustern; der gewaltige Unterschied zwischen Schmitt und Girard ist nur erkennbar, wenn man inhaltlich bestimmte Kriterien im Kontext der biblischen Botschaft in die Diskussion bringt.  Deswegen sieht Wolfgang – und dies durchaus in der Tradition der Sozialenzykliken von Johannes Paul II. – die Soziallehre als ein genuin theologisches Fach, das Hand in Hand mit der Dogmatik geht,

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Nicht inhaltliche Geschlossenheit prägt aber die wissenschaftliche Reflexion über Jahre hinweg, sondern der zunehmend klarer gewordene methodische Standpunkt, der ja in seinem Urteil über Schmitt deutlich ausgesprochen wird: dieser vertritt ein Heidenchristentum und interpretiert zentrale Elemente christlicher Theologie im Sinn der mythischen Logik. Dieser feste methodische Standpunkt ermöglicht ihm einen klaren Blick auf die Frage der Interdisziplinarität des wissenschaftlichen Betriebes. Schon verhältnismäßig früh trat er zusammen mit Schwager auf dem Forum Wissenschaft und Verantwortlichkeit mit der mutigen These „Ohne Theologie/Religion lösen sich die Human- und Geisteswissenschaften in Beliebigkeit auf“, die Beheimatung im Girard‘schen Universum erlaubt die Präzision und Zuspitzung: Die zentrale Frage ist nicht, „Theologie oder nicht Theologie“, sondern die Frage nach dem konkreten Inhalt der jeweiligen Theologie. Nur auf diese Art kann die Unvermeidbarkeit des Theologischen im ideologiekritischen Kontext gewahrt bleiben.

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Nur am Rande sei noch gesagt: Ich verdanke Wolfgang die Inspiration zu meinem wohl erfolgreichsten – viele Male gehaltenen – Seminar: „Theologie lernen anhand eines Romans: Die Brüder Karamasov“. Hat er doch mich gebeten, nach meiner Rückkehr aus Linz nach Innsbruck mit ihm zusammen das Seminar über politische und theologische Implikationen dieses Romans von Dostojewski zu machen.

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Teil 2 von Wilhelm Guggenberger an Wolfgang Palaver

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Józef Niewiadomski ist derjenige hier im Raum, der dich am längsten von uns allen kennt. Ich bin erst viel später dazugestoßen. Ich habe im Herbst 1984 an dieser Fakultät inskribiert. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr genau, wann ich dich das erste Mal bewusst wahrgenommen habe. Unmittelbar zu tun hatte ich mit dir, weil du für Herwig Büchele eine meiner Seminararbeiten korrigiert hast. Ich muss zugeben, ich hatte damals nicht nur ziemlichen Respekt vor dir, sondern auch eine gewisse Scheu, weil du schon damals nicht nur einen einen fachlich sehr kompetenten, sondern auch einen recht strengen Eindruck auf mich gemacht hast.

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1991 hat dann dein Forschungsaufenthalt am Center for International Security and Arms Control in Stanford Gertraud Ladner und mir die Chance eröffnet, eine Stelle an der Uni zu bekommen. Das erste Semester meiner Arbeit an dieser Fakultät habe ich also dir zu verdanken, hatte allerdings gar nichts mit dir zu tun. Seit du dann zurückgekommen bist, haben wir zunehmend intensiver zusammengearbeitet und ich habe deiner Förderung und deinen Inputs bis heute unendlich viel zu verdanken.

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Wenn ich auf den Punkt bringen sollte, was Deine Arbeit für mich inhaltlich zunächst charakterisiert hat, dann fallen auch bei mir drei Namen: Thomas Hobbes, Carl Schmitt, René Girard. Wobei die ersten beiden „große Gegner“ waren, an denen du Dich abgearbeitet hast. Girard hat den hermeneutischen Schlüssel geliefert, um das tun zu können. Auf der Seite dieser großen Gegner waren auch Leute wie Donoso Cortés, Joseph De Maistre, oder Eric Vögelin. Was für Jungspunde wie mich mitunter etwas verwirrend war, war, dass dir immer daran gelegen ist, diese Gegner auch stark zu machen. Es ist wohl so, dass jeder Gegner, wenn man lange genug mit ihm ringt, auf einen selbst abfärbt. Aber ich denke, da war mehr als das.  Es war schon Ausdruck jenes Grundprinzips, das viele von uns von Raymund Schwager gelernt haben, dass es nämlich gilt, die berechtigten Anliegen auch jener Positionen ernst zu nehmen, mit denen man nicht einverstanden ist, weil nur so ein ernsthafter wissenschaftlicher Diskurs möglich wird.

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Über die häufig auftauchenden Namen hinaus, die ich genannt habe, meine ich mit der Zeit verstanden zu haben, dass es dir immer um die Möglichkeit eines gewaltfreien Zusammenlebens, einer gewaltfreien Gesellschaftsordnung ging. Józef hat ja schon klar gemacht, woher dieses Anliegen kam. Inhaltlich wirklich spannend wird die Sache freilich erst dann, wenn das Ziel eines gewaltfrei-friedlichen Zusammenlebens mit dem Bewusstsein einer durch Erbsünde geprägten Wirklichkeit zusammengebracht wird. Ich würde sagen, erst daraus entspringt die Rechtfertigung politischer Macht. Politische Macht, auch wenn sie demokratisch verfasst ist, verliert in deinen Publikationen ja schon sehr früh jegliche Harmlosigkeit. Niewiadomski hat schon darauf hingewiesen, dass das berechtigte Anliegen von Autoren wie Schmitt und Hobbes in der Zügelung eines lebensfeindlichen Chaos zu finden ist. Für dich bedeutet das ein Ringen mit der Frage, ob Gewalt wirklich nur mit gewaltsamen Mitteln zu zähmen ist. Wenn man alle, auch strukturelle Gewalt austilgt, könnte man am Ende ja hilflos dem Chaos ausgeliefert bleiben (siehe das Stück „Ein Mann zu jeder Jahreszeit“ von Robert Bolt über Thomas Morus).

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Der Offenbarungsimpuls in Girards Werk und die Theologie Schwagers weisen hier den Weg zu einer dritten Möglichkeit. Freiheit, die leicht in der Willkür eines Rechts der Stärkeren endet, und Gleichheit, die Lebensrecht und Würde aller wahrt, bedürfen der Vermittlung durch Geschwisterlichkeit – dazu werden wir heute Abend ja noch mehr in deinem Vortrag hören. Diese Geschwisterlichkeit setzt aber letztlich einen gemeinsamen transzendenten Bezugspunkt voraus.  Vielleicht ist das überzogen, aber ich würde meinen, dass dieses Wissen darum, dass Politik nie harmlos ist und dass sie, auch wenn sie noch so wohlmeinend angelegt wird, der Korrektur und Zähmung bedarf, schon Grund genug dafür ist, Sozialethik als dezidiert theologische treiben zu wollen.

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Eine Gesellschaftslehre, die so ansetzt, bleibt notwendig in einer permanenten Spannung. Die Anliegen der Demokratie und der Menschenrechte sind in Palavers Denken immer zentral, aber zugleich ist da auch die Warnung vor deren Idealisierung. Demokratie und Menschenrechte, auch das kann man ja von Girard lernen, können selbst zur Quelle von Rivalität und destruktiven Konflikten werden. Wie du es in einem Aufsatz über Hobbes und den Katechon auf den Punkt gebracht hast: „With the breakdown of traditional society and the rise of equality, mimetic rivalry increased significantly.” So gibt es bei allem politischen Sensorium und politischen Engagement, das sich bei Wolfgang Palaver findet, auch eine tiefgründige Skepsis gegenüber Politik, sogar ein Hang zur Antipolitik. Hierher gehört auch die Mahnung, in der Theologie, in der Soziallehre nicht auf die Apokalyptik zu vergessen – ein Punkt, mit dem man sich nicht viele Freunde macht.

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Auch wenn deine Sozialethik, solange ich dich kenne, immer dezidiert theologisch war, wardDein Denken nicht immer so intensiv kirchlich. Das hat sich, so habe ich es zumindest wahrgenommen, zunehmend durch die Auseinandersetzung mit Autoren wie Stanley Hauerwas, mit Ansätzen wie Radical Othodoxy oder kommunitaristischen Positionen, aber auch mit einer wachsenden Nähe zur Fokolarbewegung entwickelt.

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Freilich, auch die Katholische Kirche ist oft genug Katechon, also eine Kraft, die das Chaos niederhält, aber damit zugleich auch der Realisierung des Gottesreiches im Weg steht. Die Frage „Welche Religion? Welche Religion ist lebensdienlich, ist gewaltfrei?“ kehrt also immer wieder, sind es doch nicht nur pseudoreligiöse Phänomene wie politische Religion oder Kapitalismus als Religion, die zu destruktiven Götzen werden, sondern eben auch religiöse Fundamentalisten, gar Terroristen.

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Gerade in Auseinandersetzung mit Fundamentalismus und religiösem Terrorismus, die seit der Iranischen Revolution von 1978 und insbesondere seit 9/11 häufig völlig undifferenziert mit dem Islam identifiziert wurden, ist es wohl zu einer der massivsten Krisen im Verhältnis zu deinem akademischen Leitstern Girard gekommen.

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Auch ich habe Dich als bedingungslosen Verfechter der Mimetischen Theorie erlebt und bin trotz Dogmatikstudium bei Schwager eigentlich erst durch dich mit dieser Theorie vertraut geworden. Im Lauf der Jahre habe ich dann zwei Infragestellungen wahrgenommen, die bei dir zu Korrekturen, ja ich meine sogar zu erheblichen Zweifeln an diesem Ansatz geführt haben und du hast das ja selbst kürzlich in Paris zumindest sehr ähnlich formuliert:

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Die eine Infragestellung kam aus der Begegnung mit Archäologen in der Osttürkei rund um die Ausgrabungen in Catal Höyük und Göbekli Tepe und die Auseinandersetzung mit ihren Forschungsergebnissen. Während Girard Wandzeichnungen in Catal Höyük, die so etwas wie eine Jagdszene zeigen, bruchlos in seine Theorie eingliederte und als Sündenbockjagd einer Hetzmeute interpretierte, sind sich die Archäologen nicht sicher, ob es in dieser steinzeitlichen Siedlung überhaupt so etwas wie einen religiösen Kult, gar einen Opferkult gab. Hier stellt sich ganz deutlich die Frage, wie stark die Rolle des zweifellos unvermeidlichen theorizing in der Wissenschaft sein darf. Ab wann sind angesichts vorliegender Daten oder neuer Fakten nicht nur Gürtelhypothesen eines Paradigmas aufzugeben, sondern vielleicht sogar dessen Kernhypothesen? Wie lange darf eine einmal erarbeitete Theorie ausschließlich die Perspektive auf die Realität bestimmen? Ich traue mir ehrlich gesagt nicht zu, einzuschätzen, wie du heute zu dieser Infragestellung stehst. Unsere geplante Exkursion in die Osttürkei 2016 hat ja leider aufgrund des damals jungen Syrienkrieges nicht stattgefunden. Jedenfalls betonst du seither öfter, dass sich die mimetische Theorie stärker auf Anfragen aus anderen Disziplinen einlassen muss, dass sie nicht nur deren performative Ergebnisse rezipieren darf, sondern auch jene aufgreifen muss, die in eine andere Richtung weisen.

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Die zweite Infragestellung hat aber noch nachhaltiger gewirkt und deine Forschungsarbeit über Jahre geprägt. Girard hat sein Buch „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“ als Apologie des Christentums bezeichnet und damit ist m. E. nicht nur eine Verteidigung gegen Angriffe gemeint, sondern tatsächlich die Begründung einer universellen Einzigartigkeit, die in der sogenannten Biblischen Differenz wurzelt. Was das betrifft, gehst Du heute nicht mehr d’accord mit Girard.

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Es gibt da wohl unterschiedliche Elemente, die im Hinblick auf diese Thematik mehr und mehr Fragen aufgeworfen haben: eine Tagung in England, eine Reise mit Durmus Gamsic in die Türkei, ein zunehmend interreligiöser Dialog des Lebens, etwa bei Festen der Begegnung, mit denen ihr in Jenbach meines Wissens 2008 begonnen habt.

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In der Einführung zum Band „Mimetic Theory and World Religions“, das du mit Richard Schenk herausgegeben hast, hältst Du schließlich fest, dass insbesondere die Positionierung Girards gegenüber dem Islam höchst problematisch sei. Auch Raymund Schwager hat meines Erachtens eine recht deutliche Sonderstellung der biblischen Offenbarung und des christlichen Glaubens gegenüber anderen Religionen vertreten. Auch gegenüber Schwagers Theologie gibt es bei dir also eine deutliche Akzentverschiebung. Allerdings, das ist ja auch eine Stärke von dir, du versteckst solche Verschiebungen nicht. Du hast dich nie davor gescheut, ältere Publikationen von dir selbst zu kritisieren und zu korrigieren. Deine Beschäftigung mit dem Islam war in den zurückliegenden Jahren jedenfalls zunehmend davon geprägt, das Vorhandensein zentraler Wahrheiten der biblischen Offenbarung auch im Koran, in Hadithen und der Sufimystik aufzuweisen. Im Zentrum steht also die Suche nach Gemeinsamkeit, nicht nach der differentia specifica. Als Kern dieser Gemeinsamkeit hast du ja herausgearbeitet, dass der Islam keine archaische Religion ist, wie Girard das einmal meinte, sondern eine opferkritische, wie Judentum und Christentum, und somit am Offenbarungsgeschehen teilhat. Ich vermute, du würdest das weniger vorsichtig formulieren als ich. Dass es zu dieser Frage auch hier an unserer Fakultät und unserem Institut durchaus Diskussionen hinsichtlich der genauen Zusammenordnung unterschiedlicher Bekenntnisse gibt, ist ja ein offenes Geheimnis. Und ich denke, es bleibt eine theologische Herausforderung, die Offenheit für das Gemeinsame der Offenbarungsreligionen mit dem Bewusstsein für die besondere Bedeutung von Kreuz und Auferstehung gut zusammenzubringen.

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Zum Schluss muss freilich noch ein Name ins Spiel gebracht werden: Mahatma Gandhi. Gandhi hat in unserem Haus immer eine Rolle gespielt. Herwig Büchele hat in den späten 80er oder frühen 90er Jahren die gesammelten Werke Gandhis angeschafft, die sicherlich nicht in vielen Bibliotheken Österreichs stehen. Severin Renoldner hat über Gandhi promoviert. Bei Palaver hat er m. E. eine untergeordnete Rolle gespielt. (In der Diskussion wies Wolfgang darauf hin, dass er im Zillertal im Kindesalter von einem Arzt den Satz gehört hat: „Du siehst ja aus wie ein Gandhi“.)  Spätestens seit deinem Forschungsaufenthalt in Princeton ist er aber ganz ins Zentrum deiner Arbeit gerückt. Gandhi verbindet schließlich auch einige Zentralanliegen Palaver‘scher Soziallehre: ein intensives Streben nach Gewaltfreiheit als Grundlage politischen Lebens, eine tiefe spirituelle Verankerung menschlichen Tuns und damit bei allem politischen Aktivismus eine bleibende Skepsis gegenüber politischer Macht, und natürlich die enorme Offenheit für die interreligiöse Begegnung. Aber vielleicht darf ich hier mit einer Frage enden: Liegt der Grund dafür, dass Gandhi nicht schon viel früher eine zentrale Rolle in deiner Theologie gespielt hat, einfach darin, dass man halt nicht alles machen kann, oder gab es da inhaltliche Gründe? Oder habe ich einfach nicht wahrgenommen, dass er eine Rolle gespielt hat?

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