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Sandler Willibald: Eine Frage der Identität: Rechtspopulismus (nicht nur) in Österreich
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Eine Frage der Identität: Rechtspopulismus (nicht nur) in Österreich

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:Originalpublikation (ohne Anmerkungen) in: Die Furche, 10. August 2016, S. 3. online: http://www.furche.at/system/showthread.php?t=72373
Datum:2016-08-19

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ein wichtiges Erkennungszeichen für Rechtspopulisten ist ihr Verständnis von politischer Identität. Die „ehrlichen und tüchtigen Bürger“, die sie zu beschützen vorgeben, werden zusammengeschweißt durch Feinde, die sie bedrohen: Ausländer, Muslime oder Türken neben ihnen, sowie Parteibonzen und EU-Funktionäre über ihnen. „Sie sind der Kandidat der Schickeria, ich der der Menschen“, sagte Norbert Hofer gegen seinen Konkurrenten Van der Bellen. – „Sie sind für Europa, ich bin für Österreich“. Und zu seinen Parteianhängern: „Wir haben die Falschen ins Land geholt.“ Wenn sie nicht umgehend zurückgeschickt werden, würde er die Regierung entlassen.

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Gemeinsam ist diesen Aussagen, dass sie Gräben aufreißen und Bedrohung signalisieren. So wird eine Summe von Unzufriedenen und sich bedroht Fühlenden zu einem künstlichen „Wir“ zusammengeschweißt. Mit solchen Konstruktionen erweist sich Hofer als Rechtspopulist. Von daher kann er sich dem missachteten „Mann von der Straße“ als beschützende Vaterfigur anbieten: „Ich hätte gerne für Euch als Bundespräsident auf unser wunderbares Land aufgepasst.“1 Zwar formuliert Hofer differenzierter als Heinz-Christian Strache: „Wichtig ist jetzt, nicht alle Muslime in einen Topf werfen; trotzdem ...“2. Aber die populistische Argumentationsform ist immer noch die gleiche.

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Am 2. Oktober wird die Bundespräsidenten-Stichwahl wiederholt. Bei aller Bestürzung und Zermürbung, die diese Entscheidung hervorrief, bringt sie auch die Chance mit sich, die Argumente für und wider die beiden Kandidaten schärfer zu analysieren. Dies scheint mir besonders wichtig für christliche WählerInnenkreise verschiedener Konfessionen. Für viele von ihnen war die Stichwahl eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Je nach den favorisierten Themenbereichen schien einer der beiden Kandidaten unwählbar. Viele Christen meinen, im Blick auf Ehe, Familie, Gender und Lebensschutz Hofer wählen zu müssen. Und viele sind der festen Überzeugung, wegen seiner Haltung gegenüber Flüchtlingen, Moslems und im Sinne einer verantwortlichen europäischen Friedenspolitik Hofer keinesfalls wählen zu dürfen. Hier reicht es nicht – wie von christlichen Medien, etwa den Kirchenzeitungen, zuletzt praktiziert –, die Kandidaten zu den genannten Themen zu befragen und ihre Antworten ohne Kommentar zu publizieren. Vielmehr gilt es aufzuzeigen, dass die beiden Themenbereiche angesichts der Kompetenzen und der von beiden Kandidaten angekündigten Schwerpunkte für den künftigen Bundespräsidenten nicht gleich relevant sind. Dieser wird seinen Einfluss vorrangig zu den Fragen Flüchtlinge, Terrorismus und Europa geltend machen.3

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Und es steht der Stil der Politik auf dem Spiel. Die Freund-Feind-Logik des Rechtspopulismus gibt zu komplexen politischen Problemen allzu einfache Antworten vor, die eben deshalb politisch nicht umsetzbar sind. So werden Rechtspopulisten am effektivsten entlarvt, wenn sie – wie in Österreich ab 1999 – Regierungsverantwortung tragen. Allerdings: Bundespräsident, Bundeskanzler und erster Nationalratspräsident von der FPÖ, wie Hofer in Aussicht stellte? Ist der Preis für eine damit möglicherweise erfolgende Entzauberung des Rechtspopulismus für Österreich bezahlbar?

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Für Christen gibt es einen noch grundlegenderen Einwand gegen den Rechtspopulismus. Der liegt im Verständnis von persönlicher und gemeinschaftlicher Identität, das durch die Bibel und den christlichen Glauben begründet wird. Danach gibt es idealtypisch die zwei Grundformen einer positiv-bezogenen und einer negativ-grenzenden Identität.4 Bereits das Judentum gründet mit dem Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe in einer positiv-bezogenen Identität, die niemanden ausschließt. Das in der Bibel dokumentierte Grundproblem besteht aber darin, dass der ungreifbare Gott immer wieder aus dem Blick verloren wird. Damit droht die positiv-bezogene Identität zu einer negativ-grenzenden Identitätssicherung zu pervertieren. Das Sabbatgebot konnte auch zum Identitätsmarker werden, der den Gegensatz zu den ungläubigen Anderen sichtbar machte. Jesus hat das als Heuchelei kritisiert und durch sein Handeln entlarvt. Immer wieder holte er Außenseiter – etwa Zöllner oder Sünderinnen – in die Mitte der Gesellschaft herein. Solche Inklusion war nicht nur ein sympathischer Akt solidarischer Liebe, sondern zugleich ein beinharter „Community-Test“5: In dem Maß, als die Angehörigen einer Gesellschaft durch Formen positiv-bezogener Identität geprägt sind, können sie sich von Herzen über jemanden freuen, „der verloren war und wiedergefunden wurde“ (Lk 15,32). In dem Maß aber, als Konzepte einer negativ-grenzenden Identität dominieren, bewirkt die Hereinholung von Anderen Irritation und Empörung bis hin zur Gewalt. Das sind Symptome einer Identitätskrise: „Ja, wer sind wir denn, dass dieses Gesindel auch zu uns gehört?“

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Man muss kein Christ und nicht einmal religiös sein, um diese Grundformen der Identität nachvollziehen zu können. Das gilt auch für die positiv-bezogene Identität: Diese orientiert sich an Spuren einer Wirklichkeit, „die es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen“.6 Solche Spuren sind in Natur, Kunst, Kultur und vor allem in persönlichen Begegnungen zu finden. Sie haben das Potential, Einigung über Gräben hinweg zu bewirken. Das ist eine sanfte Macht, die weltpolitische Wirkungen haben kann. So und nur so konnte das Friedensprojekt der EU unter der Führung der ehemaligen Erzfeinde Deutschland und Frankreich zustande kommen.

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Negativ-grenzende Identität hingegen ist auf eine teuflische Weise zerstörerisch: Auch wer gewinnt, verliert. Denn das erreichte Ziel – die erfolgreiche Vernichtung des aufgebauten Feindes – zerstört zugleich den einigenden Grund, der ja aus den gemeinsamen Feinden besteht, und führt so wiederum in eine Identitätskrise. Neue Feindbilder müssen konstruiert werden.7

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Im heutigen Österreich und Europa brauchen wir den oben genannten „Community-Test“ nicht erst zu konstruieren. Er wird uns durch die Flüchtlingskrise aufgezwungen. Zu welchen Resultaten dieser „Test“ im Zeichen von rechtspopulistisch geprägter Politik führt, kann heute laufend in den Medien verfolgt werden.

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Allerdings wäre es zu einfach, konkrete Formen und Vertreter eines Rechtspopulismus auf das Muster einer negativ-grenzenden Identität zu reduzieren und so zu verteufeln. Jede bestehende Form der Vergemeinschaftung ist eine Mischform. Und negativ-grenzende Identität ist ansteckend. Wer sich zum Ziel setzt, Rechtspopulisten als Feinde der offenen Gesellschaft zu entlarven, läuft Gefahr, selber der Logik einer negativ-grenzenden Identität zu verfallen.8 Mit der Ausschaltung von Rechtspopulisten ist für die komplexen Probleme unserer Zeit noch gar nichts gewonnen. Der Weg der Überwindung der heute weltweit florierenden Formen des Rechtspopulismus kann nur in einem geduldigen Handeln und Verhandeln bestehen, das immer wieder Menschen im Blick auf Wirklichkeiten zusammenbringt, die es nicht nötig haben, sich entgegenzusetzen, – auch Menschen aus verschiedenen politischen Lagern, die der Versuchung des Populismus nachgegeben haben. Auf diese Weise können jene verbindenden Visionen gefunden werden, die zur Verwirklichung von Angela Merkels „Wir schaffen das“ unverzichtbar sind.

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Anmerkungen

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1  https://www.facebook.com/norberthofer2016/ , Eintrag am 23. Mai 2016.

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2  „Wichtig ist jetzt, nicht alle Menschen in einen Topf zu werfen. Ich kenne etliche Muslime, die hier in Österreich friedvoll leben und sich zu unserem Land bekennen. Trotzdem gibt Henrik Broder in diesem Streitgespräch Anlass zum Nachdenken. Wir sind in Europa Opfer einer falsch verstandenen Toleranz geworden und wir brauchen Politiker, die massvoll und verantwortungsvoll Dinge beim Namen nennen ohne dabei auf Hass zu setzen. Hass ist immer ein schlechter Ratgeber und führt zu Gewalt. Wir müssen uns in Österreich aber auf gerechtigkeit, Freiheit und den Schutz der Staatsbürger vor Extremisten verlassen können.“ (Norbert Hofer auf Facebook, am 23. Juli um 9.16) https://facebook.com/norberthofer2016/posts/1777119249232035;. — Das auf seiner Facebook-Seite https://www.facebook.com/norberthofer2016/ Statement Hofers ist für einen konstruktiven Dialog anschlussfähig. Dagegen sind die Aussagen Henrik Broders, auf die Hofer als „Anlass zum Nachdenken“ von polarisierenden Identitätskonstruktionen durchzogen. Vgl. das Streitgespräch zwischen Henrik Broder u. Eva Maria Kogel: Was hat das alles mit dem Islam zu tun?, in: Die Welt, 20. 7. 2016. Hofer verweist auf die Online-Version: http://m.welt.de/debatte/kommentare/article157193206/Was-hat-das-alles-mit-dem-Islam-zu-tun.html

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3 Vgl. dazu W. Sandler, Wie können Christen wählen? Entscheidungskriterien zur Bundespräsidentenwahl 2016, online: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/1155.html

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4  Vgl. W. Sandler, Kirche als Sakrament des Heilsdramas Jesu Christi, in: Skizzen zur dramatischen Theologie. Erkundungen und Bewährungsproben. Freiburg i.Br. 2012, 415-455, hier: 424-438; ältere Fassung online: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/596.html#ch18. Eine bibeltheologische Erschließung anhand von Lk 4,16-40 findet sich in: Willibald Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes. Wie wir durch das Kreuz erlöst sind. Kevelaer 2011, 33-54, online: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/900.html#ch9

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5 Vgl. W. Sandler, Die gesprengten Fesseln des Todes, a.a.O. 61-64; online: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/900.html#ch22

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6 Die Formulierung geht auf den für das Zweite Vatikanum wichtigen französischen Theologen Henri de Lubac zurück. Er bezeichnete den Katholizismus als „die einzige Wirklichkeit, die, um zu sein, es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen, also alles andere als eine ‚geschlossene Gesellschaft‘“ (ders., Glauben aus Liebe, Einsiedeln 1992, 263; französische Publikation aus dem Jahr 1938). Irritierend könnte die Formulierung „einzige Wirklichkeit“ sein. Würde sich diese Aussage exklusiv auf das katholische Christentum – im Gegensatz etwa zu anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen – beziehen, so würde der behauptete Vorzug „es nicht nötig zu haben, sich entgegenzusetzen“ durch ebendiese Aussage zurückgenommen. Anders verhält es sich, wenn von daher – wie bei de Lubac – die Vorstellung eines „offenen Katholizismus“ angezielt wird, bei dem katholische Identität (im Sinn von Glaubenstreue) und ökumenische Offenheit in einem direkt proportionalen Verhältnis zueinander bestehen. Ein solches Verständnis von Katholizität wurde im Zweiten Vatikanum grundgelegt. Von ihm her ist anzunehmen, dass es auch außerhalb der Grenzen der hierarchisch verfassten katholischen Kirche Elemente der Wahrheit und Heiligkeit gibt (vgl. Lumen Gentium 8). Man könnte diese Elemente der Wahrheit und Heiligkeit formal sowie kriteriologisch als „Spuren einer Wirklichkeit, die es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen“ bestimmen. In diesem Sinn verwende ich hier die Formulierung de Lubacs.

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7 Dieses Paradox wurde bereits von Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes – im Kapitel über die Dialektik von Herr und Knecht – herausgearbeitet. Eine weitreichende gegenwärtige Erschließung gibt René Girards Theorie vom Sündenbockmechanismus, – mit einer entsprechenden Deutung teuflischer Mechanismen in: R. Girard, Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums. München/Wien 2002. Die theologische Reflexion wurde vor allem von Raymund Schwager durchgeführt: ders., Erbsünde und Heilsdrama. Im Kontext von Evolution, Gentechnologie und Apokalyptik (BMT 4). Thaur-Wien-München/Münster 1997, v.a. 162-185. Zur politischen Brisanz vergleiche Wolfgang Palaver, Vom Nutzen und Schaden der Feindschaft. Die mythischen Quellen des Politischen. In: M. Brehl, Medardus; K. Platt (Hg.): Feindschaft. München, Paderborn 2003, S. 71-92.

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8 Vgl. dazu W. Sandler, Freunde der offenen Gesellschaft – Wie dem aktuellen Rechtspopulismus in Österreich begegnen? Eine Replik auf Christian Bauer. Online: http://www.feinschwarz.net/leserbriefe-zu-feinde-der-offenen-gesellschaft

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