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Siebenrock Roman: Wenn das Weizenkorn nicht stirbt, … Predigt zum 5. Fastensonntag 2021
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Wenn das Weizenkorn nicht stirbt, … Predigt zum 5. Fastensonntag 2021

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-03-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Jer 31,31-34; Hebr 5,7-9; Joh 12,20-33.

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„Die Erfahrung von innen und die Botschaft von außen gehen aufeinander zu, und dort, wo die eine in der anderen sich versteht, geschieht die Feier von Weihnachten, weil Glaube vom Hören und von der Gnade kommt, die in der innersten Mitte des Herzens aufsteht.“

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Ein bestimmtes Wort Gottes begegnet uns immer aus dem Klangraum der ganzen Heiligen Schrift herkommend im Resonanzraum unseres eigenen Lebens. Wenn beide in einander klingen und sich wechselseitig deuten, korrigieren und ermutigen, kann sich ereignen, worin die einzigartige Bedeutung der Heiligen Schrift liegt: In ihr will Gott selbst das Gespräch mit uns aufnehmen, um uns zu stärken, zu korrigieren und zu verwandeln.

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Weil es dem lebendigen Gott immer um das Leben geht, geht es auch in der Bibel immer um das Leben, um ein mögliches Leben in Fülle (Joh 10,4). Denn der Heilige Israels möchte Anteil geben an der Fülle ihres Lebendigseins, das sein Wesen ausmacht. Diese Fülle des Lebendigseins, aus der wir kommen und auf die hin unser Leben uns ziehen möchte, wird hier auf Erden, im Status der Pilgerschaft zuerst und zuletzt durch die Liebe erfahrbar und konkret. Im Fundament unserer Hoffnung, den heiligen Schriften Israels, die wir Altes Testament nennen, steht das Gebot der Liebe wie selbstverständlich im Zentrum des Gesetzes. Jesus erinnert immer daran, wenn er auf die Frage antwortet: Was muss ich tun, um das Himmelreich, das Reich Gottes, das ewige Leben zu gewinnen? Die Antwort, die Jesus gibt, ist in allen Variationen diese eine, die Tora und Propheten zusammenfasst: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben aus ganzem Herzen und ganzer Seele; – und Deinen nächsten wie Dich selbst“ (z.B. Mk 12,28-34; siehe: Dtn 6,4f; Lev 19,18). Doch der Ruf ins Leben ist in allen Zeugnissen der Schrift von der geschichtlichen Erfahrung geprägt, dass Leben in der realen Geschichte auf dieser Erde scheinbar nie richtig zu gelingen vermag: immer sind wir von Mächten und Gewalten bedroht, die das Leben zerstören und verunmöglichen (Röm 8): Krankheit, Gewalt, Angst, Betrübnis und immer neu in allen Varianten der Tod (siehe: Ps 90,10). Die ganze Heilige Schrift ist geprägt von den verschiedensten Erfahrungen der Menschen in ihrer Suche und Sehnsucht nach Leben und ihrem Zeugnis von der Weisung Gottes, die sich immer neu in dieser Geschichte als Kraft des Lebens zu erweisen vermag. Der Gott der mit uns ist (Ex 3,14) ist immer der Freund, ein leidenschaftlicher Liebhaber des Lebens (Weish 11,26). Diese Voraussetzung, diesen Klangraum der Schrift müssen wir im Herzen immer mitschwingen lassen, wenn wir das Evangelium verstehen und die Gestalt Jesu Christi, die in dieser Stunde auch mit uns verkehren möchte, auf- und annehmen zu können.

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Die erste Lesung des heutigen Sonntags, die wir leider nicht gehört haben, kündet mit den Worten des Propheten Jeremia einen neuen Bund an, jenen Bund, dessen Gesetz in unser Herz gelegt ist (Jer 31,31-34). Das Gesetz des Lebens (Lev 18,5), die Lebensregel Gottes, kommt zwar im Wort der Verkündigung auf uns zu, ist aber bereits inwendig in uns da (siehe: Joh 1,1-3). Und wie gesagt, die alle Orientierungen und Gesetze integrierende Lebensregel des Wortes Gottes ist die Liebe, die Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu uns selbst. Darauf verweist der Prophet in seiner Ankündigung, die ja vom letzten Buch der Tora, dem Deuteronomium, als Schlüssel für die ganze Weisung verkündet wird (Dtn 30,11-14). Was aber bedeutet dies? Wie kann diese Regel in den verschiedensten Lebenssituationen gelebt werden? Uns Christgläubigen ist uns ein greifbares und deutliches Beispiel geschenkt in der Gestalt Jesu Christi, wie sie uns in den vier Spiegeln der Evangelien vor Augen gestellt und so ans Herz gelegt werden.

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Über das johannes-Evangelium, das uns gerade verkündet worden ist, wird oft gesagt, dass Jesus in ihm als der Gesandte und Logos Gottes souverän seine Sendung vollenden würde; scheinbar unberührt vom Elend der Zeit, ein König noch mit Dornen gekrönt vor Pontius Pilatus (Joh 19,8-16). Immer ist Er der Akteur der Geschichte, vor allem der Passionsgeschichte, in der ja die Erzählung vom Bittgebet Jesu im Garten nicht erwähnt wird. Doch das Wort des heutigen Sonntags kann und muss diese Perspektive korrigieren. Denn hier begegnen wir einem erschütterten Jesus. Die Lesung aus dem Hebräerbrief schildert dies mit nicht zu überbietender Drastik (Hebr 5,7-10): Er habe den Gehorsam unter Tränen und Schreien gelernt, habe Bitten und Gebete vor Gott gebracht; – und so sei er zum Urheber des Heils geworden. Ja, nur so wurde er zum Grund unserer Hoffnung. Denn Jesus Christus, unsere Hoffnung, hat das Leben gelernt, in allen seinen Höhen und Tiefen, bis in die letzten Abgründe hinein. Unserem Bruder und Herrn ist nichts erspart geblieben: Er hat alles angenommen. Aber wie? In diesem Wie liegt der Schlüssel unseres Heils, d.h. auch unsere Möglichkeit, das Leben in Fülle inmitten dieser Geschichte zu entdecken. Deshalb dürfen und sollen auch wir uns unserer Tränen und Dunkelheiten nicht schämen, wir sind gerade in diesen dunklen Stunden dem bittenden und erschütterten Bruder und Herrn Jesus Christus sehr nahe; ja eher umgekehrt: er kommt gerade in diesen Stunden zu uns und sein Geist tritt für uns ein (Röm 8,26).

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Das heutige Evangelium erzählt von dieser Lernerfahrung Jesu in einem herausragenden Moment. Jesus ist in Jerusalem. Die Schilderung des triumphalen Einzugs in die Stadt geht unserer Stelle voraus. Jesus weiß, dass jetzt die Stunde der Entscheidung nahe ist. Und im heutigen Evangelium wird uns einer der so seltenen Einblicke in die innerste Motivation und Lebensauffassung gegeben. Doch, seltsam, seine Rede richtet sich, warum eigentlich (?), an die Apostel und an die Griechen, die als Gottesfürchtige zum Fest gekommen waren. Jesus richtet also seine Interpretation des Lebens an Juden und Heiden. Dadurch erfüllt er die innere Dynamik des Bundes Gottes mit Israels. Er öffnet ihn auf alle Menschen hin, weil dessen elementarstes Gesetz allen Menschen und Geschöpfen inwendig eingeschrieben ist. Leben ist immer Leben aus Leben und Tod, immer ein Weg aus Freude und Hoffnung, Trauer und Angst. Leben ist immer Annehmen und Loslassen, Einatmen und Ausatmen, Gebären und Geboren werden, Sterben und Getötet werden. Wir pilgern immer in Dunkelheit und Licht; – und oft wird für uns die göttliche Nähe zur Leere und seine überhelle Gegenwart zur Nacht. Im Einklang mit Jesus Christus dürfen wir aber hoffen, dass auch die Dunkelheit eine Form göttlicher Gegenwart sein kann. Das weiß der Herr, die personifizierte Weisheit Gottes. Ganz bleibt er mit seinem Vater verbunden. Er nimmt seine Situation mit jener Grundregel der Liebe, die er im Gleichnis vom Weizenkorn verdeutlicht: Leben als Einheit von Leben und Tod ist deshalb nicht eine ewige Wiederkehr des Gleichen, sondern wird zum Durchgang neuen Lebens, wenn das Leben für das Leben der anderen gegeben wird. Sein Leben gewinnt, wer es hingibt. Dem, der sein Leben verliert und es in dieser Welt geringachtet, dem wird es zum ewigen Leben gewandelt. Das bedeutet nicht, dass wir unser Leben hier verachten sollen. Aber wir sind befreit davon, es als das Letzte anzusehen und damit auch zu überfordern. Die Liebe ist nicht nur stärker als der Tod, sie wandelt den Tod und alle Todesmächte in jenes Leben, das den Tod überwunden haben wird. Warum? Weil in dieser Hingabe das göttliche Leben selbst in uns wirkt.

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Und weil Jesus zutiefst ahnt, dass sein Leben auf radikal brutale Weise zu Ende gehen kann, ist er zutiefst erschüttert. Die Evangelien überspielen diese Erfahrung nicht, weil sie auch unsere eigene Erschütterung tragen möchte. Hier begegnen wir im johannes-Evangelium dem Gethsemani-Gebet Jesu. Und in diesem Moment dürfen wir etwas erahnen von der innersten Mitte der Person Jesu: Er gibt sein Leben als Weizenkorn für Juden und Heiden, weil er selbst Hingabe, der Mensch für andere aus dem Gehorsam existiert, d.h. aus der vollkommenen Hingabe an den Heiligen Israels, den er seinen Vater nennt. Jesus personifiziert die Hingabe an Gott und uns Menschen. Das ist nicht Masochismus, sondern Grundvollzug der Liebe: Mir geht es ganz um Dich. In dieser seiner Liebe, die immer von der Zusage und Treue des Vaters getragen und gehalten bleibt, erwächst die völlige Hingabe an die Anderen, an uns Menschen, an Juden und Heiden. So wird die Herrlichkeit des Herrn sichtbar, so wird erfahrbar, was die Wirklichkeit Gottes ausmacht: die Liebe von Vater und Sohn, die im Geist alles zu verwandeln sucht. Auch Jesu Erschütterung ist für uns gute Botschaft: sie bewahrt uns vor falschem Heroismus oder Abstumpfung. Unsere Geburt in das ewige Leben kann sich auch unter Tränen und Angst ereignen. Die Stimme vom Himmel, in der das Evangelium Ostern und Pfingsten zusammenfasst, bestätigt dies. Denn die Herrlichkeit Gottes, seine in dieser Geschichte nicht zu überbietenden Gegenwart, die in der Zeit Jesu im Allerheiligsten des Tempels verortet wurde, ereignet sich nach dem Evangelium am Kreuz: Hier wird er alle an sich ziehen; – alle. Und deshalb darf ich auch für mich und alle hoffen.

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Deshalb ist es von höchster Bedeutung, welche Konsequenz das Evangelium dann zieht: Jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen. Denn der Herrscher dieser Welt, die inwendige Matrix auch unserer Gesellschaft, ja vielleicht vor allem unserer Gesellschaft, besagt, dass wir verlieren, wenn wir schenken. Nach dieser Vorstellung sollen wir immer zuerst an uns denken. Denn wenn alle ihren Egoismus, d.h. ihre Eigeninteressen verwirklichten, dann würde es nach dem Vater der freien Marktwirtschaft Adam Smith, kraft der unsichtbaren Hand des Geistes allen bessergehen. Sicherlich gibt es „win-win-Situationen“. Aber wenn eine menschliche Gesellschaft nur auf Konkurrenz und Eigennutz und damit grundlegend auf einen alles strukturierenden Narzissmus aufgebaut ist, geht sie zugrunde; – nicht zuletzt deshalb, weil eine endliche Erde ein unendliches Wachstum niemals garantieren wird können. In diesen Zeiten muss ich das nicht lange erklären. Wir sind immer gefährdet, wenn maßgebliche Gruppen immer zuerst an sich selbst denken und auch so handeln.

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Dem sollten wir Christgläubige nicht folgen; und zwar nicht zuerst aus moralischen und ethischen Gründen. Sondern weil das Leben so verkümmert und letzten Endes in eine Einsamkeit führt, die uns trostlos werden lässt. Wir wissen heute aus so vielen Studien, dass der Mensch nicht nur ein geselliges Wesen ist, sondern dass er grundlegend auf Kooperation angelegt ist. Es tut uns selbst gut, wenn wir gute Beziehung leben und anderen Menschen, Tieren und Pflanzen mit aufrichtigem Mitgefühl und Liebe begegnen. Die Liebe kann deshalb von Jesus im nächsten Kapitel des johannes-Evangeliums als neues Gebot verkündet werden, weil sie bis in unsere leibliche, neuronale und hormonelle Verfasstheit hinein die Matrix unseres Lebens ist. Übrigens: Die Liebe zu leben, ist der einzige Auftrag, das einzige Gebot, das johannes verkündet.

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Immer leben wir im Klangraum des Geheimnisses der nahegekommenen Liebe Gottes. Immer will das Wort des Evangeliums in uns die Resonanz guter, heilender Beziehungen zum Klingen bringen. Der erste johannesbrief fasst diese Erfahrung in der Botschaft zusammen: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1Joh 4, 16). Was sollen wir also tun, wie leben auch in diesen Zeiten? Allem Tun geht ein Sein, ein Bleiben voraus: in der Liebe bleiben. Und das heißt in unserem Leben, das sich immer in der Einheit von Leben und Tod vollzieht, sich das Gleichnis vom Weizenkorn zu Herzen nehmen. Wer gibt, empfängt, wer schenkt, gewinnt, wer so stirbt, erwacht zum ewigen Leben. Auch jene, denen „Gott“ abhandengekommen sein mag, können damit beginnen. Wir alle können im Zeichen des Weizenkorns das wunderbare Wagnis der Liebe jeden Tag neu anzufangen. Das Gebot der Liebe beruht auf dem Wissen, dass allein die Liebe zählt, weil sie uns zutiefst guttut und das letzte Wort über Mensch und Geschichte einmal sprechen wird.

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