Welche Wege nahm die kunstvoll geschnitzte Elfenbeinpyxis, bevor sie im 6. Jahrhundert in der spätantiken Höhensiedlung am Burgbichl in Irschen deponiert wurde? Welche Geschichten erzählen die feinen Reliefs und wie können sie heute erhalten werden? Diesen und weiteren Fragen widmete sich der interdisziplinäre Workshop Spätantikes Elfenbein: archäologischer Kontext, Konservierung, Herstellung, Herkunft und Ikonographie, der am 20. Juni an der Universität Innsbruck stattfand.
Elfenbein, ein Material von außergewöhnlicher Ästhetik und symbolischer Bedeutung, spielte in Europa vor allem in der Spätantike eine besondere Rolle – sei es in religiösen, repräsentativen oder funktionalen Kontexten. Zugleich stellt es die Forschung vor zahlreiche Herausforderungen, etwa bei der archäologischen Kontextualisierung, der Erhaltung des Materials, der Rekonstruktion von Herstellungstechniken oder der geographischen Lokalisierung sowohl der Herkunft des Elfenbeins als auch der Produktionsstätte.
Organisiert von einem Team aus Archäolog:innen und Restaurator:innen des Instituts für Archäologien bot der internationale Workshop eine Plattform für intensiven interdisziplinären Austausch. In mehreren thematischen gegliederten Blöcken stand nicht nur der spektakuläre Fund aus der frühchristlichen Kirche in Irschen im Fokus, sondern auch dessen übergeordnete Einbettung durch zahlreiche Vergleichsfunde im In- und Ausland oder die Anwendung modernster naturwissenschaftlicher Methoden zu deren Untersuchung und Erhaltung. So konnten innovative Methoden zur Stabilisierung und Dokumentation, etwa 3D-Scans zur computergestützten Rekonstruktion, vorgestellt werden.
Erkenntnisse zur Herkunft der Irschener Pyxis
Besonders hervorzuheben ist die Herkunftsanalyse mittels Isotopenuntersuchung: Sie ergab, dass die Irschener Pyxis aus ostafrikanischem Elfenbein gefertigt wurde – ein Hinweis auf komplexe Handelsverbindungen im spätantiken Mittelmeerraum, wie sie auch durch literarische Quellen dieser Zeit überliefert sind. Eine der innovativsten Methoden zur Rekonstruktion der Herstellungstechniken von Elfenbeinschnitzarbeiten stellt die Traceologie dar. Diese Analyse widmet sich systematisch den Bearbeitungsspuren auf der Objektoberfläche – etwa Riefen, Ritzungen oder Glättungen –, die Aufschluss über verwendete Werkzeuge, Arbeitsprozesse und handwerkliche Routinen geben. Besonders während der Reinigung und Stabilisierung sind Restaurator:innen gefragt, solche Spuren zu erkennen, sorgfältig zu dokumentieren und für die wissenschaftliche Auswertung bereitzustellen. Zahlreiche Bearbeitungsmuster lassen sich dabei mit Techniken vergleichen, die bis heute von modernen (Mammut-)Elfenbeinschnitzer:innen angewandt werden. Ein weiterer Schwerpunkt galt der ikonographischen Analyse von Pyxiden. Die christliche Bildsprache der Irschener Pyxis sowie verwandter Objekte – etwa Elfenbeintäfelchen und Diptychen – erlaubte neue Einblicke in deren sakrale Funktion. Dabei wurde deutlich, wie stark spätantike Elfenbeinschnitzkunst zwischen römischer Bildtradition und christlicher Symbolik vermittelt.
Der Workshop endete mit der Besichtigung der Elfenbeinfragmente der Irschener Pyxis, gefolgt von einer Demonstration historischer und moderner Elfenbeinschnitztechniken sowie der Präsentation typischer Werkzeuge, wie sie auch heute noch zur Rekonstruktion technischer Herstellungsprozesse herangezogen werden.
Die Organisator:innen zeigten sich erfreut über die hohe Resonanz: Dieser Workshop hat eindrucksvoll gezeigt, wie fruchtbar der Dialog zwischen den Disziplinen sein kann – und wie viel es noch zu entdecken gibt. Ein besonderer Dank gilt den Institutionen und Förderern, die den Workshop ermöglichten, wie dem Dekanat der Philosophisch-Historischen Fakultät sowie dem Vizerektorat für Forschung der Universität Innsbruck; Andreas Rauch der Anton Rauch GmbH & Co KG und dem Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Kultur.
VIDEO-Doku: Die verschollene Reliquie – Spurensuche im spätantiken Noricum
(Ulrike Töchterle, Gerald Grabherr, Aydin Abar, Barbara Kainrath/red)