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Niederbacher Bruno: Unterscheiden mit Ignatius von Loyola
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Unterscheiden mit Ignatius von Loyola
(Lange Nacht der Kirchen, Jesuitenkirche, am 10. Juni 2016, 20:30 Uhr)

Autor:Niederbacher Bruno
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2017-01-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Herzlich willkommen in der Krypta der Jesuitenkirche! Mag. Klaus Köb hat Sie mit seiner zarten Lautenmusik zu dieser halben Stunde begrüßt, Musik die auch Ignatius von Loyola vertraut vorgekommen wäre, um den es heute geht. Das Thema lautet: Unterscheiden mit Ignatius von Loyola. Dies will ich in vier Episoden tun.

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1. Episode: Ignatius von Loyola hat den Jesuitenorden gegründet. Aber angefangen hat seine Geschichte alles andere als fromm. Ignatius, damals noch Inigo, ist Soldat und verteidigt im Jahr 1521 eine Festung namens Pamplona gegen die Franzosen. Eine Kanonenkugel trifft ihn, bricht sein Bein – und damit ist auch der Krieg zu Ende. Die Franzosen, echte Kavaliere, bringen den verletzten Inigo zu seinem Heimathaus nach Loyola im Baskenland. Dort liegt er im Bett. Zuerst sieht es kritisch aus. Fast stirbt er an seinen Verletzungen. Aber dann setzt die Genesung ein. Um sich die Zeit zu vertreiben, sehnt er sich nach Lektüre: Ritterromane; Abenteuer, Frauen, Leidenschaft. Aber im haus hat man nur fromme Schinken: Ein Buch über das Leben Jesu und eines mit Legenden über die Heiligen. Gelangweilt liest er darin. Seine Gedanken entfliehen zu spannenderem Stoff: zu stundenlangen Phantasien über unerreichbare Frauen und Abenteuer, die er bestehen will. Dazwischen denkt er auch an die Großtaten der Heiligen, von denen er in den frommen Büchern liest und sinniert: „Was wäre, wenn ich täte, was der heilige Franziskus tat, oder der heilige Dominikus….“ Und so wechseln sich die Phantasien bei ihm ab: einmal die weltlichen, einmal die frommen. Da entdeckt er einen Unterschied. Er schreibt: „Wenn er (Ignatius) an weltliche Dinge dachte, empfand er großes Vergnügen; sobald er aber ermüdet davon abließ, fand er sich trocken und unzufrieden. Wenn er jedoch daran dachte, barfuß nach Jerusalem zu gehen und nichts als Kräuter zu essen … war er nicht nur getröstet, solange er sich bei solchen Gedanken aufhielt, sondern blieb auch zufrieden und froh, nachdem er davon abgelassen hatte. […] Allmählich kam er dazu, die Verschiedenheit der Geister, die sich hin und herbewegten zu erkennen…“ (PB 8)

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2. Episode: Noch währen seiner Genesungszeit fasst Inigo den Entschluss, nach Jerusalem zu pilgern. Sobald er gesund ist, führt er den Plan aus, allein und zu fuß. Eine wichtige Station auf seinem Weg wird Manresa, eine kleine Stadt nordwestlich von Barcelona, unweit vom Montserrat. Eigentlich will er nur kurz bleiben. Da bricht eine schwere psychische und religiöse Krise über ihn herein. Die Vergangenheit holt ihn ein. Er wird fast wahnsinnig vom Zwang, immer neu zu beichten. Skrupel plagen ihn. Depressionen und Trostlosigkeit reißen ihn in die Tiefe. „Wie wirst du dieses Leben siebzig Jahre, die du zu leben hast, ertragen?“ flüstert ihm eine Stimme ein. Er fastet und betet übertrieben viel, er will den inneren Frieden herbeizwingen, aber es nützt alles nichts. Er kommt an einen Punkt, wo er daran denkt, sich das Leben zu nehmen. Das Ende des Schreckens beschreibt Ignatius so: „[…] ihn überkam Abscheu vor dem Leben, das er führte, und zugleich ein heftiger Antrieb, es ganz aufzugeben.“ Das neue Leben, das er so enthusiastisch begonnen hatte, kotzt ihn an, er will es aufgeben. Aber genau das ist die Wende. Er schreibt: „Damit wollte der Herr ihn wie aus einem Schlaf (Traum) aufwecken.“ (PB 25).

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3. Episode: Neun Monate Manresa: eine harte Schule im geistlichen Leben. Was Ignatius dort lernt, schlägt sich in den „Geistlichen Übungen“ (Exerzitien) nieder: Übungen, die helfen sollen, das eigene Leben in Ordnung zu bringen. Darin finden sich die sogenannten Regeln zur Unterscheidung der Geister; Ignatius nennt sie „Regeln, um einigermaßen die verschiedenen Regungen zu verspüren und zu erkennen“ (Exerzitienbuch [EB] 313): Es sind vor allem zwei Regungen: geistliche Tröstung und Trostlosigkeit. Mit Tröstung meint er emotionale Regungen wie Liebe zu Gott, innere Freude, Ruhe, Frieden. Mit Trostlosigkeit meint er einen lauen, traurigen, verwirrten Seelenzustand, wie von Gott getrennt. Ich greife nun einige Regeln von Ignatius heraus, die für mich hilfreich waren:

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  1. Wahrnehmen, was ist: Die inneren Regungen wahrnehmen lernen, wie sie sind. Sie nicht beschönigen oder verdrängen, sondern dasein lassen. Manche Menschen sind taub für ihre Gefühle. Dennoch sind die Gefühle bei ihnen da und beeinflussen ihr Verhalten. Wahrnehmen, was sich in mir tut: ein erster wichtiger Schritt. (EB 313)
    1. Verstehen, woher die Gefühle kommen: Woher kommt Trostlosigkeit nach Ignatius? Manchmal daher, dass wir im geistlichen Leben nachlässig geworden sind; zu viel Stress, zu viele Termine, zu wenig Zeit für Stille und Gebet. Da kommt Frust auf, da wird man grantig. Manchmal kommt Trostlosigkeit daher, dass wir falsche Erwartungen haben, z. B. dass wir mit automatischer Belohnung rechnen: „Ich habe so und so viel gebetet, also sollte ich mich auch gut fühlen.“ Oder manchmal kommt Trostlosigkeit daher, dass wir etwas erzwingen möchten: „Freude muss her, Friede muss her, ich muss mich gut fühlen…“ In Manresa hat Ignatius erlebt: Man kann im geistlichen Leben nichts erzwingen. Trost stellt sich bei ihm erst ein, als er aufgeben will, als er seine Fixierungen loslassen kann. (EB 322)
    2. Verstehen, wohin die Gefühle führen: Wenn Jäger im Wald Spuren lesen, fragen sie: Was für eine Spur ist das: die eines Rehs oder eines Fuchses? Und in welche Richtung führt diese Spur? So ähnlich ist es auch mit unseren Gefühlen: Um welche Stimmung handelt es sich? Und wohin führt sie?[1] Gute, angenehme Gefühle sind in der Regel ein Zeichen, dass wir richtig unterwegs sind; schlechte oder unangenehme Gefühle sagen uns, dass wir falsch liegen (EB 329). Aber so einfach ist es nicht. Nicht jeder Trost führt zu Gott hin und nicht jeder Misstrost führt von Gott weg. Hier fängt die eigentliche Unterscheidung an. Um richtig unterscheiden zu können, müssen wir unsere Gewohnheiten kennen, müssen wir wissen, welche Art von Person wir sind, in welche Richtung wir neigen und unterwegs sind. Ignatius‘ Idee ist folgende: Wer vom Guten zum Besseren unterwegs ist, wird von Gottes Geist bestärkt, vom bösen Geist jedoch irritiert. Umgekehrt: Wer von Gott weggeht, wird vom bösen Geist bestärkt, von Gottes Geist irritiert (EB314-315). Ein Vergleich: Wer viel Alkohol trinkt, wird von Mittrinkern ermutigt; sagt er aber „Nein, danke!“ wird er als Weichei verlacht – umgekehrt wird er dann von den Nüchternen bestärkt.[2]Sanft, leicht, lind, wie ein Tropfen Wasser in einen Schwamm eindringt – so berührt uns Gott, wenn wir vom Guten zum Besseren voranschreiten. Und das Böse berührt dann spitz, scharf, mit Gedröhn und Unruhe, wie wenn der Tropfen Wasser auf einen Stein fällt. Umgekehrt ist es, wenn wir in die entgegengesetzten Richtungen unterwegs sind (EB 335). Das Böse, so Ignatius, beißt oft mit falschen Gründen (EB 315), Übertreibungen; Verallgemeinerungen, z. B. mit Gedanken wie: „Immer ist es mit mir das Gleiche!“ „Ich werde das nie schaffen!“ „Ich kann nicht beten und ich werde es auch nie lernen!“ „Mag schon sein, dass Gott andere liebt, mich aber liebt er nicht.“ Übertreibungen sind Zeichen für destruktive Tendenzen. Immer wieder macht Ignatius auch darauf aufmerksam, dass es Versuchungen unter dem Schein des Guten gibt (EB 332). Etwas scheint uns zunächst gut, ist es aber nicht. Wie können wir den Schein durchschauen? Ignatius sagt: Schau auf den Verlauf und das Ende von Gedanken- oder Assoziationsketten: Sind sie gut – und wo enden sie? (EB 333) Manchmal haben wir am Anfang gute Absichten, landen dann aber bei etwas, das uns kaputt macht. Der böse Geist tritt mit der frommen Seele ein und mit sich selbst aus. Am Schlangenschwanz erkennt man das Böse, sagt Ignatius (EB 334).
      1. Richtig mit Gefühlen umgehen: Ignatius gibt einige Tipps dazu: Z. B. Triff keine Entscheidungen, wenn du in Trostlosigkeit bist! Sind wir emotional aufgewühlt, fehlt uns der klare Blick. Wir neigen zu Übertreibungen. Oft erleben wir, dass die Welt am nächsten Tag schon wieder anders aussieht. (EB18) Oder: Fürchte dich nicht vor deinen negativen Gefühlen! Die Angst vor negativen Gefühlen macht sie größer als sie sind, gibt ihnen eine Kraft, die ihnen nicht zukommt (EB 325). Oder: Gegensteuern! Agere contra! Nimm deine Gefühle wahr, aber bleibe nicht in ihnen stecken, schwelge nicht darin, sondern kehre zum Gebet, zur Arbeit zurück! Schließe keine Kompromisse mit deinen negativen Neigungen! (EB 319) Oder: Rede über deine Probleme: Manchmal denken wir, wir sollten unsere innersten Nöte niemandem anvertrauen, vielleicht, weil wir glauben, dass die anderen uns sowieso nicht verstehen – oder weil wir uns schämen, darüber zu reden (Was wird das Gegenüber von mir denken!) – oder weil wir meinen: Das ist gar kein Problem und ich komm schon selbst damit klar. Ignatius sagt: Reden hilft. Sich mitteilen hilft. (EB 326). Oder: Lerne aus deinen Erfahrungen, wo deine schwache Stelle, deine Achillesverse ist. Ignatius schreibt: Der Feind schaut sich eine Burg genau an und sucht die schwache Stelle, um einzudringen (EB 327). Es ist gut, wenn wir unsere schwache Stelle kennen. Dann können wir besser damit umgehen. Ignatius meint, dass unsere Erfahrungen ein großer Schatz sind. Wenn wir über sie nachdenken, können wir viel lernen.
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4. Episode: Ignatius gründet mit einigen Gleichgesinnten und Freunden im Jahr 1540 offiziell den Jesuitenorden und wird der erste Generalobere. Er ist Top-Manager einer rasant wachsenden Ordensgemeinschaft und lebt in Rom. Er schreibt ein Tagebuch. Darin sieht man, dass Ignatius bei den vielen Entscheidungen, die er zu treffen hat, immer auf seine inneren Regungen und Gefühle achtet und sie unterscheidet. So versucht er das Richtige herauszufinden. Im Exerzitienbuch empfiehlt er, eine Art Tagesrückblick zu machen, den Tag am Abend Revue passieren zu lassen, Erlebnisse des Tages noch einmal anzuschauen und zu fragen: Welche emotionalen Spuren haben die einzelne Begebenheiten des heutigen Tages bei mir hinterlassen? Woher kommen sie und wohin führen sie? Während Klaus Köb sein letztes Stück spielt, können wir einen solchen Tagesrückblick halten.

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[1] Aus: Lambert, Willi 2008: Aus Liebe zur Wirklichkeit. Grundworte ignatianischer Spiritualität. Kevelaer, S. 100.

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[2] Aus: Lambert, Willi 2008: Aus Liebe zur Wirklichkeit. Grundworte ignatianischer Spiritualität. Kevelaer, S. 104.

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