Text: Verena Kaiser
Rambo und Spiderman mögen prägende Figuren aus Film und Fernsehen sein, die allerdings – zumindest auf den ersten Blick – wenig mit dem Zeitgeschichte-Unterricht an einer Universität zu tun haben. Dennoch sind mir diese Filmklassiker beim Durchschauen der VHS-Sammlung des Instituts für Zeitgeschichte in die Hände gefallen. Mittlerweile sind auch die VHS-Kassetten, ähnlich wie das Institut für Zeitgeschichte, in ihren 40ern angekommen. Daher ist es der ideale Zeitpunkt, um dem Videobestand einen eigenen Beitrag zu widmen.
Zunächst ein kurzer historischer Exkurs: Wenn auch die Videokassette in unserem digitalen Zeitalter als ein altmodisches Relikt aus der analogen „Vorzeit“ erscheinen mag, so könnte sie für die Zeitgeschichte nicht passender sein. Die Verbreitung der Kassetten begann in den 1970er-Jahren und prägte über Jahrzehnte die Welt der Konsummedien. Allerdings ist die Videotechnik weitaus älter, denn schon im 19. Jahrhundert gab es erste Überlegungen zur magnetischen Bildaufzeichnung, dem Verfahren, nach dem VHS-Kassetten funktionieren. In den 1930er-Jahren entwickelte der deutsche Elektrokonzern AEG/Telefunken „Magnetophone“, mit denen Töne aufgezeichnet und wiedergegeben werden konnten. Die Geräte wurden schließlich nach Kriegsende in den Vereinigten Staaten weiterentwickelt, indem an der Bildspeicherung auf Magnetband geforscht wurde. Sowohl das Militär als auch andere staatliche Stellen liebäugelten mit einem potenziellen neuen Medium, das für Überwachungs- und Kontrollzwecke vielversprechend erschien. 1955 konnte schließlich ein Fernsehbild erstmals maschinell aufgezeichnet werden; jedoch unterschieden sich die ersten Videorekorder stark vom späteren Heimrekorder. Es handelte sich um große schwere Geräte, auf denen die Bänder auf offenen Spulen abgespielt wurden. Ein Videoband mit 90 Minuten Spieldauer wog circa 10 Kilogramm. Erst in den 1960er-Jahren entwickelte sich die Videotechnik von der unhandlichen Profitechnik zum kompakten Videosystem für Zuhause oder für Lehrzwecke an Universitäten. Als das Institut für Zeitgeschichte 1984 gegründet wurde, war die VHS-Kassette folglich ein bereits etabliertes sowie zeitgemäßes Medium.

Klaus Eisterer, mittlerweile pensionierter Professor des Instituts, hat mir einiges über den VHS-Bestand am Institut für Zeitgeschichte erzählen können, der primär zu Lehrzwecken genutzt wurde. Zum Zeitpunkt der Gründung des Instituts war die VHS-Kassette eines der modernsten Medien, auf die man zugreifen konnte. Es vereinfachte den Zugang zu Lehrfilmen, deren Beschaffung sich zuvor durchaus schwierig gestalten konnte:
„Es gibt kein Internet, es gibt keine DVDs, es gibt keine CDs. Es gibt nur das Fernsehen und wenn Sie um 21:40 Uhr nicht auf den Knopf drücken, um einen interessanten Film oder eine Dokumentation zu sehen, die Sie in der Programmzeitung entdeckt haben, dann haben Sie es versäumt“,
erklärt der Historiker im Interview. Mit dem Einzug der VHS-Kassetten war dieser Umstand nun ein Problem der Vergangenheit. Eisterer selbst meint, dass er eine ganz besondere Beziehung zum VHS-Bestand habe, denn als junger Assistent vom damaligen, ersten Institutsleiter Rolf Steininger hatte er die Aufgabe für ihn Videokassetten zu überspielen. Er beschreibt die VHS als „völlig neue Möglichkeit“, die Vorlesungen aufzubereiten:
„Das heißt, plötzlich gab es dann die Möglichkeit, Dinge aufzunehmen und sich zu überlegen, wie kann ich das irgendwie in der Lehre oder im Unterricht darstellend einbringen.“
Eisterer verwendete die VHS-Kassetten gerne für seine Tutorien, die zusätzlich zu den Vorlesungen und Proseminaren abgehalten werden konnten, sofern die Fakultät genügend Lehrkapazität hatte. Im Rahmen dieser Tutorien hatte man dann ausreichend Zeit, die Dokumentarfilme anzusehen, darüber zu diskutieren und somit den Inhalt der Lehrveranstaltung zu vertiefen. Einige Filme sind ihm im Gedächtnis geblieben, so hat er unter anderem die Verfilmung des Antikriegsromans „Im Westen nichts Neues“ (1930, USA) oder den Oskar-nominierten Dokumentarfilm „Der gelbe Stern – Die Judenverfolgung1933–1945“ (1980, Deutschland) verwendet. Letzterer soll laut Eisterer die erste Darstellung des Holocaust in einem in der Bundesrepublik produzierten Dokumentarfilm gewesen sein.

An einen Lehrfilm erinnert sich der Zeithistoriker, der immer wieder Lehrveranstaltungen zur Geschichte Lateinamerikas und Brasiliens angeboten hat, allerdings besonders gerne zurück. Über „Die Macht der Kaffeebohne“ kommt er regelrecht ins Schwärmen. Aber lesen Sie selbst:
„Es geht los mit brasilianischen Bauern, die Kaffee anbauen. Nicht die Brasilianer, die weißen Brasilianer. Der Minister, der darüber redet im Film, ist der Enkel oder Großenkel eines Sklavenbesitzers. Dann kommt die Sklavenbefreiung 1888, die indirekt auch zum Sturz des Kaiserreichs führt. 89, ein Jahr später, Kaffee wird weiter angebaut. Die Brasilianer sind so dominant im Kaffeeanbau, dass an der Börse von Sao Paulo der Weltpreis für Kaffee festgelegt wird. Dann geht es weiter – entlang des Kaffeeanbaus wird die ganze Geschichte Brasiliens, sozio-ökonomische Probleme, die bis heute nicht gelöst sind, aufgerollt, alles in diesem wunderbaren Dokumentarfilm.“
Trotz aller schönen Erinnerungen bleibt allerdings die Frage offen, was mit der VHS-Sammlung des Instituts in Zukunft passieren soll, schließlich sind die goldenen Jahre der Videokassetten vorbei und Internet und Streaming haben schon lange an der Universität Einzug gehalten. Eisterer ist sich unsicher, wie das Institut mit dem Bestand umgehen soll. Er hat einen Großteil seiner privaten Kassetten weggeschmissen. Alles zu digitalisieren sei enorm aufwendig und wenig sinnvoll, da sicher nicht mehr alle Filme zur Lehre geeignet seien. Man habe zwar viel aufgenommen, aber es sei mit Sicherheit nicht alles verwendet worden. Wie damals didaktisch mit den Videos gearbeitet wurde, in welchen Kursen was gezeigt wurde, lässt sich ebenfalls nicht mehr rekonstruieren. Wir sind folglich im Besitz einer historischen Quelle vom Typus „Lehrmittel“, allerdings ohne dessen Kontext. Es sei vom Thema und Lernziel eines Kurses abhängig, aber prinzipiell könne er sich schon vorstellen, mehrere Dokumentationen aus der Sammlung zu Stalingrad, um nur ein Beispiel zu nennen, mit Studierenden anzusehen und zu vergleichen oder die „alten“ Zeugnisse aus der Zeit des Bildungsfernsehens neuen Produktionen gegenüberzustellen und die Unterschiede zu analysieren.
Übrigens wundert sich Eisterer nicht, dass Rambo und Spiderman in der VHS-Sammlung zu finden sind. Schließlich gehören beide Filme zur US-amerikanischen Populärkultur aus der Hochzeit des Kalten Kriegs.
Literaturhinweis
Kay Hofmann, Videoästhetik und Film vor 1990, in: Harro Segeberg (Hrsg.), Film im Zeitalter Neuer Medien (Mediengeschichte des Films 7), München 2011, S. 99–109.
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