This is a cache of https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/542.html. It is a snapshot of the page at 2024-05-21T16:49:54.017+0200.
Wandinger Nikolaus: Worte der Andacht
University Logo

Worte der Andacht
(Texte zum Adventkonzert 2004 des Kammerchors "Walther von der Vogelweide")

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Konzert im Dom St. Jakob zu Innsbruck am 18.12.2004
Datum:2004-12-20

Inhaltsverzeichnis

I 
II 
III 
IV 

Inhalt

1
Paragraph Icon

I

2
Paragraph Icon

In dulci jubilo B fröhlich wiegt sich der Rhythmus, zum Schaukeln des Kindes in der Wiege, zum Christbaum, den Kerzen, den Keksen. Tröst mir mein Gemüte B ja gemütlich soll es sein, heimelig in der warmen Stube.

3
Paragraph Icon

Aber halt: Bethlehem um das Jahr 0: Keine Wiege zum Schaukeln, eine Futterkrippe für Tiere, kein Christbaum, Kerzen und Kekse, sondern stechendes Stroh und B immerhin B trockenes Heu. Keine Gemütlichkeit und warme Stube, sondern heimatloses Herumirren und kein Platz in der Herberge. Und trotzdem darin: Engelschöre, klingende Schellen, Leuchten wie die Sonne.

4
Paragraph Icon

Billige Verdrängung und Verkitschung, Verdrehung der Tatsachen?

5
Paragraph Icon

Bei weitem nicht: O Patris caritas B Liebe des Vaters B, O Nati lenitas B Güte des Geborenen B, wir wären all verloren, per nostra crimina B durch unsere Verbrechen B. So hat er uns erworben coelorum gaudia B die Freuden des Himmels.

6
Paragraph Icon

Wer, ich, ein Verbrecher? Ich angewiesen auf dieses Kind, um mir Freude zu erwerben? Kann ich sie mir nicht selber kaufen?

7
Paragraph Icon

Innsbruck im Jahr 2004: Wohlstand, schöne Geschäfte und Buden B dazwischen verlorene Sandler; strahlende Kinderaugen vor den Geschenken B dazwischen Kinder jenseits der Armutsgrenze; freundliche Nikoläuse und Weihnachtsmänner mit weißem Rauschebart und gütigen Augen B daneben vereinsamte, alte Menschen, alleingelassen und oft vergessen; gutsituierte, arrivierte Bürger und Bürgerinnen B in ihnen oft innere Einsamkeit, Trauer, Existenzängste, die kein Staat, kein Markt lösen kann, weil sie aus der Seele kommen.

8
Paragraph Icon

Nur wenn wir auch das sehen, verstehen wir, warum das Lied sagt: wir wären all verloren durch unsere Verbrechen. Dies sind keine Verbrechen aus dem Strafgesetzbuch, sondern die Hartherzigkeiten unserer Welt: unserer Gesellschaft, unserer Kirche, unserer Herzen; sie sind unsere Verbrechen und unsere Gebrechen zugleich. Wenn wir dies spüren, verstehen wir aber auch, in welche Situation hinein das Lied jubelt: So hat er uns erworben coelorum gaudia B die Freuden des Himmels.

9
Paragraph Icon

Nicht unsere Gemütlichkeit macht diese Freude, unsere Gemütlichkeit ist, wenn sie echt und keine Vertuschung ist, ein Vorgeschmack auf diese Freude, die nur er schenken kann.

10
Paragraph Icon

II

11
Paragraph Icon

Kindlein im Stall, mach uns selig all! Kindlein im Stroh, mach uns froh!

12
Paragraph Icon

Der Herr liegt in der Krippe. Der Herr wird ein Kindlein, Kindlein sind süß, das Kindchenschema macht, dass wir sie alle lieben. Aber das hält nicht lange. Sie wachsen heran, verlieren das Kindchenschema, werden zu Jugendlichen, zu frechen Teenagern, zu Erwachsenen, manche zu Soldaten. Alle Jahre wieder Kindchenschema, alle Jahre wieder irgendwo Krieg mit Soldaten, die einmal Kinder waren – ja sogar mit solchen, die noch Kinder sind. Krieg, in dem Kinder getötet werden, solche mit Kindchenschema und süßem Lächeln. Was haben sie dem Krieg entgegenzusetzen?

13
Paragraph Icon

Eigentlich nichts. Und leider – wir wissen es – leider nehmen die Kriege auf der Welt kein Ende, so oft es auch Weihnachten wird.

14
Paragraph Icon

Und doch hat manchmal dieses Weihnachtsfest dem Krieg für kurze Zeit Einhalt geboten. So etwa während des Ersten Weltkrieges, im Winter 1914: „Tagelang kehrten die Soldaten an einem 50 Kilometer langen Frontstreifen bei Ypern [an der belgisch-französischen Grenze] dem Krieg den Rücken, trafen sich mit ihren Gegnern im Niemandsland, beschenkten sich mit Plumpudding und Zigarren, tauschten Uniformknöpfe gegen Koppelschlösser und spielten Fußball. … Wochen und Monate schlief der Krieg an einzelnen Frontabschnitten bisweilen ein."

15
Paragraph Icon

Niemand, der von den Opferzahlen und den Grausamkeiten dieses Krieges gelesen hat, kann dies groß feiern, es geht unter im Meer der Gewalt. Und doch: „Stille Nacht, heilige Nacht" kann so viel mehr sein als brave Stubenglückseligkeit. Es kann einige Tage Menschlichkeit inmitten der Entmenschlichung und Verrohung sein. Einmal Fußball statt Kanonenkugeln und Zigarrenrauch statt Senfgas.

16
Paragraph Icon

Warum nur so kurz? Die Macht des hilflosen Kindleins hat es schwer sich durchzusetzen gegen die Ohnmacht roher Gewalt. Und doch gelingt es immer wieder.

17
Paragraph Icon

III

18
Paragraph Icon

Verehrte Anwesende,

19
Paragraph Icon

Weihnachten ist – auch wenn man es zunächst nicht vermutet – ein Fest, bei dem es um Gegensätze geht, es ist aber ein Fest der Vereinbarung von Gegensätzen. Wir werden sehr leicht dazu verführt, eine Seite der Gegensätze auszublenden. Weihnachten aber ist ein Fest, das uns dazu ermutigen will, Gegensätze nicht auszublenden, sondern sie – ohne Ausblenden – zu vereinen:

20
Paragraph Icon

Der große, allmächtige, ewige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, dieser unendliche Gott wird Mensch, liegt in Windeln, isst und trinkt wie du und ich, lernt, lebt, leidet und stirbt. Manche Frommen vergessen gern den zweiten Teil: für sie ist dieses Kind einfach nur Gott; manche aufgeklärten Modernen können nichts anfangen mit dem ersten Teil: dieses Kind und Gott? Der christliche Glaube besteht darauf: Mensch und Gott, und beides ganz, ohne Abstriche.

21
Paragraph Icon

Damit sagt dieser Glaube: Gott lässt auch uns ganz und gar Mensch sein, nichts echt Menschliches muss sich vor diesem Gott verstecken, alles echt Menschliche bringt uns näher zu Gott, weil der menschlichste aller Menschen der menschgewordene Gott war und ist.

22
Paragraph Icon

Nur das Unmenschliche in uns – dafür müssen wir uns schämen, das gehört eigentlich nicht zu uns. Nur das Unmenschliche macht uns gottfern. Weihnachten hat eine Aufforderung an uns parat, die jemand mal recht salopp, aber sehr zutreffend formuliert hat: Mach's wie Gott, werde Mensch!

23
Paragraph Icon

IV

24
Paragraph Icon

Und doch: Wie hat man es sich vorzustellen, wenn der große, allmächtige, ewige Gott Mensch wird, um auf der Erde gerechtigkeit zu schaffen?

25
Paragraph Icon

Etwa so wie im Buch der Weisheit? Es fängt ganz vertraut an:

26
Paragraph Icon

„14 Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, 15 da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel,", aber dann geht es ganz unweihnachtlich weiter: „sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab als harter Krieger mitten in das dem Verderben geweihte Land. 16 Es trug das scharfe Schwert deines unerbittlichen Befehls, trat hin und erfüllte alles mit Tod; es berührte den Himmel und stand auf der Erde. 17 Plötzlich schreckten sie furchtbare Traumgesichte auf, und ungeahnte Ängste überfielen sie." (Weish 18,14-17)

27
Paragraph Icon

Auch der Evangelist Johannes spricht vom Wort Gottes, das in die Welt kommt, aber wie anders hört sich das doch bei ihm an:

28
Paragraph Icon

„1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. 2 … 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. … 14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. … 16 Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade." (Joh 1,1-2.4.14.16)

29
Paragraph Icon

Das Weihnachtsevangelium des Johannes betont: Das auf die Erde gekommene Wort Gottes bringt nicht den Tod und die Angst, sondern das Leben und die Gnade.

30
Paragraph Icon

Und das Weihnachtsevangelium des Lukas zeigt uns konkret, wie uns der Mensch gewordene Gott gegenübertritt: „6 … [Es] kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. 8 In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. 9 Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr, 10 der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: 11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. 12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt." (Lk 2,6-12)

31
Paragraph Icon

Das Zeichen Gottes in der Welt – nicht große Paläste, nicht starke Heere –, sondern ein Kind aus Fleisch und Blut, in Windeln und in einem Stall liegend, kein Hofstaat, nur arme Hirten; und keine Engelslegionen, sondern Engelschöre, die die Furcht vertreiben und den Frieden verkünden. Christen und Christinnen feiern an Weihnachten, dass der allmächtige Gott sich entschieden hat, uns nicht als Krieger entgegenzutreten, sondern als hilfloses Kind, das uns durch seine Liebe erobern will.

32
Paragraph Icon

Auf seine Weise sagt dies auch eines der Weihnachtslieder aus dem Liederreigen von Benjamin Britten, den wir nun singen werden. Es besingt das Kind in der Krippe als Feldherrn gegen die Macht des Bösen. In rasanten Rhythmen und forschem Forte beschreibt es dieses Kind als Heerführer gegen den Satan. Aber seine Waffen sind so weit weg von dem, was menschliche Kriegskunst üblicherweise verwendet, dass sich die Bilder aneinander reiben und der Text der wuchtigen Musik ein Gegengewicht setzt:

33
Paragraph Icon

Das kleine Kind, erst Tage alt,

34
Paragraph Icon

zerstreut die Herd' des Satans bald;

35
Paragraph Icon

die Hölle bebet seinethalb',ob selbst vor Kält' es zittert arg;

36
Paragraph Icon

denn unbewehrt und schwach mit List

37
Paragraph Icon

die Pfort' der Höll' zu täuschen ist.

38
Paragraph Icon

Mit Tränen g'winnt er's Kampfgefild,

39
Paragraph Icon

die nackte Brust ist ihm sein Schild;

40
Paragraph Icon

Kampfgeschoss ist Kinderweinen,

41
Paragraph Icon

Pfeile sind die Tränen sein.

42
Paragraph Icon

Die Feldzeichen sind Not und Kält'

43
Paragraph Icon

als Kampfross schwaches Fleisch er hält.

44
Paragraph Icon

Sein Lager schlägt er in ei'm Stall,

45
Paragraph Icon

wo brüchig Mauern sind der Wall;

46
Paragraph Icon

die Kripp' sein' Schanz', Heuberg' sein Schutz'

47
Paragraph Icon

und Hirten sind sein ganzer Trupp.

48
Paragraph Icon

Und so, dem Feind zu Trutz und Harm

49
Paragraph Icon

die Engel blasen laut Alarm.

50
Paragraph Icon

Mein Seel, mit Christ zieh ins Gefecht,

51
Paragraph Icon

bei seinem Zelt halt dich du recht.

52
Paragraph Icon

In seiner Kripp' ist sich'rer Halt;

53
Paragraph Icon

dies kleine Kind gibt ihm Gestalt.

54
Paragraph Icon

Willst Feind' mit Freud' besiegen du,

55
Paragraph Icon

so weich nicht von dem Himmelsbub.

56
Paragraph Icon

Ein Kind in der Krippe – etwas Unbedrohlicheres kann es nicht geben. Weihnachten ist die Inkarnation der Forderung „Frohbotschaft statt Drohbotschaft".

57
Paragraph Icon

Anmerkungen:

58
Paragraph Icon

1. Storz, St.: Der Krieg gegen den Krieg. In: SPIEGEL spezial 1/2004: Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Die SPIEGEL-Serie über den 1. Weltkrieg und die Folgen, 44.

59
Paragraph Icon

2. B. Britten: A Ceremony of Carols (op. 28). Nr. 6: „This little Babe". Text von Robert Southwell (eigene Über­tragung in Anlehnung an die Übersetzung von H. E. Herlitschka).

© Universität Innsbruck - Alle Rechte vorbehalten
Webredaktion | Impressum

Powered by XIMS