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Niewiadomski Jozef: Als die Welt mit der Kirche schwanger wurde… Predigt zu Lk 5,1-11, gehalten in der Jesuitenkirche am 6. Februar 2022
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Als die Welt mit der Kirche schwanger wurde… Predigt zu Lk 5,1-11, gehalten in der Jesuitenkirche am 6. Februar 2022

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-02-08

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ist es die Stunde null gewesen? Ist da die Welt mit der Kirche schwanger geworden? Nachdem sich Jesus als Solist versucht habe, ob als „einsamer Wolf“ in der Wüste (Lk 4,1-13), oder als Prediger in seiner Heimatstadt, aus der er gleich gerade durch seine Nachbarn und Jugendfreunde vertrieben wurde (sie wollten ihn ja vom Abhang des Berges stürzen: Lk 4,16-30), nachdem Jesus also als Solist an die Grenzen geriet, sucht er nun nach Gefährten, nach Kameraden und Buddys, die ihm zur Seite stehen: Menschen wie du und ich. Er trifft auf Männer, deren Stimmung längst unter null gefallen ist. Und dies nicht zum ersten Mal. Immer und immer wieder die gleiche Erfahrung: „Die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen“. Pech oder Versagen? Vielleicht beides. Oder aber keines davon. Das ist auch nicht wichtig in diesem Stimmungstief. Da sitzt man bloß da, reinigt talgverklebte Netze, flickt traurig Löcher und fragt sich immer wieder: Ist das schon alles, was das Leben zu bieten hat? Diese „kleinen Leute“ sind Erfolgslosigkeit gewohnt, sind aber deswegen ausgelaugt, längst auch resigniert. Sie starren auf ihre „gottverdammten Netze“, blicken aber auch hin und wieder auf die am Ufer flanierenden Erfolgsmenschen, auf jene, die die Flucht nach vorne ergriffen haben, die das sinkende Schiff eines Berufes von gestern verlassen haben, den Armen einer Institution, die scheinbar dem Untergang geweiht ist, entflohen sind. Sie blicken auf jene Menschen, die die vergebliche Liebesmühe scheinbar nicht kennen, weil ihnen der Wind nichts Gesicht bläst und sie auch nicht gegen die Wellen steuern müssen, während sie selber solche Erfahrungen tagtäglich machen. Wer kennt das nicht? Ressentiment steigt da hoch und allmählich auch Selbsthass angesichts eines Lebens, in dem man zu wenig zum Leben und zum Sterben zu viel hat. Ist das die Stunde null gewesen? Wird  da die Welt mit der Kirche schwanger? Jener Kirche, die Horizonte erweitert, Erfahrungen dieser Art in ein sinnvolles Ganzes integriert, damit auch Hoffnung einzupflanzen weiß? Eine Hoffnung, die stärker ist als die Sackgassen des Alltags, gar als die Sackgassen des Todes?

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Der fremde Mann, der nicht bloß vorbeigeht, sondern auch stehen bleibt, ein bisschen plaudert, gar irgendwelche weltfremd anmutende Lehre vor sich gibt, macht einen Allerweltvorschlag: „Lasst doch die Köpfe nicht hängen. Fahrt noch einmal hinaus. Probiert halt mal!“ „Was haben wir da zu verlieren, außer dass wir uns lächerlich machen in den Augen der Welt. Jedermann weiß doch, dass am Tag kaum etwas gefangen wird.“ In das Stimmungstief platzt das Wunder. Auch uns sind solche Erfahrungen nicht fremd, obwohl wir keine Fischer sind. Erfahrungen von Pech und Versagen, von Resignation und subtilen Selbsthass und Ressentiment. Auch die Erfahrungen von atemberaubenden Überraschungen und Glückserlebnissen. Die Reaktion auf das Wunder bleibt im Evangelium nicht aus. Und sie überrascht. Sie überrascht vor allem deswegen, weil sie dem ganz alltäglichen Geschehen von Misserfolg und Erfolg, von Routine und Überraschung eine tiefere, eine religiöse Dimension verleiht. „Geh von mir weg“, stammelt der Bootsbesitzer. „Ich bin nicht das, was du vielleicht von mir denkst. Der Pech verfolgt mich seit eh und je. Und dies auf Schritt und Tritt. Vom Versagen schon ganz zu schweigen. Der Pech oder aber der Fluch, warum auch nicht der Fluch Gottes: Bin halt ein Sünder! Einer, der das bekommt, was er verdient. Kleine Sünden straft doch der Herr sofort, von den ganz  großen schon ganz zu schweigen. Wie oft habe ich doch gehört: Jeder ist seines Schicksals Schmid? Solch religiöse Ahnungen sind uns allen vertraut, selbst denjenigen, die sich per Definitionem als nicht religiös betrachten. Sie scheinen halt ein Teil der conditio humana zu sein. Worum geht es aber mir?

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Liebe Schwestern und Brüder, das Bekenntnis eigener Sündhaftigkeit – in meiner Auslegung, ein Bekenntnis, das mit dem subtilen Selbsthass gekoppelt ist, religiös gefärbt mit dem Hass auf Gott, der die Sünde ahndet: durch Misserfolg und Schicksalsschläge – das Bekenntnis eigener Sündhaftigkeit prägt diese Stunde null der Kirche, die Stunde in der die Welt mit der Kirche schwanger wurde. Denn: der „einsame Wolf“ aus der Wüste, der an den Nazarenern gescheiterte Prediger wendet sich nach dem Bekenntnis der Sündhaftigkeit von diesem Fischer nicht ab. So etwas sah ja der traditionelle religiöse Kodex vor. Ganz im Gegenteil! Er wendet sich ihm, dem Sünder, erst recht zu. Und dies nicht mit dem erhobenen Zeigefinger eines Moralisten, nicht mit der Aufforderung zur Busse, die noch dazu mit einer feurigen Höllenpredigt gepfeffert sein könnte. Er wendet sich dem stammelnden Bootsbesitzer zu und stärkt sein Vertrauen: „Fürchte dich nicht!“ Das ist die Kirchlichkeit in ihrer besten Form. Er richtet also den auf, der in Hoffnungslosigkeit und Resignation verharrte, der zum subtilen Selbsthass neigte und auch dem Ressentiment gegen die scheinbar Erfolgreichen nicht abgeneigt war. Er richtet ihn auf. Mehr noch: Er nimmt ihn bedingungslos an, weitet seinen begrenzten Horizont aus („Von jetzt an wirst du ein Menschenfischer sein“), integriert also dessen Alltagserfahrungen in ein neues, sinnvolles Ganzes, schenkt ihm also eine Hoffnung, die sich als tragfähig erweisen wird. Warum trete ich aber dieses Detail so breit?

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Es ist das erste Mal, das Jesus so etwas tut: nämlich einen konkreten Sünder bedingungslos annehmen. Zieht er damit praktische Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen? Seiner Wüstenerfahrung etwa? Aus der Zeit, in der er als „einsamer Wolf“ vierzig Tage lang mit sich gerungen hat und durch übermenschliche Disziplin und Askese etwas Klarheit über das wahre Antlitz Gottes bekommen wollte. Das Göttliche und das Dämonische gingen dort in seinem Kopf ineinander. Hat Gott eine dunkle Seite, durch die er für den Menschen bedrohlich wird? Gerade für den Versager, für den Sünder, für den vom Pech verfolgten? Diese Frage beschäftigt die Menschheit seit eh und je; sie beschäftigt die Frommen, die Agnostiker und paradoxerweise auch die Atheisten. Diese Frage trieb Jesus bis an die Grenzen des Wahnsinns. Die beglückende Klarheit, die ihm geschenkt wurde, glich einer Revolution (im religionsgeschichtlichen Garten der Menschheitsgeschichte). Gott ist gerade deswegen göttlich, weil er rettet. Rettet ohne Wenn und Aber. Rettet, koste es was es wolle. Von dieser befreienden Erkenntnis beflügelt eilt er in seine Heimat, will (wie ein junger Dozent) theologische Aufklärung betreiben. Bei erst bester Gelegenheit unterbricht er mitten im Satz die Lesung aus dem Propheten Jesaja in der Synagoge. „Das Gnadenjahr des Herrn ausrufen“, den rettenden Gott verkünden: das vermag er zu bejahen und das will er auch tun. „Die Vergeltung unseres Gottes androhen“ (vgl. Jes 61, 2b.): das lässt er unter den Tisch fallen. Das entspricht nicht seiner Gotteserfahrung. Die Empörung seiner Nachbarn und seiner Jugendfreunde ist ihm gewiss. Warum konnten sie das nicht ertragen? Glichen sie etwa den empörten Zeitgenossen, die in der Religion zuerst oder gar nur eine moralische Instanz sehen und es auch unerträglich finden, dass jemand die Trennung von Sünder und Gerechten (mit dem Verweis auf die Gefahr der Selbstgerechtigkeit) hinterfragt?

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Liebe Schwestern und Brüder, mit der erfolgten bedingungslosen Annahme eines Menschen, der von sich sagt, er sei ein Sünder,  ist unsere Welt mit der Kirche schwanger geworden. Es ist keine leichte Schwangerschaft gewesen. Die bedingungslos  angenommenen, sündigen Fischer haben nur mühsam gelernt, Abstand von der eigenen Selbstgerechtigkeit zu nehmen, brachen deswegen immer und immer wieder Stab über andere Menschen. In eigener Umgebung, vor allem aber nach außen hin. Und doch entspringt die Kirchlichkeit in ihrer tiefsten Dimension der Einsicht, dass Gott anders mit dem Bösen und mit den konkreten Sündern umgeht, als wir Menschen.  Während wir  unsere eigene Sündhaftigkeit oft vertuschen und über andere Stab brechen, wandelt Gott das Böse um: In Liebe. Dieses Geheimnis feiern wir in der Eucharistie. Deswegen ist die Erfahrung der Wandlung mit jener der sakramental verstandenen Kirchlichkeit identisch. So verstandene Kirchlichkeit weitet unseren Wahrnehmungshorizont, schenkt uns die Hoffnung, die Hoffnung auf das Leben durch alle Brüche hindurch, gar durch den Bruch des Todes hindurch.

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