Ehrensenator Isidor Alfred Amreich (1885–1972)
Der Gynäkologe Isidor Alfred Amreich wurde 1969 „in Anerkennung und Würdigung der besonderen Verdienste um die von der Universität Innsbruck vertretenen wissenschaftlichen und kulturellen Ziele“ zum Ehrensenator ernannt. Zu diesem Zeitpunkt war Amreich bereits emeritiert. Er hatte sein Medizinstudium in Wien absolviert, wo er 1923 habilitiert wurde und bis zu seiner Berufung als Vorstand der Innsbrucker Universitäts-Frauenklinik 1936 verblieb, zwischen 1928 und 1936 als Privatfacharzt. Amreich, der besonders um die chirurgische Gynäkologie (z.B. „Amreich-Richter-Operation“) Verdienste erwarb, leitete die Innsbrucker Klinik bis zu seiner Rückberufung nach Wien im Mai 1939 – zunächst als Vorstand der Ersten, von 1943 bis 1945 der Zweiten Universitäts-Frauenklinik. Nach Kriegsende mit Juni 1945 als Klinikvorstand dauerhaft enthoben und kurzzeitig interniert, praktizierte er danach weiter als Gynäkologe.
Amreich war mit 1. Jänner 1934 der damals illegalen NSDAP beigetreten, im März 1938 der SS, worauf am 10. September 1939 die Ernennung zum Untersturmführer und am 30. Jänner 1941 zum Obersturmführer folgte. Im Dezember 1944 stellte er den Antrag auf Aufnahme in die Akademische Legion des Höheren SS- und Polizeiführers Wien. Nach Einführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) in Österreich mit 1. Jänner 1940 war Amreich zudem einer jener Ärzte, die zur Durchführung der darin gesetzlich geregelten Zwangssterilisierungen „ermächtigt“ wurden. Zusätzlich zu diesen von Amreich an seiner Klinik durchzuführenden Zwangseingriffen war er auch zur Zwangssterilisation von „weiblichen Gefangenen der Justizverwaltung“, also von Gefängnisinsassinnen „ermächtigt“.
Amreich wurde darüber hinaus vom Wiener Erbgesundheitsobergericht, der Berufungsinstanz nach Entscheid des Erbgesundheitsgerichtes über die Anordnung von Zwangssterilisationen, wie auch andere Kollegen als externer Gutachter in Fragen der Empfängnisfähigkeit herangezogen. Ein Gutachten von ihm ist der Forschung bekannt, worin er von der Empfängnisunfähigkeit der Betroffenen ausging – also zu ihren Gunsten gutachtete.
Wesentlicher als Amreichs einmalige Gutachtenerstellung für das Wiener Erbgesundheitsobergericht, die zugunsten der Betroffenen erfolgte, ist allerdings seine Beteiligung an den Zwangseingriffen selbst. Zwischen Jänner 1941 und März 1942 wurden an seiner Klinik 62 Zwangssterilisationen durchgeführt. Wie viele er davon selbst ausgeführt hat, ist (zum jetzigen Zeitpunkt) ebenso unbekannt wie die Gesamtzahl der bis zur Abschaffung des GzVeN 1945 durchgeführten Eingriffe. Was jedoch unabhängig davon bestehen bleibt, ist Amreichs juristische Verantwortung dafür.
Die zu späte Inkludierung der Opfer von Zwangssterilisationen in das Opferfürsorgegesetz im Jahr 2005 zeigt, dass trotz der sofortigen Aufhebung des GzVeN 1945 lange Zeit kein Unrechtbewusstsein für die im Nationalsozialismus durchgeführten Zwangsoperationen vorhanden war. So ehrte die Universität Innsbruck 1969 nicht nur einen Wissenschaftler, der bereits vor dem „Anschluss“ seine Sympathie für die NSDAP durch seinen Beitritt bekundet, sondern auch an der Umsetzung der rassenhygienischen Zielsetzung der NS-Gesundheitspolitik mitgewirkt hatte.
Quellen
- Archiv der Universität Innsbruck, Ehrungskartei
- Archiv der Universität Innsbruck, Personalakt Isidor Alfred Amreich
- Archiv der Universität Wien, Personalakt Isidor Alfred Amreich
- Archiv der Universität Wien, S265.4
- Archiv der Universität Wien, Senat S304.17.4
- Bundesarchiv Berlin, R9361-III/514522, Amreich Isidor
- Bundesarchiv Berlin, R 3001/9945, Erbgesundheitspflege in Gefangenenanstalten
Literatur
- Gabriele Czarnowski, Österreichs „Anschluss“ an Nazi-Deutschland und die österreichische Gynäkologie, in: Christoph Anthuber/Matthias W. Beckmann/Johannes Dietl/Fritz Dross/Wolfgang Frobenius (Hg.), Herausforderungen. 100 Jahre Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Stuttgart/New York 2012, 138-148.
- Herwig Czech, Zwangsarbeit, Medizin und „Rassenpolitik“ in Wien: Ausländische Arbeitskräfte zwischen Ausbeutung und rassischer Verfolgung, in: Andreas Frewer, Günther Siedbürger (Hg.), Medizin und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Einsatz und Behandlung von „Ausländern“ im Gesundheitswesen, Frankfurt/Main/New York 2004, 253-280.
- Claudia Andrea Spring, Zwischen Krieg und Euthanasie. Zwangssterilisationen in Wien 1940-1945, Wien/Köln/Weimar 2009.
- Siegfried Tapfer, Lehrkanzel und Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie, in: Franz Huter (Hg.), Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969. II. Teil, Geschichte der Lehrkanzeln, Institute und Kliniken, Innsbruck 1969, 353-366.