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O'Donovan L. J.: Tempi - Bildung im Zeitalter der Beschleunigung
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Tempi - Bildung im Zeitalter der Beschleunigung
(Ein Beitrag zur Bildungs- und Universitätsreform)

Autor:O'Donovan L. J.
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:Das Tempo der technischen und marktwirtschaftlichen Entwicklung und der Rhythmus unseres Lebens, das Wissen der gesamten Gesellschaft und das Wissen jedes einzelnen klaffen immer mehr auseinander. In einer Welt des universalen Funktionalismus mit subjektlosen Mechanismen bedarf es 'neuer Unterbrechungen'. Die 'jüdische Aufklärung' bietet Momente des Innehaltens mit dem 'Sabbat' an.
Publiziert in:
Datum:2001-10-08

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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I.
Es gilt das gesprochene Wort. Vielleicht hängt die Faszination der großen Musik, die unser Herz ebenso bewegt wie unseren Intellekt, damit zusammen, dass sie uns die schöne Illusion vermittelt, wir seien die Herren der Zeit. Adagio und lento - so steht es in den Noten, und die Zauberhand von Sir Georg Solti oder der kleine Finger von Claudio Abbado macht, dass die Welt ruhig wird, ganz ruhig und leise, um dann wieder allegro, allegro ma non troppo, presto und prestissimo furios die Zeit zum luxurierenden Überschwang zu bringen. Am Ende steht ein großes Rauschen, wir haben Abbado, den Herrn über die Tempi bewundert und mit ihm die Herrschaft über die Geschwindigkeiten genossen. Nun spenden wir Beifall. Nach dem großen Applaus sinken wir wieder zurück in den Rhythmus des Alltags, unser Herz schlägt wieder normal. Doch es ist ein unruhiges Herz. Ein unruhiges Herz, das sich, wie der große Augustinus wusste, nach Ruhe sehnt: "Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, oh Gott!"

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Gott hat alle Zeit der Welt, er ist der wahre Herr der Zeit, denn er hat die Welt und die Zeit gemacht. Wenn wir von der Ewigkeit Gottes sprechen, davon, dass die Zeit bei ihm aufgehoben ist, im doppelten Sinn des Wortes, nämlich gleichzeitig bewahrt und suspendiert, dann sprechen wir von etwas, das größer ist als unser Geist, der sich Ewigkeit nicht wirklich vorstellen kann.

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Wir haben nicht alle Zeit der Welt, wir haben "70, wenn's hoch kommt 80 Jahr", so steht es in der Bibel, und alle Menschen wissen das auch.

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In Münster in Westfalen, wo ich eine gewisse Zeit meines Lebens als Student und Doktorand von Karl Rahner verbringen durfte, lebte bis 1996 der Philosoph Hans Blumenberg. Er hielt den Hiatus zwischen der Weltzeit und unserer Lebenszeit für eine elementare Kränkung. Weltzeit und Lebenszeit sind auf dramatische Weise ungleich groß. In unserem Bewusstsein erstrecken wir uns von Alpha bis Omega, vom Urknall bis zum Wärmetod der Welt, wenn wir in unseren Theorien nicht sogar wie Stephen Hawking auf alle Begrenzungen der Zeit verzichten. Im Kopf wäre die Welt in Ordnung, wenn ihre Zeit sich gleich weit erstreckte wie unser Leben. Beide müssten im Grunde koextensional sein.

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Dass der Lauf der Welt nach unserem Tod ungerührt seinen Fortgang nimmt, das will uns nicht passen. Was die Sache wirklich schlimm macht ist, dass wir es die ganze Zeit schon wissen müssen. Aus der unendlichen Ressource der Weltzeit - alle Zeit der Welt - haben wir nur eine endliche Spanne und je länger wir leben, um so kürzer erscheint sie uns. Je knapper die Frist wird, um so größer wird die Menge dessen, wofür wir keine Zeit mehr haben werden.

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Dieses Bewusstsein, dass Lebenszeit und Weltzeit auf dramatische Weise ungleich groß sind, - das hat Hans Blumenberg richtig gesehen - ist eine reichlich strömende Quelle von Beschleunigung.

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Jetzt könnte ich natürlich sofort von der größten Verheißung der Religion sprechen, die darin besteht, dass uns die Zeitangst genommen wird, weil unser Leben in die Zeit Gottes münden darf. Von dieser Verheißung will ich auch nicht schweigen. Vorher aber will ich noch ein paar Gedanken zum Begriff der Beschleunigung anfügen.

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Die Kluft zwischen Lebenszeit und Weltzeit ist so alt wie die Menschheit. Doch in diesem und dem vorigen Jahrhundert kommen neue und zusätzliche Beschleunigungsfaktoren hinzu. Schnelle und immer schnellere Veränderungen, Erfindungen und bessere Technik helfen uns, die Natur zu beherrschen, Verkehrstechnik erschließt den Raum und die Zeit. Bis schließlich das Internet uns anbietet: Du kannst jederzeit überall sein. All das verdichtet sich zu einer Grunderfahrung von Beschleunigung, die zunehmend unser Bewusstsein einfärbt. Hier ein Zitat:

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"Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit... Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte... Warum sollten wir zurückblicken, wenn wir die geheimnisvollen Tore des Unmöglichen aufbrechen wollen. Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen."
Das ist aus einem berüchtigten prfaschistischen Text, den Sie vielleicht kennen, aus Marinettis "Manifest des Futurismus". Er ist schon 91 Jahre alt! Aber diese Zukunftsrhetorik klingt uns vertraut in den Ohren. Beschleunigung macht futuristisch.

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Das Tempogefühl, jenes Presto-Prestissimo, hat objektive Ursachen. Zwischen der Erfinden des Rades, das mit Muskelkraft bewegt wurde, und der Erfindung künstlicher Antriebsmethoden liegen ein paar tausend Jahre. Seit aber die Werkzeuge nicht nur unsere körperliche Arbeit erleichtern, sondern seit die Werkzeuge den Werkzeugen helfen, wird die Kurve der Erfindungen immer steiler. Die Erfindung des Computers schließlich hat uns ein Super-tool geschaffen. "Zeit und Raum sind gestern gestorben." In Echtzeit sind wir jederzeit überall, und dies in einer neuen Realität, von der wir manchmal noch sagen, sie sei virtuell, die aber unser Leben zunehmend bestimmt.

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Der Computer liefert vor allem Daten. Daten in nur noch mathematisch erfassbarer Menge. Da reden wir schnell von "Wissen" und von der "Wissensgesellschaft", und plötzlich sehen wir: mit dem Wissen ist es wie mit der Zeit: Das Wissen, das die neue Welt der Daten uns anbietet und das Wissen, das wir in unserem endlichen Leben verkraften können - sie sind auf dramatische Weise ungleich groß. Weltwissen und Lebenswissen klaffen auseinander.

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Der Wunsch, Weltzeit und Lebenszeit möchten auf göttliche Weise koextensional sein, sich gleich weit erstrecken, war schon immer unerfüllbar, jedenfalls in unseren "70, wenn's hoch kommt 80 Jahr(en)". Doch dass es sich mit dem Wissen genauso verhält, ist relativ neu.

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Bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts gab es noch den Typus des Universalgelehrten. Den Menschen erschien es als ein vernünftiges, durchaus erreichbares Ideal, dass ein Einzelner umfassend gebildet sein könnte, das heißt, dass er alles weiß, was es zu wissen gibt. Bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts waren ca. 700 Tierarten bekannt. Hundert Jahre später unterschied man schon 1700 Arten von Schlupfwespen. Seitdem die Menge des Wissbaren exponentiell gewachsen ist, beschäftigt Pädagogen und Bildungstheoretiker die Frage, wie die richtige Antwort auf diese neue condition humaine aussieht.

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Enzyklopädien und Lexika wurden geschaffen. Da man nicht mehr alles wissen kann, muss man es auch nicht. Ultra posse nemo tenetur heißt eine alte scholastische Weisheit. Sollen impliziert Können. Was man nicht können kann, muss man nicht müssen müssen. Allenfalls muss man wissen, wo es steht und wo man nachschlagen kann.

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Inzwischen aber ist klar: Mit dem Wissen verhält es sich wie mit der Zeit. Zeit und Wissen sind so unendlich groß und unsere eigene Kapazität so unendlich klein, dass zum Drama von Weltzeit und Lebenszeit das Drama von Weltwissen und Lebenswissen hinzutritt.

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Ich muss gestehen, dass ich mich nicht für beides gleichermaßen interessiere. Ein Wissen, das keinen Bezug mehr zum Menschen hat, Karl R. Poppers "objective knowledge", ein objektives Wissen, das vielleicht schon nicht mehr von Menschen produziert, sondern von Maschinen hervorgebracht ist, interessiert mich sehr viel weniger als Lebenswissen. Es ist das Wissen, das mir und meinen Mitmenschen hilft, unser Leben zu meistern. So lautet meine grundlegende Perspektive, die alle weiteren Überlegungen zur Bildung bestimmt: Wie kann aus Weltwissen Lebenswissen gemacht werden?

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Die durch die neuen Kommunikationstechnologien hervorgerufene Explosion der Datenmenge und die Zukunft entscheidenden Techniken sie zu beherrschen und zu nutzen, hat zum Schlagwort von der Wissensgesellschaft geführt. Was heißt eigentlich Wissen? Von Wissen können wir doch erst dann sprechen, wenn wir die objektiven Daten zu unseren Daten gemacht, wenn wir sie aus einer unendlichen Menge mit Hilfe von wegweisenden Strukturen und mit dem Blick auf die Ziele, die uns wirklich interessieren, herausgegriffen haben.

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Der Begriff Wissensgesellschaft enthält also einen Imperativ. Wissenschaftsgesellschaft ist ein programmatischer Begriff. In ihm ist das Programm enthalten, aus Daten Wissen, aus Weltwissen Lebenswissen zu machen. Was ist es, was wir wissen wollen sollen? Das ist die entscheidende Frage der Zukunft.

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II.

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Von einem anderen Beschleunigungsfaktor habe ich noch nicht gesprochen. Das ist der Beschleunigungsfaktor Markt.

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Es bietet sich an, den Markt und seinen Motor, den Wettbewerb, der den Schnellsten prämiiert und Beschleunigung erzeugt, zu vergleichen mit der Evolution des Lebens in der Natur. Offenbar ist der Markt eine Installation, die deswegen so erfolgreich ist, weil er mit dem Prinzip des "survival of the fittest" das Gesetz der Evolution in der Natur imitiert. Es gibt freilich einen Unterschied zwischen beiden Welten, der Welt des Lebens und der Welt des Marktes. Beide Systeme stehen gleichsam unter verschiedenen Vorzeichen. Das Oberkriterium der natürlichen Evolution ist das Überleben - das Leben. Der Markt dagegen folgt dem Gesetz des return on investment. Sein Oberkriterium ist der Gewinn.

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Auch beim Markt gibt es den Wettbewerb um Fitness, der nach bestimmten Gesetzen der Selbstorganisation alles zu steuern scheint. Schon Adam Smith sprach von der " invisible hand", einer unsichtbaren Hand, die den Markt steuert. Offenbar ist diese Methode der Selbststeuerung, das heißt eigentlich der Verzicht auf Methoden, jeder Methode der planwirtschaftlichen Steuerung, also der Methode der Methode, überlegen. Daher hat auch der Wettbewerb den globalen Wettbewerb gewonnen. Damit meine ich den kalten und heißen Krieg zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft, der ja schließlich auch ein Wettbewerb war.

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Nach dem Ende des machtgestützten planwirtschaftlichen Ökonomismus erleben wir nun die weltweite Anerkennung der Marktwirtschaft. Sie wird zähneknirschend auch von denen akzeptiert, die sie einst bekämpft haben. Die Beschleunigung nimmt weiter zu. Der Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft dauerte hier bei uns, wo er zuerst stattfand, einige Generationen. Seitdem geht aber alles viel schneller. Es gibt Beispiele, aus einigen Regionen Malaysias und Indonesiens, wo der Weg von der Steinzeit bis zur Industriegesellschaft in einer Generation zurückgelegt werden musste.

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Nicht alle Gesellschaftsordnungen lassen sich das gefallen. Die von oben befohlene Industrialisierung des persischen Schah-Regimes hat die Gegenkräfte des fundamentalistischen Islam mobilisiert und ihnen zum politischen Sieg verholfen. Das Beispiel des Iran ist für uns deswegen besonders interessant, weil sich an ihm so gut studieren lässt, zu was für einer Zerreißprobe es kommen kann, wenn die Tempi, die unterschiedlichen Geschwindigkeiten nicht beachtet werden.

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Wenn es tatsächlich so etwas gibt, wie eine innere Evolution der Wirtschaft, dann produziert die Wirtschaft ihre Geschwindigkeit aus sich heraus. Die Produktionszyklen und der Warenumlauf werden immer kürzer. Metaphorisch sprechen wir von der so-und-so-vielten Computergeneration und erwarten, während wir auf unserem gerade neu eingerichteten Gerät ins Internet einsteigen, schon die nächste Generation. Wir registrieren also die Tatsache: Computergenerationen und Menschengenerationen sind ungleich lang.

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Auch das Marketing sorgt dafür, dass die Zeiten des Warenumlaufs immer kürzer werden. Dass wir ständig neue Autos brauchen, Autos der neuen Generation, hängt nicht damit zusammen, dass die älteren Autos technisch überholt wären. Oft ändert sich nur das Design.

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Wenn es am Markt früher darum ging, die sogenannten Grundbedürfnisse: Essen, Kleidung, Wohnung zu befriedigen - und wenn es schon immer ein Beschleunigungsfaktor war, der Erste zu sein, der diese Bedürfnisse befriedigt, so kommt nun etwas Neues hinzu. Es geht weniger um die Befriedigung von Bedürfnissen, als um die Entdeckung neuer Bedürfnisse, vielleicht sogar um die Erfindung neuer Bedürfnisse. Der Warenumlauf, der Produktionszyklus und der Return on Investment werden immer kürzer. Wenn aber die Geschwindigkeit so hoch wird, dass wir nicht nur das uns wohlbekannte Gefühl haben, dass alles fließt (Heraklit), dass morgen einiges und übermorgen anderes und in einigen Jahren entsprechend viel anders sein wird als heute, wenn wir vielmehr das Gefühl haben: Morgen ist alles anders, dann sprechen wir von einer Revolution.

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Offenbar stehen wir nach der Erfindung des Computers, der Etablierung des Internet und den vielen kommunikationstechnologischen Neuerungen mitten in einem solchen revolutionären Qualitätssprung. Ich nenne nur die Verschmelzung von Gentechnologie und Kommunikationstechnologie, die Nanotechnologie, die Verbindung von Hirnforschung und Datenmanagement.

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Offenbar ist diese neue Kommunikationstechnologie ein Werkzeug von nie da gewesener Qualität, ein Super-tool, das alle funktionalen Systeme optimieren kann. Dieses leistungsstärkste aller Werkzeuge hat das beschleunigende System der Marktwirtschaft noch einmal beschleunigt: Wir erleben eine Beschleunigung der Beschleunigung. III.

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Dass nun in dem eng zusammenhängenden Komplex von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik alles schneller geht, müsste noch kein Qualitätssprung sein. Das qualitativ bisher nicht Dagewesene ist etwas anderes: Während früher das marktwirtschaftliche System meist nur ein Segment unseres Lebens betraf, nämlich die Produktion und Distribution von Waren und Dienstleistungen, so erleben wir neuerdings Übersprungeffekte im großen Stil. Ganze Lebensbereiche, die früher nicht unter Wettbewerbsgesichtspunkten betrachtet wurden, werden nun nach marktwirtschaftlichen Prinzipien um- und durchorganisiert.

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Wir Amerikaner haben traditionell ein sehr positives Verhältnis zu marktwirtschaftlichem Denken. Industrie und Marktwirtschaft haben den Menschen im Westen das Leben erleichtert, den Hunger besiegt, Krankheiten zurückgedrängt. Es wäre zynisch, das zu vergessen. Daher vertrauen wir dem Markt und sind schnell bereit, alles der Steuerung seiner unsichtbaren Hand anzuvertrauen.

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Früher als in Deutschland sind bei uns die Medien privatisiert worden, die sich, dem klassischen Oberkriterium Return on Investment folgend, ausschließlich an den Bedürfnissen ihrer Kunden orientieren. In Deutschland gab es in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten einen Ansatz, der zunächst frei war von dem Zwang, schwarze Zahlen zu schreiben. Inzwischen sind private Radio und Fernsehanstalten gegründet, und es gibt auch in Deutschland einen echten Medienmarkt. Die öffentlich-rechtlichen Sender liegen im Wettbewerb mit den Privaten und machen ein marktgerechtes Programm. Sie gleichen ihre Produkte an. Wohin führt uns die "unsichtbare Hand"?

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Zu meiner Studienzeit in Münster war in Deutschland auch zu beobachten, wie der sport, der hauptsächlich von Amateuren betrieben wurde, sich langsam kommerzialisierte. Das Post- und Telefonwesen, die Bahnen wurden inzwischen marktwirtschaftlich umstrukturiert. Die bildende Kunst, die ihre großen Aufträge Jahrhunderte lang von der öffentlichen Hand, dem Fürsten oder der Kirche erhielt, hat längst alle Raffinessen des Marketing in ihren Betrieb aufgenommen.

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Am deutlichsten sind die Übersprungeffekte im Bereich der Freizeit und der Kultur zu beobachten. Die freie Zeit war doch wohl einmal diejenige, in der der Mensch frei von Zwängen und Pflichten, die ihm der Kampf ums Dasein auferlegte, spielen und feiern konnte. Das deutsche Wort "Feierabend" für die Zeit nach der Arbeit drückt diesen Gegensatz sehr schön aus. Wo einmal das Andere der Arbeit war, regiert nun das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Urlaub und Freizeit werden von der Unterhaltungs- und der Tourismusindustrie nach allen Regeln der Kunst vermarktet.

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Die Landwirtschaft, bei uns schon lange industriell betrieben, war in good old Germany zwar immer auch eine Ökonomie. Die Landwirtschaft war vor ihrer Kommerzialisierung aber auch einmal eine Lebensform mit eigenen kulturellen Prägekräften.

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Gibt es überhaupt noch Lebensbereiche, die nicht durch marktförmiges Denken imprägniert und bestimmt werden?

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Dies alles erzähle ich Ihnen nicht, um für den "American way of life" Reklame zu machen. Es liegt ja auch auf der Hand, welche Verluste eine Industrialisierung aller Lebensbereiche mit sich bringt. Jürgen Habermas, bei uns nicht unbekannt, spricht von einer "Kolonialisierung der Lebenswelt". Ich will nicht, in eine Diskussion eintreten, in der die Vision eines ungebremsten Liberalismus als universelles Organisationsprinzip für alle Lebensbereiche dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft gegenübergestellt wird, wie Sie es in Ihrer europäischen und deutschen Tradition praktizieren. Mir geht es nur darum, festzuhalten, dass es diese Übersprungeffekte vom enger begrenzten Feld der Warenproduktion und -distribution und der Dienstleistung auf das Leben insgesamt gibt, soweit dieses Leben funktional organisiert wird.

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Es ist klar, dass es nicht die Marktwirtschaft allein ist, die für Übersprungeffekte sorgt. Es musste erst das Super-tool hinzukommen, der Computer, der mit der entsprechenden software wirklich in der Lage ist, alles zu funktionalisieren, zu optimieren, effizienter zu machen und natürlich auch schneller.

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Ich ziehe eine Zwischenbilanz der Beschleunigungsfaktoren:

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Das Lebenszeit-Weltzeit-Dilemma Hans Blumenbergs, das durch die Antwort der Religion entschärft werden kann, wird ohne diese Antwort zu einem existentiellen Beschleunigungsfaktor.

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Die Marktwirtschaft enthält in sich den Motor des Wettbewerbs. Auch er beschleunigt. Die Kurve der Beschleunigung wird mit der Industrialisierung immer steiler.

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Marktwirtschaft plus neuer Kommunikationstechnologie verschärfen noch einmal das Tempo und sorgen für Übersprungeffekte in alle Lebensbereiche.

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IV. Und nun meine These:

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Nach dem Ende der obskuranten Totalitarismen der NS-Ideologie und mancher religiösen Fundamentalismen und nach dem Scheitern einer totalitären planwirtschaftlichen Ideologie steuern wir auf einen universalen Funktionalismus zu, von dem wir befürchten müssen, dass er auf neuartige und vielleicht raffiniert subjektlose Weise totalitär wird.

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Gibt es noch weiße Flecken in der Landkarte unseres Lebens, die (noch) nicht funktionalistisch regiert werden? Gibt es Exklaven, die nicht beherrscht sind vom Kalkül des Nutzens?

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Gott sei Dank gibt es sie noch. Noch können wir sehen, dass es auch anders geht. Vielleicht ist die Familie eine solche Exklave? Ich kenne noch Familien, in denen erfahren werden kann, dass Menschen auch dann etwas wert sind, wenn man von ihnen keinen Nutzen mehr hat. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern wird gewiss manchmal bestimmt von Nützlichkeiten und psychologischen Mechanismen, die man funktional beschreiben könnte. Aber das, was uns in der Familie trägt, ist die Liebe, die einfach da ist und nicht wirklich erklärt werden kann. Die Liebe ist gleichsam trans-funktionalistisch. Sie ist die trans-funktionalistische Gegenkraft.

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Ich kenne aber auch schon Familien, in denen bis in die persönlichen Beziehungen hinein funktionalistisch und marktförmig gedacht wird: Wenn es nur um das Haushaltsgeld ginge, wäre die Sache wohl in Ordnung. Aber wenn Strichlisten darüber geführt werden, wer wie lange auf die Kinder aufgepasst hat und wie viel Zeit er oder sie für die gemeinsame Haushaltsführung eingesetzt hat, dann hat der Ökonomismus auch die Familie ergriffen. Mein Eindruck ist: Der Ökonomismus, besser der ökonomistische Funktionalismus und das marktförmige Denken sind dabei, die letzten weißen Flecken in unserer Gesellschaft zu erobern.

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Ich hoffe, Sie sehen in mir keinen theologischen Weltfremdling. Wie könnte ich sonst Präsident einer der großen amerikanischen Universitäten sein, deren Bedeutung auch und vor allem auf ihrem wirtschaftswissenschaftlichen Department beruht? In den Unterrichtsräumen und auf manchen Fluren in Georgetown stehen frei benutzbare Internet-Anschlüsse. Ich bin weit davon entfernt, ein Gegner der Marktwirtschaft und des Computers zu sein, und wenn es richtig ist, dass das Spiel von Angebot, Nachfrage und Wettbewerb in der Tat das beste und differenzierteste Steuerungssystem für alle Funktionssysteme ist, dann bin ich auch kein fundamentalistischer Gegner des Funktionalismus. Die Marktwirtschaft ist das beste Wirtschaftssystem, das wir je hatten. Ich möchte nur nicht, dass der Funktionalismus totalitär wird.

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Adam Smiths "unsichtbare Hand ist nicht die Hand Gottes. Es ist vielmehr eine Hand ohne Körper, eine Hand ohne Kopf, es ist eine subjektlose Hand. Das ist die Differenz, auf die es mir ankommt.

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Es ist eine Differenz ums Ganze. Und es geht ums Ganze. Wo es ums Ganze geht, ist der Verdacht, jemand wolle sich des Ganzen bemächtigen, durchaus berechtigt. Sicher wäre ein losgelassener und von der neuen Kommunikationstechnologie beschleunigter Markt der New Economy, der keine anderen Kriterien mehr kennt als den Return on Investment, ein Totalitarismus gänzlich neuer Art. Kein machtbesessener Nachfolger Hitlers wäre zu fürchten, sondern die "unsichtbare Hand", die nicht die Hand Gottes ist. Die Verselbständigung von Sachzwängen oberhalb der politischen Entscheidungsmöglichkeiten ist eine Gefahr, die wir sehen müssen. Wenn wir die Politik überhaupt erhalten wollen, dann müssen wir der Funktionalisierung aller Lebensbereiche Grenzen setzen.

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Dabei kommt es ganz entscheidend auf die Frage an, ob es gegenüber dem Funktionalismus überhaupt noch ein Außerhalb gibt. Noch nie war diese Frage nach dem Außerhalb des Funktionalismus, so dringlich. Gibt es so etwas wie ein "Prinzip der Unterbrechung", eine Aufhebung des Nutzenkalküls? V.

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Ja, es gibt dieses Prinzip der Unterbrechung, die Aufhebung des Nutzenkalküls seit mehr als 2.500 Jahren. Es ist für mich die wichtigste Tradition, die auch die Antwort auf meine persönlichen Lebensfragen bereit hält. Es ist die Tradition, deren Anfänge man in Deutschland neuerdings mit dem Begriff "jüdische Aufklärung" bezeichnet. Mir gefällt der gedankenlose Bindestrich-Begriff: jüdisch-christlich eigentlich nicht, weil er das Missverständnis möglich macht, wir wollten das Judentum vereinnahmen. Aber diesmal geht es tatsächlich um etwas, das wir ohne Zweifel dem Judentum verdanken.

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Israel hat zunächst sich selbst und dann die Menschheit darüber aufgeklärt, dass selbstgemachte Götter keine Götter sind. Überall da, wo das menschliche Handeln auf die Grenzen des Machbaren stößt, neigen wir Menschen dazu, unsere Interessen über die Grenzen der Realität hinaus zu verlängern. So entstehen Gottheiten, deren Haupteigenschaft es ist, funktional nützlich zu sein. Dass sie ihre Existenz diesem ihrem funktionalen Nutzen verdanken, das hat Israel früh durchschaut. Die neuzeitliche Religionskritik von Feuerbach, Marx, Freud, entlarvt abermals diesen Projektionsvorgang aber seltsamerweise so, als hätte es nie eine jüdische Aufklärung gegeben.

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Wer in der Antike eine Seereise antrat, opferte dem Poseidon. Der Bauer, der eine gute Ernte erhoffte, fing eine Wechselwirtschaft von Tausch und Opfer mit der Fruchtbarkeitsgottheit an. Für Krankheit, für Liebe, kurzum für jedes menschliche Interesse gab es eine göttliche Adresse. Und die Religionskritik der jüdischen Aufklärung, vorgetragen durch Propheten wie Jesaja, Ezechiel, Amos und im Grunde durch das ganze Alte Testament, entlarvt diesen Mechanismus der nützlichen Götter.

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Der Gott Israels ist etwas radikal anderes. Er ist nicht die Verlängerung menschlicher Bedürfnisse, nicht eine Funktion in der Welt, er hat vielmehr die Welt geschaffen. Er ist nicht umstandslos der Name für den Nutzenkalkül, also das, was wir vielleicht aus unserer Sicht das Gute nennen. Er steht außerhalb und über dem Nutzenkalkül und ist daher auch selbst nicht kalkulierbar. Er ist geheimnisvoll und widersprüchlich. Seine Zeichen sind Zeichen des Widerspruchs: "Der Dornbusch, der brennt, aber nicht verbrennt", "die Jungfrau, die ein Kind bekommt", "der Löwe, der bei dem Lamm liegt".

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Das neue und andere an diesem Gott war auch, dass er empirisch nicht vorgewiesen werden kann. Um seine Einzigkeit und Andersartigkeit zu sichern, darf es von ihm auch kein Bildnis geben, seine Präsenz zeigt sich vielmehr durch große Zeichen des Vorbehalts.

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Das Zeitzeichen für Gott ist der Tag, an dem keine Zwecke verfolgt werden, an dem der Nutzenkalkül suspendiert ist, an dem keinerlei Arbeit getan werden darf: der Sabbat.

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"An diesem Tag sollst du keinerlei Arbeit tun".

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Arbeiten heißt Zwecke verfolgen. Die Welt der Arbeit ist die Welt des Funktionalismus. Der Tag des Herrn aber ist der Tag der großen Aussparung. Er ist herausgesprengt aus dem Kontinuum der Zeit und dem Kontinuum der Zwecke. All dies gilt auch für den Sonntag, der den Sabbat des Alten Testaments beerbt und durchaus auch für den Freitag des Islam. Der Tag es Herrn ist die große Auszeit, eine Installation gegen die Normalzeit, in der die Kräfte der Beschleunigung am Werk sind.

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Seit mehr als 2500 Jahren machen Juden Erfahrungen mit dieser anderen Zeit, der Zeit des anderen Gottes, seit zweitausend Jahren die Christen und seit vierzehnhundert Jahren die Muslime. Ja, auch die Muslime mit ihrem heiligen Freitag gehören zur großen monotheistischen Familie, die alle sieben Tage feiert.

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Wie sehen nun unsere Erfahrungen aus? Es lohnt sich, sie etwas näher zu inspizieren: Was tun wir eigentlich, wenn wir nicht arbeiten? Wir spielen, feiern, luxurieren... Autoren wie Huizinga, Hugo Rahner und Gadamer sehen im Spiel einen Hinweis auf die transzendentale Struktur des menschlichen Lebens. Der Tag des anderen Gottes wird gesteigert durch das "heilige Spiel" des Gottesdienstes. Indem er den Schöpfer allen Lebens preist, verlässt der feiernde Mensch das Gravitationsfeld seines Ich. Im Gebet überantwortet er sich und seine Zwecke seinem Gegenüber. In diesem Sinne betont das Konzil zu recht, dass die Eucharistie ein Gipfel des christlichen Lebens ist. ( In einem anderen Sinne ist natürlich die tätige Liebe, die in der Hingabe des eigenen Lebens ihr höchstes Beispiel hat ein noch größerer Gipfel. )

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Streng genommen können wir niemals wirklich nichts tun. Was aber geschieht konkret, wenn wir nicht arbeiten, aber auch nicht nichts tun können?

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Der kurze Horizont des gebückten Arbeiters weitet sich zum Gesichtsfeld des Müßigen, der nun Zeit hat, sich und seine Sachen zu bedenken. Der Sabbat ist der Tag der Nachdenklichkeit. Nach-Denken, das heißt wohl, im Geiste die Ereignisse der vergangenen Woche, die Geschehnisse der verstrichenen Zeit nachzufahren, diese Erfahrungen zu beurteilen und zu verwerten. Zusammenhänge werden oft nur erkennbar, wenn man auf Abstand geht. So entsteht eine parteiliche memoria. Wir bewerten unsere Taten. Was schlecht war, werden wir das nächste mal besser machen.

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Der Sabbat als eine Zeit des Nach-Denkens ist auch die Zeit der großen Fragen. Etwa der Frage nach dem Woher. Woher komme ich? Woher kommen wir? Wie hat alles angefangen? So blicken wir zurück. Dann aber drehen wir den Blick und blicken nach vorne. Jetzt sollte ich besser vom Sonntag reden, dem ersten Tag der Woche an dem alles in österliches Licht getaucht ist. Es ist der Tag der Auferstehung, der prospektive Feiertag der Zukunft. Jetzt fragen wir uns nach den Zielen, dem großen Ziel unseres Lebens und nach den kleinen der nächsten Woche. Bestimmte Fehler werden wir nicht mehr machen. Aber da sind Probleme zu lösen und wir denken uns Lösungen aus. Auf die Lösung wären wir gewiss nicht gekommen, wenn wir nicht aus der Umzingelung pausenloser Arbeit befreit worden wären. Für die Lösung brauchen wir Abstand, den freien Kopf. Wir brauchen den Sonntag. Der Sabbat und der Sonntag, das sind die Tage, an denen die guten Ideen sich einstellen, der Tag von Innovation und Erfindung.

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So könnte man sich fragen, ist dieser Tag wirklich ein Tag ohne Nutzen? Der deutsche Dichter Thomas Mann hat in seinem Roman "Joseph und seine Brüder" ein wunderbares Wort gefunden, das hier sehr gut passt: Es geht um das "Übernützliche". Der Sonntag ist "übernützlich", trans-funktional.

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Aber nun sehen wir etwas Überraschendes: im Sabbat gibt es so etwas wie ein trans-funktionalistisches Paradox- nennen wir es "das Sabbatparadox": Die Aufhebung des Zwangs zur Nützlichkeit gibt dem Nutzenkalkül ein positives Vorzeichen, ermöglicht die Frage nach dem Nutzen des Nutzens und eröffnet eine lange Perspektive. Die Auszeit, die die kurze Zeit der Arbeit unterbricht, wird zur Agentur der langen Zeit.

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Tempi, Tempi! Wir leben von verschiedenen Geschwindigkeiten. Manchmal ist es richtig, Tempo zu machen: Presto, prestissimo! Manchmal ist das Mittel der Wahl, auf die Bremse zu treten und manchmal müssen wir heraustreten in den Sabbatraum. Es geht um nichts weniger als um die Rettung des Subjekts, um die Rettung der Freiheit. Doch das Subjekt ist keine Monade. Der Sabbat ist dem ganzen Volk geschenkt, der ganzen Gemeinde einen privaten Sabbat und Sonntag gibt es nicht. Für uns alle kommt es darauf an, dass wir uns nicht einem Konformismus der Beschleunigung unterwerfen. Ein eindimensionaler Beschleunigungskonformismus vernichtet den Reichtum des Lebens.

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Das Sabbatparadox ist eine kulturelle Erfahrung, die auch erklärt, warum der Fortschrittsgedanke in der jüdisch-christlichen Hemisphäre so folgenreich geworden ist. Keine andere Kultur hat sich als so innovativ erwiesen. Das gilt auch für Wissenschaft und Technik. Im Vergleich der Kulturen fällt auf, dass es viele ausdifferenzierte Gesellschaften und Hochkulturen gegeben hat. Aber es ist die jüdisch-christlich geprägte Kultur gewesen und phasenweise auch die islamische, in der die moderne Zivilisation möglich wurde.

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Der vorweltliche Gott, dessen Tag der Sabbat ist und der Sonntag, er sorgt dafür, dass diejenigen, die darauf aus sind, seinen Willen zu erforschen und zu tun, sich immer wieder vom Ist-Zustand abstoßen. Die Welt, wie sie ist, ist nicht alles, die Welt muss verändert werden. Die Schemata des Bestehenden werden transzendiert, der Exodus aus dem Sklavenhaus des Bestehenden ist eine Grundfigur christlicher eschatologischer Praxis.

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Noch einmal: Wir fürchten nicht den Funktionalismus, wir sind sogar funktionalistisch gesehen besonders erfolgreich, aber wir sind dagegen, dass die Welt des Funktionalismus absolut gesetzt wird und deshalb sind wir erfolgreich. Daher ist, wenn es denn tatsächlich die Gefahr eines funktionalistischen ökonomistischen Totalitarismus gibt, die monotheistische Tradition der Unterbrechung von einer überraschend aktuellen Kostbarkeit. So hat der Sabbat zwei Gesichter:

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Der Sabbat, der Sonntag, ist der Tag der Unterbrechung, an dem sich die Frommen versammeln. Für sie ist er das Zeitzeichen Gottes. Sie treten ein in den Garten der Erinnerung und des Eingedenkens. Sie gehen auf Abstand zur Welt des funktionalen Nutzens. Die großen Fragen unseres reichen aber endlichen Lebens werden bedacht, Erlösung wird ausgerufen, die Zeitangst verschwindet, Trost wird gespendet, Gott wird gepriesen. Das ist das eigentliche, das fromme Gesicht des Sonntags.

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Das zweite Gesicht des Sabbats wird sichtbar, wenn man erkennt, wie positiv sich die Installation des Transfunktionalen auf die funktionale Welt auswirkt. Daher verteidigen diesen Tag auch die klugen Ökonomen als den Tag des übernützlich Nützlichen. Die Klugheit der Ökonomen besteht nämlich darin, dass sie erkennt haben, dass der Schritt heraus aus dem Alltag der Arbeit den Zielen des Unternehmens mehr nützt als ein gedankenloses Weitermachen im immer Gleichen. Sie wissen vielleicht gar nicht, dass diese Klugheitsregel ein monotheistisches Erbe ist.

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Wer auf Innovationen, auf Kreativität aus ist, der muss den Sabbat und den Sonntag verteidigen. Der Nutzen des Übernützlichen hat auch diese säkulare Seite. So ist es im Grunde sehr leicht, für den Sonntag/Sabbat zu argumentieren. Wenn wir sehen, dass die Unterbrechung des absoluten Funktionalismus funktional nützlich ist, dann treffen sich die Frommen mit den Pragmatikern. Und warum sollten die Pragmatiker nicht fromm und die Frommen nicht pragmatisch sein? Uns Amerikanern jedenfalls ist dieser Gedanke nicht fremd. Wir sind transökonomische Ökonomen und transfunktionalistische Funktionalisten. Ich diskutiere übrigens nicht über Ladenschlusszeiten, die es bei uns nicht gibt. Aber die Mehrheit der Amerikaner geht am Sabbat oder Sonntag in eine Kirche oder Synagoge.

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VI.

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Was bedeutet der Sabbat, die Einsicht in das Paradox des Sonntags, seine übernützliche Nützlichkeit für unsere Bildungsinstitutionen?

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Was bedeutet eine transfunktionalistische Herangehensweise für das Bildungswesen angesichts der neuen Herausforderungen? Wenn wir darin übereinstimmen, dass die unsichtbare Hand des Marktes nicht automatisch die Hand Gottes ist, dann kann eine besinnungslose Industrialisierung des Bildungswesens nicht das Mittel der Wahl sein.

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In Europa findet, seit Tony Blair Bildung als "Megathema" ausgerufen hat, eine sehr grundsätzliche Debatte statt. Sie ist zweifellos ausgelöst durch reale Probleme. Da ist die Globalisierung der Märkte, die zu einem weltweiten Wettbewerb geführt hat, und da ist - damit zusammenhängend - das Problem der Arbeitslosigkeit. Viele Politiker haben die Bildung als Rohstoff für ein Land erkannt, das sonst keine Bodenschätze hat und waren sehr schockiert, als die TIMSS-Studie zum Vorschein brachte, dass ihr Land in einem internationalen Vergleich in den naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern einen hinteren Rang einnahm. In der Wirtschaft mangelt es an Software-Spezialisten. So legt sich eine Fragestellung nahe, die sich etwa so anhört: "Wie kann das Ausbildungssystem an die durch schnellen Wandel und harte Konkurrenz gekennzeichneten Bedürfnisse des Beschäftigungssystems angepasst werden?" Der Bundesverband deutscher Banken fasst das Pensum der Bildungsreform in dem folgenden programmatischen Text zusammen, mit dem er zu einem Bildungssymposion einlädt:

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"Die Arbeitswelt verändert sich grundlegend. Mehr und mehr liegt der Schlüssel zu wirtschaftlicher Leistung in Bildung und Wissen. Damit ist das deutsche Bildungssystem gefordert: Welche Inhalte müssen Schulen und Universitäten vermitteln und welche institutionellen Reformen sind notwendig, damit Deutschland auf dem Weg in die New Economy nicht den Anschluss verliert?"

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Schon die Fragestellung macht eindeutig die Schule zum Vorfeld der Wirtschaft. So könnte es einen Streit geben zwischen denen, die an traditionellen Bildungsinhalten- und Strukturen festhalten wollen und denen, die Schule zum Zubringer des Beschäftigungssystems machen wollen - ein Streit zwischen Modernisierern und Traditionalisten. Vielleicht stehen wir vor einem Verdrängungswettbewerb zwischen neuen und traditionellen Schulfächern, oder mindestens doch zwischen den harten und den sogenannten "weichen" Schulfächern, die bei den neuen Verfahren der Qualitätssicherung durch den Rost fallen müssten.

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Was müsste in diesem Streit ein kluger Modernisierer vorbringen? Ein Modernisierer, der die Schule zur Funktion des Wirtschaftslebens machen will? Dem klugen Modernisierer würde zunächst etwas auffallen, was mit unserem Thema, also mit den unterschiedlichen Geschwindigkeiten zusammenhängt. Es gibt nämlich mindestens zwei Tempi: das Tempo der Wirtschaft und das Tempo unseres Lebens.

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Computergenerationen mögen in immer kürzerem Abstand aufeinander folgen, Warenumlaufzeiten und Produktionszyklen immer kürzer werden, deswegen wird kein Kind und kein Jugendlicher schneller erwachsen. Unsere Gattungsgeschichte hat uns unsere Lebenszeit zugemessen. Sie ist ein Rahmen, der nicht oder doch nur in Maßen verändert werden kann. Zwar leben wir, dank des medizinischen Fortschritts im Durchschnitt so lange wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Aber Kindheit und Jugend - wir können sie nicht beschleunigen!

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So wird ein kluger Modernisierer, der zunächst nichts anderes will, als die Schule zur Funktion der Wirtschaft zu machen erkennen, dass bei einer hohen und wahrscheinlich noch weiter steigenden Wandlungsgeschwindigkeit der Ökonomie, die Arbeitswelt, in die ein Jugendlicher eintreten wird wenn er die Schule verlässt, eine ganz andere sein wird, als die, mit der er es derzeit zu tun hat. So wird er unterscheiden zwischen einem Faktenwissen von hoher Durchlaufgeschwindigkeit und dem, was bleibt.

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In der Bildungsdebatte ist eine Metapher anzutreffen, die beim ersten Hören eindrucksvoll glitzert. Ich meine die Rede von der "Halbwertzeit des Wissens", die angeblich immer kürzer wird, weil das Wissen angeblich immer schneller veraltet. Hier wird das Wissen mit Produktionszyklen verwechselt. Natürlich gibt es ein Wissen, das schnell veraltet. Zum Beispiel Gebrauchsanweisungen für Wegwerfgeräte, deskriptive Daten, die Prozesse beschreiben, die sich schnell wandeln, die Einwohnerzahl von Kairo, Telefonbücher. Aber wie schnell veraltet das kleine Einmaleins oder das periodische System der Elemente?

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Basiswissen, Dispositionswissen und die sogenannten Schlüsselkompetenzen veralten so gut wie gar nicht. Daher wird sich unser Modernisierer auf sie konzentrieren. Was aber ist eine Schlüsselkompetenz?

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Sind mathematische Kenntnisse Schlüsselkompetenzen oder Basiswissen? Über die Bedeutung von Mathematik und Logik sind sich immer alle einig. Wer nicht Naturwissenschaftler oder Techniker werden will, für den reicht es aber wohl, wenn er gut rechnen kann. Logik ist aber auch ein Gegenstand, der eng mit der Sprache verbunden ist.

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Das Verständnis für den Umgang mit der eigenen Sprache, ihrer Grammatik ihren Metaphern und Bildern wird auch in fünfzig Jahren noch nicht veraltet sein. Auch nicht die Kenntnis anderer Sprachen. Wir Amerikaner und die ganze Familie der englisch sprechenden Länder haben es da leicht, wir sprechen die lingua franca schon als unsere Muttersprache, aber für alle anderen ist es in einer globalen Wirtschaft immer wichtiger, Englisch zu können. Die Europäer, die immer besser zusammenkommen, sollten auch ihre Nachbarn verstehen, das heißt auch die Sprache des anderen sprechen. Das alles würde doch ein kluger Modernisierer bedenken. Lernen unter dem Gesetz des schnellen Wandels ist Lernen für die longue dureé. Lernen für die lange Dauer hieße für ihn neben dem Erwerb der nachhaltigen Wissenstypen vor allem das Lernen zu lernen. Dies erscheint ihm, weil er sie sein Leben lang wird brauchen können, die entscheidende meta-kognitive Schlüsselkompetenz zu sein.

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Zum Lernen gehört eine Menge: Konzentrationsfähigkeit, Fleiß und das handwerkliche Beherrschen von Lernhilfen. Zum erfolgreichen Lernen gehören auch bestimmte Charaktereigenschaften, wie Selbstdisziplin und die Fähigkeit zur Selbstmotivation. Lernen hat eindeutig eine soziale Dimension. Vieles, was nur im Umgang mit anderen gelernt werden kann, setzt voraus, dass zwischen Imitation und beherrschtem Konflikt ein ganzes Spektrum von Verhaltensmustern eingeübt wird, vor allem die Teamfähigkeit. Wenn Lernen mit Charaktereigenschaften zu tun hat, dann hat es auch mit Erziehung zu tun. Und eine gute Erziehung ist am Ende immer Selbsterziehung. Selbsterziehung freilich nicht nur im Eigeninteresse sondern in eine Gemeinschaft hinein und für die Gemeinschaft.

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Lernen lernen setzt natürlich den selbstverständlichen Umgang mit Computer und Internet voraus. Doch darum macht sich ein kluger Modernisierer deswegen keine Sorgen, weil er erkannt hat, dass das neue Medium so viele Reize und Gratifikationen anbietet, dass es gleichsam für sich selber sorgt. Man hört die Befürchtung, dass wir demnächst in einer Gesellschaft leben werden, die gespalten ist in diejenigen, die das neue Medium zu ihrem Vorteil nutzen und einen Rest, der zurückbleibt. Ein kluger Modernisier, der, wenn er wirklich klug ist, natürlich auch eine gesellschaftliche Verantwortung spürt, wird das beobachten. Aber er weiß, dass das neue Medium als Wettbewerber so gut am Markt liegt, dass der Schule in ein paar Jahren kaum mehr die Aufgabe zufallen wird, mit seiner Bedienung vertraut zu machen. Der Computer ist daher weniger ein Gegenstand, als ein Hilfsmittel des Lernens.

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Die Nachfrage des Marktes nach Software-Spezialisten - ein großes Thema der deutschen Politik - wird sich nach den bekannten Marktmechanismen von selbst befriedigen. Wenn sie knapp sind, werden sie gut bezahlt werden. Wenn sie gut bezahlt werden, wird es sie alsbald geben. Dafür muss nicht die Struktur des Bildungswesens geändert werden.

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Wenn demnächst alle Schulen in Deutschland am Netz sind, ist die Bildungsreform damit keineswegs abgeschlossen. Für einen klugen Modernisierer fängt sie dann eigentlich erst an. Welche Rolle sollen Computer und Internet in Schule und Hochschule spielen?

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Man wird es wissen, wenn man es ausprobiert. Einiges kann man jetzt schon sagen: Wenn die Menge des Wissens so gewaltig wächst und Vieles so schnell veraltet, wird es darauf ankommen, die Übersicht zu behalten, sich nicht vollzustopfen mit ephemerem Datenmüll. Da kommt es auf die Kunst der Unterscheidung an und auf eine gewisse gelassene Durchlässigkeit, auf die Kunst, auch wieder vergessen zu können.

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Mit dem Computer Lernen lernen heißt freilich nicht nur, die richtige Suchmaschine im Computer in Bewegung zu setzen, es heißt auch, bestimmten Angeboten zu widerstehen. Im Internet findet sich viel, sehr viel Wertloses. Es spricht auch zweifelhafte Bedürfnisse an. Es ist auch ein Medium der Zerstreuung, ein Werbemittel für Überflüssiges und Kriminelles.

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Ein kluger Modernisierer hält viel von einer Pädagogik, die sich am Einzelnen und seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung sowie zur Einbindung in die Gemeinschaft orientiert. Wenn es ihr mit der Rede vom Subjekt und seiner Freiheit ernst ist, dann müsste sie Kompetenzen ausbilden helfen, welche die finale Souveränität aller Benutzer, einfacher gesagt, ihre Freiheit gegenüber dem Medium retten.

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Eine der sensationellen Fähigkeiten des Computers ist, dass er uns nicht nur über das Internet mit anderen Personen in Verbindung bringen kann, er tritt uns selber als Quasi-Person gegenüber. Weil er Interaktion simulieren kann, kommt es darauf an, die Differenz zwischen Menschen und Computern nicht zu vergessen. Die Welt der neuen Medien ist eine vernetze Welt von Welten, mit der Fähigkeit, immer neue hervorzubringen. Die Vielheit der möglichen Welten bleibt aber eingelassen in die einzige reale Welt, und am Ende ist es immer ein einzelner Kopf der vor dem Computer sitzt. Er, besser gesagt wir, müssen die Herrschaft über die Maschine behalten. Und nun die Frage: Wie würde ein kluger Modernisierer im Interesse des Beschäftigungssystems mit dem Sabbatparadox umgehen?

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Was für Menschen stellt er sich vor? Wie muss die Bildung konzipiert werden, die zunächst einmal nur dem Wirtschaftsleben nützt? Natürlich würde er, die Lehre aus dem Sabbatparadox beherzigen. Er würde sich vieles leisten, was nicht den unmittelbaren Ausweis der Nützlichkeit zeigen kann. Sein optimal gebildeter Mensch würde vielleicht Gedichte schreiben, künstlerisch aktiv sein, vielleicht würde er präkolumbianische Keramik sammeln oder Fotografien der fünfziger Jahre. Seine hohe politische Urteilsfähigkeit hinge mit seinen ansehnlichen Geschichtskenntnissen zusammen. Sein Lieblingskomponist wäre Archangelo Corelli. Er selbst spielte Saxophon - manchmal wie in alten Zeiten auf der Universität mit einigen Freunden.

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Auf die Herausforderungen der Beschleunigung würde ein kluger Modernisierer gleichsam antizyklisch reagieren, weil er weiß, dass die Widerlager und Stabilisatoren unserer Kultur zum knappen Gut werden und daher kostbar. Wo sich vieles so rasch und rapide verändert, muss es einen harten Kern geben, der Identität verbürgt. Gerade damit wir den Beschleunigungsdruck aushalten können, dürfen wir uns nicht beschleunigungskonform verhalten. Das Wirtschaftsleben braucht gefestigte, charaktervolle Führungspersönlichkeiten. Aber was ist mit der Mehrzahl der Bevölkerung? Auch sie braucht Kontinuitäten und Identität. Sie braucht das kommunitäre Gerüst der Lebensform als Gemeinschaft mit Werten, die sie zusammenhält. Daher ist es ist es im wohlverstandenen Interesse der Wirtschaft, dass es ein öffentliches Bildungswesen gibt, das kompensatorisch wirkt, weil es nicht auf den Markt des Tages blicken muss. Das öffentliche Bildungswesen und die Wirtschaft können aber nur dann komplementär wirken, wenn sie nicht ineinander fließen. Hier gibt es eine sinnvolle Arbeitsteilung.

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Eine Wirtschaft, die kurzfristig Geld verdienen muss, schafft es nicht, für all das zu sorgen, was sie langfristig braucht. Deswegen helfen die Schulen und Hochschulen dem Beschäftigungssystem dadurch, dass sie Bildungsinhalte ausweisen, die dem Gedächtnis, der kulturellen Identität und der Erinnerung dienen, die für Kontinuität sorgen. Das Sabbatparadox lehrt, dass Musik-, Kunst- und Literaturunterricht, ja dass im Spezialfall sogar Latein und Griechisch langfristig und aufs Ganze gesehen wegen ihrer übernützlichen Potenzen auch der Wirtschaft nützen. Vielleicht sogar mehr als die Einführung eines Schulfachs Wirtschaftskunde. Solche Sabbatinhalte, Sabbaträume und Sabbatzeiten brauchen wir in unseren Schulen. Sie sind Inseln der Reflexion und der Selbstentfaltung und machen den Horizont weit. Sie nützen langfristig auch dem Beschäftigungssystem. Aber sie nützen vor allem dem Leben.

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Wenn wir als Antwort auf die neue Bedrohung durch einen ökonomistisch-funktionalistischen Totalitarismus neuer Art, die monotheistische Sabbat-Tradition aufrufen, wenn wir erkennen, wie höchst aktuell die trans-funktionalistischen Kräfte des christlichen Erbes sind, dann sind wir keine anti-modernistischen Verächter der New Economy, dann zeigen wir vielmehr, dass wir, indem wir statt des Return on investment das Leben als oberstes Kriterium ansetzen, sogar für die Ökonomie übernützlich nützlich sind.

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Doch lassen wir zum Schluss die Perspektive eines klugen Funktionalisten hinter uns. Es gibt ein Wissen, das mehr ist, als das Wissen um-zu! Mir hat Kants Formulierung vom "interesselosen Wohlgefallen" immer großen Eindruck gemacht. In der Betrachtung der Dinge, der Natur, nicht um sie zu beherrschen, sondern um sich an ihnen zu erfreuen, spüre ich meine Verwandtschaft mit dem, der sie gemacht hat. Uns bleibt eine ferne Erinnerung. Es ist die Erinnerung an eine alte Geschichte, in der es einen Baum gab, den Baum der Erkenntnis von gut und schlecht. Wir wohnen nicht mehr in Eden. Das ist sehr wichtig zu wissen. Aber wir wüssten immer noch sehr gerne, wie seine Früchte schmecken, nur so, um an einem göttlichen Vergnügen teilzuhaben. Ich bin überzeugt: Auch dafür gibt es eine Zeit!

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