Theologie – zumal an einer staatlichen Universität im Konzert vieler Wissenschaftsdisziplinen – ist keine religiöse Werbeveranstaltung. Als eine der ältesten nach formalen akademischen Kriterien und Regeln betriebene Wissenschaft reflektiert sie kritisch eine kulturell wirkmächtige und von Menschen existenziell ergriffene Sinnoption: ihre Möglichkeitsbedingungen, ihre Quellen, ihren inneren Zusammenhang, ihre Ausdrucksformen, ihre Chancen und Grenzen. Diese Sinnoption ist dabei nicht museal-vergangen, sondern sie ist real in unseren Gesellschaften gegenwärtig.
Daher ist Theologie immer beides: einerseits unabhängige Wissenschaft, die jedem Menschen offen steht, andererseits kritische Begleiterin der organisierten Glaubensgemeinschaft: in unserem Fall der katholischen Kirche.
Die Ernennung eines neuen Bischofs für die römisch-katholische Diözese Innsbruck ist daher auch für die akademische Theologie von Relevanz. Auch sind viele unserer Fakultätsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter in verschiedenen Funktionen kirchlich engagiert und unmittelbar von der Zusammenarbeit mit der Diözesanleitung betroffen. Das Theologiestudium ist zudem Voraussetzung für manchen kirchlichen Beruf, und unsere Fakultät wirkt an kirchlich anerkannten Ausbildungen mit.
Mit Hermann Glettler bekommt die Diözese Innsbruck einen Bischof, dessen Biographie das nähere Hinschauen geradezu herausfordert: Theologe und Kunsthistoriker, Gemeindepfarrer, praktizierender Künstler, diözesaner Verantwortungsträger für Caritas, interreligiösen Dialog, Kunst, Seelsorge für Ausländerinnen und Ausländer und manches mehr.
Aus jedem der vier Institute unserer Fakultät schildert im Folgenden eine Person ihre Eindrücke, Ahnungen und Erwartungen anlässlich dieser Bischofsernennung.
Bruno Niederbacher SJ
Wie immer montags gehe ich in die Jesuitenkirche, um die Abendmesse zu feiern. Es ist 7 vor 7, als ich merke: Keine Kerzen brennen, keine Lichter sind an, keine Mikrophone stecken, kein Brot, kein Wein und kein Mesner weit und breit. Ich spüre, wie Panik in mir aufkommt. Da taucht im Halbdunkel ein Mann auf und fragt, ob er konzelebrieren könne. Hui, denke ich, dieses Gesicht hast du schon mal gesehen, in der Zeitung oder so. Der sieht aus wie unser neuer Bischof. Als Philosoph akzeptiere ich das Prinzip: Wenn einer so aussieht wie der neue Bischof, dann ist dies ein guter Grund zu glauben, dass es der neue Bischof ist. Und tatsächlich: Er ist es. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren. Ich erkläre: „Wir haben ein Problem. Der Mesner scheint nicht da zu sein.“ Der Bischof beruhigt: „Das schaffen wir schon! Wir mesnern eben selber.“ Er hilft, wo er kann. Sylvia, die Ministrantin, zündet die Kerzen an und bereitet Brot und Wein vor. Ich suche Albe und Stola für den Bischof und mich, versuche die Lichter einzuschalten, der Bischof studiert die Bedienungsanleitung, ich montiere die Mikrophone und bitte die anwesende Gemeinde um etwas Geduld. Die Messe beginnt leicht verspätet. Es fällt mir schwer, mich zu sammeln. Aber der neue Bischof ist da und unterstützt die Gesänge und Gebete mit klingender Stimme. Mit vereinten Kräften geht es gut. Mein Fazit: Der neue Bischof rümpft nicht die Nase und sagt: „Was habt ihr da für einen Saftladen!“ Er zieht sich nicht aus der Affäre, wenn’s brenzlig ist. Er bleibt da. Er bleibt ruhig. Er erfasst die Situation, schaut, was er unter den gegebenen Umständen am besten tun kann. Er improvisiert mit. Am Ende hat er lobende Worte für mich: „Ein Philosoph, der auch noch praktisch ist.“ Einen solchen Bischof kann ich mir nur wünschen.
Bruno Niederbacher SJ ist assoziierter Professor am Institut für Christliche Philosophie, stellvertretender Institutsleiter und Mitglied des Jesuitenordens.
Reinhard Meßner
Der neue Innsbrucker Bischof Hermann Glettler ist mir aus dem Grazer Priesterseminar als erfrischend unkonventionelle Persönlichkeit in Erinnerung. In der Diözese Graz-Seckau ist er als immer wieder auch provokativer Impulsgeber sehr geschätzt. Besonders bedeutsam scheint mir sein Engagement im Dialog zwischen Kirche und zeitgenössischer bildender Kunst zu sein, wovon die sicher in mancherlei Hinsicht kontroversielle künstlerische Gestaltung der Pfarrkirche Graz St. Andrä eindrucksvoll Zeugnis ablegt (auf www.andrae-kunst.org kann man davon einen ersten Einblick gewinnen). Diese Pfarre im sozial nicht einfachen Grazer Bezirk Gries, deren langjähriger Pfarrer Glettler gewesen ist, hat sodann besonders durch ihre Gastfreundschaft gegenüber Migranten und Ausländern – wiederum durchaus nicht ohne Kontroversen – auf sich aufmerksam gemacht. Dahinter steht Glettlers Überzeugung, dass die Kirche gerade in der heutigen Gesellschaft missionarische Kirche sein muss, in der auf der Grundlage des Hörens auf Gottes Wort und der Feier der Eucharistie das Evangelium im Alltag bezeugt wird. Das Fundament dieses missionarischen Wirkens im künstlerisch-kulturellen und im sozialen Bereich ist eine tiefe geistliche Verwurzelung, konkret in der Gemeinschaft Emmanuel. Dies lässt hoffen, dass Bischof Hermann Glettler in der Diözese Innsbruck dringend benötigte kirchliche Zukunftsperspektiven jenseits einer todlangweiligen römisch-katholischen ecclesiastical correctness des Allen-alles-recht-Machens aufzeigen kann.
Reinhard Meßner ist Professor für Liturgiewissenschaft (Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie) und wie Hermann Glettler Presbyter der Diözese Graz-Seckau.
Michaela Neulinger
Bereits in seinen ersten Interviews hat Hermann Glettler zahlreiche Themen angesprochen, die kirchlich, theologisch und gesellschaftlich einer dringenden Bearbeitung bedürfen. Als Theologin, Islamwissenschaftlerin und Mitglied der diözesanen Frauenkommission kann ich diese Anliegen nur unterstützen. Religiöse Pluralität fordert heraus. Kirche muss sich in dialogischer Haltung mit den Religionen, aber auch jenen, denen Kirche oder sogar Gott fremd geworden sind, auseinandersetzen und ihnen aufrichtig-lernend begegnen. Das inkludiert wesentlich ein öffentliches Engagement von Kirche zum Wohl aller, die kritische Intervention für Solidarität und gerechtigkeit auch gegen Widerstände. Insbesondere in puncto Geschlechtergerechtigkeit und der Neuauslotung der Orte von Frauen hat Kirche noch viel Luft nach oben. José Casanova, Ehrendoktor der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck, warnt zu Recht: „The male intelligentsia left the Church in the eighteenth century, the male bourgeoisie in the early nineteenth century, and the male proletariat in the late nineteenth and twentieth century. But as long as women remained in the church, children were baptized and raised as Christians and there was a future for the church and the possibility of a religious revival and a reversal of secularization.“ Was braucht es also, damit Kirche und Theologie in aller Pluralität und Lebendigkeit eine Zukunft haben? Bischof Glettler hat bereits viele spannende Ideen vorgebracht. Wir freuen uns auf eine kreative und mutige Zusammenarbeit.
Michaela Neulinger ist Universitätsassistentin am Institut für Systematische Theologie und widmet sich in Forschung und Lehre unter anderem dem christlich-islamischen Dialog.
Christian Bauer
Schon die Einladung überrascht. Auf der Einladung zur Bischofsweihe ist eine Bohrmaschine zu sehen, mit der gerade ein Bischofskreuz aufgebohrt wird – eine zeitgenössische künstlerische Interpretation des Herz-Jesu-Motivs. Und eine vielversprechende programmatische Ansage des neuen Innsbrucker Bischofs. So wie auch die Bischofsweihe am pastoralen „Andersort“ der Olympiahalle. In mehreren Begegnungen habe ich Hermann Glettler genauso kennengelernt: als den Vertreter einer Kirche, die sich verbeult, aber entdeckungsfroh in die Welt wagt. Sein Bischofsmotto „Geht, heilt und verkündet“ verweist auf eine entsprechend extrovertierte Pastoral der Evangelisierung in Tat und Wort. Dabei rückt, mit den beiden Kirchenkonstitutionen des Konzils gesprochen, zusammen mit den Grundvollzügen der Diakonia (Menschendienst) und Martyria (Verkündigungszeugnis) auch eine Geh-hin-Pastoral der Sendung nach Gaudium et spes in den Vordergrund. Ihr dient eine Komm-her-Pastoral der Sammlung nach Lumen gentium mit den beiden Grundvollzügen der Liturgia (Gottesdienst) und Koinonia (Gemeinschaftspflege) als geistliche Kraftquelle. Mit der spirituellen Heimat des neuen Bischofs, der Gemeinschaft Emmanuel, verbindet mich nicht sehr viel – eines aber sicher: die Aufforderung „Du sollst einen Freund unter den Atheisten haben.“ Ich habe viele Freunde und Freundinnen, die Agnostiker und Schwellenchristen sind – und die begründete Hoffnung, dass Herrmann Glettler sich auch als ihr Bischof verstehen wird. Er passt in keine Schublade, sprengt die Klischees. Ein Papst-Franziskus-Bischof, der hier in Tirol sicherlich noch einiges durcheinanderwirbeln wird…
Christian Bauer ist Professor für Interkulturelle Pastoraltheologie und Homiletik, Leiter des Instituts für Praktische Theologie und war schon gemeinsam mit Hermann Glettler in der Erwachsenenbildung tätig.