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Der Wissenschaftsbetrieb - ein elfenbeinerner Turm? – Universität Innsbruck
Peter Pirker

Der Wissenschaftsbetrieb - ein elfenbeinerner Turm?

Im Gespräch mit Priv.-Doz. Dr. Peter Pirker, der von 2019–2023 mit dem Projekt „Deserteure der Wehrmacht“ am Institut für Zeitgeschichte tätig war

Text: Roland Hofbauer

Tristach im Sommer 2021. Die Osttiroler Gemeinde lädt zum öffentlichen Vortrag über den „Kosakenstein“ – einen Gedenkstein für den 1947 als Kriegsverbrecher hingerichteten Helmuth von Pannwitz. Peter Pirker trägt seine Expertise vor. Die anschließende Diskussion ist äußerst hitzig, aber Pirker lässt sich nicht beirren und bringt in ruhigem und sachlichem Ton seine Argumente vor. Mit Erfolg: Der Gemeinderat lässt sich von seinen Argumenten überzeugen und der Gedenkstein wird schließlich – auf einstimmigen Beschluss hin – entfernt.

Ich konnte bei der Veranstaltung damals mit dabei sein – und war beeindruckt: ein Erfolg für die Wissenschaft! In unserem Gespräch frage ich ihn, welchen Stellenwert solche öffentlichen Veranstaltungen für den Universitätsbetrieb haben. Pirkers Antwort war klar und eindeutig:

„Ich finde, dass das ein Teil der Arbeit von Wissenschaftler:innen sein sollte, ihre Erkenntnisse auch öffentlich zur Debatte zu stellen. Und diese Auseinandersetzung gemeinsam mit der Bevölkerung zu führen. Deswegen habe ich das auch gerne gemacht.“

Denn, so Pirker weiter,

„solche Auftritte, Interventionen im öffentlichen Raum basierend auf wissenschaftlicher Forschung sind sehr wichtig für die Verankerung einer Universität in ihrem regionalen Umfeld. Das ist, glaube ich, eine extrem wichtige Funktion, die die Universität hat.“

Die Aufgabe der Universität und der Wissenschaftsbetrieb

Klingt unspektakulär. Doch dann – eine für mich unerwartete Schärfe:

„Allerdings muss man sagen, dass die Entwicklung des Wissenschaftsbetriebes in den letzten 10, 20 Jahren eine Richtung genommen hat, wo genau diese Aufgabe und Funktion als tendenziell weniger wichtig eingestuft wird. Wenn Sie eine wissenschaftliche Karriere planen, dann müssen Sie vor allem an Ihrer wissenschaftlichen Biografie arbeiten.“

Da geht es dann vor allem um Publikationen in reviewten Journals – Science to Science –, die Vermittlung in die Gesellschaft hinein wird zwar gewünscht und gefordert, aber im entscheidenden Karrieremoment, etwa in Bewerbungsverfahren, an und von der Universität nicht gratifiziert. Und nur wenn man Fachpublikationen in großer Zahl hat, gibt es die Chance, Projekte zu bekommen, Stipendien und eben Stellen.

„Das finde ich wirklich eine eklatante Fehlentwicklung, weil sie den Gedanken von Wissenschaft und Universitäten, nämlich Aufklärung, Selbstaufklärung und auch gesellschaftliche Aufklärung, die nur im Dialog mit der Gesellschaft funktionieren kann, entwertet; das ist aus meiner Sicht ein großes Problem“,

so Pirker. Man handelt also ein Stück weit gegen die eigenen Karriereinteressen, wenn man gegen diese Tendenz des Wissenschaftsbetriebs – in einem elfenbeinernen Turm sich selbst zu genügen – anarbeitet.

Und am Institut für Zeitgeschichte?

Ob das denn hier am Institut für Zeitgeschichte auch so war, dass Anfragen der Öffentlichkeit eher als Störung des „eigentlichen“ Wissenschaftsbetriebes erlebt wurden? Nein, schränkt er ein,

„die Kultur der Wissensvermittlung am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck ist vergleichsweise sehr gut. Es wird sehr wohl geschätzt, dass man in die Gesellschaft hereinarbeitet. Das ist, glaube ich, ein wirklich sehr positiver Aspekt am Institut für Zeitgeschichte, dass das wertgeschätzt wird unter den Kolleg:innen.“

Die Herausforderung der befristeten projektbezogenen Personalstellen ist trotzdem: „Was kommt nach diesen drei Jahren, wie kann ich danach wissenschaftlich weiterarbeiten?“

Das Projekt „Deserteure der Wehrmacht“

Für Pirker war dieses vom Institut initiierte Projekt, das er durchgeführt hat, ein Musterbeispiel dafür, wie das Zusammenspiel von Forschung, Lehre und Wirksamkeit in die Gesellschaft hinein funktionieren kann. Da gab es einerseits intensive Archivrecherchen, andererseits ist man aber auch durch Befragungen von Zeitzeug:innen und Angehörigen aktiv ins Feld hinein gegangen; in enger Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen, wie etwa dem Museum in Absam, den Ötztaler Museen, dem Museum Montafon wurde dann versucht, die Ergebnisse auch breit zu vermitteln. Und es kamen im Laufe des Projektes auch immer wieder Anfragen für Veranstaltungen außerhalb der Universität.

Und auch der Aspekt der Lehre war darin gut integriert: Im Rahmen eines Kurses zur Quellenkunde hat eine Arbeitsgruppe das Tagebuch eines Wehrmachtsdeserteurs bearbeitet und das Ergebnis dieser Arbeit war dann eine Publikation, nämlich das Tagebuch des Wehrmachtsdeserteurs Rudolf Bilgeri. Das Buch ist auf breite öffentliche Resonanz gestoßen.

© Universitätsverlag Wagner/Imperial War Museum_Rudolf Bilgeri-Buch_Cover
© Universitätsverlag Wagner/Imperial War Museum, Buchcover

Das Projekt hat zu interessanten Ergebnissen geführt; so konnte herausgearbeitet werden, dass bei den 500 bis 600 bekannten Tiroler Deserteuren ca. 60 % der Desertionen erfolgreich waren – mit einem sehr breiten Spektrum an Verlaufsformen. Es ist also der Mehrheit der Deserteure gelungen, sich dem weiteren Kriegsdienst ohne Festnahme und Verurteilung zu entziehen – durch Hilfestellungen des sozialen Umfelds, oft von Frauen:

„Diese Frauen haben den flüchtenden Soldaten eine Alternative geboten, nämlich die Solidarität aus der Sorge um das Leben der Flüchtenden. Das ist eine Art von Rettungswiderstand.“

Und die Deserteure waren

„in vielen Fällen weder Helden noch Verräter, sondern Menschen, die versucht haben, in einer extrem schwierigen Situation etwas möglichst Gutes, Positives für sich und für ihre Umgebung zu erreichen, nämlich ihr Leben zu retten und zu überleben und sich diesem Aufopferungskult der Wehrmacht und des NS-Staates zu entziehen.“

In öffentlichen Veranstaltungen nimmt Pirker eine Veränderung wahr:

„In den 1990er-Jahren war es noch ganz stark so, dass Veteranen der Wehrmacht und Funktionäre von Kameradschaftsverbänden in den Veranstaltungen gewesen sind, die vertreten und auch gerechtfertigt haben, dass sie im Zweiten Weltkrieg etwas Richtiges gemacht haben, gegen den Bolschewismus gekämpft zum Beispiel, und dass das Desertieren überhaupt nicht geht. Heute ist in den – meist gut besuchten – Veranstaltungen die Resonanz aus dem Publikum eigentlich durchwegs positiv, da gibt es kaum mehr kritische oder negative Äußerungen über die Deserteure, da ist vor allem das Interesse da, wie es gelungen ist zu überleben.“

Einen Geburtstagswunsch zum 40-er

hat Peter Pirker auch: Er hofft, dass das Institut für Zeitgeschichte von der Universitätsleitung gut ausgestattet wird, dass gesehen wird, wie wichtig die Tätigkeit der Wissenschafter:innen am Institut ist; weil sie auf vielen verschiedenen Ebenen sehr gute Arbeit machen und diese Arbeit auch die Wertschätzung bekommen soll, die sie verdient.

„Gerade in der Zeit, als ich am Institut gewesen bin, ist ja deutlich geworden, dass es aus der Gesellschaft viele Fragestellungen ans Institut gibt, wo man sich Antworten erwartet – und dass das Institut zum Teil auch an die Kapazitätsgrenzen stößt; dass es noch mehr Potenzial gäbe, dieses Wissen in die Gesellschaft zu tragen und gemeinsam auch mit der Gesellschaft zu erarbeiten, auch in Zusammenarbeit mit regionalen Initiativen. Also, das könnte man sicher noch ausbauen, aber dafür braucht man halt auch die Ressourcen." 

 

Interviewbild mit Peter Pirker
© Roland Hofbauer, Interviewbild mit Peter Pirker


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