- Leseraum
| Arbeit zwischen Mitschöpfung und SelbstzerstörungAutor: | Guggenberger Wilhelm |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | Die Fähigkeit seine Welt schöpferisch zu gestalten, gehört zum Wesen des Menschen. Sie bezeichnet Arbeit in einem umfassenden Sinn. Vielfach jedoch erleben wir Arbeit als entfremdenden Zwang, der den Menschen selbst und seine Welt zerstört. Diese Negativität kann nur durchbrochen werden, wo die Sorge dem Vertrauen weicht. |
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Publiziert in: | Originalbeitrag. Text eines Vortrags, der im Rahmen der Tagung
"Leib und Seele; Arbeit zwischen Befriedigung und Entfremdung." im
Haus der Begegnung, Innsbruck gehalten wurde. |
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Datum: | 2004-12-06 |
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Inhalt1
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“Ich glaube nicht an einen Teufel, aber wenn ich es täte, würde ich ihn mir als den Trainer vorstellen, der den Himmel zu Rekordleistungen hetzt.”
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Robert Musil, der Mann ohne Eigenschaften.
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Der Mensch ist zur Kreativität geboren.
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Dieser Satz mag als Ausgangspunkt unserer Überlegungen gelten, als gleichsam der Alltagsempirie entspringendes, nicht wirklich ernsthaft in Frage stellbares Fundament. Wir sind Wesen, die tätig sein wollen. Das neugierige Erforschen unserer Umwelt und das Experimentieren mit unseren Fähigkeiten ist uns in die Wiege gelegt und es bedarf einer gewaltigen Flut, oder eines über sehr lange Zeit hin stetig zermürbenden Tropfens an Frustrationen, um uns die Lust daran auszutreiben. Tätigsein ist aber nicht nur etwas, wonach es Menschen verlangt, etwas worin sie ein Empfinden von Sinn, ja glück erleben. Tätigsein ist auch eine menschliche Notwendigkeit. Dieses „Schicksal“ teilen wir in großem Maße mit unseren Mitgeschöpfen. Reine Passivität bedeutet eine Gefährdung der basalen Lebenserhaltung. Das Privileg, im Nichtstun zu überleben, mögen wenige einzelne für sich behaupten, für Kollektive ist es undenkbar. Da unsere Lebenswelt kein Schlaraffenland ist, vermögen die freiwillig Arbeitslosen und glücklichen Müßiggänger ihren Status nur zu halten, solange es deutliche Ungleichheiten, ja Unrecht in ihrer Gesellschaft gibt. Die Aktivitäten, die zur Sicherung ihrer Existenz notwendig bleiben, werden auf die Schultern anderer geladen. Ihr Privileg schlägt allerdings rasch in einen Fluch um, der seine Nutznießer in Langeweile zu ertränken droht. Langeweile kann ebenso unmenschlich sein wie Überforderung. Die Lebensenergie, der elan vital (1) , den wir als Erbe der Evolution mitbekommen haben, will genützt sein. Sodass schlaraffenlandartige zustände Menschen und ganze kollektive geradezu zu hospitalisieren vermögen, mit allen Folgen der Abstumpfung und Selbstdestruktion.
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Was über eine allgemeine Lebensenergie und deren Umsetzung im Rahmen notwendiger Existenzerhaltung hinausgehend aber doch ein Spezifikum des Menschen ist, zumindest in dem Ausmaß, in dem es auf ihn zutrifft, ist folgendes: Wir müssen nicht nur tätig sein, um unser Leben Tag für Tag zu erhalten, wir müssen auch tätig sein, um unsere Welt so zu gestalten, dass sie uns überhaupt Lebensraum ist. Das gilt schon allein für die physische Welt. Kaum eine Stelle auf unserem Planeten ist noch als unberührte Natur zu bezeichnen. Wir leben in einer Kulturwelt. Und auch wenn wir heute in steigendem Ausmaß ein Unbehagen in dieser Kulturwelt empfinden, so ist sie doch jener Raum, in dem wir uns bewegen wie der Fisch im Wasser. Bei aller Kulturkritik müssen wir uns ehrlich eingestehen, dass wir ohne diese Welt reichlich heimatlos in der Welt wären. Darüber hinaus wird Gestaltung aber noch viel mehr von der sozialen Welt als unverzichtbare Notwendigkeit gefordert. Wir sind keine Naturmenschen im Sinne Rousseaus: zufrieden mit der Stillung augenblicklicher Bedürfnisse, blicklos füreinander, ohne Bewunderung, ohne Neid. (2) Wir sind vielmehr mit einer Energie, einem Streben ausgestattet, das uns zum Möglichkeitswesen im Sinne Helmut Plessners macht. Etwa in diesem Sinn der Schaffung eines Lebensraumes, der unser Menschsein erst konkretisiert, ist es wohl auch zu verstehen, wenn Johannes Paul II. in der Präambel seiner Enzyklika “Laborem Exercens” schreibt: “Zur Arbeit fähig ist einzig und allein der Mensch. Er allein leistet im wahren Sinn des Wortes Arbeit und erfüllt damit zugleich sein irdisches Dasein mit sinnvollem Gehalt. Von daher empfängt und trägt die Arbeit das Merkmal des Menschen und der Menschlichkeit, genauer gesprochen der in der Personengemeinschaft wirkenden Einzelperson.” (3)
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Wir existieren nicht in reiner, begierdeloser Gegenwart, sondern entwerfen uns in die Zukunft hinein. Das Du an dem der Mensch erst zum Ich wird, hält uns dabei immer auch einen Horizont vor Augen, der (noch) vor uns liegt, den wir (noch) nicht erreicht haben. Diese Impulse, die jedes Mitglied einer Gemeinschaft oder Gesellschaft vorantreiben, gilt es nun aber zu koordinieren, soll ihr positives Potenzial nicht in einem ziellosen Chaos des Gegeneinander verglühen. (4) Das geschieht im Rahmen einer Tätigkeit, die im weitesten Sinn des Wortes als Politik zu bezeichnen ist.
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Damit sind nun im Wesentlichen jene drei Felder menschlichen Tätigseins umrissen, die Hannah Arendt Ende der 50er-Jahre des vergangen Jahrhunderts ausformulierte. (5) Sie spricht erstens von Arbeit im Sinne reproduktiver Tätigkeit. Damit ist alles umfasst, was zur kontinuierlichen Erhaltung unseres Lebens notwendig ist und was kein bleibendes Produkt neben diesem Leben hervorbringt und hinterlässt. “Kaum sind sie präpariert, müssen die Produkte der Arbeit auch schon wieder dem menschlichen Lebensprozess zugeführt werden, und diese den Lebensprozess regenerierende Konsumtion produziert, oder besser ‘reproduziert’ ihrerseits neue ‘Arbeitskraft’, die der Körper für seine weitere Erhaltung benötigt.” (6) Alles, was wir heute als Hausarbeit bezeichnen gehört hierher; von der Zubereitung unserer Nahrung bis hin zur Beseitigung ihrer Reste und Endprodukte. Aber auch die unterschiedlichsten Formen der Pflege vom Kleinkind bis zum sterbenden Menschen können als reproduktiv verstanden werden.
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Als zweiten Bereich nennt Arendt das Herstellen, das eben nicht re-produktiv, sondern produktiv ist. Im Herstellen macht sich der Mensch die Welt, in der er lebt selbst. Es ist die Welt der Werkzeuge, Geräte und Maschinen, die Welt der selbst geschaffenen Mittel zur Erreichung unserer Zwecke; es ist die Welt der zumindest relativ dauerhaften Produkte menschlichen Tuns. “Das Werk unserer Hände, nicht die Arbeit unseres Körpers, Homo faber, der vorgegebenes Material bearbeitet zum Zweck der Herstellung, und nicht das Animal laborans, das sich körperlich mit dem Material seiner Arbeit ‘vermischt’ und ihr Resultat sich einverleibt, verfertigt die schier endlose Vielfalt von Dingen, deren Gesamtsumme sich zu der von Menschen erbauten Welt zusammenfügt.” (7)
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Der dritte Tätigkeitsbereich wird von Arendt als Handeln umschrieben. Handeln ist ein interaktives, dialogisches Geschehen. Es geht dabei nicht um Situationen in denen ein Subjekt an seinem Objekt werkt, das seinem Belieben unterworfen ist und bleibt, bis hin zur Macht dieses zu vernichten. “Handeln, im Unterschied zum Herstellen, ist in Isolierung niemals möglich; jede Isoliertheit, ob gewollt oder ungewollt, beraubt der Fähigkeit zu handeln. ... das Handeln und Sprechen vollzieht sich in dem Bezugsgewebe zwischen den Menschen, das seinerseits aus Gehandeltem und Gesprochenem entstanden ist, und muss mit ihm in ständigem Kontakt bleiben.” (8) Mein Tun als Handeln fließt ein in das Mit- und Gegeneinander menschlicher Freiheiten. Es geht gleichsam hinaus in die Welt und ich verliere den Einfluss darüber im Geflecht dramatischer Geschehnisse. Handlungen können nicht zurückgenommen werden. Da sie Reaktionen auslösen, anderes Handeln hervorrufen oder verhindern, gewinnen sie ihre eigene Geschichte. Aber gerade das Handeln ist es nach Arendt, das den Menschen zum Menschen macht, weil es ihn zum sozialen Wesen macht.
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Die Bewertung der Bedeutung oder besser die Wertschätzung dieser unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche hat sich im Laufe unserer Geschichte immer wieder gewandelt und ist stark abhängig vom jeweiligen Verständnis davon, wer der Mensch ist, als Teil welcher Geschichte er sich sieht. (9)
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Die Einstellung der Antike ist weitgehend von einer Geringschätzung der Arbeit gekennzeichnet. Wobei der Begriff Arbeit in jener Zeit sowohl reproduktives als auch weite Teile herstellenden Tuns umfasst. Im Verständnis der mesopotamischen Hochkulturen etwa schufen die Götter Menschen, um ihre Arbeit auf deren Schultern laden zu können. Die gesamte Menschheit gerät damit in einen wenig erfreulichen Sklavenstatus. Gott und Mensch stehen in einem Verhältnis von Herr und Knecht zueinander, das durch Ausbeutung, Missbrauch und wechselseitiges Misstrauen geprägt ist. Arbeit kann unter dieser Prämisse nur als auferlegter Fluch erscheinen. Für das klassische griechische und römische Denken war der Mensch seinem Wesen nach zoon politikon (gesellschaftliches Wesen). Seine eigentliche Würde besteht demnach darin, das Gemeinwesen die Stadt bzw. den Staat zu gestalten. Menschsein im Vollsinn dieses Verständnisses wurde allerdings nur dem freien, männlichen Bürger zuerkannt. Arbeit, die in der Beschaffung und Verrichtung des Notwendigen besteht, galt als dem Menschen (in seiner Vollform) unwürdig. Sie erinnert ihn zu sehr an seine leiblich-vergängliche Existenz, die er mit den Tieren teilt, und die eher als lästiges Übel, denn als Ausdruck der personalen Identität empfunden wurde. Wahrhaft frei sind wir gemäß griechischem Denken nur in unserer geistig-seelischen Dimension, die nicht an die primitive Notdurft gebunden ist. Da die Ergebnisse, die Leistungen der Arbeit aber freilich auch für das Überleben freier Bürger unverzichtbar sind, bedurfte die Antike der Institution der Sklaverei. Diese war also wohl nicht so sehr aus wirtschaftlichen Gründen unverzichtbar, sondern weil nur durch sie das Ideal eines Menschenbildes aufrechterhalten werden konnte, das durch Abwertung und Verachtung des Leiblichen geprägt war. Der Preis, der dafür entrichtet werden musste, war freilich die Ausgrenzung der Mehrheit der Menschen aus dem Kreis derer, die als Menschen galten.
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Gemäß dem biblischen Denken war sich der Mensch hingegen nie zu gut für Arbeit, auch nicht für das reproduktive Tun. Als mit Leib und Seele von Gott geformtes Wesen, ist ihm die bloße Erhaltung und Pflege der körperlichen Existenz keine minderwertige Tätigkeit. Herstellen und Handeln erhielten durch den biblischen Schöpfungsauftrag sogar die Würde des Mit- und Weitergestaltens der Welt. Hierin zeigt sich auch die Differenz zum mesopotamischen Verständnis. Wir sind als Menschen nicht Sklaven Gottes, sondern Mitarbeiter an seinem Werk, sogar Mitschöpfer. Was allerdings auch hier nicht fehlte, war das Bewusstsein der Mühen, mit denen Arbeit verbunden ist. Dieses Arbeitsleid ist gemäß der biblischen Tradition allerdings nicht notwendige Naturgegebenheit, sondern Folge der Sünde, will heißen: etwas wofür die Menschen in der Gestaltung ihres Lebens und Zusammenlebens selbst verantwortlich zeichnen.
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Im biblischen Kontext bedeutet Arbeit somit dreierlei: Selbstgestaltung und Selbstentfaltung des Menschen als Ausdruck seiner Freiheit, Mühe und Plage, die sich daraus ergeben, dass das Notwendige unter Bedingungen eines irgendwie aus dem Lot geratenen Weltverhältnisses errungen werden muss und verantwortlicher Dienst an der Schöpfung, vor allem aber am Mitmenschen. (10)
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Im Laufe der neuzeitlichen Entwicklung wurde die Fähigkeit der cocreatio (Mitschöpfung), also der Freiheitsaspekt immer stärker betont, was natürlich auch damit zu tun hat, dass es der Menschheit nach und nach gelang sich Mittel und Werkzeuge anzueignen, die uns eine radikale Umgestaltung der Welt, heute sogar unserer eigenen Natur ermöglichen. Der Gedanke Mitschöpfer Gottes zu sein, gesteht uns ein großes Maß an Freiheit zu. Freiheit ist nun aber eben per definitionem sehr unterschiedlich einsetzbar. Sie kann gebraucht aber auch missbraucht werden. Die Grenze zwischen beiden Möglichkeiten ist nicht immer leicht zu ziehen. Im gegenwärtigen ethischen Ringen um Fragen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung geht es gerade um diese Grenzziehung.
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Die Betonung, ja Überstrapazierung der menschlichen Schöpferkraft, die über die gewaltigen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, nicht selten die mit ihr notwendig verbundene Verantwortung übersah, führte im Laufe der Moderne aber auch zu einer Fixierung menschlicher Tätigkeit auf das Herstellen. Reproduktives Tun geriet neuerlich unter den Ruch des Minderwertigen. In dieser Situation stehen wir weitgehend bis heute. Der Bereich reproduktiver Tätigkeiten ist in unseren Wohlstandsgesellschaften durch ein eklatantes Missverhältnis zwischen Verfügbarer Arbeit und der Bereitschaft, in diese zu investieren, gekennzeichnet. Es sei lediglich an das breite Thema der Pflege und Begleitung alter und sterbender Menschen erinnert, das die europäischen Gesellschaften aufgrund der demographischen Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten mit noch nicht voll realisierter Härte treffen wird. Wir wissen; es gäbe viel zu tun. Aber zugleich ist immer zu wenig Geld und damit auch zu wenig bezahlte Arbeitskraft vorhanden, um das Viele tatsächlich in Angriff zu nehmen, während der Anteil unbezahlter Arbeit im reproduktiven Bereich ständig abnimmt (11) .
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Wir haben es hier auch mit jener Arbeit zu tun, die nach wie vor häufig weiblich ist. Das gilt für das soziale Engagement im Ehrenamt, das überwiegend von Frauen ausgeübt wird, (12) ebenso wie für den Erwerbsarbeitssektor.
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Diese angesprochene unterschiedliche Wertschätzung und damit verbunden auch die unterschiedliche Verteilung der Tätigkeitsbereiche in der Gesellschaft sind eng verknüpft mit der gesellschaftlichen Macht und deren Strukturen.
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Damit ist zunächst die Machtverteilung zwischen Menschen und Gruppen gemeint. In der antiken und mittelalterlichen Geschichte äußerte sich diese Macht darin, dass die Lasten der Arbeit auf die Schultern derer geladen wurden, die macht- und einflusslos waren. Arbeitslosigkeit - freilich nicht als solche bezeichnet - galt als Privileg. Das benediktinische Prinzip ora et labora (bete und arbeite) war unter diesen Voraussetzungen geradezu revolutionär. Benedikt von Nursia (13) , der selbst einer römischen Adelsfamilie entstammte, verordnete seinen Mönchen, egal welcher Abstammung, ein gewisses Maß an reproduktiver Arbeit. Dies war eine Maßnahme gegen Dünkel und Überheblichkeit. Andererseits fordert die benediktinische Regel auch, dass einem Handwerker, der Mönch geworden ist, seine Tätigkeit verboten werden soll, sobald sie ihm dazu dient, sich stolz über die Brüder zu erheben. (14) Der Regelvater erkannte hier bereits die Gefahren, die in einer Bewertung des Menschen gemäß seiner produktiven Leistung liegen.
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Die soziale Situation der Gegenwart ist von der antiken oder mittelalterlichen völlig verschieden. Die moderne Arbeitsgesellschaft ist in einer Weise gestaltet, in der nicht nur der Zugang zu den materiellen Gütern des Lebens, sondern auch zu den sozialen Teilhabechancen wie Bildung, kulturelles Leben, Kommunikations- und (Mit)Entscheidungsspielraum etc. weitestgehend über Arbeit vermittelt wird. Freilich mag es auch in der Gegenwart reiche Bonvivants geben, die sich dem Müßiggang hingeben können - aber sie stellen eine beinahe exotische Minderheit dar, die keinerlei Prägekraft für die Gestalt unsere Gesellschaft besitzt. Das zentrale Problem der Arbeit heute ist daher nicht mehr die Verteilung ihrer Lasten, sondern die Verteilung der Zugangschancen zu ihr einerseits und der Risiken der Arbeitslosigkeit andererseits. Das festzustellen mag trivial erscheinen, dennoch ist es mir wichtig, diesen Punkt explizit zu betonen. Das deshalb, weil das alte Gebot der Arbeitspflicht nach wie vor munter in einer Weise eingesetzt wird, als würde unser nacktes Überleben davon abhängen, dass jeder und jede kräftig mit anpackt. Zu denken ist etwa an das gern zitierte Pauluswort, dass nur essen soll, wer auch arbeitet. (15) Unsere gegenwärtige soziale Realität in den Industrienationen ist nun aber doch wahrlich keine, in der es auf jede rege Hand ankäme. Im Gegenteil: Der Stand von Technisierung und Automatisierung, den wir erreicht haben, könnte rein theoretisch den alten Traum einer Welt ermöglichen, in der Menschen kaum noch zu arbeiten brauchen (zumindest im Sinne von reproduktiver und herstellender Tätigkeit), einer Welt in der uns die Last und Mühe der Lebenserhaltung von dienstreichen Geistern abgenommen ist, Geistern, die wir der modernen Magie von Elektronik und Informatik zu verdanken haben. Dieser Traum scheint freilich um so mehr an Glanz zu verlieren, je näher wir seiner Realisierung kommen. Die Möglichkeit, dass unserer Gesellschaft die Arbeit ausgehen könnte erscheint geradezu als Verhängnis; (16) ist Arbeit doch die einzige Tätigkeit auf die wir uns wirklich verstehen. Und so ist es auch wenig wahrscheinlich, dass uns die Arbeit tatsächlich ausgehen wird, und zwar nicht (nur) deshalb, weil es einfach viel zu tun gibt, sondern weil wir offenbar sehr phantasievoll im Erfinden neuer Arbeit sind. In der Dienstleistungsgesellschaft werden Bedürfnisse m.E. in noch weit größerem Ausmaß kreiert werden, als das in der industriellen Produktionsgesellschaft der Fall war (17) - kreiert, nicht so sehr um ihrer Früchte willen, sondern vorrangig zum Zweck, Arbeit zu schaffen. Aber warum ist das so?
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An dieser Stelle ist neben der Macht von Menschen über Menschen eine zweite Gestalt der Macht ins Spiel zu bringen: die Macht des Menschen, die sich in seinem Machen manifestiert; die Macht des Ich über das Es.
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Die Faszination des Herstellens ist offenbar derart betörend, dass wir nicht von ihr loskommen. Wir können Dinge in die Welt setzen, die ganz unser Werk und daher unserem Belieben unterworfen sind. In unserem Machen zeigt sich eine Sehnsucht nach Bemächtigung, die all unsere Beziehungen zu durchdringen vermag; die Beziehung zu uns selbst, zu unserer Lebenszeit, zu unseren Mitmenschen zu unserer Umwelt. Ein solches von Bemächtigung geprägtes Verhalten hatte Martin Buber als Ich-Es-Beziehung bezeichnet im Unterschied zu einer Ich-Du-Beziehung. (18) Alles in unserer Welt begegnet uns darin als Gegenstand. Wer sich aber alles zum Gegenstand macht, setzt sich selbst als Zentrum eines Kosmos, macht sich letztlich selbst zum Gott seiner eigenen Welt, der gegenüber er sich absetzt, um sie in Besitz zu nehmen (19) .
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In dieser Haltung ist Arbeit, sind Machen und Leisten nicht mehr Mitschaffen, sondern Schöpfung schlechthin. Nur fortwährende Arbeit kann den Fortbestand meiner Welt garantieren, das Weiterlaufen des Systems, der Maschine das meinem Tun entsprungen ist. Nur wenn ich arbeite existiere ich, weil ich mich gleichsam selbst erarbeitet habe, wie Max Scheler es formuliert hat. Arbeit wird zum Heiland der neuen Zeit, zum quasi-religiösen Vollzug. (20) Quasi-Religiosität, in der Bibel als Götzendienst bezeichnet, besteht in einer Verkehrung des Verhältnisses zwischen Mittel und Zweck. Das bedeutet auf unser Thema bezogen, dass nicht nach dem Zweck und dem Ziel von Arbeit gefragt wird, weil das herstellende Tun als menschliche Machtäußerung Selbstzeck geworden ist.
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Die schillernde Spitze dieser Logik stellt unser marktwirtschaftliches System dar. Es ist der ausgefeilteste und erstaunlichste Ausdruck der Religion des Leistens und Hervorbringens. Wir sehen uns vor ein System gestellt, das sich ständig selbst reproduziert, solange wir ihm nicht zumindest Augenblicke der Unterbrechung verordnen; ein System, das im Medium des Geldes eine Ahnung von Unendlichkeit vermittelt. Dieses Wirtschaftssystem ist gegenwärtig gleichsam unsere zum Faktum gewordene Macht über die Welt. Es ist auch unsere Macht über die Zeit. Denn Zeit ist Geld. Das heißt nicht nur, dass wir unsere Zeit produktiv zu nützen haben, es heißt auch, dass Geld das Mittel der Wahl ist, um Zeit, vor allem als Zukunft in den Griff zu bekommen. Darauf Zielt Geld in seiner Gestalt als Kredit, der es erlaubt Zukunft vorweg zu nehmen; darauf zielt Geld in seiner Gestalt als Kapital, das sich selbst mehrend (Geld das arbeitet) Zukunft versichert. (21)
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Betrachten wir die Dinge unter dieser Rücksicht, verwundert es kaum, dass immer mehr Bereiche des Lebens in den Sog der Erwerbsarbeit geraten und damit jener Logik unterworfen werden, für die Arbeit nur das ist, was einen Marktwert erzeugt und damit selbst Marktwert erhält. Diese Dynamik führt dazu, dass, obwohl in den vergangen 200 Jahren die durchschnittliche Lebensarbeitszeit der Menschen in den Industrieländern halbiert wurde, unser Leben kaum weniger vom Thema der Arbeit okkupiert ist als früher; ein Faktum, das sowohl für Individuen, als auch für die Gesamtgesellschaft gilt.
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Für das imperialistische Um-sich-Greifen der Arbeitslogik seien nur einige wenige Beispiele angedeutet. So wird die Entwicklung von Persönlichkeit zur Arbeit an sich selbst. Unter der Anleitung von Coachs und Trainern - bei denen man sich nie so ganz sicher ist, ob sie eher prophetischer oder dämonischer Natur sind, wird das Ich hergestellt: durch den rechten Laufstil, die Beachtung von fünf Punkten, die man sich an den Badezimmerspiegel heften kann o.ä. Effiziente Herstellung meiner selbst, für die beachtlicher finanzieller Aufwand getrieben wird, ist das Ziel. Auch für das zwischenmenschliche Geschehen werden solche Techniken entwickelt. Der Begriff “Beziehungsarbeit” erhält unter dieser Perspektive zumindest einen ambivalenten Klang. Wir sprechen auch von Familienarbeit, womit die Pflege und Aufrechterhaltung der primären Beziehungen zwischen Partnern sowie zwischen Eltern und Kindern mit umfasst ist. Und für das, was Hannah Arendt als das Handeln schlechthin bezeichnete - also Gesellschaftsgestaltung, gibt es schon lange den Ausdruck Sozialtechnologie. In deren Rahmen gerät Politik zusehends zum neurolinguistisch programmierten Medienevent.
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Es mag als Zynismus erscheinen, das marktwirtschaftliche System als Instrument menschlicher Weltbemächtigung zu bezeichnen, bedenkt man wie uferlos das Ohnmachtsgefühl zahlreicher Menschen angesichts der Eigendynamik des Systems und wie groß reale Ohnmacht angesichts der Verwobenheit in ein Räderwerk der Leistungsverabsolutierung ist. Stehen wir denn nicht in einem Kraftfeld des Sachzwanges, das wenig Handlungsalternativen offen lässt, vom Hilfsarbeiter im prekären Beschäftigungsverhältnis bis hin zum Topmanager eines transnationalen Konzerns?
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Eine zynische Bilanzierung der Gegenwartsgesellschaft liegt freilich keineswegs in meiner Absicht. Es geht mir vielmehr darum, darauf aufmerksam zu machen, dass Ohnmacht nicht selten gerade Folge verzweifelter Bemächtigungsversuche ist. Freilich: unser ökonomisches System zwingt uns mitzuspielen, wollen wir nicht die Existenzweise des Asketen, des radikalen Aussteigers wählen. Es zwingt uns, den Kult der Arbeit zu vollziehen, um ganz banal die je individuelle Existenz zu erhalten. Aber es ist eben doch die Logik unseres Systems, der wir uns ausgeliefert haben. Johannes Paul II. spricht daher, wenn er die befreiungstheologische Rede von den Strukturen der Sünde aufgreift, dennoch immer von den Wurzeln, die diese in menschlicher Einstellung und Aktion haben. Die Wurzeln der Strukturen der Sünde, so betont er, liegen gegenwärtig vor allem in der Gier nach Profit und im Verlangen nach Macht. “Jeder dieser Verhaltensweisen kann man, um sie noch treffender zu kennzeichnen, die Qualifizierung hinzufügen: ‘um jeden Preis’. Mit anderen Worten, wir stehen vor einer Absolutsetzung menschlicher Verhaltensweisen mit allen ihren möglichen Folgen.” (22) Diese verabsolutierten Verhaltensweisen können freilich ihrerseits Gewalt über uns gewinnen. Nochmals sei auf Max Scheler verwiesen, der konstatierte, dass wir uns derart in die Logik der Arbeit verstrickt haben, dass wir mittlerweile gleichsam ohne unser Zutun als Sklaven eines vom Selbstverwertungsstreben des Kapitals getriebenen Produktionsprozess mitgerissen werden. (23) Auch darin gleicht unser System dem, was biblische Terminologie als Götzen bezeichnet. Denn diese sind in der Heiligen Schrift immer Realitäten, die von Menschen gemacht wurden, letztlich aber eine eigendynamische Gewalt über diese Menschen auszuüben beginnen, die ihnen im Grunde - nüchtern betrachtet - gar nicht zukommen dürfte.
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Die Geißel mit der dieser Götze Ökonomie uns zu seinem Dienst, der zum Selbstzweck gewordenen Arbeit vorantreibt, trägt den Namen Sorge. Ein System, eine Welt, ein Kosmos, dessen Existenz an unserer Leistung hängt, ist und bleibt eine überaus prekäre Angelegenheit. Was unverdankt ist, weil es von mir erarbeitet wurde, lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Stillstand wird daher zur Wurzelsünde schlechthin, droht doch der Absturz ins Nichts, falls der Schwung des einmal in Gang gesetzten Mechanismus nachlässt. Wir gleichen in dieser ruhelosen Situation jenen chinesischen Varieteekünstlern, die eine ganze Reihe auf hohen elastischen Stäbchen kreisender Teller vor dem Absturz bewahren müssen. Sie tun dies dadurch, dass sie den Stäbchen immer neue Drehimpulse vermitteln und kämpfen dabei permanent gegen die Trägheit der Materie. Ein Kampf, der nur verloren werden könnte, hätte die artistische Nummer nicht ein eingeplantes Ende. In einer Welt, sich mit dem Gedanken eines Endes nicht abfinden kann, wird die sorgende Unruhe die Geisteskrankheit unserer Zeit, wie Walter Benjamin es ausgedrückt hat. (24) Wer in die Fänge der Sorge gerät, so schreibt Goethe im zweiten Teil des Faust, verhungert in der Fülle, weil er nie an ein Ende des sich Sorgens kommt. (25) In der Welt der Sorge hat nur eine Daseinsberechtigung, wer leistungsfähig ist und damit Impulse für den Erhalt der selbst geschaffenen Welt zu geben vermag. In einer Welt der Sorge kann sich selbst nur achten, wer leistungsfähig ist. Denn langsamer treten, ja stehen bleiben ist gleichbedeutend damit, als Bilanz des Lebens einen Scherbenhaufen zu akzeptieren. So gilt nicht nur im Verhältnis zu den anderen, sondern auch in der Selbstbeziehung:“An die Stelle des eigentlichen Kriteriums der Personwürde - nämlich das der Achtung, der Unentgeltlichkeit und des Dienstes - tritt das Kriterium der Leistungsfähigkeit, der Zweckmäßigkeit und der Nützlichkeit.” (26)
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Gibt es aber ein Gegengift, das zur Heilung vom Leiden der Sorge eingesetzt werden könnte, etwas, das jenen Wahn zu durchbrechen vermag, der unsere Fähigkeit zur Kreativität in eine Sucht des Herstellens verwandelt und uns als leistungssteigernder und leistungserzwingender Trainer im Nacken sitzt?
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Appelle an das positive Denken, die auf eine solche Frage hin rasch zur Hand sind, erfüllen bestenfalls die Funktion sozialhygienischen Methadons. Wenn es so etwas wie ein Gegengift tatsächlich gibt, so ist es sicherlich auch nicht im Bereich von arbeitsmarktpolitischen Regulierungen, Arbeitszeit- und Arbeitsruhebestimmungen, Kollektivverträgen etc. zu suchen; so wichtig und unverzichtbar diese auch sind. Als Theologe und Ethiker muss ich eine etwas andere Brennweite für meine Behandlung des Themas wählen. Damit kehre ich allerdings zurück zum Selbstverständnis des Menschen; zu unserem Selbstverständnis, zum Geist, der unsere Entscheidungen motiviert und vor-selektiert.
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Welche Haltung ist es, die ein Selbstverständnis zu generieren vermöchte, das einer Existenz in permanenter Sorge entgegengesetzt sein könnte? Gibt es eine Geschichte, die wir als die unsere entwerfen könnten, und als deren Teil wir nicht dem Wahn der Sorge verfallen müssten? Als Antwort auf diese Fragen schlage ich vor, sich zumindest probeweise einer Geschichte des Vertrauens zuzuwenden. (27)
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Vertrauen, von dem ich hier sprechen möchte, umfasst zunächst ein Bewusstsein der Geschöpflichkeit, (28) das Bewusstsein, dass wir uns nicht selbst verdanken, dass das Zentrale in unserem Leben nicht erleistet und verdient, sondern geschenkt ist. Vertrauen ist daher eng verknüpft mit der Fähigkeit zur Dankbarkeit. Der dänischen Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard hat diese Thematik in langen Betrachtungen jener Evangelienstelle verdeutlicht, in der Jesus dazu auffordert sorglos zu sein wie die Vögel am Himmel und die Lilien auf dem Feld. Freilich, sagt Kierkegaard, können wir nicht leben wie die Vögle. (29) Das würde bedeuten, dass wir unser Bewusstsein abstreifen müssten. Worum es ihm geht, ist ein Leben jenseits der “heidnischen Sorge”, angesichts derer wir immer nur in Armut leben werden, weil sie uns dazu nötigt auch im größten Reichtum und Wohlstand einzig um das Nötige zu kreisen. “Ja der reiche Heide, er besitzt ein Wissen von seinem Reichtum und Überfluss, und mit dem vermehrten Wissen mehrt sich die Sorge; er ist wissend von dem, was Sorge macht, und da dies das einzige ist, davon er wissend ist, hat er nichts als Sorge.” (30) So wird aus einem Leben in nicht dankschuldiger Unabhängigkeit letztlich “Selbstplagerei” (31) . Wer es sich hingegen erlaubt zu empfangen, darf es sich auch einmal erlauben anzuhalten, still zu stehen, einen Ruhetag zu halten. Die biblische Tradition spricht vom Tag des Herrn und meint damit gerade keine aufgezwungene Pflicht zur Sonntagsruhe, sondern den Freiraum, in dem es möglich ist “alle Sorgen auf den Herrn zu werfen” im Wissen, dass es eine Dimension der Wirklichkeit gibt, an der mein Sorgen nichts ändert.
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Vertrauen bedeutet weiters, dass wir neben Ich-Es-Beziehungen in unserem Leben auch Ich-Du-Beziehungen Raum geben. Denn nur am Du wird der Mensch zum Ich, wie es Buber formuliert hat. (32) In der Ich-Du-Beziehung aber tragen Macht und Technik nicht weit. Da muss man sich schon ein Stück weit der Freiheit des anderen ausliefern und sich in ein dramatisches Geschehen hinein begeben, in dem unberechenbare Freiheiten einander begegnen. Dass das Bemühen darum, auch dieses Freiheitsgeschehen mit strategischer Überlegenheit zu versachlichen und damit zu einem berechen- und beherrschbaren Ding zu machen, häufig in sozial sehr explosive Situationen führt, ist uns wohl allen bekannt. Die Technisierung von Beziehungen - etwa mittels spieltheoretischer Taktik - potenziert lediglich das Misstrauen zwischen den Akteuren. Und diese Situation zwingt uns immer wieder in Dilemmata, (33) aus denen Lösungen entspringen, die für keinen der Beteiligten optimal sind. Einen Ausweg aus diesen Dilemmasituationen, die meist vor die Alternative „Ich oder Du“ stellen, bietet nur ein erster, einseitiger Schritt des Leistungs- und Gewinnverzichtes. Damit kann sich einer Interaktion möglicherweise eine völlig neue Dynamik eröffnen, in der Konkurrenz an Gewicht verliert und Kooperation bedeutsam wird. Spirituelles Vertrauen, das einseitige Verzichtsschritte ermöglicht, wird somit auch zur Quelle eines sehr realen, greifbaren Vertrauens zwischen Menschen und damit eines veränderten sozialen Klimas.
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Vertrauen bedeutet letztlich nicht, die Hände in den Schoß zu legen und auf bessere Zeiten zu warten. Es bedeutet “lediglich”, dass das benediktinische Prinzip ora et labora genau so versucht zu leben wird, wie es tradiert ist - an erster Stelle das orare (Beten im Sinne einer vielgestaltig möglichen Gottesbezogenheit), erst an zweiter das laborare (Arbeiten). Damit wird Arbeit in einen größeren Rahmen eingebettet, in dem sie nicht selbstzweckhaftes Tun werden muss, das unserer Selbstvergewisserung dient. Gerade dieser größere Rahmen ermöglicht es aber sich dem, was man tut, wirklich zu widmen, ohne in Gedanken schon drei Schritte voraus sein zu müssen, in Abwehr künftiger Unwägbarkeiten. Wer so zu leben vermag, ist, um nochmals Kierkegaard zu zitieren, “...im höchsten Sinne des Wortes gleichzeitig mit sich selbst!” (34) Arbeit wird dadurch in Beziehung zu dem gebracht, was mit dem leider völlig aus der Mode gekommenen Wort Muße bezeichnet wird. Muße kann unmöglich auf sorgendurchtränkten Böden wachsen, aber ist nicht gerade sie es, die uns den Blick weiten könnte für eine Welt, die größer ist, als das von uns selbst geschaffene System. Die Mühe der Arbeit wird in ihre Schranken gewiesen als Teilaspekt des Lebens, ja Arbeit selbst kann nach Muße zu schmecken beginnen, sobald sie aus der Pflicht zur Höchstleistung befreit ist. (35) Als der permanenten Sorge entkleidetes Tun im Rahmen eines Vertrauensraumes, im dem ich mich weiß, kann es nicht nur Arbeitsleid geben, sondern auch Arbeitsfreude und kann Arbeitsfreude mehr sein, als das Bewusstsein der Macht über jene Konkurrenten, die ich aus dem Feld geschlagen habe.
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Lasse Sie mich in diesem Sinne mit einem Zitat des böhmischen Schriftstellers Milan Kundera schließen, der in seinem Roman Die Langsamkeit eine Lanze für den Müßiggang bricht: “Wo sind sie, die Flaneure von einst? Wo sind sie, die faulen Burschen der Volkslieder, diese Vagabunden, die gemächlich von einer Mühle zur anderen zogen und unter freiem Himmel schliefen? Sind sie mit den Feldwegen, den Wiesen und den Lichtungen, mit der Natur verschwunden? Ein tschechisches Sprichwort beschreibt ihren süßen Müßiggang mit einer Metapher: Sie schauen dem lieben Gott ins Fenster. Wer dem lieben Gott ins Fenster schaut, langweilt sich nicht; er ist glücklich. In unserer Welt ist der Müßiggang zur Untätigkeit geworden, und das ist etwas ganz anderes: der Untätige ist frustriert, er langweilt sich, ist beständig auf der Suche nach der Bewegung, die ihm fehlt.
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Ich schaue in den Rückspiegel: immer noch derselbe Wagen, der mich wegen des Gegenverkehrs nicht überholen kann.” (36)
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Anmerkungen:
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1. Im Sinne wie er in H. Bergson, Schöpferische Entwicklung. Jena 1930 immer wieder angesprochen wird: als eine die gesamte Natur und den Menschen durchwirkende Triebkraft, die über den Status quo hinaus strebt.
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2. Vgl. die Darstellung in J.-J. Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. In: Ders., Kulturkritische und politische Schriften I (Hg. von Martin Fontius) Berlin 1989, 195-322.
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3. Johannes Paul II. Laborem exerzens (1981).
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4. Der Wettbewerb unseres Wirtschaftssystems beruht genau auf diesem Streben, und darauf, dass wir einander Wegweiser sind, wenn es darum geht, ihm eine Richtung zu geben. Dadurch werden wir einander zu bewunderten Vorbildern, ebenso aber zu Konkurrenten, ja zu erbitterten Gegnern. Dazu J. Grote/J. McGeeney, Manager –Klug wie die Schlangen? Wirtschaftsethik und Büropolitik. Thaur 2002, 43-61.
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5. H. Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 1981.
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6. Ebd. 117f.
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7. Ebd. 161.
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8. Ebd.234.
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9. Der amerikanische Ethiker Alasdair MacIntyre geht davon aus, dass sowohl Individuen, als auch Kollektive nur verstanden werden können (auch von sich selbst), wenn die “Geschichten” verstanden werden, die von ihnen erzählt werden. Daher gilt für ihn auch: “... ich kann die Frage ’Was soll ich tun?’ nur beantworten, wenn ich die vorgängige Frage beantworten kann: ‘Als Teil welcher Geschichte oder welcher Geschichten sehe ich mich?’”. A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Frankfurt a.M. 21984, 288.
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10. Vgl. J. Grote/J. McGeeney, Manager (s. Anm. 4) 139. Die Autoren nehmen dabei Bezug auf Aussagen eines Pastoralbriefes der US-Bischofskonferenz über Wirtschaftsfragen von 1986.
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11. So etwa nachzulesen im Sozialbericht, der von 14 österreichischen Kirchen 2001 erarbeitet wurde. Projekt Sozialwort. Phase: 02: Der Sozialbericht Erfahrung und Praxis sozialen Engagements. 62.
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12. In den österreichischen Kirchen liegt das Ehrenamt etwa zu zwei Dritteln in Frauenhand. Vgl. ebd. 65. Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass der Frauenanteil der Ehrenamtlichen im sozialen Bereich bei 94% liegt. Vgl. B. Rudolph, Mögliche Chancen und befürchtete Fallen der ‘Neuen Tätigkeitsgesellschaft’ für Frauen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 21/2001, 24-30, hier 27.
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13. Der um 480 n.Chr. Geborene Benedikt gründete 529 das Kloster Montecassino und prägte mit seiner Mönchsregel das gesamte abendländische Mönchtum.
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14. Vgl. Regula Benedicti & 57.
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15. Genau genommen heißt es bei Paulus in 2Thess 3,10: “Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.”
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16. Auch darauf hat Arendt schon hingewiesen. Vita activa (s. Anm.4) 13.
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17. “Im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt müssten sich die arbeitssparenden Effekte des technischen Fortschritts (...) So verstärken, dass sie seine arbeitschaffenden Effekte (über neue Produkte und Dienste) im Trend nachhaltig übertreffen. Davon kann jedoch bisher nirgendwo die Rede sein, ...” W. Klauder, Ende oder Wandel der Erwerbsarbeit. Die hausgemachte Arbeitslosigkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 21/2001, 3-7, hier 4.
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18. M. Buber, Das dialogische Prinzip. Kempten 71994, 64f. Wenn Buber darauf hin weist, dass das Es durchaus auch ein anderer Mensch sein kann, sofern ich ihn zum reinen Gegenstand mache, wäre heute wohl auch zu reflektieren, wie weit das in der gegenwärtigen bio-medizinischen Entwicklung geschieht.
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19. Vgl. ebd. 67.
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20. M. Scheler, Ethik und Kapitalismus. Zum Problem des kapitalistischen Geistes. Berlin 1999, 149f.
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21. Den Zeitaspekt des Geldes hat besonders H.-Ch. Binswanger herausgearbeitet, vgl. Geld und Magie. Deutung und Kritik der modernen Wirtschaft. Stuttgart 1985.
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22. Johannes Paul II., Sollicitudo rei socialis (1987) 37.
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23. Vgl. M. Scheler, Ethik und Kapitalismus. (s. Anm.19) 158.
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24. W. Benjamin, Über den Begriff der Geschichte. In: Ders. Gesammelte Schriften I.2 (Hg. Von R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser). Frankfurt a.M. 1974, 697.
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25. J.W.v. Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil. 11462-11466.
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26. Johannes Paul II. Evangelium Vitae (1995) 23.
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27. Einen in der Vergangenheit liegenden Teil dieser Geschichte rekonstruiert der Hebräerbrief des Neuen Testamentes unter dem Leitbegriff Glaube. Vgl. Hebr 11,1-12,3.
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28. Dieses Bewusstsein im Gegenüber zu einem Schöpfer betont selbst Jürgen Habermas in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Oktober 2001 als Grunddatum einer menschlichen Gesellschaft.
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29. S. Kierkegaard, Die Sorge der Heiden. In: Christliche Reden 1848. Werke 20, Düsseldorf 1959, 3-96.
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30. Ebd. 34.
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31. Ebd. 73.
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32. Vgl. M. Buber, Das dialogische Prinzip (s. Anm. 17) 32.
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33. Die in der Sozialwissenschaft und Ökonomie derzeit sehr beliebte Spieltheorie spricht vom Gefangenendilemma. Dieses besteht darin, dass Akteure unter der Voraussetzung, dass jeder seinen Nutzen maximieren will, jeder dem anderen grundsätzlich Misstraut und Möglichkeiten der Verständigung und des Austausches kaum oder gar nicht gegeben sind, wider besseres Wissen Handlungsoptionen wählen, die zu suboptimalen Lösungen für sie selbst, für das Kollektiv der handelnden Personen aber zu den schlechtestmöglichen Lösungen führen werden. Genau das ist die Situation konkurrenzzentrieten marktwirtschaftlichen Agierens. Vgl. etwa K. Homann/F. Blome-Drees, Wirtschafts- und Unternehmensethik. Göttingen 1992, 29-34.
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34. S. Kierkegaard, Die Sorge der Heiden (s. Anm. 28) 78.
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35. Moderne psychologie spricht von Flow-Erfahrungen, wenn Menschen völlig in ihre Tätigkeit versinken, von außen betrachtet geradezu abwesend, aber dennoch höchst präsent und leistungsfähig sind. Sofern damit kein Suchtverhalten beschrieben ist, trifft es wohl etwas von dem, was hier angesprochen werden soll.
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36. Milan Kundera, Die Langsamkeit. Wien 1995, 7f.
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