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Niewiadomski Jozef: Sündige Kirche in der gottverlassenen Welt
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Sündige Kirche in der gottverlassenen Welt
(Dramatische Kirchenerfahrung in Graham Greenes: „Die Kraft und die Herrlichkeit“)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Siebenrock, Roman; Sandler, Willibald (Hrsg.): Kirche als universales Zeichen. In memoriam Raymund Schwager SJ. Münster, Hamburg, Berlin, Wien, London, Zürich: LIT-Verlag (= Beiträge zur mimetischen Theorie 19) 2005, 265 - 282.
Datum:2007-01-11

Inhalt

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„Der Ring wird enger; mit dem Spürsinn der Hunde nahen Jäger und Tod von Stunde zu Stunde“. Mit diesem Motto (von John Dryden: 1631–1700) fängt eine der beeindruckendsten Schilderungen der „dramatischen Kirchenerfahrung“ in der modernen Literatur, der Roman: „Die Kraft und die Herrlichkeit“ von Graham Greene, an (1) . Natürlich errichtete der 1926 mit 22 Jahren zum Katholizismus konvertierte Schriftsteller mit seinem Roman zuerst ein Denkmal für die von der kommunistischen Revolution verfolgte mexikanische Kirche. Im Auftrag eines Verlages ist er ja 1938 nach Mexiko gefahren, um die dort stattfindende Religionsverfolgung zu beobachten und diese auch zum Thema eines Buches zu machen. In seinem 1939 veröffentlichten Tagebuch „Gesetzlose Straßen“ schrieb er auch über das „katholische Mexiko“ und den Antikatholizismus der herrschenden Klasse, „der Politiker und Pistoleros“. Diese führten damals den „Krieg um die Seele des Indianers“. So wurden zwischen 1931 und 1936 in Mexiko 480 katholische Kirchen geschlossen, der kirchliche Besitz wurde verstaatlicht, das Tragen priesterlicher Kleidung in der Öffentlichkeit verboten. In seinem Reisetagebuch hielt Greene fest: „Kein Priester hatte das Recht, eine Kirche zu betreten, alle Messen wurden heimlich in Privathäusern gelesen“. Der Autor selbst hatte dieses kirchliche Leben dort „hautnah“ erfahren, nahm er doch selber an Messen teil, „bei denen man aus Angst vor der Polizei die Sanctusglocke nicht zu läuten wagte“. (2)

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Doch ist „Die Kraft und die Herrlichkeit“ bei weitem mehr als eine literarische Erinnerung an diese Reise und ein Denkmal für eine verfolgte Kirche. Der Roman mag zwar auch als „eines der bedeutendsten Zeugnisse über den Konflikt zwischen Materialismus und Spiritualismus in die Literaturgeschichte eingehen“ (3) , seine theologisch brisanteste Problematik liegt aber woanders. Sie betrifft die theologische Beurteilung der Hauptfigur. Der durch den Roman weltberühmt gewordene „Schnapspriester“, dessen mexikanisches Vorbild in den „Gesetzlosen Straßen“ gerade noch mit einem Satz erwähnt wurde, wird von Greene als das paradigmatische Zeichen und Werkzeug der Präsenz göttlicher Gnade in der sündigen Welt präsentiert. Der Priester steht für die Ambivalenz der Katholischen Kirche, auf die der Konvertit Greene in diesem Roman ein ehrliches – weltweit damals auch verstandenes – Loblied singt. Er selber war ja genauso ambivalent: „katholisch und unmoralisch, er war Sünde und Beichte, er was als Dichter Himmel und Hölle in einem“ (4) . Seit seiner frühesten Kindheit faszinierte ihn die Frage, wie eine sündige Kirche in der sündigen Welt etwas anzeigen und auch bewirken kann. „Schon als Schuljunge wurde ich ungeduldig, wenn Touristen diese Skandalgeschichten von Priestern erzählten, denen sie in abgelegenen lateinamerikanischen und südeuropäischen Dörfern begegnet waren (der eine hatte eine Geliebte, ein anderer war ständig betrunken), denn ich wusste aus meinen protestantischen Geschichtsbüchern genau, an was die Katholiken glaubten. Selbst damals schon konnte ich zwischen dem Menschen und seinem Amt unterscheiden.“ (5) Diese – in der vorkonziliaren Theologie – so selbstverständliche Unterscheidung ist allerdings bei der Rekonstruktion jener Kirche, die sich im „Schnapspriester“ verdichtet, nur bedingt hilfreich. Zu stark greifen da die beiden Perspektiven ineinander, als dass man noch sauber unterscheiden könnte zwischen dem eindeutig „heiligen“ Amt des Priesters und dem Amtsträger, der zum Alkoholiker wurde, ein Kind zeugte, nach und nach sein religiös-spirituelles Leben aufgab und doch auf seine Art (wie übrigens Greene selber) ein katholisches Grundvertrauen behielt (6) . Die Kirche, die in der Person und im Geschick des „Schnapspriesters“ greifbar ist, wird in ihrer Zeichenhaftigkeit auch weniger von den traditionell sozialisierten „Frommen“, als vielmehr von einer Generation, der „die Sinnlosigkeit einer toll gewordenen Welt an die Kehle greift“ (7) , ergriffen. Kein Wunder, dass der Roman zum größten Erfolg des „weltberühmtesten Schriftstellers“ (8) geworden ist. Interessanterweise blieb eine theologische Auseinandersetzung mit der Figur des „Schnapspriesters“ und dem Problem der Zeichenhaftigkeit der in diesem Roman dargestellten „sündigen Kirche“ aus. Das von Raymund Schwager angezielte „dramatische Verständnis“ der Kirche und die von ihm für den vorliegenden Band angeregte Diskussion über die universale Zeichenhaftigkeit der Kirche in der Welt von heute legen eine Auseinandersetzung mit dem Roman geradezu zwingend nahe. Zum einen schon wegen der formalen Ähnlichkeit des durch das oben zitierte Motto angedeuteten hermeneutischen Rahmens für die Handlung des Romans mit jenem Rahmen, dem auch die „Dramatische Theologie“ verpflichtet bleibt (9) , zum anderen aber auch wegen der in der heutigen medialen Öffentlichkeit sich aufschaukelnden Skandal- und Anschuldigungsmentalität. Der gesellschaftskonstituierende Wert des Skandals avanciert ja zunehmend zu einem der zentralen kulturpolitischen Themen der Gegenwart (10) . Der Roman selber stellt aber ein gelungenes Gegengift gegen die – auch in den kirchlichen Kreisen gepflegte – Lust am Skandal; die Rekonstruktion der darin verdichteten Kirchenerfahrung im hermeneutischen Rahmen der „Dramatischen Theologie“ kann die moralisierende Sackgasse medialer und theologischer Diskussionen über die Zeichenhaftigkeit der Kirche sprengen. Auf diese oder jene Weise zielen diese doch auf ein sichtbares „Gutsein“, wenn gar nicht „Bessersein“ der Kirche ab, verfehlen damit auch jene Tiefe der Zeichenhaftigkeit, die die Dimension des „mysterium tremendum“ integriert und wandelt. Eine Kirche, die sich aber „selber ganz vom dramatischen Geschick des Leidensknechtes und Jesu Christi her versteht, und die selber Anteil hat an den verschiedenen Etappen seines Wirkens und Leidens und seiner Verherrlichung“ kann nur ein Zeichen mit dramatischen Konnotationen sein: „kein triumphalistisches Zeichen ..., sondern eines, das alles Dunkel der Geschichte in sich selber mitträgt.“ (11)

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1. Die sündigen Priester

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„Und was die Kirche anbelangt – sie besteht aus Padre José und dem Schnapspriester – andere kenne ich nicht.“ (33f.) Mit diesem Satz bringt ein kleiner Beamter im letzten Provinznest Mexikos die kirchliche Gegenwart auf den Begriff. Er selber schätzt sich zwar als schlechter Katholik ein, kann aber den Zeiten, „als es hier noch die Kirche gab“ etwas abgewinnen. So versucht er den Mehrwert der Kirche seiner heranwachsenden Tochter zu erklären. Kirche, das hat „Musik bedeutet, Lichter, einen Ort, wo man sich vor dieser Hitze retten konnte, und für deine Mutter, also es gab immer etwas für sie zu tun.“ (64) Während sich der Schnapspriester teilweise mit Wehmut an diese Zeit, in der kirchliche Vereine blühten, erinnert, provoziert schon die Erwähnung dieser Kirchlichkeit bei dem den Priester jagenden kommunistischen Leutnant das Gefühl des „physischen Ekels“ (238). Nun sind aufgrund der Kirchenverfolgung in der Provinz die meisten Priester entweder erschossen worden, oder sie sind geflohen. Geblieben sind bloß zwei. Einer davon versinnbildlicht den kommunistischen Machthabern die „beste Lösung“ des kirchlichen Problems: Mit einer staatlichen Pension abgesichert lebt Padre José mit seiner Haushälterin. Als einziger hat er sich dem staatlich verordneten Zwang zur Heirat unterworfen, ist damit „ein lebender Zeuge der Schwäche seines Glaubens“ und „ein Beweis für die Täuschung in all den Jahren“ (30). Nicht nur den Kommunisten ist er kein Dorn im Auge mehr. Auch jenen Menschen, die sich in ihrer Not an ihn wenden, kann er bloß zum Objekt der Verachtung werden. Nicht einmal „ein kurzes Gebet für eine Tote“ vermag er zu sprechen. Aus Angst, dass er verraten werden könnte, weigert er sich, irgendeine priesterliche Handlung zu vollziehen. „Du bist kein Priester mehr“, spricht ihm seine Frau zu, „du bist mein Mann. ... Das ist jetzt deine Pflicht.“ (252) Da gibt es aber für den „fetten, alten, impotenten“ Mann „nichts zu tun als sitzen und essen – viel zuviel essen; sie fütterte und mästete ihn und konservierte ihn wie ein Preisschwein.“ (36) In der Banalität des Alltags lebt der „Feigling“, nimmt aber lieber „Verachtung“ in Kauf, als dass er seine „Sicherheit“ aufs Spiel setzten würde (61). Und trotzdem kann er der „unverzeihlichen Sünde“ nicht entfliehen: der „Verzweiflung“ (62). Trotzdem steigt in ihm aber auch immer wieder ein geheimer Stolz auf, wenn er „wie ein Priester behandelt worden ist“ (61) und er stolz ist auf „die Gabe, die ihm niemand wegnehmen konnte ... die Macht, die er noch hatte, die Hostie in das Fleisch und Blut Gottes zu verwandeln“. Doch, was zuerst als ein Privileg erscheinen mag, bleibt ihm der eigentlichen Stolperstein, der „ihn noch verdammenswerter erscheinen ließ. ... Er war eine Gotteslästerung.“ (35) Kein Wunder, dass ihm sein eigenes Leben wie ein Martyrium erscheint. „Wie ein Schwein auf der Schlachtbank“ (36) sitzt er tagelang im Hof seines Hauses, dem Spott der Kinder preisgegeben.

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Auch der „Schnapspriester“ ist in seiner eigenen Einschätzung ein schlechter Priester. Und dies nicht nur deswegen, weil er im Suff die Namen der Täuflinge verwechselt und einen Knaben gar auf den Namen seiner eigenen Tochter Brigitta tauft (33), das von den Menschen für die Taufen kassierte Geld für den Schnaps ausgibt (209f.) und um Schnapst geradezu bettelt (47). „Die Bahn seines Lebens war eingerissen wie ein Damm. ... seine Vergehen entfielen dem Sinn und Geist; irgendwo häuften sie sich heimlich – die Trümmer seiner Verfehlungen.“ (77) Nach und nach stürzte er ab: gab zuerst die Feiertage und Fastentage auf, dann die Messe, das Breviergebet und vieles andere mehr. „Eine Schwäche folgte der anderen. Ich vernachlässigte meine Pflichten. Ich fing an zu trinken.“ (242) Schlussendlich unterschied sich sein Leben nicht mehr von dem der anderen. Seine Vergehen kirchendisziplinärer und liturgischer Art, als auch sein moralisches Versagen auf Schritt und Tritt sind ihm zur Alltagsroutine geworden. „Eines Tages würden sie vermutlich die Quelle der Gnade zur Gänze verstopfen. Bis dahin trug er sich weiter in Angst, Müdigkeit und mit einer verschämten Leichtigkeit des Herzens.“ (77) Die sündige Alltagsroutine ist ihm so selbstverständlich – und die „Sünde ... so gering“ geworden, dass er die Fähigkeit zu bereuen verloren hat (159), höchstens nur staunte „welch Sinn für Unschuld die Sünde begleitet“ (212). So lebte er im „Zustand der Selbstvergessenheit, ... wanderte nun durch eine Art Vorhölle, weil er nicht gut und nicht schlecht genug war“ (183). Trotzdem kennt auch er die „unverzeihliche Sünde“ der Verzweiflung (76), deswegen gießt er sich „den Schnaps hinunter wie Verdammnis“ (209). „Das Böse floß durch seine Adern wie Malaria“ (217) und er erlebte sich selber als „ein Verdammter, der den Namen Gottes den Menschen in den Mund legt“ (77). So bräuchte er nicht an die Hölle zu glauben, denn er „trug die Hölle in sich selbst“ (217). Er ist sich dessen bewusst, dass er der einzige Priester ist, den die Menschen in dieser Welt, „voll von Verrat, Gewalt und Wollust“ (121) je gekannt hatten und „nach ihm auch die gesamte Geistlichkeit“ beurteilen (84).

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Was hat das zu bedeuten im Kontext der Frage der Zeichenhaftigkeit der Kirche? Können die Spannungen, die sich aus diesem Sachverhalt ergeben durch die Unterscheidung zwischen Amt und Person gelöst werden? Wie soll denn die Person im Fall des „Schnapspriesters“ noch erkannt und auch genannt werden? Auffallenderweise nennt uns der Autor den Namen des Priesters im Roman nicht. Ironischerweise bezeichnet Greene gerade jenen Priester, der sein Amt aufgegeben hat mit seinem Eigennamen: Padre José. Hier – im Fall der Amtspreisgabe – soll die Unterscheidung zwischen Amt und Person greifen. Nicht aber im Fall des „Schnapspriesters“. Bei diesem Märtyrer und Priester, der nach der Wahrnehmung eines kleinen Mädchens „komisch gerochen“ hat (271), können das Amt und das Versagen nicht voneinander getrennt werden. (12) Nicht einmal bei dessen Erschießung, tut er sich doch selber seinen Mut und seinen Glauben vor der Exekution durch Gebet und durch Schnaps stärken (256f.) In der Handlung selbst stellt sich allerdings der zur Unkenntlichkeit entstellte Priester ein einziges Mal mit seinem eigenen Namen vor. Am Ende der Kräfte angelangt, sozusagen als Inbegriff des Opfers, dort, wo er vollkommen handlungsunfähig bleibt und wo auch „kein Grund vorhanden (war) weiterzuleben“, nennt er dem Mann, der das Gewehr auf ihn richtet, seinen Namen. Paradoxerweise wird er von diesem Mann gerettet. „ ‚Vater‘, sagte die Stimme, verwirrt und beunruhigt, ‚das ist unsere Kirche‘“ (196). Bis auf diese Ausnahme bleibt der Priester nur „Schnapspriester“. Als solcher ist er ein Zeichen und Werkzeug dafür, dass Gott diese Welt noch nicht verlassen hat. Er bleibt den Menschen ein Zeichen, „selbst wenn sein böses Beispiel sie verdarb“. „Wenn er sie verließ, war es, als würde Gott aufhören im Raum zwischen Meer und Gebirge.“ (82) In diesem Glauben trifft sich der Schnapspriester auch mit seinen Feinden, die eine Jagd auf ihn veranstalten. Wenn sie ihn töten, werde die Kirche aufhören zu existieren und eines Tages werden die Menschen „nicht mehr wissen, dass es je eine Kirche gab“ (69). Reicht aber die Tatsache der Verfolgung aus, um die Zeichenhaftigkeit des „Schnapspriesters“ zu erklären?

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2. Dem Netz des Jägers entronnen

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In seinem Roman: „Dem Netz des Jägers entronnen“ buchstabiert Schwager (13) die christologische Logik auf eine narrative Art und Weise. Der Schilderung „äußerer Ereignisse“ der sich immer enger schließenden Schlinge um das Opfer korrespondiert ein innerer Monolog Christi in dem dieser das äußere Geschehen deutet, damit auch stückweise verwandelt und ein Dialog Christi mit dem Vater, in dem Christus auch in seiner letzten Identität sichtbar wird. Auf diese Art und Weise werden die gewaltsame Zusammenrottung gegen Christus, das Versagen und die Sünde seiner Jüngerinnen und Jünger als innerer Bestandteil des ekklesialen Vorgangs dargestellt. Kirche entsteht nicht jenseits und auch nicht trotz des Versagens und des Verrates, sondern gerade durch diese hindurch. Deswegen stehen auch die Gegner Christi nicht außerhalb der Kirche, gerade durch ihr Tun, v.a. aber durch die integrierende Haltung Christi sind sie zumindest auf diese hin geordnet. Im Folgenden wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Spuren einer solchen dramatischen Kirchenerfahrung in der Handlung des Romans fokussieren.

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2.1 Dem Jäger in die Falle gegangen?

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Der Roman fängt an mit der Schilderung eines missglückten Fluchtversuchs. Der „Schnapspriester“ wartet auf die Abreise eines Schiffes, das ihn außer Landes bringen soll, indem er mit dem Zahnarzt des Ortes die letzte Flasche Schnaps austrinkt. Er wird aber an seiner Flucht durch einen Jungen gehindert. Dieser will den „Doktor“ zu seiner sterbenden Mutter bringen. Widerwillig fügt sich der Priester dem Geschick (18f.). Und dieses stellt geradezu den Inbegriff der Flucht dar. Allerdings einer Flucht vor dem Jäger! Der kommunistische Leutnant, vom grenzenlosen Hass auf die Kirche und einer menschenfeindlichen Utopie getragen, will nicht ruhen, bis er den letzten Priester vor das Gericht gebracht hat. „Sie sind eine Gefahr. Deshalb töten wir Sie“ (239), sagt er dem Priester unverblümt ins Gesicht nachdem er seiner habhaft geworden ist. Die Verachtung, die er der Kirche entgegenbringt scheint keine Grenzen zu kennen. Vordergründig vermag er auch etliche Gründe für seinen Hass vorzubringen; „‚Was haben Sie in Mexiko für uns getan? Haben Sie je einem Grundbesitzer gesagt, er soll seinen Peón nicht schlagen – ja, ich weiß, im Beichtstuhl vielleicht, und es ist Ihre Pflicht, es gleich zu vergessen, was? Sie besuchen ihn und speisen mit ihm, und es ist Ihre Pflicht, nicht zu wissen, dass er einen Bauern ermordet hat. Das alles ist vorüber. Er ist es in Ihrem Beichtstuhl losgeworden. ... Nun, auch wir haben unsere Ideen ... Schluß mit den Geldern für Gebete, Schluß mit den Geldern für Gebäude, um darin zu beten. Wir werden dem Volk statt dessen Nahrung geben, es lesen lehren, ihm Bücher geben. Wir werden schon zusehen, dass es nicht leidet.“ (240) Von der Utopie einer besseren Welt beflügelt, will er alles tun, damit das Leben der Kinder „niemals mehr“ das sei, was es für ihn war (272): „Für sie kämpfte er. Er würde aus ihrer Kindheit alles tilgen, was ihn unglücklich gemacht hatte, alles, was arm, abergläubisch und verdorben war. Sie verdienten nichts Geringeres als die Wahrheit“ (247). Doch was bedeutet diese Wahrheit? Auf jeden Fall machte es „ihn wütend, dass es noch Menschen im Staat gab, die an einen liebenden, gnadenreichen Gott glaubten. Es gibt Mystiker, von denen behauptet wird, sie hätten Gott erlebt. Er war auch ein Mystiker, und was er erlebt hatte, war Leere – die volle Gewissheit der Existenz einer sterbenden, sich langsam abquälenden Welt, mit menschlichen Wesen, die vom Tier abstammten, ohne Sinn und Zweck. Er wußte es.“ (29) Die Wahrheit, die er den Kindern zusichern wollte, erschöpfte sich in der Vorstellung eines „leeren Universums“. Die Kinder sollten das Recht haben, „auf ihre Weise glücklich zu sein. Er war entschieden bereit, für sie ein Blutbad anzurichten – erst die Kirche, dann die Ausländer, dann die Politiker, selbst sein eigener Chef würde eines Tages dran glauben müssen. Er wollte die Welt beginnen mit ihnen, in einer Wüste.“ (72) Auf seine Art stellt der selbstgerechte Leutnant ein Paradebeispiel für die scheinbar zwingende Kraft jener Logik der Ärgernisse und der Skandale dar, die die Gemeinschaften zuerst zersetzen und sie dann mit Hilfe der Sündenböcke wiederherstellen. (14) Nachdem ihm der von den Bauern geschützte Priester mehrmals entkommt, setzt er einen hohen Preis auf dessen Kopf. Mehr noch: er nimmt Geisel aus jedem Dorf und erschießt auch diese, wenn der Priester im betroffenen Dorf Schutz findet. Der Preis motiviert einen „Mestizen“, den Priester zu verraten. Zufällig getroffen, heftet sich der Verräter seinem Opfer an die Fersen, bis er es in die Falle lockt. Es gelingt ihm, den fast schon in die Freiheit entkommenen Schnapspriester in das Gebiet der Verfolgung zurückzubringen, indem er ihn zu einem sterbenden Banditen ruft. „Er liegt im Sterben, und Sie und ich, wir können das nicht auf unser Gewissen nehmen, was dieser Mann ...“ (220). Der Schnapspriester ist sich der Lage voll bewusst: „Warum soll ich meinen Kopf in deine Schlinge stecken?“ (221) Obwohl er voll davon überzeugt ist, dass er in eine Falle gerät, entscheidet er sich zur Rückkehr. Mit dieser bewusst getroffenen Entscheidung, den Gang zu einem Sterbenden zu wagen, damit auch die – wohl realistischste – Möglichkeit der Flucht auszuschlagen, wird der Rahmen des Romans geschlossen, fing doch die Handlung damit an, dass der Priester an seinem Fluchtversuch gehindert wird, weil er durch einem Jungen eigentlich gezwungen wird, zur sterbenden Mutter des Burschen zu gehen (18f.).

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2.2 Die noch größere Freiheit

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„Ich hätte nie geglaubt, daß sie zurückkommen würden.“ (235). Mit diesen Worten beginnt der kommunistische Leutnant eine lange Unterhaltung mit dem Schnapspriester an der Schwelle zu dessen Verhaftung. „Selbst ein Feigling hat so etwas wie Pflichtgefühl“ (235), antwortet ihm der Priester, deutet damit auch seine Entscheidung zur Rückkehr ins Verfolgungsgebiet, indem er klar das Missverständnis zurückweist, die Verhaftung würde bloß auf seine Unwissenheit, oder gar auf den bewussten Schritt in die Falle des Jägers – und zwar um des Sterbens willen – rückführbar. Niemals wollte er sterben. Im Gegenteil: „Es ist meine Pflicht, mich nicht fangen zu lassen.“ (50) Die Flucht vor dem „Martyrium“ bildete geradezu den Inbegriff seines Lebensinhalts in den letzen Jahren: „Er schämte sich des Schmerzes, den gewöhnlich Menschen freiwillig trugen. Sein Schmerz wurde ihm (immer) aufgezwungen“ (89). Die bevorstehende Verhaftung mag zwar den oberflächlichen Eindruck bestätigen, er sei den Verfolgern in die Falle gegangen. Die Logik seiner Entscheidung transformiert aber den Gang äußerer Ereignisse. In deren Licht wird klar, dass er dem Netz des Jägers entronnen ist. Kann er diese Logik auch kommunizieren?

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Schon der Hinweis auf die „Pflicht“, die er zu erfüllen hat, könnte eine solche Basis der Verständigung unter den Feinden schaffen. Auch der Leutnant kennt wohl die Pflichten, die ihn bis in den Tod begleiten sollen. So möchte er sein Herz für andere, vor allem für Kinder, sprechen lassen, wenn auch „aus der Mündung der Pistole“(247). Deswegen hasst er ja nicht nur die Kleriker, sondern auch die korrupten Kommunisten inklusive seines eigenen Chefs. Deswegen kann er kaum seine Verblüffung und dann auch aufsteigende Verachtung für den Schnapspriester verbergen, nachdem er erfährt, dass dieser ein Kind hat: „‚Sie haben also ein Kind?‘ ‚Ja‘, sagte der Priester. ‚Sie – ein Priester?‘ ‚Sie dürfen nicht glauben, dass alle sind wie ich. ... Es gibt gute und schlechte Priester. Es ist nur so, dass ich gerade ein schlechter Priester bin.‘ ‚Dann erweisen wir vielleicht Ihrer Kirche einen Dienst ...‘ ‚Ja.‘ Der Leutnant sah ihn scharf an, als fühlte er sich verspottet.“ (237) Noch verständnisloser wird der Leutnant, nachdem er das Ausmaß der Korruption beim Priester erkennt: „Lügner und Säufer“! „Ich bin doch den Kampf nicht wert“ (238) – sagt ihm der Priester ins Gesicht. „Es geht um Ihre Ideen“ – entgegnet der Leutnant. Zwischen dem selbstgerechten und von der Logik des Skandals gefangenen Jäger und dem Gejagten entwickelt sich eine theologische Auseinandersetzung um den Wert und die Zeichenhaftigkeit von Kirche und Partei in der zutiefst korrupten Welt. Der Priester kann auftrumpfen, weil er auf eine unbestrittene gemeinsame Basis zurückgreifen kann: „Es gibt eines, an das wir beide glauben – in hundert Jahren sind wir alle tot.“ (240). Das ist eine Tatsache! Für den Priester ist es auch freilich eine Tatsache, dass diese „Welt unglücklich ist, ob man reich ist oder arm – außer man ist ein Heiliger, und solche gibt es nicht viele.“ Mehr noch: es ist für ihn eine Tatsache, dass er selber kein Heiliger ist, nicht einmal tapfer. „Das ist auch ein Unterschied zwischen uns.“ (241) Die auf den ersten Blick sophistisch anmutenden Dialoge bekommen einen Sinn bei der entscheidenden – an den weltverbessernden kommunistischen Leutnant gerichteten – weltanschaulichen Frage: „‚Und was geschieht danach? Ich meine, wenn alle genug zu essen haben und die richtigen Bücher lesen können – die Bücher, die Sie sie lesen lassen?‘ ‚Nichts. Der Tod ist eine Tatsache. Wir können Tatsachen nicht ändern.‘“ (240).

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Ausgerechnet angesichts der von beiden Seiten unbestrittenen Tatsache des Todes bekommt die Frage der „Sündigkeit“ – ganz gleich, ob diese im katholischen oder im kommunistischen Gewand formuliert wird – einen fundamentalen Stellenwert. Der „Schnapspriester“ und der sich seines Pflichtgefühls bewusste „kommunistische Jäger“ scheinen nun durch ganze Welten getrennt zu sein. Der „Schnapspriester“ bringt dies auf den Begriff: „Das ist auch ein Unterschied zwischen uns. Es hat keinen Sinn, dieses Arbeiten für Ihr Ziel, wenn man selbst kein guter Mensch ist. Und es wird immer gute Menschen in Ihrer Partei geben.“ Doch, was macht man mit den Korrupten? Gerade angesichts der Sackgassen? „Dann werden Sie die alte Hungersnot wieder haben, die Prügel, die Geldjagd um jeden Preis.“ Das immer wieder anzurichtende Blutbad ist zwar eine Möglichkeit. Doch der Preis ist zu hoch. Demgegenüber scheint die kirchliche Lösung menschenfreundlicher zu sein: „‚Aber dass ich ein Feigling bin und – alles übrige – schadet eigentlich niemanden. Ich kann dennoch Gott dem Menschen in den Mund legen, und ich kann ihm Gottes Verzeihung geben. Selbst wenn jeder Priester in der Kirche wie ich wäre, würde sich daran nichts ändern.‘ ‚Das ist auch etwas, was ich nicht verstehe‘, sagte der Leutnant.“ (241) Die Frage nach dem Stellenwert der ambivalenten, korrupten, sündhaften Existenz wird somit zur differentia specifica bei der Unterscheidung zwischen der kommunistischen und kirchlichen Sammlung von Menschen und der Frage nach der universalen Zeichenhaftigkeit der Kirche. Dort, wo der Leutnant sein Herz nur noch „aus der Mündung der Pistole“ sprechen lassen und nur noch zerstören kann (247), wendet sich der „Schnapspriester“ den Opfern der Sünde, der Korruption und der Gewalt zu. Er tut dies allerdings nicht vom oben herab. Er ist kein „Heiliger“, schon gar nicht ein „guter Parteimitglied“, der zum Verfolger der anderen werden kann; vielmehr erlebt er sich als ein „Verbrecher in einer Verbrecherschar“ (160).

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Interessanterweise stellt ausgerechnet diese klare Unterscheidung zwischen dem Jäger und dem Gejagten nun doch jene gemeinsame kommunikative Basis her, die der Begriff der Pflicht nicht herzustellen vermochte. Der Jäger verliert seine Verachtung dem Priester gegenüber, sein Respekt vor seinem Opfer wächst und nach und nach wendet sich auch er – jener Täter, dessen Hass auf die Feinde feststeht und dessen Liebe auch „aus der Mündung der Pistole“ sprechen kann (247) – seinem Opfer auf eine andere Weise zu. Er interessiert sich für dessen Lebensgeschichte und bemüht sich, auch dessen Bedürfnisse wahrzunehmen, diese gar zu erfüllen. Durch dieses Tun falsifiziert er stückweise sein Glaubensbekenntnis. „‚Warum sind ausgerechnet Sie geblieben, als alle anderen wegliefen?‘ – fragt der Leutnant den Schnapspriester. Der Priester rekonstruiert nun das Geschehen auf eine Art und Weise, die zutiefst der kirchlichen Wirklichkeitsauffassung des Situiert-Seins und der Erbsündhaftigkeit entspricht. „‚Einmal‘, sagte der Priester, ‚habe ich mich selbst gefragt. Tatsächlich ist es nicht so, dass der Mensch plötzlich vor zwei Wegen steht, die er einschlagen kann: einem guten und einem schlechten. Er wird darin verwickelt.‘“ (241) Der „Schnapspriester“ hat sich also seine derzeitige Lebenssituation nicht bewusst ausgesucht. Zuerst verharmloste er das Geschehen: „Kirchen sind auch schon früher angezündet worden.“ (241) Und irgendwann ist ihm klar geworden, dass er „viele Meilen weit als einziger Priester übrig war“. Auf eine andere Art und Weise als sich dies der kommunistische Leutnant und auch der Verräter vorgestellt haben, scheint er in die Falle gegangen zu sein. (15) Die subjektiven Konsequenzen stellten sich bald ein: „Ich fing an zu trinken. Besser, ich wäre auch fortgegangen.“

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Warum ging er aber nicht? Weil das Pflichtgefühl ihn daran hinderte? Keineswegs! Die Erklärungen, die der Autor im Roman liefert, stellen den Höhepunkt theologischer Reflexionen über die Zeichenhaftigkeit sündhafter Existenzen in einer ambivalenten Welt dar. Es war nicht das Pflichtgefühl und auch nicht die Liebe zu Gott, die ihn an der Flucht hinderten, sondern der Hochmut. Weil er sich „für einen feinen Kerl gehalten“ hat, ist er geblieben, während die anderen sich gerettet haben. „Und dann habe ich mir eingebildet, ich wäre so großartig, dass ich mir meine eigenen Gesetze machen könnte.“ (242) Die Bilanz des Lebens in der Verfolgung klingt nun doch ganz ernüchternd: „Wäre ich fortgezogen, ich hätte Gott zwölfmal mehr geben können. Es ist falsch zu glauben, bloß weil eine Sache schwierig ist oder gefährlich ...‘ (243). Der „Schnapspriester“ sieht sein eigentliches Problem mit aller Klarheit. Es ist nicht so die Unkeuschheit und auch nicht der Alkohol. Es ist auch nicht die Tatsache, dass er in seinem Leben nach und nach abstürzte. Es ist sein Hochmut! (16) Weil er zu ehrgeizig war, ist er den Weg des Kompromisses nicht gegangen. „Vielleicht war Padre José der Bessere – er war in seiner Demut bereit, alles Gespött zu ertragen“ (118). Die Erkenntnis, dass er als einziger Priester im Staat übriggeblieben war, hat ihm in seiner Selbstüberschätzung zuerst bestärkt: Er sei ein „Teufelskerl, weil er Gott unter Lebensgefahr umhertrug; eines Tages würde er belohnt werden“ (119). Ohne es wohl selber zu wollen, stellt der „Schnapspriester“ nun über die Dimension des Hochmuts eine tiefe Gemeinsamkeit her zwischen ihm und dem pflichtbewussten, aber auf Ruhm bedachten Leutnant. Dieser hat ihn auch bestens berstanden: „Nun ... werden Sie ein Märtyrer sein. Sie haben wenigstens diese Befriedigung.‘ ‚O nein. Märtyrer sind nicht wie ich. Sie denken nicht immer nach – wenn ich mehr Schnaps getrunken hätte, würde ich mich nicht so fürchten.“ (243)

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Der langsam gewachsene Respekt vor dem Opfer bringt den Leutnant dazu, dass er der Bitte des Schnapspriesters nachkommt und sogar zweifach gegen das Gesetz handelt. Zum einen bemüht er sich, Padre José dazu zu bewegen, dem „Schnapspriester“ die Beichte abzunehmen (was dieser allerdings ablehnt), zum anderen hinterlässt er ihm für seine letzte Nacht eine Flasche Schnaps. Mit der Schnapsflasche in der Hand legt der Priester eine „Generalbeichte“ vor sich selber ab; es ist ihm versagt geblieben, vor einem anderen Priester sein Versagen zu beichten. Der Priester fängt konventionell an, indem er die Katechismusformeln wiederholt. „Die formelle Phrase bedeutete gar nichts; es war wie ein Satz in einer Zeitung; man konnte keine Reue fühlen bei solch einem Ausspruch“ (256). Mechanisch trinkt er während seiner „Beichte“ den ihm vom Leutnant geschenkten Schnaps und fängt an für andere zu beten. Seine Angst und das Gefühl des Umsonst auf der einen Seite und sein Gebet für andere auf der anderen Seite lassen den „Schnapspriester“ in seiner wahren Größe und geistiger Freiheit erscheinen. Der sich zuerst des Hochmuts bezichtigende Mann betet in seinen letzten Stunden für seine Tochter: „‚O Gott, hilf ihr. Verdamme mich, ich verdiene es, aber gib ihr das ewige Leben!‘ ... Seine ganze Furcht und der Wunsch zu retten konzentrierten sich ungerechterweise auf das eine Kind. Er begann zu weinen ... Er dachte: ‚So müßte ich immer für jeden Menschen fühlen‘, und er versuchte seine Gedanken auf den Mestizen zu richten, den Leutnant, selbst auf den Zahnarzt, bei dem er einmal einige Minuten verbracht hatte, auf das Kind auf der Bananenstation ... ‚Gott, hilf ihnen‘“ (256). (17)

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2.3 Der Verräter im Priester

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Das letzte Gebet des „Schnapspriesters“ bringt die entscheidenden Züge seines Lebens auf den Begriff. Im Unterschied zum kommunistischen Jäger kann der Gejagte selbst die Niederträchtigkeit des Mestizen, der zu seinem Verräter wurde, letztendlich akzeptieren. Mehr noch: er kann ihm seine Tat vergeben. Von der ersten Begegnung an, wusste er: „Vor ihm war Judas“ (114). Doch, was hatte das zu bedeuten? So wie der Priester am Ende seines Lebens die scheinbar unüberwindbare Grenze zu seinem Jäger überschreiten konnte, so tat er dies immer wieder aufs Neue bei den Begegnungen mit seinem Verräter. Er konnte dies tun, weil er in diesem zuerst den schwachen Menschen sah: „Dieser Judas war krank und unsicher und fürchtete sich im Dunkeln“ (123). Mehr noch! Im Unterschied zum Leutnant, dessen Leben in einer ausweglosen Sackgasse des Hasses auf die „bösen Menschen“ steckte, stand „im Mittelpunkt seines Glaubbens ... immer das zwingende Mysterium – dass wir im Ebenbild Gottes geschaffen sind“. Die dogmatische Klarheit des Bekenntnisses entrückt den „Schnapspriester“ nicht aus der unerträglichen Alltagssituation in einen vertröstenden Himmel, sie holt ihn immer wieder auf den Boden der Wirklichkeit, weil sie die Tatsache des Verstricktseins im Bösen vor Augen führt. Der auf den Verrat hin arbeitende Mestize und der von ihm verratene Priester spielen im Grunde ein und dieselbe Rolle in der Geschichte der Sünde: „Gottes Ebenbild schwankte nun hin und her auf des Esels Rücken, mit gelben Zähnen, die über die Unterlippe ragten, und Gottes Ebenbild vollstreckte seinen verzweifelten Akt der Auflehnung in der Hütte mit Maria, mitten unter den Ratten.“ (126) So bringt gerade die Erkenntnis einer tiefen Gemeinsamkeit in der Sünde und der Glaube an die allen Menschen zukommende Erlösung den Priester dazu, seinen Verräter nicht zu verachten und auch nicht zu hassen, sondern eigentlich schon von Anfang an für diesen zu beten. „‚Gott, vergib mir.‘ Christus war auch für diesen hier gestorben; wie durfte er, der Hochmütige, Unkeusche, Feige sich anmaßen, dieses Todes würdiger zu sein als der Mestize hier? Dieses Mann wollte ihn für Geld verraten, das er brauchte, während er selbst Gott verraten hatte – wofür? Nicht einmal für wirkliche Lust.“ (123) Das letzte Gespräch zwischen den beiden ist einerseits durch klare Ironie, andererseits durch eine genauso klare Geste der Vergebung geprägt. Der Verräter möchte eine Geste des Segens vom Priester erzwingen. Ironisch gibt dieser zu bedenken, dass man den Segen nicht verkaufen kann, dieser damit dem „Judas“ nicht allzu viel nützt. Doch dann, sagt er dem Mestizen: „‚Geh lieber nach Hause und bete. Und wenn Er dir die hohe Gnade erweist, dass du Reue fühlen kannst, verschenke das Geld‘ ... ‚Ich werde für dich beten‘ ... ‚Und ich werde für Sie beten, Vater‘ verkündete der Mestize entgegenkommend. ... Der Priester winkte; er grollte ihm nicht; denn er erwartete nichts anderes von menschlichen Wesen“ (244). (18)

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3. Vom kirchlichen Netz umfangen

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Dem Netz des Verfolgers korrespondiert im Roman das kirchliche Netz. Der „Schnapspriester“ bleibt eingebunden in eine Vielfalt von Beziehungen. In der früheren Zeit war dies das Netz der Vereine. „Er hatte sich vorgestellt, als Priester würde er reich und stolz sein – das, hatte er geglaubt, bedeutete es, eine Berufung zu haben.“ (85) Noch beim Festessen zum zehnjährigen Tag seiner Priesterweihe, als er in der Mitte der Tafel sass und zwölf Gänge serviert wurden, wusste er sich mit seinem Ehrgeiz am rechten Platz (116f). Die Situation der Verfolgung hat das alte Leben von ihm abgestreift: dieses „fiel ab, wie ein Etikett“ (118). Der einst ehrgeizige Priester lag nun „in zerrissenen Peón-Hosen in einer finsteren und ungelüfteten Hütte, und auf sein Kopf war ein Preis ausgesetzt. Die ganze Welt hatte sich verändert – keine Kirche weit und breit; kein Amtsbruder außer Padre José, dem Verdammten in der Hauptstadt.“ (118) Er ist aber nicht allein. Vielmehr hat er das Gefühl, in die „Rolle der Könige eines westafrikanischen Stammes“ geschlüpft zu sein, die zu Sklaven ihres Volkes werden: Er darf sich „nicht zur Ruhe legen“, weil dann „die Winde ausbleiben“ (22). Als Sündenbock seines Volkes verdichtet er geradezu dessen Elend. So paradox es klingen mag, an seinem Elend schienen sich die Bauern zu trösten.“Es war wie bei einem Stierkampf. Das Tier war müde, und sie warteten auf den nächsten Stoß. Sie waren nicht hartherzig; sie genossen nur den seltenen Anblick eines, der noch elender dran war als sie. Er hinkte zur Hütte.“ (54)

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Durch die Entscheidung des Leutnants, aus jedem Dorf eine „Geisel“ zu nehmen und die Drohung, diese auch zu erschießen, wenn das Dorf den etwaigen Aufenthalt des Schnapspriesters nicht anzeigt, bekommen die Beziehungen zwischen den Dorfbewohnern und dem Priester die Konnotation des Fluches (70, 80). „Er war jetzt eine Seuche“ (82). In der scheinbar gottverlassenen Welt bringt diese Gewaltmaßnahme aber nur die Verstärkung der Bindungen. Bei den Razzien wird seine Anwesenheit bewusst ignoriert, um auch nicht den geringsten Anlass für den Verrat zu geben. „Keiner sah den Priester an. Sie stierten auf den Boden und warteten.“ (93) Der Leutnant sagte: „‚Ihr müßt nicht einmal sprechen, wenn er hier unter euch ist. Schaut alle auf ihn. Dann wird keiner wissen, welcher von euch ihn verraten hat. Er wird es auch nicht wissen, falls ihr euch vor seinem Fluch fürchtet‘. ... Der Priester blickte zu Boden – er wollte dem Mann nicht schwermachen, den ihn verraten würde. ... Die Dorfleute stierten noch immer zu Boden.“ (97) Als Schnapsschmuggler irrtümlicherweise ins Gefängnis gesperrt, trifft er bei der Reinigung der Latrinen die Geiseln, die für ihn genommen wurden. Sie blicken zu Boden. So betet er schweigend: „O Gott, schick ihnen doch einen, der es wert ist, dass sie für ihn leiden. Es schien ihm ein grässlicher Hohn, dass sie sich für einen Schnapspriester, der einen Bastard hatte, opfern sollten.“ (168)

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Er hat gerade die Nacht in der Gefängniszelle hinter sich. Auf engstem Raum mit vielen Menschen zusammengepfercht „tastete (er) mit dem Fuß umher, suchte genügend Platz, um sich zu setzen, aber es schien nirgend ein Fleck frei“ (152). Die Zelle wird im Roman zum Symbol einer gottverlassenen Welt und der Priester in ihr – so paradox es klingen mag – doch zum Zeichen seiner Gegenwart. Mit Gewalt wird er in die Zelle hineingestoßen, fühlt zuerst die sich um ihn ausbreitende Feindschaft, kann weder mit der Zigaretten, noch mit Essen und Trinken auftrumpfen. Im Gegenteil: Er selber ist durstig und kann kaum atmen. Und doch schläft ein Greis, der nur einen Satz sprechen kann: „die Priester sind an allem schuld“ (154) auf seiner Schulter ein. Herausgefordert durch Gesprächsfetzen der Mitgefangenen bekennt er, dass er Priester ist. „Eine unsinnige Liebe für die Gefangenen erfüllte ihn“ (158). Konfrontiert mit einer „Frömmlerin“, die sich selber für besser als die Masse der Mitgefangenen hält und ihn gleich zum Märtyrer stilisieren möchte, weist er auf seine Versagen hin: „Ich sage euch, ich bin ein Todsünder. Ich habe Dinge getan, über die ich mit euch nicht sprechen könnte. Ich könnte sie nur im Beichtstuhl flüstern.“ (157). Und er spürt die tiefste Solidarität mit ihnen: „Er war nur ein Verbrecher in einer Verbrecherschar ... aber er spürte ein Einverständnis, das er nicht gekannt hatte, in den alten Zeiten, als fromme Leute auf ihn zukamen, um ihn den schwarzen Wollhandschuh zu küssen.“ (160) (19) Es ist aber immer noch die skandalisierte „Frömmlerin“ dort. Und sie provoziert eine Auseinandersetzung über diese Art der Präsenz Gottes in der gottverlassenen Welt. Sie möchte beichten und sie möchte auch leiden. Und dies, obwohl sie morgen durch ihre Schwester aus dieser Situation freigekauft wird. Der Priester spricht vom Vertrauen auf Gott und seiner Nachsicht. Als plötzlich Lustschreie aus der Zelle zu hören sind, zeigt sich die Frau übermassen skandalisiert: „Die Frömmlerin sagte laut und voll Geifer: ‚Diese Bestien, dieses Tiere‘“. Der Priester hält ihr ihre Selbstgerechtigkeit vor, zeigt den Unterschied zwischen einem „Heiligen“ und den Menschen wie sie und er selber auf und spricht zuerst von Schönheit. „Das ist schön, in der Ecke drüben – für jene. Es braucht viel Weisheit, um die Dinge mit den Augen eines Heiligen zu sehen; ein Heiliger erwirbt einen feinen Geschmack für Schönheit, er darf auf so arme, unwissende Gaumen wie die ihren herabsehen. Aber wir dürfen das nicht.“ Es sei aber eine Todsünde, entgegnet die Frömmlerin. „‚Wir wissen es nicht. Mag sein. Aber ich bin ein schlechter Priester, wissen Sie. ... Wir sind alle Mitgefangene. Ich zum Beispiel möchte sofort etwas trinken, lieber als sonst etwas, lieber als Gott sehen. Das ist auch eine Sünde.‘ ‚Jetzt‘, sagte die Frau, ‚sehe ich, dass Sie ein schlechter Priester sind.‘“ Aufgebracht über den „schlechten Priester“ droht sie ihm mit einer Anzeige. Ausgerechnet die „Frömmlerin“ gesellt sich also zur Meute der Jäger, ist bereit zur Komplizin des Leutnants und des Mestizen zu werden. Der Priester will aber ihr Denken entschuldigen: „Sie begreift die Umwälzungen nicht“. Doch für sich selber muss er eingestehen: „Für sie Mitleid zu empfinden war schwieriger als für den Mestizen. ... Für jenen gab es so viele Entschuldigungen – Armut, Fieber und zahllosen Demütigungen. Wenn man einen Menschen bis in die Seele prüfte, fühlte man immer Mitleid ... das war eine Eigenschaft, die Gottes Ebenbild in sich hatte. ... Er fühlte eine überwältigende Verantwortung für diese fromme Frau.“ (163)

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Der Nacht in der überfüllten Zelle korrespondiert die Nacht in der Zelle vor der Erschießung des Priesters. Scheinbar allein ist er doch dort zusammen mit all jenen Menschen, die für ihn gestorben sind. „Er sah die kalten Gesichter der Heiligen, die ihn verstießen.“ (257) Mit den Urteilen über das Umsonst seines Lebens, über die wertlosen Jahre und die „Karikatur des Gottesdienstes“, den er repräsentierte, schläft der Priester ein und träumt einen Traum. Er sitzt vor einem Kaffetisch vor dem Hochaltar der Kathedrale. Während ein Priester die Messe zelebriert, ohne den „Schnapspriester“ zu beachten, isst dieser aus sechs Tellern. Scheinbar sind es zwei verschiedene Welten: die Welt der Kathedrale und der Messe und die Welt des Priesters, der bloß seinen Hunger stillen darf. Und doch wird die Versöhnung beider Welten angezeigt. Man wird an die Worte des psalms 23,5 denken müssen: „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde ... und fühlst mir reichlich den Becher“ angesichts dessen, was sich in der Kathedrale ereignet. Der von niemandem beachtete Priester glaubt schon, der Erlöser wäre „für andere, aber nicht für ihn gestorben“, als sich das Glas neben seinem Teller mit Wein füllt. Das Kind aus der Bananenstation, das ihm einmal auf der Flucht ein Bier zu seinem Versteck brachte, schenkt ihm den Wein ein. Mehr noch. Es erinnert an den damals vereinbarten Morse-Code: „Drei lange Schläge und einmal kurz“. Kaum hat das Kind das Zeichen erwähnt, fängt der Priester am Altar der Kathedrale zu klopfen an und „eine ganze unsichtbare Gemeinde klopfte die Kirchenschiffe entlang“ (258f.) (20) Mit diesen „Nachrichten“ wird die Integration des Schnapspriesters in den Raum der traditionellen Kirchlichkeit angedeutet, die von ihm gelebte Zeichenhaftigkeit als ekklesiale Zeichenhaftigkeit gewürdigt. Auf dem Weg zur Exekution fühlte er zwar „nur grenzenlose Enttäuschung, weil er mit leeren Händen vor Gott treten sollte, weil er so gar nichts geleistet hatte“ (260). Die letzten Worte des Romans deuten aber die Frucht dieses seines Lebens an. Ausgerechnet bei der Familie jenes Mannes, der nur die zwei schlechten Priester gekannt hat und dessen Frau ihren Kindern die Geschichten der „guten“ Märtyrer vorliest, klopft am Ende des Romans ein Fremder an die Tür. Der bis dahin von den Martyriumsgeschichten gelangweilte, heranwachsende Junge, der bisher für den Leutnant und dessen Waffe schwärmte, öffnet dem Fremden die Tür: „‚Ich bin ein Priester.‘ ‚Sie?‘ rief der Junge aus. ‚Ja‘, sagte er leise.‘Ich heiße Vater.‘ Aber der Junge hatte schon die Tür weit aufgerissen und legte die Lippen auf die Hand des anderen, eher dieser sich einen Namen geben konnte.“ (274). Die Hoffnung des kommunistischen Leutnants hat sich nicht erfüllt und kann sich auch nicht erfüllen. Er meinte, wenn er den „Schnapspriester“ tötet, werde die Kirche aufhören zu existieren und eines Tages werden die Menschen „nicht mehr wissen, dass es je eine Kirche gab“ (69). Weil er seine Hoffnung letztendlich aus der Skandalisierung über das menschliche Verhalten ableitet, stürzt diese Hoffnung wie alle Ärgernisse und Skandale dieser Welt in sich zusammen. Die Kirche verdankt sich einer anderen Logik; sie schöpft ihre Lebensenergie nicht aus der Lust am Scheitern und Skandal. Sie weiß sich getragen vom Gott, dem „Liebhaber des Lebens“. Deswegen kann sie mit der Erfahrung der Schuld leben. So wird sie wohl auch solange existieren solange es Menschen gibt. Dafür bürgen die Menschen mit ihrer Schulderfahrung, vor allem aber Gott selber mit seiner Gnade.

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Anmerkungen:

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1. G. Greene, The Power and the Glory (1940); dt.: Die Kraft und die Herrlichkeit. Wien 1951; München 2002 (die Seitenzahlangaben im Text beziehen sich auf diese Ausgabe).

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2. Zur biographischen Einführung im Allgemeinen und zu den „mexikanischen Erfahrungen“ im Besonderen vgl. U. Greiwe, Graham Greene und der Reichtum des Lebens. München 2004, v.a. 158–166.

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3. Mario Vargas Llosa, zit. nach Greiwe (s. Anm. 2) 112.

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4. So das Urteil von Greiwe (s. Anm.2) 8f.

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5. Greene zit. nach Greiwe (s. Anm. 2) 159.

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6. Es wird immer wieder behauptet, dass der Vatikan den Roman auf den Index der verbotenen Büchern setzte, was nicht den Tatsachen entspricht; Greene wurde aber 14 Jahre nach der Erscheinung aufgefordert, den Roman zu „revidieren“, die Sache verlief dann allerdings im Sand vgl. http://members.tripod.com/~Gree neland/power.htm. Mehrere Vertreter der kirchlichen Hierarchie waren aber darüber verwundert, dass ein Christ „gleichzeitig ein zweispaltiges Wesen sein und doch Frieden haben kann“ (so M. Moré zit. nach Greiwe 23f.); 1957 wurde der Schüler Peter Handke aus dem katholischen Internat im kärntischen Tanzenberg verjagt, weil er heimlich den Roman gelesen hatte (W. Winkler, Eis in der Brust. In: Weltwoche Ausgabe: 30/05 in: http://www.weltwoche.ch/).

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7. So das Urteil von F. Mauriac zit. nach Greiwe (s. Anm. 2) 161. Gut katholisch sozialisiert, allerdings meine Jugend in einem kommunistischen Internat verbringend, las ich mit 16 Jahren den Roman zum ersten Mal und wurde durch dessen Theologie in meiner Entscheidung, Priester zu werden (gerade angesichts der Diffamierungsstrategie, die die Kommunisten damals gegen die Priester in Polen führten) radikal bestärkt.

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8. So urteilte 1991 nach dem Tod des Schriftstellers die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (nach Greiwe – s. Anm. 2 – 7).

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9. Die dramatische Hermeneutik richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Offenlegung und Überwindung des Sündenbockmechanismus in der biblischen Tradition und die damit sichtbar gewordenen Opfern von Verfolgung. Vgl. R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre. Innsbruck: Tyrolia 1990.

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10. Vgl. J. Niewiadomski, Die Lust am Scheitern. Vom gnadenlosen Umgang mit dem menschlichen Versagen und Scheitern. In: ThPQ 153 (2005) Heft 4. Zur Bedeutung des Skandals für den Zerfall und die Neukonstituierung von Kulturen vgl. R. Girard, Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. München: Hanser 2002.

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11. R. Schwager, Kirche als universales Zeichen, hier: 3.2.

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12. Zu den Konturen einer dramatischen Amtstheologie vgl. J. Niewiadomski, Herbergsuche. Auf dem Weg zu einer christlichen Identität in der modernen Kultur. Münster: LIT 1999, 133-147.

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13. R. Schwager, Dem Netz des Jägers entronnen. Der Jesusroman nacherzählt von Raymund Schwager. München: Kösel 1991.

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14. René Girard, Ich sah den Satan (Anm. 10) bringt diese Art von Skandallogik mit den biblischen Kategorien des Satans, des Fürsten dieser Welt und der Mächte und Gewalten in Verbindung. Zu den gesellschaftspolitischen Konnotationen dieser Logik vgl. W. Palaver, Vom Nutzen und Schaden der Feindschaft: Die mythischen Quellen des Politischen, in: Feindschaft. Hrsg. Von M. Brehl und K. Platt. München: Wilhelm Fink Verlag, 2003, 71-92.

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15. Zur Frage der vermeintlichen Autonomie des menschlichen Handelns und des „Gehandeltseins“ vgl. R. Schwager, Geschichtsphilosophie und Erlösungslehre. In: ZKTh 102 (1980) 14-23.

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16. Zu den unterschiedlichen Nuancen der Erfahrung der Sünde, zu den Fragen des Selbstgerichtes und zum Zusammenhang zwischen Erbsünde und persönlicher Sünde im hermeneutischen Rahmen der Dramatischen Theologie vgl. N. Wandinger, Die Sündenlehre als Schlüssel zum Menschen. Impulse K. Rahners und R. Schwagers zu einer Heuristik theologischer Anthropologie. Münster: LIT 2003, v.a. 202-245; 306-318.

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17. Vgl. Die Sterbeszene Jesu bei Schwager, Dem Netz des Jägers entronnen (s. Anm. 13), 155: „Er betete für seine Feinde: ‚Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!‘ Das Böse, zu dem die namenlosen Gestalten die Güte seines Vaters verdreht hatten, wollte er nochmals in Liebe verwandeln. Plötzlich sah er seinen Jünger Judas vor sich. Auch er hing an einem Baum und wand sich in Not und Verzweiflung. Jesus nahm, ihn in seiner eigener Not ganz zu sich und viele, die in ähnlicher Verwirrung mit dem Tod rangen, schienen ihm zu folgen. ... Dabei strömte das Ganze Grauen der Gottlosigkeit in ihn ein. Er sank in die Tiefe, in eine grundlose Tiefe. ... Nur noch ein Raum war da, ohne Richtung und Ziel, ein Ort namenslosen Grauens und quallvoller Angst, eine Welt ewiger Hoffnungslosigkeit. ... Dann ließ er sich in die Hände dessen fallen, von dem er sich ganz verlassen erfuhr.“

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18. Die Grundzüge seiner Anthropologie bringt Greene auf eine Kurzformel in seinem Roman: „Das Herz aller Dinge“: „Während Scobie seinen Wagen zur Seite riss, um einem toten Hund auszuweichen, fragte er sich: Warum bin ich so gern hier? Vielleicht deshalb, weil die menschliche Natur hier keine Zeit gehabt hat, sich zu tarnen? Niemand konnte hier von einem Himmel auf Erden reden. Der Himmel blieb unverrückbar an seinem angestammten Platz jenseits des Todes, und auf dieser Seite gedieh das Unrecht, die Grausamkeit, die Gemeinheit, die anderswo die Menschen so geschickt verbargen. Hier konnte man seine Mitmenschen beinahe so lieben, wie Gott die Menschen liebte: Man wusste hier um das Schlimmste. Man liebte nicht eine Pose, nicht ein hübsches Kleid, nicht eine Gefühlsäußerung, die täuschend zur Schau getragen wurde.“. Zit. nach Greiwe (Anm 2) 171.

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19. Die Szene bietet eine sehr gute literarische Versinnbildlichung dessen, was Guggenberger im Anschluss an Bonhoeffer und Barth begrifflich zu erarbeiten sucht, wenn er „von Schuldbekenntnis ohne Seitenblicke“ redet. Vgl. W. Guggenberger, Was für ein Zeichen?! Die real existierende Kirche und ihr Dienst an der Einheit. In diesem Band Kap. 2. 

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20. Man kann in der Gestalt des „Schnapspriesters“ einige Züge der begnadeten Gestalten von Dostojewskij sehen und Analogien zu Starez Sossijma entdecken, der den Sünder in seiner Sünde liebt, weil dies die Liebe ist, mit der Gott den Menschen liebt. Mit dem Traum vom himmlischen Hochzeitsmahl zu Kana wird dem Aljoscha angedeutet, dass die Haltung des Sossijma als kirchliche Haltung im besten Sinn des Wortes zu bewerten sei. Zu Dostojewskij vgl. P. Steinmair-Pösel, St. Huber, Vom Kirchentraum zum kirchlichen Gnadenraum. Mosaiksteine zu einem dramatischen Verständnis jenseits von Machbarkeitswahn und Resignation. In diesem Band v.a. Kap. 4. 

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