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Scharer Matthias: Nachruf Ruth C. Cohn
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Nachruf Ruth C. Cohn

Autor:Scharer Matthias
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-02-02

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Zu wissen, dass wir zählen
mit unserem Leben
mit unserem Lieben
gegen die Kälte
für mich, für Dich, für unsere Welt

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(Ruth C. Cohn)

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Am 30. Jänner 2010 ist Ruth C. Cohn in Düsseldorf verstorben. Wir beziehen uns in der Kommunikativen Theologie auf ihren Ansatz der Themenzentrierten Interaktion (TZI). Im Universitätslehrgang Kommunikative Theologie, in der LehrerInnenausbildung an der Universität Innsbruck und speziell am Institut für Praktische Theologie wird seit Jahren die TZI praktiziert. In zahlreichen Publikationen aus dem Bereich der Kommunikativen Theologie und in einem Forschungsprojekt wurde und wird der Ansatz Ruth Cohns kritisch rezipiert und in die Theologie hinein ausdifferenziert.

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Ruth C. Cohn wurde 1912 als Kind einer deutsch-jüdischen Familie in Berlin geboren. Sie wollte zunächst Lyrikerin werden, studierte dann aber Nationalökonomie und Psychologie. Nach beklemmenden Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus floh sie bereits 1933 nach Zürich: „Das Grauen der Zeit erlebte ich sehr tief. Dass ich in Zürich leben konnte, erschien mir als ein seltsam schicksalhaftes Geschenk“ (Farau/Cohn, 1984, 213). Bis 1941 studierte Ruth Cohn in Zürich Psychologie und zusätzlich Pädagogik, Theologie, Literatur und Philosophie. Sie wurde in dieser Zeit bei der berühmten Schweizer Gesellschaft für Psychoanalyse als Psychoanalytikerin ausgebildet. Auf die (falsche) Nachricht hin, dass die Nazis die Schweizer Grenze überschritten hätten, emigrierte sie mit ihrem Mann, der auch jüdisch war, und ihrem Kind in die USA: „Wir fuhren in plombierten Eisenbahnwagen durch das unbesetzte Frankreich und erreichten nach einer Odyssee […] in Lissabon eines der letzten Schiffe, das nach Ausbruch des Krieges den Ozean überquerte“ (Farau/Cohn, 1984, 217).

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Als Nichtärztin erhielt sie zunächst vom New York Psychoanalytic Institute keine Arbeitserlaubnis. So kam sie als Psychologin mit Erziehung und Bildung in Berührung, behielt gleichzeitig aber auch ihr kritisches gesellschaftliches Bewusstsein aufrecht, dass sich die Gewalt des Holocaust nicht wiederholen dürfe und Ausbeutungsmechanismen aufgedeckt werden müssten: „Wir brauchen eine therapeutische Pädagogik und gerechtere ökonomische Verhältnisse“ (Farau/Cohn, 1984, 230). In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine persönliche Begegnung mit Ruth auf einer Konferenz der DozentInnen des R. Cohn Instituts. Wir diskutierten darüber wie TZI „marktgerecht“ werden könnte. Ruth hörte längere Zeit zu; man konnte sehen, wie das Thema ihrer persönlichen Einstellung widerstrebte. Plötzlich mischte sie sich ein und veränderte in einer genialen Weise das Thema: „Mir ging es nie darum, wie TZI marktgerecht wird, mir geht es darum wie der Markt gerecht wird.“

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In den USA wurde Ruth Cohn eine der wichtigsten Vertreterinnen der Humanistischen Psychologie. Sie arbeitete u. a. eng mit Fritz Perls und Jacob L. Moreno, C. Rogers, Virginia Satir zusammen. In einem Traum entdeckte sie ihr Arbeitsprinzip, das sie seit längerem entwickelt hatte: „Eines Nachts […] träumte ich von einer gleichseitigen Pyramide. Im Aufwachen wurde mir sofort klar, dass ich die Grundlage meiner Arbeit ‚erträumt‘ hatte. Die gleichseitige Traumpyramide bedeutet mir: Vier Punkte bestimmen meine Gruppenarbeit. Sie sind alle vier miteinander verbunden und gleich wichtig. Diese Punkte sind:

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  • die Person, die sich selbst, den anderen und dem Thema zuwendet (= Ich);
  • die Gruppenmitglieder, die durch die Zuwendung zum Thema und ihre Interaktion zur Gruppe werden (=Wir);
  • das Thema, die von der Gruppe behandelte Aufgabe (=Es);
  • das Umfeld, das die Gruppe beeinflusst und von ihr beeinflusst wird – also die Umgebung im nächsten und weitesten Sinn (= der Globe) (Farau/Cohn, 1984, 343).
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Ihre erste Rückkehr nach Europa führte R. Cohn 1968 nach Wien, wo sie zum Vierten Internationalen Psychotherapiekongress eingeladen war. Nur zögernd kehrte sie in den deutschsprachigen Raum zurück. Schließlich übersiedelte sie aber 1974 an die Ecole d‘ Humanité in Goldern am Hasliberg im Berner Oberland. 1979 erhielt Ruth Cohn die Ehrendoktorwürde der Universität Hannover, 1994 die von Bern. „Seit den 1980er Jahren beschäftigten Ruth Cohn zunehmend gesellschaftliche Probleme. Ökologische und politische Bedrohungen richteten ihren Blick auf den Globe“ (H. Greving, Ruth C. Cohn, in: HTZI, 2009, 23). Die Ausrichtung R. Cohns auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen konnte ich in den Begegnungen mit ihr immer wieder auch persönlich erleben.

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Bei meinem letzten Besuch bei Ruth, vor ungefähr einem Jahr, war sie nicht mehr am Hasliberg sondern bereits einige Jahre bei ihrer Freundin Helga Hermanns in Dortmund, die sie mit großer Hingabe pflegte. Ruth war an den Rollstuhl gefesselt und erkannte Menschen, die ihr früher bekannt waren, nur für kurze Augenblicke. Die Bilder von der Nazibedrohung kamen aber wieder näher an sie heran.

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Nun ist sie in das Licht und in den Frieden eingegangen, nach denen sie sich ein Leben lang gesehnt und für die sie gelebt hatte. Der Gott des Lebens schenke ihr das Leben in Fülle. Lasst uns mit Dankbarkeit an diese große Frau denken.

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