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Guggenberger Wilhelm: Die Fragen der Menschheit aufbewahren. Sponsionen am 23. Februar 2013
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Die Fragen der Menschheit aufbewahren. Sponsionen am 23. Februar 2013

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-03-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Magnifizenz, sehr geehrter Herr Rektor Märk, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, verehrte Verwandte, Freunde und Bekannte unserer AbsolventInnen und natürlich ganz besonders Sie, die Sie heute den Abschluss Ihres Studiums oder zumindest die Erreichung einer Zwischenetappe feiern. Es freut mich, dass ich bei diesem schönen Anlass als sein Stellvertreter in die Roll des Dekans schlüpfen darf um mit Ihnen zu feiern.

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Jüngst hat die Theologie, oder zumindest ein Theologe nicht nur ein enorm breites Medienecho gefunden, sondern überdies auch noch ein überwiegend positives, was so arg oft ja gar nicht der Fall ist. Ich meine natürlich unseren noch amtierenden Papst, der in vielen öffentlichen Stellungnahmen aus Anlass seiner überraschenden und in gewisser Hinsicht auch revolutionären Rücktrittsankündigung nicht nur als Oberhaupt der Katholischen Kirche wahrgenommen wurde, sondern eben auch als großer und einflussreicher Wissenschaftler.

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Manch einer mag sich ja mit dem Theologen Josef Ratzinger leichter tun, als mit Papst Benedikt; und das gar nicht so sehr, weil er mit diesem Theologen in allem und jedem übereinstimmen würde. Es fällt aber eben leichter den Wissenschaftler und seine Positionen zu kritisieren als das Oberhaupt der Weltkirche. Theologinnen und Theologen wissen freilich: Auch der Papst ist durchaus ein legitimes Ziel der Kritik und seine lehramtlich festgehaltene Unfehlbarkeit erstreckt sich keineswegs auf alles was er sagt oder tut. Dennoch sind die Thesen und Theorien, die Entwürfe und Konzepte der Theologie nochmals auf einer anderen Eben angesiedelt. Als Teil des wissenschaftlichen Diskurses sind sie dem ständigen Wandel, ja zum Teil auch intellektuellen Moden unterworfen, sie arbeiten mit den Methoden ihrer Zeit und sitzen mitunter deren Irrtümern auf und sie versuchen jene Fragen zu beantworten, die gerade hier und jetzt aktuell bewegen und brennen.

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Die Theologinnen und Theologen, die diese Thesen, Theorien, Entwürfe und Konzepte ausarbeiten sind damit permanente Unruhepole, Infragesteller, ja manchmal sogar Provokateure in ihrer Glaubensgemeinschaft. Sie sind das - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht aus der Lust am Streit oder motiviert durch eine renitente Grundhaltung; nein, sie sind das, weil es so sein muss, weil das ihre eigentliche Aufgabe und Funktion ist: Das Nachdenken über die Glaubensbotschaft und die Tradition in Gang zu halten in der Kirche und in der Gesellschaft.

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In einer der Zahlreichen Stellungnahmen zum Papstrücktritt hat sich der deutsche Soziologe Heinz Bude zum Thema Kontinuität und Wandel in der Kirche geäußert.1 Das war ja nicht nur ein inhaltliches Thema des Theologen Ratzinger, etwa in Auseinandersetzung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Spannung zwischen Kontinuität und Wandel kommt im päpstlichen Rücktritt selbst zum Ausdruck, zumindest dadurch, dass da einer, der im Ruf des Konservativen steht, einen ganz neuen Schritt setzt. Heinz Bude meint nun also, dass die Diskussion um diese Begriffe oft in die Irre gehe, weil die Zeitlichkeit der Kirche selbst missverstanden werde. Wie aber wäre diese Zeitlichkeit recht zu verstehen? Der Soziologe dazu wörtlich: “Es ist eine Zeit, die aus der Ewigkeit kommt und den Augenblick trifft. Da wird etwas hervorgeholt, was die Menschen immer schon beschäftigt und umgetrieben hat, das sich aber nur hier und jetzt zeigt. Reform ist daher die Existenzweise einer Kirche, die Fragen aufbewahrt, die plötzlich alles in Frage stellen können.”

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Ja, Sie haben schon recht meine Damen und Herren, oft merkt man nicht viel von dieser Existenzweise der Reform. Aber unter der nicht selten ehern wirkenden Oberfläche - nicht nur der katholischen Kirche, nicht nur der christlichen, sondern aller Religionsgemeinschaften - pochen uralte Menschheitsfragen wie ein permanenter Pulsschlag. So wie wir unseren eigenen Herzschlag meist nicht wahrnehmen, bleiben diese Fragen auch mitunter für lange Zeit ungestellt. Aber in Momenten der Krise, in Momenten der Erregung - der positiven, wie der negativen - spüren wir unseren Pulsschlag plötzlich hämmern; im Hals oder den Schläfen, es überläuft uns heiß und wir merken, welche lebendige Kraft da in uns ist. Ein Aus-dem-Ruder-Laufen oder Stocken dieser Kraft kann beängstigen, ja in Panik versetzen. Die Fragen des Woher und Wohin, die Fragen nach Leid und Sinn und die Frage nach den Sinn von Leid, das sind wohl solche Fragen, die Religionen und Kirchen aufbewahren, und die wirklich alles in Frage stellen können, brechen sie plötzlich auf, sei es in einem individuellen Leben, sei es in einer Gesellschaft. Theologinnen und Theologen fällt die nicht selten unbequeme Aufgabe zu, den Pulsschlag dieser Fragen sogar noch anzuheizen, den Blutdruck im Leib ihrer Glaubensgemeinschaft zu erhöhen, damit die Glieder nicht einschlafen und damit es nicht, aufgrund einer Thrombose, eines Reformstaus zu einem plötzlichen Blutsturz einem unkontrollierten Ausbluten kommt. Um das tun zu können, müssen sie mit ihrem Denken auch am Puls der Zeit sein, denn die alten, aufbewahrten Fragen stellen sich immer neu, immer anders, aus immer neuem Anlass. Wenn Theologinnen und Theologen in ihrer Wissenschaft so handeln, dann leisten sie auch einen Dienst an der Gesellschaft, denn wie Heinz Bude meint, es handelt sich eben um Fragen der Menschen, aller Menschen, die zugleich aufbewahrt und zeitaktuell zur Sprache gebracht werden. Wo diese Fragen nicht mehr pochen, droht eine langsame Nekrose, ein Absterben des Menschlichen; wo sie unkontrolliert, jenseits rationaler Bahnen ins Kraut schießen, kann sogar der Infarkt einer Gesellschaft drohen.

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Der Zufall will es nun so, dass heute bei dieser Feier fünf von neun KandidatInnen nicht TheologInnen, sondern AbsolventInnen des Studiums der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät sind. Rede ich mit dem Thema dieser kleinen Ansprache also an der Mehrheit von Ihnen vorbei, oder lasse ich Sie in der Überheblichkeit des systematischen Theologen gar links liegen? Ich hoffe doch nicht. Denn die Theologie hat zur Erfüllung ihrer Aufgabe schon immer der Philosophie bedurft, nicht unbedingt eines speziellen philosophischen Ansatzes, nicht ausschließlich einer Schule, wohl aber einer gut geschulten Vernunft. Diese enge und kooperative Nachbarschaft zwischen Theologie und Philosophie kommt hier heute besonders augenscheinlich zum Ausdruck. Die AbsolventInnen der Philosophie an der Theologischen Fakultät zeigen mit ihren Abschlussarbeiten, dass es bei dieser Verbindung nicht nur darum geht, dass Philosophie gleichsam Werkzeuge des Denkens liefert; Logik und Argumentationskunst - das freilich auch. Die Philosophie ist nicht bloß eine Hilfswissenschaft der Theologie, sie kann vielmehr versuchen die Rationalität dessen aufzuweisen, was Theologie als Grundlage nimmt. Gott, Seele und Unsterblichkeit, das wissen wir spätestens seit Kant, lassen sich nicht beweisen, wie andere Gegenstände unserer Welt. Aber die Annahme, dass es sie gibt, muss doch deswegen keineswegs als unsinniges, unvernünftiges Hirngespinst gelten. Dass man diese “Dinge” vernünftig und widerspruchsfrei denken kann, das zeigt die Arbeit der christlichen Philosophie an unserer Fakultät in vielfältiger Weise auf.

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Frau Maria Willeit leistet dazu etwa einen Beitrag, indem sie sich unter Begleitung von Siegfried Battisti der Frage gestellt hat, wie der Mensch seine Endlichkeit bewältigt. Vergänglichkeit des Lebens und eigener Tod, das sind zweifellos uralte Menschheitsfragen, die auch vor intellektuelle Herausforderungen stellen. Auf diese Fragen muss nicht religiös geantwortet werden, aber die Möglichkeit einer religiösen Antwort wird durch eine Auseinandersetzung gerade auch mit den Sackgassen der Endlichkeitsbewältigung zumindest offen gehalten.

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Ganz konkret wird die Wahrnehmung der Sterblichkeit in der Diplomarbeit von Frau Manuela Hochrainer, die mit Menschen gesprochen hat, die Nahtoderfahrungen gemacht haben. Wie ist eine sich durch den Tod hindurch erhaltende personale Identität überhaupt denkbar? Das versucht sie anhand von Erfahrungsberichten und anhand der Auseinandersetzung mit theoretischen Personkonzeptionen zu klären; in ihrer von Hans Goller betreuten Arbeit mit dem Titel “Personale Identität und leibliche Auferstehung im Kontext der Nahtoderfahrungen.

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Nicht der Blick auf den Tod, sondern auf das Leben selbst, genauer auf die Kraft, aus der dieses Leben gestaltet werden kann, interessiert Frau Anna Hellweger. Sie ging dieser Frage, betreut von Siegfried Battisti, in der Philosophie von Karl Jaspers nach. Auch hier wird nicht Theologie getrieben, aber eine Tür geöffnet, für die Möglichkeit von Theologie wenn betont wird, dass der “Mensch sich selbst nicht genug ist, sondern immer auf anderes bezogen, als Dasein auf seine Welt, als Bewusstsein auf Gegenstände, als Geist auf die Idee des Ganzen und als Existenz auf  Transzendenz”.

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Einen Beitrag zum Aufweis der Rationalität eines christlichen Menschenbildes leisten wohl auch Herr Christophorus Zöschg und Herr Ralf Troger, indem sie sich der Frage nach Verantwortung und Freiheit stellen. Auch sie wurden von Kollegen Goller und Kollegen Battisti betreut, die sich damit als überaus aktive Ruheständler erweisen. Herr Zöschg schließt an die empirischen Ergebnisse moderner Neurowissenschaften seine Überlegungen über Wollen und Entscheiden an und diskutiert dabei auch das wissenschaftstheoretische Problem, inwiefern Begriffe wie Willensfreiheit sich überhaupt aus physiologische Messdaten gewinnen lassen. Auch in der Diplomarbeit von Herrn Troger geht es um Willensfreiheit und deren Infragestellung durch die neurobiologische Forschung, wodurch aber nicht die Möglichkeit und Notwendigkeit von Verantwortung aus der Welt geschafft werden kann. Absolut frei sind wir nie, dennoch aber bleiben wir verantwortlich für unser Tun.

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Woran wir unsere Verantwortung inhaltlich ausrichten, das ist eine Frage, die in einer pluralistischen Welt unterschiedlich beantwortet werden kann. Gelebte Weltanschauungen, wie der christliche Glaube, machen dafür ein Angebot. Dass die biblischen Grundlagen dieses Glaubens durchaus hohe Ansprüche an unser Verantwortungsbewusstsein stellen, das zeigt Herr Hubert Jäger in seiner nun theologischen Masterarbeit auf, die den Titel trägt: “Glückselig ihr Armen - Wehe euch Reichen! Armut und Reichtum im Lukasevangelium.” Unter Begleitung von Martin Hasitschka schlug er dabei eine Brücke von der exegetischen Analyse der pointierten Aussagen des Evangeliums, etwa in den Seligpreisungen und Wehrufen der Feldrede Jesu oder im Gleichnis vom Armen Lazarus, hin zu brennenden Fragen der globalen gerechtigkeit in unserer Zeit.

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Das Thema der kirchlichen Verantwortung in einer Zeit globalen Wandels steht im Zentrum der kirchenrechtlichen Diplomarbeit von Deogracious Nguonzi. Die Arbeit trägt den Titel: “The Role of the Church in Promoting Familiy Life and Child Upbringing in the Face of Globalization in Uganda in View of the Canon Law” und wurde von Wilhelm Rees betreut. Die Vermittlung von Tradition und Moderne werden hier als Herausforderung in den Blick genommen, eine Herausforderung, die im afrikanischen Kontext für die Kirche immer auch eine Herausforderung der Inkulturation darstellt. Herr Nguonzi arbeitet theologische, aber auch strukturell-rechtliche Positionierungen der Kirche zum Thema Ehe, Familie und Erziehung auf Weltkirchlicher, aber auch Ortskirchlicher Ebene in Uganda auf.

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Auch Frau Elisabeth Kirchebner und Herr Thomas Folie schließen ein theologisches Studium ab, in ihrem Fall das Bachelorstudium der Katholischen Religionspädagogik. Wie ich annehme, ist das der erste Schritt auf dem Weg einer weiteren, vertieften Auseinandersetzungen mit alten, aber doch immer wieder pochenden, drängenden und neu aufbrechenden Fragen.

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An Sie alle darf ich nun zum Schluss noch eine Bitte richten. Wohin auch immer Sie ihre berufliche Zukunft führen mag, zunächst vielleicht auch einfach in ein weiterführendes Studium: Halten Sie die uralten Fragen der Menschheit wach, auch wenn sie unbequem sein mögen, und nehmen Sie sie in ihrem aktuellen Pulsschlag wahr, in der Form in der sie sich je neu in unserer Gegenwart zeigen. Halten Sie diese Fragen aber auch in einem wohltemperierten Maß mit Hilfe der Mittel wissenschaftlichen Denkens und Argumentierens, die Sie an dieser Universität erlernt haben. Als Theologinnen und Theologen werden Sie dies auf der Grundlage einer gelebten Weltanschauung tun, auf der Grundlage der christlichen Glaubensüberzeugung. Als Philosophinnen und Philosophen ist Ihnen diese lebensprägende Weltanschauung keine privilegierte Erkenntnisquelle; sie werden den Fragen, die die Menschen umtreiben aber - so hoffe ich doch - zumindest mit dem Vorurteil ausgestattet begegnen, dass die christliche Glaubensüberzeugung nicht grundsätzlich irrational ist. Beide Zugänge, der theologische und der philosophische sollen aber jedenfalls dazu dienen, dass Menschen besser mit der oft so schwer auszuhaltenden Spannung zwischen Kontinuität und Wandel umzugehen vermögen.

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So darf ich Ihnen denn zum erfolgreichen Studienabschluss gratulieren und Ihnen wünschen, dass Sie Ihren weiteren Lebensweg mit einer lebensdienlichen Wissenschaft im Gepäck gehen können, mit einer Wissenschaft die jene Fragen, die die Menschen umtreiben wahrnimmt, diese so weit wie möglich klärt, und dort wo sie sich nicht klären lassen, aufbewahrt und wach hält, in Kirche und Gesellschaft.

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1 Bude, Heinz: Vergesst die Kondome. Wenn es eine Reform gibt, dann kann sie nur aus der Welt kommen. In: Die Zeit, Nr.8 (14. Februar 2013), 4.

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