Über die Relevanz der Literaturkritik von Jugendlichen
In der Regel wird Kinder- und Jugendliteraturkritik von Erwachsenen für Erwachsene verfasst. Anders als bei anderen literarischen Genres sind die KritikerInnen also weder Repräsentanten des Lesepublikums noch richten sich ihre Kritiken an das eigentliche Zielpublikum der von ihnen besprochenen Werke. Diese Eigenheit der Kinder- und Jugendliteratur-Kritik wird immer wieder angemerkt[1] und auch als Defizit erkannt. Die erwachsenen RezensentInnen von Kinder- und Jugendliteratur, die – wie gesagt – nicht die eigentliche Zielgruppe der Bücher sind, sondieren das Terrain der Kinder- und Jugendliteratur und filtern heraus, welche Literatur sie als geeignet für Kinder und Jugendliche halten. Damit erklärt sich auch, warum es im Feuilleton der Tages- und Wochenpresse beinahe nur Positivbesprechungen von Jugendbüchern gibt. Man will den geringen Platz, der überhaupt in Zeitungen und Zeitschriften für die Literaturkritik von Jugendbüchern zur Verfügung gestellt wird, nicht an Verrisse ‚verschwenden’. Immer wieder wird im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendliteraturkritik gefordert, die eigentliche Zielgruppe der Bücher in die Diskussion mit einzubringen. Tatsächlich gibt es dafür einige (wenige) Beispiele, die sich lohnen, genauer unter die Lupe genommen zu werden. Es erstaunt, dass es bisher noch nie zu einer systematischen Analyse von der Literaturkritik von Kindern und Jugendlichen gekommen ist.
Stand der Kinder- und Jugendliteraturkritik und Adressatenproblematik
Woran dies liegt, lässt sich nur vermuten. Die Kinder- und Jugendliteratur selbst hatte lange mit einem schlechten Image zu kämpfen und hat es erst in den letzten Jahren geschafft, von der Literaturwissenschaft als ‚richtige’ Literatur anerkannt zu werden. Diesen Prozess hat die Kinder- und Jugendliteraturkritik noch vor sich: Veronika Schuchter schreibt 2010 von der „Stiefkindgeschichte“ des Kinderbuchs in der Literaturkritik[2] und auch einige Jahre später kommt Caroline Roeder wieder zum selben Befund: „Während die KJL-Forschung als eigenständige Wissenschaftssparte der germanistischen Literaturwissenschaft heute Anerkennung gefunden hat, bleibt ihr [der KJL-Kritik Anm. ] der Status des ‚Anhängsels‘ der deutschsprachigen Literaturkritik bis heute anhaften.“[3] Es scheint also so, dass die Kinder- und Jugendliteraturkritik noch am Anfang des Emanzipationsprozesses steht, den die Kinder- und Jugendliteratur im Bereich der Wissenschaft gerade erst abgeschlossen hat.
Die Jugendliteraturkritik von Erwachsenen für Erwachsene bringt einige Eigenheiten mit sich, die es in der Erwachsenenliteraturkritik nicht gibt. Durch das ‚Dazwischenschalten’ der Erwachsenen wird eine zusätzliche Hürde zwischen dem Buch und den Kindern und Jugendlichen eingebaut. Um von den Kindern und Jugendlichen überhaupt wahrgenommen werden zu können, muss das Buch es erstmal schaffen, vom Rezensenten ausgewählt zu werden und dann muss der erwachsene Leser es noch an das Kind oder den Jugendlichen weitergeben. Da die Erwachsenen selbst aber keine Kinder und Jugendlichen mehr sind, müssen sie sich auf ihre eigenen Kindheitserinnerungen und auf die Erfahrung von lesenden Kindern und Jugendlichen stützen. Es wird also gemutmaßt, was Kindern und Jugendlichen an Büchern gefällt und was ihnen wichtig ist. Im Vordergrund orientiert man sich jedoch zumeist am primären Zielpublikum der Literaturkritik von KJL-Literatur: Eltern und LehrerInnen. Hier deutet sich bereits ein großer Unterschied zwischen der Literaturkritik von Erwachsenenbüchern und der von Kinder- und Jugendliteratur an: Die Kinder- und Jugendliteraturkritik verfolgt immer das Ziel der Leseförderung, während sich die Erwachsenenliteraturkritik nicht generell positionieren lässt und lassen will. Dies ist wohl ein weiterer Grund dafür, dass es sehr wenige kritische Stimmen oder gar Verrisse in der Kinder- und Jugendliteraturkritik gibt. Die Behauptung, dass der Kinder- und Jugendliteraturkritik grundsätzlich wenig Platz in Tages- und Wochenzeitungen eingeräumt wird, bestätigt die Untersuchung des Innsbrucker Zeitungsarchivs (IZA) aus dem Jahr 2017[4]. Lediglich 11,03% der Belletristikbesprechungen waren 2016 Besprechungen von Kinder- oder Jugendbüchern, nur 21,95% waren länger als 500 Wörter. Zum Vergleich: insgesamt waren 59,55% aller Belletristikbesprechungen über 500 Wörter lang.
Weiters lässt sich auch feststellen, dass die Buchkritik in der Kinder- und Jugendliteraturkritik oft mit dem Buchtipp verschwimmt. Diese Tatsache wird immer wieder kritisiert, denn es ist laut Christine Knödler, die ein Plädoyer für eine eigenständige Kinder- und Jugendliteraturkritik verfasst hat, eine primäre Aufgabe der Kritik, Qualität zu fordern und nicht „Anwalt des Massengeschmacks“ zu sein.[5]
Für die Überwindung einiger der vielen Gräben, die sich im Zusammenhang mit der Kinder- und Jugendliteraturkritik auftun, könnte Literaturkritik von Kindern und Jugendlichen von Bedeutung sein. Für Kinder und Jugendliche gibt es keinen Grund, nur pädagogisch wertvolle Bücher zu rezensieren und Lobeshymnen zu schreiben, sondern sie werden sich eher veranlasst sehen, ein Buch, das ihren Ansprüchen nicht genügt, auch mal zu kritisieren. Hierdurch würde auch die Diskrepanz zwischen primären LeserInnen und RezensentInnen wegfallen, die Kinder und Jugendlichen können selbst entscheiden, worauf sie beim Lesen ihren Fokus legen und ob ein Buch ‚gut’ ist und warum. Da es einige Beispiele für Literaturkritik von Kindern und Jugendlichen gibt, stellt sich die Frage, warum diese Projekte von der Fachwelt so vehement ignoriert werden, obwohl doch immer wieder gefordert wird, die eigentlichen Leser in den Diskurs einzubeziehen.
Der Buchblog ForKids und die Rubrik Jugend rezensiert
Im Folgenden möchte ich die Ergebnisse der Analyse von zwei Projekten vorstellen[6], in denen Jugendliche für Jugendliche rezensieren: Der Buchblog ForKids der Innsbrucker Buchhandlung und Verlagsanstalt Tyrolia und die Rubrik Jugend rezensiert in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). In beiden Fällen wurden jeweils 24 Rezensionen im Detail analysiert, die RezensentInnen waren bei ForKids 13 bis 16 Jahre alt, bei Jugend rezensiert 13 bis 18.
Analyse "ForKids"
Das Projekt ForKids existiert seit 2012, erschien aber bis zur Umstrukturierung 2018 unter dem Namen Tyrolias Welten. Auf der Seite, die direkt mit der Website der Tyrolia verknüpft ist, werden Rezensionen von Kindern und Jugendlichen direkt unter den Informationen zum Buch, wie Seitenzahlen, ISBN und Preis, veröffentlicht. Vor der Veröffentlichung werden die Rezensionen noch auf Rechtschreib- und Grammatikfehler untersucht, inhaltlich wird grundsätzlich nichts verändert. Allerdings kommt es teilweise doch zu Kürzungen, da der Platz seit der Umstrukturierung nicht mehr unbegrenzt ist.
Die rezensierten Bücher in ForKids werden nicht von den Kindern und Jugendlichen selbst ausgewählt. Die Kinder und Jugendlichen sind Teil eines Testleserprogramms und werden am Anfang gebeten kurz zu beschreiben, welche Genres sie gerne lesen. Nach diesen Angaben werden Bücher für sie ausgewählt. Die Bücher werden von den Verlagen als Leseexemplare zur Verfügung gestellt, daher sind einige Verlage bei ForKids nicht repräsentiert.
Die Analyse von ForKids zeigt, dass in den Rezensionen ein deutlicher Fokus auf den Erzählplot gelegt wird. Der Großteil der untersuchten Rezensionen beginnt mit einer Zusammenfassung der Handlung, die Protagonisten werden vorgestellt und der Schauplatz wird umrissen. Die Handlung wird mehr oder weniger ausführlich wiedergegeben, häufig wird sie allerdings an einer spannenden Stelle unterbrochen, so wird Neugier geweckt und nicht zu viel verraten.
Ein wichtiger Faktor dafür, ob das Buch von den Jugendlichen als ‚gut‘ bewertet wird, sind die axiologischen Werte Spannung und Humor. Der Wert Spannung kommt auf zwölf Erwähnungen, der Wert Humor auf sechs. Auffällig ist, dass in ForKids die Wertung häufig nur über Adjektive erfolgt, die dann aber nicht mit einer expliziten Wertung ergänzt werden. Das Objekt der Bewertung ist in der Regel der Inhalt, manchmal wird zusätzlich auch der Sprachstil kommentiert. Autor, Cover, Übersetzung und andere extratextuelle Faktoren spielen für die jugendlichen RezensentInnen von ForKids keine besondere Rolle, der Autorname wird lediglich einmal erwähnt, das Buchcover zweimal.
Interessant ist, dass die Jugendlichen sich nicht scheuen, Kritik an den Büchern zu üben. Es wird jedoch nicht das gesamte Buch kritisiert, sondern es werden nur einzelne Merkmale hervorgehoben, beispielsweise das Fehlen von Spannung oder die Handlungsweise der ProtagonistInnen.
Zwei Besonderheiten fallen bei ForKids noch auf, nämlich die Beschreibung des Leseerlebnisses und die Reflexion über das Buch. So schreibt beispielsweise die 14-jährige Viola: „Der erste Band der ‚Plötzlich verwandelt‘-Reihe ist megaschön und so humorvoll geschrieben, dass man auf jeder zweite Seite lachen musste.“[7] Die 14-jährige Johanna reflektiert über den Inhalt und bezieht diesen auf ihr Leben: „Anfangs möchte Starr lieber schweigen, als Gerechtigkeit für Khalil zu fordern, was ich als sehr real und nachvollziehbar empfunden habe, da es nun mal nicht leicht ist, für sich und andere einzutreten.“[8]
Die meisten Rezensionen folgen demselben Aufbau: Sie beginnen mit einer Wiedergabe des Inhalts, die – wie bereits erwähnt – an einer spannenden Stelle abgebrochen wird. Darauf folgen eine kurze Wertung und ein abschließender Satz. Hier findet sich in etwa der Hälfte der untersuchten Rezensionen eine explizite Empfehlung, teilweise wird eine generelle Empfehlung ausgesprochen, teilweise wird hervorgehoben, für wen das Buch speziell geeignet ist.
Einige Auffälligkeiten gibt es noch bezüglich der Sprache. In fast allen Rezensionen wird in der ersten Person Singular geschrieben, dadurch wird deutlich, dass es die subjektiven Meinungen und Empfehlungen des Rezensenten sind, die sich nicht verallgemeinern lassen. Zudem kommt es häufig zu einer Verwendung von verstärkenden Partikeln wie „sehr“, wodurch der subjektive Eindruck emphatisch verstärkt wird. Die Sprache ist in vielen Fällen umgangssprachlich geprägt und nicht besonders variiert.
Analyse "Jugend rezensiert"
Die Rubrik Jugend rezensiert aus der NZZ erschien zwischen 2005 und 2016 in unregelmäßigen Abständen, Die Rezensionen erschienen auf der Seite Kinder- und Jugendbücher und umfassen zwischen 275 und 404 Wörter. Im Innsbrucker Zeitungsarchiv sind insgesamt 42 Rezensionen hinterlegt. Auch hier wurden für die Analyse 24 Rezensionen herangezogen, und zwar aus jedem Jahr zwei. Die einzigen Ausnahmen bilden die Jahre 2007 und 2016, wo im ersten Fall nur eine Rezension veröffentlich wurde und deshalb drei Rezensionen aus dem Jahr 2016 für die Untersuchung herangezogen wurden. Da bis auf eine Ausnahme alle Bücher im selben oder vorherigen Jahr der Besprechung veröffentlicht wurden, kann davon ausgegangen werden, dass es Vorgaben bezüglich der Aktualität gab oder die Bücher von der Redaktion ausgewählt wurden.
Auch die Rezensionen in Jugend rezensiert beginnen in der Regel mit der Wiedergabe des Inhalts, diese ist jedoch nicht so scharf von den anderen Textgliedern abgetrennt wie bei ForKids. Bei Jugend rezensiert wird die Inhaltsbeschreibung teilweise unterbrochen, um auf Leseeindrücke, Wertung oder Themen einzugehen, auch wird nicht an einer spannenden Stelle abgebrochen, sondern die Handlung mit vielen Wendungen wiedergegeben. Auch der Schluss wird verraten oder zumindest angedeutet. Auffällig ist, dass den Protagonisten sehr viel Platz eingeräumt wird, auf ihnen liegt häufig der Fokus der gesamten Besprechung. Dabei wird ihr Auftreten kommentiert und teils auch besprochen, ob die Handlungsweise der Figuren nachvollziehbar ist oder nicht.
Der Autor/die Autorin findet oft Eingang in die Rezensionen von Jugend rezensiert, es ist entweder vom „Autor“ die Rede oder er/sie wird namentlich genannt. Auch wenn auf die Nennung selten Informationen folgen, ist die Erwähnung selbst auch ein interessantes Merkmal, denn die RezensentInnen in Jugend rezensiert betrachten das Buch offensichtlich nicht als alleinstehendes Werk, sondern verbinden den Text mit dem Autor. Dieser wird als Urheber für sein Werk zur Verantwortung gezogen.
Auch in Jugend rezensiert spielt der heteronome Wert der Spannung eine große Rolle, acht Mal wird er explizit erwähnt. Man bezieht sich hierbei aber nicht immer, wie bei ForKids, auf den gesamten Inhalt, sondern teilweise nur auf einzelne Merkmale des Buches, wie etwa die Figurenkonstellation. Neben der Spannung ist die Realitätsnähe für die Jugendlichen ein wichtiges Kriterium, die Figuren sollten nachvollziehbar handeln und es wird positiv hervorgehoben, wenn das Buch lebensnah ist. Im Gegensatz zu ForKids findet die Wertung in Jugend rezensiert nicht nur über Adjektive statt, wodurch sie nachvollziehbarer wird und weniger subjektiv wirkt. Die 14-jährige Lea Müller schreibt: „Doch das Gemisch von historischen Fakten und Fantasy-Elementen wie Vampiren und sprechenden Büchern wird zunehmend verwirrender. Der markanteste Charakter ist wohl der Schauspieler William, der Shakespeare gekannt hat und ihn auch bei jeder Gelegenheit zitiert, was die Geschichte etwas auflockert. Von Jakobes Gefühlen dagegen spürt man kaum etwas [...]. Die knochentrockene Sprache trägt nicht zur Spannung bei, auch hätte der Geschichte etwas Witz und Esprit gutgetan [...]. Die Liebesgeschichte, die sich wegen der Verkleidung etwas schwierig gestaltet, hinterlässt einen schalen Beigeschmack [...].[9]
Wie auch bei ForKids finden sich in Jugend rezensiert Reflexionen und Interpretationen der rezensierten Bücher, allerdings werden diese hier weniger auf die persönlichen Erfahrungen bezogen, sondern den jugendlichen KritikerInnen geht es hier mehr um die behandelten Themen und die Entwicklung der Protagonisten.
Sehr auffällig ist, dass in Jugend rezensiert in fast allen untersuchten Rezensionen negative Bewertungen zu finden sind. Die Kritik ist sehr differenziert, es werden einzelne Merkmale des Buches hervorgehoben und kritisiert. Der Fokus der Kritik liegt in den meisten Fällen auf der Handlung oder den Protagonisten. Besonders kritikwürdig scheint es für die Jugendlichen zu sein, wenn die Figuren nur oberflächlich charakterisiert sind, klischeehaft oder wenig durchdacht wirken. Die Kritik an den Protagonisten ist teilweise sehr hart, die Jugendlichen machen klar, dass sie sich nicht mit halbherzig ausgedachten Charakteren zufriedengeben. Lea Müller schreibt beispielsweise, dass die Figuren in Dschihad Calling so wirken, „als hätte der Autor nur eine Checkliste abgearbeitet“. [10]
Interessant ist die Sprache, die in Jugend rezensiert zu finden ist. Es wird nicht nur in der ersten Person Singular geschrieben, es wird auch teilweise das Indefinitpronomen „man“ verwendet oder mit Hilfe des Wortes „Leser“ generalisiert. Die Rezensionen wirken deshalb weniger persönlich als bei ForKids. Zu diesem Eindruck trägt auch bei, dass die Bücher auf verschiedenen Ebenen analysiert werden und die Aussagen, die die Jugendlichen über die Bücher treffen, auf diese Weise weniger subjektiv und impulsiv wirken. Ansonsten ist die Sprache im Vergleich zu ForKids abwechslungsreich und es werden selten umgangssprachliche Ausdrücke verwendet.
Der Aufbau der Rezensionen ist in Jugend rezensiert sehr unterschiedlich, sodass sich darüber keine allgemeingültige Aussage treffen lässt.
Vergleich "ForKids" und "Jugend rezensiert"
Auf den ersten Blick scheinen ForKids und Jugend rezensiert nicht viel gemeinsam zu haben. Neben den erwähnten Unterschieden in Sprache und Wertung unterscheiden sich die beiden Rezensionsorgane im Aufbau sehr. In ForKids folgen die einzelnen Rezensionen einem weitgehend starren Schema, in Jugend rezensiert ist der Aufbau hingegen flexibler.
Ein weiterer großer Unterschied besteht darin, dass in Jugend rezensiert oft die gesamte Handlung inklusive Wendungen und Schluss beschrieben wird, in ForKids bricht die Wiedergabe der Handlung meist an einer spannenden Stelle ab, sodass die Leser der Rezensionen animiert werden, das Buch selbst zu lesen.
Trotz der vielen Unterschiede fallen jedoch vor allem drei Gemeinsamkeiten auf: die relativ häufige Praxis der negativen Bewertung, die Fokussierung auf einen kohärenten und gut durchdachten Erzählplot und die Marginalisierung von extratextuellen Faktoren, wie beispielsweise Autor oder Buchcover, auf die wenig Wert gelegt wird. Der Autor/die Autorin wird zwar in Jugend rezensiert häufig eingebunden, es werden jedoch kaum Informationen über die Person und andere Werke gegeben.
In ForKids legen die RezensentInnen vor allem Wert auf die Handlung, sie soll möglichst spannend und lustig sein. In Jugend rezensiert werden besonders die Protagonisten in den Mittelpunkt gerückt. Sie sollen möglichst schlüssig konzipiert sein und nachvollziehbar handeln.
Besonders in Jugend rezensiert findet sich viele kritische Anmerkungen: in nahezu allen Rezensionen sind negative Bewertungen zu finden! Diese beziehen sich auf verschiedene Merkmale des Buchs. ForKids ist insgesamt weniger kritisch, es finden sich jedoch auch hier in einigen Rezensionen negativ bewertete Punkte.
Vergleich der Ergebnisse mit Rezensionen von Erwachsenen
Die 2005 von Judith Witzel abgeschlossene Analyse zur Kinder- und Jugendbuchkritik[11] zeigt, dass in Rezensionen von Jugendbüchern durch Erwachsene die Handlung und vor allem die Protagonisten im Mittelpunkt stehen. Besonders wichtig scheint es den Erwachsenen zu sein, dass die Jugendlichen sich mit den Figuren identifizieren können. Den Jugendlichen in ForKids scheint dies hingegen kein besonderes Anliegen zu sein, wobei in Jugend rezensiert dieses Element zwar teilweise auftritt, jedoch weder so explizit noch im selben Ausmaß wie bei den Erwachsenen.
Die Wiedergabe der Handlung dient in ForKids in den meisten Fällen dem Lektüreanreiz. In den von Witzel analysierten Rezensionen dient die Wiedergabe der Handlung hingegen als Information, da es hier ja um die Bedürfnisse von LeserInnen geht, die eine Vermittlerrolle ausüben. In Jugend rezensiert verhält es sich ähnlich wie bei den von Witzel angeführten Merkmalen der von Erwachsenen verfassten Buchkritiken, denn hier wird die Handlung häufig mit Wendungen und Schluss wiedergegeben.
Witzel merkt im Zusammenhang mit der Wiedergabe der Handlung und dem Eingehen auf die Figuren an, dass häufig das Thema des Buches in knappen Stichworten genannt ist. Dies findet sich in keiner er analysierten ForKids-Rezensionen und nur in einigen wenigen Rezensionen von Jugend rezensiert. Das Reduzieren auf die Thematik spielt für die Jugendlichen also keine große Rolle. Dies könnte daran liegen, dass das Thema nicht im Vordergrund steht oder dass sie wollen, dass die LeserInnen das eigentliche Thema beim Lesen des Buches selbst herausfinden. Die erwachsenen LeserInnen der Kritiken werden wohl in den meisten Fällen das Buch nicht selbst lesen und benötigen daher eine reduzierte und auf das Wesentliche beschränkte Wiedergabe des Inhalts, um zu wissen, was genau sie an die Jugendlichen weiter geben.
Ein großer Unterschied zwischen den Ergebnissen von Witzel und den Ergebnissen der Analyse von Jugend rezensiert und ForKids ist die Beschäftigung mit der Person des Autors. Witzels Analyse ergibt, dass sehr häufig Informationen zu den AutorInnen gegeben werden, d.h., es werden biographische Fakten, Details zum Werdegang oder Auszeichnungen erwähnt. Besonders fällt aber auf, dass häufig Informationen zu den AutorInnen gegeben werden, welche diesen die Kompetenz, über ein bestimmtes Thema zu schreiben, bescheinigen. Zum Vergleich: In ForKids spielt der Autor nahezu keine Rolle, in Jugend rezensiert wird er zwar oft erwähnt, es werden jedoch kaum Informationen zu ihm gegeben. Der Autor ist also für die Jugendlichen viel weniger wichtig als für die Erwachsenen. Hier wird deutlich, dass die Erwachsenen mit einem pädagogischen Blick lesen, denn sie wollen offenbar einen kompetenten Autor, der weiß, worüber er schreibt. Für die Jugendlichen ist hauptsächlich die Geschichte an sich von Bedeutung. Dies zeigt sich auch darin, dass die erwachsenen RezensentInnen laut Witzel die Bücher immer gerne einordnen und vergleichen, sei es mit anderen Titeln des Autors, Titeln anderer Verfasser oder Klassikern der Jugendliteratur.
Wie in ForKids hat auch Witzel eine große Zahl an Adjektiven in den Rezensionen festgestellt. Das reine Werten mit Adjektiven ohne Begründung macht es laut Witzel leichter, die Bücher ‚in Schubladen zu stecken’. Auch sie kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Wertung, je mehr Argumente sich hier finden, objektiver und nachvollziehbarer wird, wie es auch bei Jugend rezensiert zu beobachten ist. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das ‚Schubladendenken’ nicht auch Vorteile hat, so lässt sich beispielsweise ein Buch schneller einordnen. Dies kann sowohl für erwachsene Vermittler von Vorteil sein als auch für die Jugendlichen, denn wenn sie beispielsweise nach einer spannenden Lektüre suchen, müssen sie in den Rezensionen nur nach diesem Adjektiv Ausschau halten.
Eine große Differenz zwischen den Rezensionen von Erwachsenen und denen von Jugendlichen liegt darin, was als ’gut‘ empfunden wird. Bei Erwachsenen spielen formal-ästhetische Aspekte häufig eine Rolle, zudem wird ein offenes Ende als ’gut' bewertet. Interessanterweise beurteilen Erwachsene es als positiv, wenn die Jugendlichen sich mit den Figuren identifizieren können, was für die Jugendlichen selbst eine wesentlich kleinere Rolle spielt. In Jugend rezensiert bewerten die Jugendlichen Realitätsnähe auch als positiv, sie hat jedoch nicht die höchste Priorität in der Bewertung. Viel wichtiger ist ihnen, wie schon erwähnt, die Nachvollziehbarkeit und Stimmigkeit von Handlung und Figurenzeichnung . Ob das Ende offen ist oder nicht, ist für die Jugendlichen nicht von Bedeutung, Spannung und Humor ist es hingegen schon
Ein weiterer großer Unterschied zwischen den Rezensionen von Erwachsenen und denen von Jugendlichen besteht darin, dass Erwachsene beinahe nur Empfehlungen schreiben, die Jugendlichen hingegen auch negative Kritik üben. Diese ist besonders bei Jugend rezensiert präsent, doch auch bei ForKids finden sich kritische Töne.
Die Relevanz der Literaturkritik von Jugendlichen
Viele Merkmale, die die Literaturkritik von Jugendbüchern durch Erwachsene hat, entfallen bei der Literaturkritik von Jugendlichen für Jugendliche. Am wichtigsten ist wohl, dass sich die Rezensionen direkt an die eigentliche Zielgruppe der Bücher richten und somit die Adressatenproblematik umgangen wird. Auch lesen die Jugendlichen, im Unterschied zu vielen erwachsenen RezensentInnen, nicht mit einem pädagogischen Blick. Es ist ihnen, wie die Analyse gezeigt hat, nicht wichtig, ob der Autor qualifiziert ist, über ein bestimmtes Thema zu schreiben und wie sich das Werk generell einordnen lässt, für sie steht der Text selbst im Mittelpunkt. Auch rezensieren sie nicht nur Bücher, die sie für vermittlungswürdig halten. Da sie nicht primär die Leseförderung im Kopf haben, wie es häufig bei Erwachsenen der Fall ist, scheuen sie sich auch nicht, an den Büchern Kritik zu üben.
Wie sich zeigt, gibt es große Unterschiede zwischen der Literaturkritik von Erwachsenen und Jugendlichen. Die Frage, ob Kinder- und Jugendbücher besser von Erwachsenen oder von Kindern und Jugendlichen rezensiert werden sollten, muss keine Entweder-Oder-Entscheidung sein. Beide Herangehensweisen haben ihre Daseinsberechtigung und bedienen verschiedene Bedürfnisse. Die einen richten sich an die primären Leser, die anderen an Vermittler von Jugendliteratur, beide gehen auf ihre Weise auf ihre Zielgruppe ein. Zudem könnten, wenn es zu einem Austausch kommt, beide voneinander profitieren. Die Jugendlichen betrachten die Bücher sehr kritisch und schauen sich hauptsächlich die Inhaltsebene und auch die Sprachebene an. Die Erwachsenen schauen bei Kinder- und Jugendbüchern auch auf den Autor und seine vorherigen Werke und ordnen das Buch in unterschiedliche Zusammenhänge ein. Die Jugendlichen könnten hierbei lernen, das Buch nicht nur als einzelnes Werk zu betrachten, sondern dieses auch in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Die Erwachsenen könnten bei diesem Austausch vor allem lernen, dass auch Geschichte, die keine pädagogischen Ziele hat, ein ‚gutes‘ Buch sein kann, das von Jugendlichen gerne gelesen wird.
Um ein genaueres Bild der Literaturkritik von Jugendlichen zu bekommen, bedarf es in jedem Fall weiterer Forschung. Es könnten z.B. Jugendliche selbst zu ihren Erfahrungen und Bedürfnissen im Zusammenhang mit Literaturkritik befragt werden. Zudem sollten Untersuchungen dieser Art in größerem Ausmaß durchgeführt werden, um die bisherigen Ergebnisse zu bestätigen oder neu diskutieren zu können. Interessant wäre auch eine kontrastive Untersuchung, in der Besprechungen von Erwachsenen und von Jugendlichen zu einem bestimmten Buch analysiert werden.
[1] Siehe z.B. Ueding, Gert. 1990: „Literatur mit beschränkter Haftung?“ In: Zwischen allen Stühlen – Zur Situation der Kinder- und Jugendliteratur-Kritik, herausgegeben von Barbara Scharioth und Joachim Schmidt. Tutzing: Evangelische Akademie Tutzing. S. 17.
[2] Schuchter, Veronika: „Das Kinderbuch in der Literaturkritik. Eine Stiefkindgeschichte“. In: literaturkritik.at, März 2010 https://www.uibk.ac.at/literaturkritik/zeitschrift/752141.html (eingesehen am 12.8.2019).
[3] Roeder, Caroline. 2015: „Das Elend unserer Kinderliteraturkritik“. In: Literaturkritik – Geschichte, Theorie, Praxis, herausgegeben von Heinrich Kaulen und Christina Gansel. Göttingen: Vandhoeck und Ruprecht. S. 274.
[4] Berücksichtigt werden Literaturbesprechungen aus 21 überregionalen Tages- und Wochenzeitungen und Zeitschriften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Siehe: Literaturkritik in Zahlen 2016 https://www.uibk.ac.at/iza/literaturkritik-in-zahlen/pdf/2016_statistik.pdf (Eingesehen am 17.7.2019)
[5] Knödler, Christine. 2011: „Quo vadis? Eine eigenständige Kinder- und Jugendliteratur braucht eine eigenständige Kinder- und Jugendliteraturkritik und umgekehrt – ein Plädoyer“. In: Quo vadis, Kinderbuch? Gegenwart und Zukunft der Literatur für junge Leser, herausgegeben von Christine Haug und Anke Vogel. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag. S. 151.
[6] Die hier beschriebenen Ergebnisse stammen alle aus meiner Diplomarbeit: Andreas, Marieke: Praxis und Funktion der Literaturkritik von Jugendlichen. Diplomarbeit, Innsbruck 2018.
[7] Viola, 14 Jahre aus Innsbruck rezensiert: Auf den ersten Blick verzaubert von Sonja Kaiblinger https://www.tyrolia.at/item/31499077?back=6f9e42d930cc3702be24ecef9dfabf1f (eingesehen am 12.8.2019).
[8] Johanna, 14 Jahre aus Breitenbach rezensiert The hate u give von Angie Thomas https://www.tyrolia.at/item/11818115?back=9ca0cb07edfcc8b7e2e1e60a1be375e4 (eingesehen am 12.8.2019).
[9] Müller, Lea (14 Jahre): „Bücherraub“. In: Neue Zürcher Zeitung, 6.6.2012, S. 21.
[10] Müller, Lea (18 Jahre): „Radikalisierte Konvertiten“. In: Neue Zürcher Zeitung, 3.2.2016, S. 23.
[11] Für diesen Abschnitt werden als Vergleich die Ergebnisse der Arbeit „Kinder- und Jugendbuchkritik in überregionalen Feuilletons der Gegenwart“ von Judith Witzel 2005, Marburg: Verlag LiteraturWissenschaft.at herangezogen.