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Niederbacher Bruno: "Sei still!" - Predigt zum silbernen Priesterjubiläum
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"Sei still!" - Predigt zum silbernen Priesterjubiläum

Autor:Niederbacher Bruno
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-06-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die heutige Geschichte vom Boot (Mk 4,35-41) eignet sich gut, um anlässlich meines silbernen Priesterjubiläums über meinen Glaubensweg nachzudenken und davon Zeugnis zu geben.

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Zunächst muss ich sagen, dass ich mich auf diesem Boot befinde seit ich denken kann. Bereits drei Tage nach meiner Geburt werde ich getauft. Von Anfang an bin ich mit an Bord. Jesus ist da, die Engel sind da, und all die Menschen um mich herum. Religiöser Glaube ist so selbstverständlich wie die Luft, die ich atme, die Berge, die mich umgeben, die Sonne, die jeden Morgen aufgeht.

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Das Wanken des Bootes erlebe ich zuerst in der Oberschule. Kritisches Denken erwacht, Mitschüler:innen finden Religion rückwärtsgewandt. Sie raube einem die Freiheit, ihre Mythen und Riten seien geradezu lächerlich. Eine Mitschülerin provoziert: „Da hebt einer eine Oblate hoch und sagt: ‚Seht das Lamm Gottes‘. So ein Schwachsinn.“ Manche gehen von Bord und wecken die Frage: „Warum bleibst du? Was hält dich?“ Vielleicht habe ich einfach nur Schiss. Aber ich ringe mich durch. Ich finde einen persönlichen Weg zum persönlichen Gott. Ich rede mit ihm. Er wird mein Gesprächspartner. Und ich will der Sache auf den Grund gehen. Auf der theologischen Fakultät in Innsbruck muss man es besser wissen, denke ich. Das Studium gefällt mir. Ich lerne dort die Jesuiten kennen. Mich spricht an, dass sie christlich und vernünftig sind. Beides schließt sich offensichtlich nicht aus. „Die Vernunft ist die Freundin des Glaubens“ (ratio fidei amica) lautet das Motto des Instituts für christliche Philosophie. Bei Einkehrtagen lerne ich die Spiritualität der Jesuiten kennen. Ich lerne ihre Weise zu meditieren. Ich erlebe, wie die alten biblischen Geschichten in mein heutiges Leben hineinsprechen. Ich übe, mit Jesus zu reden wie mit einem Freund. Das spricht mich an. Auch Leben in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten spricht mich an. Ich entscheide, ins Noviziat zu gehen. Vielleicht ist das der Punkt, wo ich das Schifflein bewusst betrete. Und ich muss erkennen: Es wankt und schwankt. Man spürt nicht nur das Wehen des Geistes, sondern bedrohliche Wirbelstürme. Da sind die Übel der Kirche, das Versagen von oben bis unten. Manch einer wird seekrank. Viele verlassen das knarrende, 2000 Jahre alte in Seenot geratene Schiff. Da sind auch eigene Versagen. Da sind Tragödien, schwere Krankheiten, die die Liebsten hinwegraffen. Ich stelle fest: Die Angst ist mit an Bord gegangen, die Unsicherheit, der Zweifel. Mag sein, dass es Menschen gibt, die wie Felsen in der Brandung stehen. Ich gehöre nicht dazu. Das Schifflein im Wechsel der Seewellen ist schon eher mein Bild. Da geht es mir als Priester und Jesuit nicht anders als vielen anderen. Damit muss ich leben lernen. Und vielleicht ist genau das mein Kapital. Warum?

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1. Mein Glaube wird nicht zur Routine. Das Evangelium will je neu entdeckt werden. Gott will je neu gesucht und gefunden werden. Gottsucher sein: das ist eine Beschreibung, die zu mir passt. Es gibt hier nichts, das ich ein für alle Mal besitze. Beziehung lebt von Beziehungsarbeit. Das ist bei Gott nicht anders als bei anderen Beziehungen. So reserviere ich Zeit dafür. Jesus sagt zum Sturm: „Schweig, sei still!“ Und das sagt er auch zu mir: „Sei still!“ Lärm und Stress sind Hindernisse, Gott zu suchen und zu finden. „Gottes Sprache ist die Stille“, sagt mein Meister im Terziat. Ich horche in diese Stille hinein. Auch wenn es oft eine mühsame Übung ist, zu der ich mich aufraffen muss: das Hören auf die Stille Gottes richtet mich innerlich auf. Es gibt mir Orientierung und Kraft.

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2. Mein Glaube blendet nichts aus. Zu meiner Priesterweihe wähle ich das Motto aus dem Johnannesevangelium: „… und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8, 32). Das bedeutet für mich: ehrlich sein mit mir selber, zulassen, was ist: das Schöne und das Schreckliche.

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  • Das Schöne: Die Freude darüber, dass Vieles aufgeht. Mein Leben gelingt. Ich versuche anderen Zugänge zu eröffnen, Himmelreich aufzuschließen, vom Schatz im Acker zu erzählen, die großen Worte weiterklingen zu lassen: dass ein barmherziger und gnädiger Gott ist, dass er für uns Sorge trägt, dass wir ein Segen sind. Dabei lerne ich von den Menschen, zu denen ich gesandt bin, was es heißt zu glauben. Eine Mutter erzählt mir, ihre Tochter sei schwer erkrankt. Als alle Medizin nichts nützte und es zum Sterben kam, habe die Tochter so viel Liebe ausgestrahlt, dass die Mutter glauben konnte: Sie geht nicht ins Nichts, sie ist an der Schwelle jenes Landes der Verheißung, der Liebe und des Friedens. Deshalb strahle sie so viel Liebe aus. Das Zeugnis dieser Mutter bewegt mich. Menschen wie sie lehren mich, was es heißt zu glauben.
  • Sich die Dinge geschehen lassen, auch das Schreckliche: Mit den Jüngern schreie ich manchmal: „Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Und ich höre die Frage Jesu: „Warum hast du solche Angst? Hast du noch keinen Glauben?“ Die Angst, den Zweifel, die Trauer, den Zorn: Ich halte sie Christus hin. Er ist der ruhende Pol im Auf und Ab meines Lebens. Und ich sage: „Schau, das bin ich… und das auch… und das auch.“ Im Noviziat ertappe ich mich einmal dabei, wie ich mit Gott darüber spreche, ob es ihn überhaupt gibt. Bin ich übergeschnappt? Ich hoffe nicht. Vielmehr erlebe ich diese Gespräche als befreiend. Die Wahrheit wird dich freimachen.
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Anlässlich meiner Priesterweihe beauftragte ich die Tiroler Künstlerin Patricia Karg, ein Bild zu diesem Thema zu malen. Hier kann man es betrachten. Wir sehen Füße, die eine Richtung suchen. Wir sehen Hände, die sich an einer geraden Linie entlangtasten. Sie schneidet sich oben mit einer weiteren Linie, sodass ein rechter Winkel entsteht: ein Bild für die Wahrheit. Wir sehen eine Figur, die sich krümmt und quält. Sie öffnet sich und scheint im Blau zu schwimmen. Schließlich sehen wir eine Figur von oben. Über ihrem Scheitel ist wieder der rechte Winkel. Sie hat die Richtung gefunden und schreitet in die Weite des Lichts. In diesem Gemälde ist alles drin: Geburt und Kreuz, Tod und Auferstehung und alles dazwischen. Ein ganzes Leben.

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