An einem Freitag um kurz vor acht radelt eine Schar Kinder in bunten Jacken und mit großen Schultaschen auf dem Rücken über den Mitterweg im Westen Innsbrucks. Begleitet wird das farbenfrohe Schauspiel von Müttern, Vätern und von lauter Musik. Ihr Ziel: Gemeinsam sicher zur Schule zu gelangen. Der Radl-Bus, eine Mitmach-Aktion von den Parents for Future, plädiert nicht nur für Rücksicht auf Kinder im Straßenverkehr, sondern ermutigt sie ihren Schulweg bewusst, eigenverantwortlich und – insbesondere – aktiv zurückzulegen.
„Je früher Kinder lernen, umso stärker bleiben die Erfahrungen und Gewohnheiten haften - das gilt auch für Bewegung“, weiß sportwissenschafterin Elisabeth Happ von der Universität Innsbruck. Selbst in einer aktiven Familie aufgewachsen, untersucht sie in verschiedenen Forschungsprojekten gemeinsam mit Ursula Scholl-Grissemann (UMIT TIROL) und Studierenden des Instituts für sportwissenschaft die Auswirkungen von alltäglicher Bewegung auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – mit besonderem Fokus auf der Bedeutung des Schulweges.
Bewegung ist mehr als nur sport
Eine Stunde Bewegung am Tag ist nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation WHO ausreichend für Kinder und Jugendliche – doch das schaffen nur wenige. „Dabei kann Bewegung so viel mehr als nur sport sein“, sagt Happ. Neben der klassischen Aktivität im sportverein, zählen auch aktives Spielen draußen und drinnen sowie aktive Mobilität – also Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad oder Roller – zu den vier zentralen Bausteinen körperlicher Aktivität von Kindern. „Die Bestrebungen nur sport allein im Alltag der Kinder zu forcieren genügt nicht, denn für eine Erhaltung der Gesundheit ist die Summe aller vier Bewegungsdimensionen entscheidend und wichtig.“
Um herauszufinden, in welchem Umfang und auf welche Art und Weise junge Menschen in Tirol tatsächlich täglich aktiv sind, befragte das Forschungsteam über 500 Schüler:innen zwischen 6 und 19 Jahren mittels eines kindgerechten Online-Fragebogens zu ihren Bewegungsgewohnheiten und ihrer mentalen Gesundheit. Er wurde gemeinsam mit Psycholog:innen und Padagog:innen entwickelt. „Unsere Studie bestätigte, dass allgemeine körperliche Aktivität nicht nur die Fitness fördert, sondern auch die geistige Gesundheit von Kindern stärkt“, nennt Happ zentrale Ergebnisse.
Je höher und vielfältiger das gesamte Bewegungspensum von Kindern war, desto ausgeprägter entwickelt war ihre soziale Resilienz – also die Fähigkeit mit Herausforderungen und Stress umzugehen. „Körperliche Aktivität und vielfältige Bewegungserfahrungen unterstützen Kinder dabei, Strategien zu entwickeln, mit denen sie schwierige Lebenssituationen bewältigen können“, so Happ. Dieses sogenannte Coping-Verhalten ist essenziell für die Entwicklung von Resilienz, von der Kinder in vielen Lebenslagen nachhaltig profitieren.
Auf dem Schulweg zu mehr Selbstvertrauen
„Zu Fuß zur Schule zu gehen oder sich aufs Radl zu schwingen ist eine wunderbare Möglichkeit für Kinder über den Tag verteilt Bewegung zu ‚sammeln‘“, sagt Happ. Teil ihrer Forschung war auch, die Bedeutung der Integration aktiver Mobilität in den Alltag ganz genau unter die Lupe zu nehmen und die Auswirkungen eines aktiv genutzten Schulweges auf das mentale Wohlbefinden und die Selbstständigkeit von Volksschulkindern zu untersuchen. „Wir haben nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Eltern befragt. So erhielten wir sowohl Einblicke in die Sichtweisen und Bedürfnisse der Kinder als auch in die ihrer Eltern. Beide Perspektiven sind wichtig – insbesondere, weil sie sich mitunter deutlich unterscheiden“, erklärt Happ das methodische Vorgehen.
Indem Kinder ihren Schulweg ohne ihre Eltern bewältigen, trainieren sie automatisch ihre Resilienzfähigkeit, da sie lernen mit Herausforderungen ganz allein umzugehen. „Bewegung hilft Kindern, sich selbst zu organisieren, mit ungewohnten Situationen zurechtzukommen und Selbstvertrauen aufzubauen“, erläutert Happ. Und doch wird laut dem Verkehrsclub Österreich (VCÖ) jedes 5. Kind von den Eltern gefahren. Gründe dafür sind laut Happ vor allem fehlende Gehsteige, ungesicherte Kreuzungen und das hohe Verkehrsaufkommen. „Eltern denken oft, sie tun ihren Kindern etwas Gutes, indem sie sie mit dem Auto zur Schule fahren. Doch in Wirklichkeit nehmen sie ihnen damit eine wichtige Gelegenheit, selbstständig Erfahrungen zu machen.“
Spielerisch zum Ziel
„Wir wollten dann natürlich wissen, wie ein Schulweg gestaltet sein muss, um Kinder zur aktiven Mobilität zu motivieren und Eltern ein sicheres Gefühl zu vermitteln“, erklärt Happ. „Für Eltern sind verkehrsberuhigte Zonen und sichere Geh- und Radwege ein entscheidendes Argument, um Kinder guten Gewissens allein losziehen zu lassen. Kinder brauchen zusätzlich kreative und soziale Anreize, die den Schulweg spannend machen.“
So ermutigen Schulweg-Gruppen, zu denen beispielsweise die Radl-Bus-Initiative auf dem Mitterweg oder der Pedibus gehören, Kinder dazu, den Schulweg gemeinsam zu bewältigen. Gleichzeitig fördern sie Zusammenhalt und soziale Kompetenzen wie Hilfsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit und Empathie. „Aber auch spielerische Elemente wie Balanciermöglichkeiten oder farbige Markierungen auf dem Schulweg, die Kinder zum Hüpfen und Bewegen animieren, sind einfache Maßnahmen“, schlägt Happ vor. „Der Bau dieser Bewegungsstationen ist mit vergleichsweise wenig Aufwand verbunden, bedarf aber einer Mithilfe der Gemeinden.“
Auch Schulen, in denen Kinder bis zu 40% ihrer Wachzeit verbringen, können auf unterschiedliche Art aktiv zur Bewegungsförderung beitragen. „Gamification-Ansätze, etwa das kollektive Sammeln von Belohnungen,steigern die Motivation der Kinder erheblich“, sagt Happ. „Aber auch auf dem Schulgelände Bewegungsmöglichkeiten zu schaffen und Kinder bei der Bewusstseinsbildung zu unterstützen, sind tolle Möglichkeiten für Schulen“. Zuletzt sind natürlich auch die Eltern gefragt: „Kinder übernehmen Verhaltensmuster aus ihrer Umgebung. Wer früh lernt, Wege aktiv zurückzulegen, wird das auch als Erwachsener beibehalten und langfristig die eigene Gesundheit pflegen.“
Tiefer einsteigen
Mehr Informationen zu den Forschungsarbeiten von Elisabeth Happ und ihren Kolleg:innen sind in zwei Studien zu finden. Die erste Studie befasst sich mit dem Einfluss verschiedener Formen körperlicher Aktivität auf die mentale Gesundheit, die zweite Studie fokussiert sich insbesondere auf die Bedeutung eines aktiv zurückgelegten Schulweges.
Dieser Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von wissenswert erschienen, eine digitale Version des Magazins ist hier zu finden.