- Leseraum
| Theologie - Geschichte - WissenschaftAutor: | Schwager Raymund |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | Zeitschrift für Katholische Theologie 109 (1987) 257-275. |
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Datum: | 2001-10-17 |
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Inhalt1
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In weiten Kreisen der Wissenschaft wird die Theologie nicht als ebenbürtiger Partner anerkannt, und es wird ihr der Charakter als Wissenschaft oft rundweg abgesprochen. Man wirft ihr vor, sie müsse sich wegen ihrer Bindung an die Offenbarung und die kirchliche Lehre gegen jede grundlegende Kritik immunisieren. Sie sei letztlich nicht der freien Forschung, sondern einer - aus subjektiven Gründen - gläubig angenommenen Autorität verpflichtet. Bei einer Offenbarungsreligion könne es echte Forschung höchstens in nebensächlichen historischen Fragen, aber nicht in den entscheidenden Lehraussagen geben. Andere gehen noch einen Schritt weiter; sie sprechen der religiösen Sprache überhaupt jede objektive Bedeutung ab und sehen in ihr nur Äußerungen subjektiver Gefühle, die mit psychologischen und soziologischen Methoden zu untersuchen sind. - Angesichts solcher Kritik und auch angesichts einer theologischen Strömung, die auf die Angriffe von außen mit einem Rückzug in eine reine "Offenbarungswissenschaft" antwortet, hat vor allem Wolfhart Pannenberg sein umfassendes Werk darauf konzentriert, den wissenschaftlichen Charakter der Theologie herauszuarbeiten.
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Im Anschluß an moderne anthropologische Untersuchungen zeigt Pannenberg, daß der Mensch eine "exzentrische Struktur" hat und alle endlichen Inhalte seiner Erfahrung immer wieder überschreitet, ohne sich allerdings je von ihnen ganz lösen zu können. (1) Dem Menschen ist eine Weltoffenheit eigen, die sich von der Verwiesenheit der Tiere an ihre Umwelt grundsätzlich unterscheidet. Durch seine exzentrische Selbsttranszendenz greift er über die Gesamtheit aller gegebenen und möglichen Wahrnehmungsgegenstände - über die Welt - hinaus. Seine Weltoffenheit ist deshalb letztlich als Gottoffenheit zu deuten. Erfahrungen ekstatischer Selbsttranszendenz sind trotz ihrer Gefahren und zahlreichen Täuschungen nicht reine Truggebilde. Anthropologische Untersuchungen allein können jedoch keine devinitive Antwort auf die Gottesfrage geben, denn alle Bilder und Vorstellungen, durch die der Mensch das Unbedingte und Göttliche zu fassen sucht, sind wieder endliche Gebilde und als solche der Zeit und Geschichte verhaftet. Die Anthropologie bedarf deshalb der Ergänzung und Vertiefung durch die Untersuchung der Geschichte.
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Pannenberg will nicht die Geschichtswissenschaft und die Geschichtsphilosophie, die sich an den vielen Wandlungen interessieren, gegen eine Anthropologie, die nur unveränderliche allgemeine Wesensstrukturen des Menschen untersucht, ausspielen. Nach ihm gehört gerade die Veränderlichkeit zum allgemeinen Wesen des Menschen. (2) Die handelnden Subjekte sind der Geschichte nicht einfach vorgegeben, sondern diese ist selber als "Bildungsprozeß des Subjekts" (3) zu verstehen. In ihr werden jene Menschen geformt, die die Geschichte wiederum gestalten. Dieser Bildungsprozeß ist in keiner geschichtlichen Gegenwart vollendet, denn künftige Ereignisse können Erreichtes zerstören oder Tiefpunkte überwinden. Sie vermögen unerwartete Problemfelder zu eröffnen und können neue Ordnungsvorstellungen glaubwürdig machen. (4) Das Endgültige und die wahrhafte Wirklichkeit sind deshalb nie erreicht, sondern höchstens als Antizipationen gegenwärtig.
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Auch vergangene Ereignisse, die anscheinend ganz abgeschlossen sind, haben ihren endgültigen Sinn noch nicht erlangt, denn alle Einzelereignisse sind nur insofern sinnvoll, als sie in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden. (5) Dieser Zusammenhang ist aber durch die fortschreitende Geschichte in dauernder Veränderung. Die Frage nach dem Menschen, der im Prozeß der Geschichte gebildet wird, verweist deshalb auf die kommende Geschichte und über sie hinaus auf die Universalgeschichte, von deren Ende her alle Einzelereignisse ihren definitiven Sinn bekommen.
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Entscheidende Strömungen im modernen Denken versuchen die Geschichte nur vom Menschen als dem allein handelnden Subjekt her zu verstehen. Da die Geschichtserfahrung aber vor allem eine Erfahrung vielfachen Scheiterns ist, finden die Vertreter solcher Denkrichtungen in ihr meistens nicht den geringsten Hinweis auf einen umfassenden letzten Sinn. (6) Im klaren Gegensatz dazu sucht Pannenberg - gestützt auf seine Analysen vom Menschen als einem welt- und gottoffenen Wesen - den letzten Sinn der Geschichte nicht vom Menschen, sondern von Gott her zu ergründen. Um aber gleichzeitig keine unwissenschaftlichen Vorentscheidungen zu treffen und um nicht - unter dem Einfluß historisch gewordener Gottesvorstellungen - vorschnellen Urteilen bezüglich der letzten und wahrhaften Wirklichkeit zu verfallen, regt er an, die Geschichte nicht direkt nach einer bestimmten Gottesvorstellung, sondern zunächst kritisch-neutraler nach der "allesbestimmenden Wirklichkeit" zu befragen. Auf diese Weise bleibt der forschende Blick unbeschwert durch historische Traditionen für jene letzte Wirklichkeit möglichst offen, auf die der Mensch durch seine exzentrische Struktur verwiesen ist.
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Die "allesbestimmende Wirklichkeit" manifestiert sich konkret vor allem in den vielen Religionen und religionsähnlichen Gebilden der Weltgeschichte. Die Frage nach der Bestimmung des Menschen ist deshalb in Auseinandersetzung mit der Religionsgeschichte zu beantworten. Sie ist jener Ort in der Universalgeschichte, wo die Frage nach dem letzten Sinn ausdrücklich gestellt wird, wo der Mensch einen vorgegebenen Sinn empfängt und zugleich zwischen verschiedenen Sinnangeboten zu wählen und so in gewisser Weise selber Sinn zu entwerfen hat. Der Streit zwischen den verschiedenen Religionen und Sinnangeboten ist gemäß Pannenberg nach dem Kriterium der Integrationskraft zu entscheiden: Welche Religion erweist die größte Fähigkeit, die vielfältigen Erfahrungen einzelner Menschen und ganzer Völker unverkürzt aufzugreifen und in eine umfassende Sinngestalt zu integrieren? Dabei geht es nicht bloß um die "allesbestimmende Wirklichkeit", sondern um alle Dimensionen echten menschlichen Lebens.
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"Die integrative Kraft einer Religion ist nicht einfach an ihrem Gottesgedanken abzulesen. Sie äußert sich im Ganzen des religiösen Daseinsverständnisses, und ob ein Gottesgedanke repräsentativ für eine Religion ist und als Gradmesser ihrer Heilsmacht und Wahrheit in Ansperuch genommen werden kann, das hängt von seiner Stellung und Bedeutung innerhalb jenes Ganzen ab." (7)
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So nähern sich einander zwei Forschungsrichtungen. Da einerseits die Geschichtswissenschaft zum Ziel hat, die vergangenen Ereignisse in immer größere Zusammenhänge zu stellen und bis zur Perspektive der Universalgeschichte vorzustoßen, und da anderseits die Frage nach Gott von der gleichen Geschichte und ihrem umfassenden Sinn her zu beantworten ist, zeichnet sich eine gemeinsame Bezugsebene ab:
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"Im Thema der Ganzheit der Geschichte läßt sich eine streng gemeinsame Bezugsebene theologischer und historischer Arbeit vermuten." (8)
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Die Geschichtsforschung und die Theologie klaffen nicht mehr hoffnungslos auseinander, sondern beide sind durch die Fragenach der letzten Perspektive der Geschichte auf die Gottesfrage verwiesen. Da das Ende der Geschichte aber noch nicht erreicht ist, kann die Gottesproblematik noch nicht endgültig und ein für allemal geklärt werden. Antworten sind nur in Form von Antizipationen möglich.
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"Die Wirklichkeit Gottes ist mitgegeben jeweils nur in subjektiven Antizipationen der Totalität der Wirklichkeit, in Entwürfen der in aller einzelnen Erfahrung mitgesetzten Sinntotalität, die ihrerseits geschichtlich sind, d.h. der Bestätigung oder Erschütterung durch den Fortgang der Erfahrung ausgesetzt bleiben." (9)
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Aussagen über Gott verweisen folglich immer auf etwas, das sich nicht voll thematisieren und objektivieren läßt; sie sind insofern 'subjektiv' und lassen sich nie wie Sätze über einzelne empirische Sachverhalte prüfen. (10) Dennoch sind sie mehr als Ausdruck bloßer Gefühle, denn sie entspringen der Ahnung und der Antizipation jener Sinntotalität, auf die hin jede einzelne Sinn- und Wirklichkeitserfahrung gemacht wird. (11) Aussagen über Gott können so trotz gegenteiliger Behauptungen den Charakter einer ernsthaften wissenschaftlichen Hypothese haben, die in der Erfahrung von Welt und Mitmenschen erprobt werden kann und die insofern auch indirekt überprüfbar ist. (12)
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Unter den Religionen der Welt zeichnet sich nun nach Pannenberg die jüdisch-christliche Offenbarungsgeschichte durch ihre besondere integrative Kraft aus. Das Volk Israel hat das Handeln seines Gottes vorwiegend in geschichtlichen Ereignissen wahrgenommen, und es wurde dazu geführt, im Ringen um den Sinn der eigenen Geschichte Manifestationen des Handelns Jahwes zu entdecken. Es hat während Jahrhunderten extreme Erfahrungen durchgestanden, und es konnte trotz großer Katastrophen seine Identität bewahren, weil es alles, was ihm zustieß, von Jahwe her zu deuten vermochte. In politischen Niederlagen sah es kein Zeichen der Schwäche des eigenen Gottes, sondern es verarbeitete - dank der prophetischen Verkündigung - bittere Schicksalsschläge mittels der zentralen Vorstellung vom Gericht Gottes. Zugleich vermochte es entscheidende Elemente von der Erfahrung der umliegenden Völker in seine Welt- und Gottessicht zu integrieren. Unter dem Eindruck totaler Bedrohung entfaltete der Glaube Israels sogar die Vorstellung von einer universalen Geschichte, indem es sich in der Apokalyptik das Ende des ganzen Weltenlaufes vergegenwärtigte und aus dem Widerspruch zwischen eigener Erfahrung und erhoffter universaler gerechtigkeit die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod entwarf. Jahwe erwies sich so dem Glauben Israels als ein Gott, der die ganze Wirklichkeit umfaßt und auch die Toten nicht aus seiner Hand entläßt. Dieses Gottesbild ist deshalb nach Pannenberg im positiven Sinne 'sykretistisch', d.h. aus vielfältigen Erfahrungen zusammengewachsen.
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Die Verkündigung Jesu knüpfte einerseits an die reiche Glaubenserfahrung Israels an und brachte anderseits nochmals Neues zur Sprache. Die Botschaft von der nahen Gottesherrschaft enthielt entscheidende Elemente der jüdischen Apokalyptik mit ihrem Blick auf das Ende aller Zeiten, ohne allerdings der apokalyptischen Engführung mit ihrer subjektiven Einteilung von Freunden und Feinden Gottes zu verfallen. Jesus verkündete einen Gott, der nicht nur seinen unbedingten Dienern gerechtigkeit widerfahren läßt, sondern auch seine Gegner, die Sünder in Israel und die Heiden, zu einem Leben mit ihm einlädt und damit eine bisher unbekannte Universalität bekundet. Dank dieser Universalität konnten auch der Tod und die Auferweckung Jesu von seinen Jüngern ganz im Zeichen der erwarteten Endzeit und im Blick auf die erhoffte Auferweckung aller Toten erfahren werden. Das Geschick des Gekreuzigten ist deshalb im umfassenden Sinn so zu deuten, daß sich darin "das Ende aller Geschichte im voraus, als Vorwegnahme" (13) hat.
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Mittels der Denkfigur "Vorwegereignung des Endes der Geschichte" vermag Pannenberg das geschichtliche Denken und Forschen - trotz der Erfahrung der Vorläufigkeit und trotz der grundsätzlichen Offenheit für Neues - vor einem uferlosen Relativismus zu bewahren, und durch seinen umfassenden Entwurf gelingt es ihm, vier große Bereiche zusammenzuartikulieren: 1. die empirische Anthropologie, die die exzentrische Struktur des Menschen analysiert; 2. das geschichtliche Forschen, das zwar immer hypothetisch bleibt, aber doch dahin tendieren muß, Einzelereignisse in immer größere Zusammenhänge zu stellen und sich so der Frage der Universalgeschichte zu öffnen; 3. die Religionswissenschaft, die die vergangene Geschichte danach befragt, wie sich in ihr und vor allem in den verschiedenen Religionen die 'allesbestimmende Wirklichkeit', auf die der Mensch durch seine exzentrische Struktur immer schon verwiesen ist, manifestiert hat und welche geschichtlichen Gestalten des 'Unbedingten' der umfassenden Erfahrung von Welt und Mensch am besten gerecht werden; 4. die christliche Theologie, von der jene besondere Geschichte untersucht wird, die sich ganz auf die Universalgeschichte hin geöffnet und in der sich das Ende der Zeiten bereits in einem Einzelgeschehen vorwegereignet hat, wodurch sich diese jüdisch-christliche Geschichte als Offenbarungsgeschichte erweisen läßt.
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Dieser Entwurf Pannenbergs, der den wissenschaftlichen Charakter der christlichen Theologie herausarbeitet, ist von imponierender Größe. Er schließt auch die Möglichkeit ein, daß in allen Einzelbereichen weitergeforscht und präzisere und nuanciertere Ergebnisse erreicht werden, ohne daß seine Grundartikulation in Frage gestellt werden muß. Dennoch gibt es in ihm - und zwar an zentraler Stelle - eine auffällige Unklarheit. Was meint Pannenberg genau mit dem "Ende der Geschichte", von dem her der Sinn der ganzen Geschichte sich erschließen soll? Nehmen wir an, daß Menschen von einem Atomkrieg überrascht werden, der die ganze Geschichte beendet. Werden die hilflosen Opfer dieser Katastrophe in den letzten Stunden und Minuten des Abenteuers der Menschheit fähig sein, den totalen Sinn der Geschichte grundsätzlich anders und besser zu erfassen, als wir es vermögen? Wohl kaum! Sie dürften so in ihre partikulären Erfahrungen - und seien es die des Endes - verfangen bleiben, wie wir es sind. Der totale Sinn der Geschichte kann wohl nur mit letzter Eindeutigkeit von einem Standpunkt aus erfaßt werden, der der Geschichte transzendent ist. Pannenberg scheint dies selber so zu sehen, denn er betont ja die Bedeutung der Auferweckung Christi und der Ostererscheinungen, durch die eine der Geschichte transzendente Botschaft in die Geschichte hineinverkündet wurde. Wenn aber der totale Sinn der Geschichte nur von einem transgeschichtlichen Standpunkt aus mit letzter Klarheit erkannt werden kann, öffnet sich dann nicht wieder ein Graben zwischen der Geschichtswissenschaft, die sich nur mit innergeschichtlichen Ereignissen und Sinnfiguren beschäftigt, und der christlichen Theologie, die auch eine Botschaft transgeschichtlicher Art zur Sprache bringen möchte? Kann nicht der Geschichtswissenschaftler weiterhin mit Recht sagen, daß das, was der christliche Glaube behauptet, mit seinen Methoden nicht zu fassen ist, denn bei aller Tendenz zur Universalgeschichte verfüge er immer nur über innergeschichtliche, hypothetische und vorläufige Bilder vom Ganzen? Diese Bilder seien zudem widersprüchlich und bei der Fülle des SToffes müsse man sich sowieso beschränken. (14)
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Der englische Historiker Butterfield hat sich ebenfalls ausführlich mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Geschichte und Christentum beschäftigt. Obwohl er selber nicht der Ansicht ist, daß man nur mit dem Blick eines Geschichtsforschers aus dem Gang der Welt das Walten Gottes erkannen kann (15) , ergibt sich für ihn dennoch eine große Nähe zwischen Geschichtswissenschaft und Theologie. Die Ereignisse der Geschichte zeigen ihm nämlich mit unbezweifelbarer Evidenz,, daß die Menschen und Völker immer wieder aus der Überzeugung heraus handeln, selber die Guten und Gerechten zu sein und das Böse bei den Nachbarn und Nachbarvölkern bekämpfen zu müssen. Da diese Nachbarn aber immer ähnlich denken, ihrerseits die Schuld bei anderen sehen und meinen, sie seien Opfer schlimmer Verleumdungen, stehen die Urteile der Menschen und Völker meistens in scharfem Gegensatz zueinander. Täuschungen und Trug über sich selber und über andere müssen folglich im menschlichen Urteilen eine entscheidende Rolle spielen. Nach Butterfield deckt die Geschichtsforschung deshalb die affektive Voreingenommenheit und allgemeine Sündhaftigkeit der Menschen auf. (16) Dabei leitet er dieses harte moralische Urteil nicht von irgendwelchen Normen, sondern nur von der einfachen geschichtlichen Beobachtung ab, daß die Urteile der Menschen bezüglich des Bösen, das sie trifft, immer wieder in einem radikalen Gegensatz zueinander stehen. Einseitige und falsche Urteile haben zudem nicht nur die vergangene Geschichte beherrscht, sondern sie bilden auch den wichtigsten Grund, weshalb stets neues Böses entsteht:
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"Nichts kann den Menschen so tief in ausweglose und verzwickte Lagen treiben, wie wenn er die Geschichte als Kapf der Frommen, Reinen und Gerechten gegen die satanisch Bösen ansieht, statt davon auszugehen, daß die menschliche Natur - die eigene einbegriffen - allgemin unvollkommen ist. In Wirklichkeit verknoten sich die Ereignisse infolge der allgemeinen Begehrlichkeit; aufgrund der allgemeinen menschlichen Anmaßung und Selbstgerechtigkeit wird die Lage noch verzweifelter, die Ausweglosigkeit noch sicherer, und die verbitterte Haltung der Starrköpfigen mag sogar manchen Menschen noch tiefer in Sünde verstricken, als er schon war." (17)
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Die falschen Urteile - auf der Linie der apokalyptischen Dichotomie zwischen Guten und Bösen -, die die Menschen und Völker immer wieder über einander gefällt haben und mit denen jeder Geschichtsforscher notwendigerweise konfrontiert wird, wenn er sich nicht aus blinder Parteilichkeit von vornherein für eine Seite entscheidet, führen Butterfield dazu, daß er trotz seiner Zurückhaltung bezüglich der Möglichkeit, das Walten Gottes in der Geschichte zu erkennen, eine Zusammenarbeit zwischen Geschichtsforschung und Theologie für sinnvoll hält:
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"Deswegen scheint mir - wenn auch die Geschichte diese Probleme nicht bis in die tiefen Schichten hineinverfolgt, in denen der Theologe seine Urteile fällt, und nicht die Selbsttäuschungen über unsere angebliche gerechtigkeit bloßlegt -, daß der Historiker sogar schon auf seiner eigenen Ebene, selbst auf dem Gebiet beobachtbarer historischer Ereignisse dem Theologen die Hand reichen sollte (18) , und die Notwendigkeit tritt noch deutlicher zutage, wenn wir in einem bitteren Konflikt stehen und unsere Lage verzweifelt wird. In der Welt, wie sie sich mir in der Geschichte darbiett, gibt es eine Hauptsünde, die die Menschheit in all ihren anderen Sünden festhält und die Menschen und Nationen aus ihrer schwierigen Lage nicht herauskommen läßt - eine Sünde, zu der wahrlich keine Veranlassung besteht, wenn das zutrifft, was ich oben über die Natur des Menschen und seinen Standort in der Welt gesagt habe: die Selbstgerechtigkeit." (19)
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Jene beobachtbaren historischen Tatsachen, die Buttefield eine Zusammenarbeit der Geschichtswissenschaft mit der Theologie ratsam, ja notwendig erscheinen lassen, haben auch andere Geschichtswissenschaftler entdeckt. So hat z.B. Léon Poliakov in seiner großen Studie zum Antisemitismus (20) auf eindrückliche Weise herausgearbeitet, wie sehr während der ganzen Geschichte des abendländischen Christentums die Juden für gesellschaftliche Übel verantwortlich gemacht und in die Rolle von Sündenböcken gedrängt wurden. In seinen ergänzenden Studien "La causalité diabolique" (21) weitet er die diesbezüglichen Untersuchungen noch aus und zeigt, wie auch andere Gruppen von Menschen immer wieder verteufelt wurden und wie sogar die Opfer der Verteufelung der gleichen Logik verfallen konnten. (22) Vor allem aber kann er überzeugend nachweisen, daß bei den großen abendländischen Revolutionen (englische, französische und russische) Verschwörungstheorien eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Nur durch den systematischen Verdacht, verschworene Feinde seien überall gegenwärtig und wirksam, konnte bei großen politischen Umwälzungen eine Handlungseinheit unter den sich gegenseitig belauernden und rivalisierenden Revolutionären erreicht, eine kraftvolle Aktion in Gang gesetzt und die alte Ordnung gestürzt werden. Obwohl Poliakov auf sehr beeindruckende Weise ähnliche geschichtliche Fakten herausarbeitet wie Butterfield, stößt er dennoch nicht zu ausdrücklichen theologischen Überlegungen vor. Nur im Titel seines Werks 'La causalité diabolique' benützt er ein biblisches Wort. Die damit angedeutete biblische Problematik wird jedoch von einem anderen Historiker, don Jean Delumeau, sehr ausführlich behandelt. In seinem Werk 'Angst im Abendland' (23) sammelt er ähnliche Fakten, wie Poliakov sie ararbeitet hat; zugleich zeichnet er aber sehr deutlich das umfassende Bild, das die Menschen des Abendlandes immer wieder bewegt hat und mit dem sie ihre Verfolgungen und Anklagen rechtfertigt haben, und dieses Bild stammt aus der Bibel.
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Seit dem 14.Jahrhundert - Seuchen, Hungersnöte, Aufstände, der türkische Vormarsch, das große Schisma hatten sich damals in ihrer traumatischen Wirkung ergänzt - fühlte sich eine Kultur, die sich 'Christenheit' nennt, bedroht. Diese Angst erreicht ihren Höhepunkt in dem Moment, als die Reformation einen anscheinend nicht wiedergutzumachenden Bruch in der Kirche hervorruft. Die Machthaber in Kirche und Staat sehen sich mehr als je zuvor der dringenden Notwendigkeit gegenüber, den Feind beim Namen zu nennen. Es ist natürlich Satan, der wütend seine letzte große Schlacht vor dem Ende der Welt führt. Bei diesem entscheidenden Angriff macht er von allen verfügbaren Mitteln und Tarnungen Gebrauch. Er läßt die Türken vorrücken; er ist verantwortlich für die heidnischen Kulte Amerikas; er wohnt in den Herzen der Juden; er läßt die Ketzer vom rechten Weg abkommen; er versucht, mit Hilfe weiblicher Reize und einer seit langer Zeit als schuldhaft geltenden Sexualität die Ordnungshüter von ihren Aufgaben abzubringen; er stiftet durch Hexenmeister und besonders durch Hexen Unordnung im täglichen Leben, indem er Menschen, Tiere und Ernten verzaubert. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn diese verschiedenen Angriffe gleichzeitig vorgetragen werden. Die Stunde des Großangriffs des Teufels hat geschlagen, wobei deutlich ist, daß der Feind nicht nur die Christenheit von außen bedroht, sondern schon in ihrem Lager steht - deshalb muß man drinnen noch wachsamer sein als draußen. (24)
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Ohne die Frage des Satans hier theologisch beantworten zu wollen, kann festgehalten werden, daß bei den kollektiven Ängsten immer auch kollektive Projektionen im Spiel sind, und diese waren in der Geschichte des Abendlandes lange Zeit religiöser Art. So hat schon Friedrich von Spee am Beispiel der Hexenprozesse überzeugend aufgezeigt, welch schreckliche Täuschungen in diesem System wirksam waren. Obwohl er die Möglichkeit von Besessenheit nicht grundsätzlich ausschloß, hat er in seiner 'Cautio criminalis' (25) mit großer Klarheit aufgedeckt, wie es für eine Person, auf die einmal der Verdacht gelenkt wurde, normalerweise überhaupt keine Möglichkeit gab, der Verurteilung und Hinrichtung zu entgehen. Das Teuflische war folglich meistens nicht in jenen Personen wirksam, die als Hexen gebrandmarkt wurden, sondern in jenen Wahnvorstellungen und im System, das solche vermeintliche Hexen produzierte. Ähnliche Täuschungen dürften in all jenen Phänomenen wirksam gewesen sein, auf die Delumeau nachdrücklich hinweist. - Im Zuge der Aufklärung wurde die Religion zwar aus der Öffentlichkeit verdrängt, aber die kollektiven Urteile wurden deshalb nicht objektiver. Projektionen, die sich auf biblische Bilder stützten, wurden durch Projektionen im Namen des Mythos der Nation abgelöst, wie Butterfield vor allem im Zusammenhang mit der Geschichte des 19. und 2o.Jahrhunderts eindrücklich zeigt.
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Butterfield stellt ausdrücklich einen Zusammenhang zwischen kollektiven Projektionen und der theologischen Problematik der Sünde her, Delumeau zeigt durch eine beeindruckende Materialsammlung einen ähnlichen Zusammenhang am Beispiel einer bestimmten historischen Epoche auf, und Poliakov deutet diese Problematik mindestens an. Die Frage nach diesem Zusammenhang drängt sich noch um so mehr auf, als im Werk René Girards eine große Theorie und Arbeitshypothese vorliegt, die all jene Bereiche umfaßt, auf die sich das Werk Pannenbergs erstreckt, und die zugleich direkt jene geschichtlichen Fakten deutet, die Butterfield, Delumeau, Poliakov u.a. herausgearbeitet haben.
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Gestützt auf literarische Werke, deutet Girard im anthropologischen Bereich die menschliche Neigung zu Rivalität und Gewalt durch die Nachahmung (Mimesis) fremder Begierden. (26) Von einem umfassenden ethnologischen Material her entwirft er dann - auf soziologisch/politologischer und religionswissenschaftlicher Ebene - die Hypothese, vorstaatliche Gemeinschaften hätten durch den Sündenbockmechanismus ihre Stabilität gewonnen. Dabei sei jeweils das willkürlich ausgestoßene Opfer (der Sündenbock) mit allem Übel beladen und so sakralisiert worden, und die ursprüngliche stabilisierende Wirkung der gwaltsamen Endladung habe dank der regelmäßigen rituellen Opfer - als Nachahmung der spontanen Opferung eines Zufälligen - heilsam weitergewirkt. (27) Diese religionswissenschaftliche Hypothese gewinnt schließlich eine zentrale theologische Dimension, denn Girard versteht die jüdisch-christliche Offenbarungsgeschichte als ein Geschehen, bei dem einerseits die verborgenen Mechanismen menschlicher Nachahmung, kollektiver Ausstoßung und religiöser Sakralisierung schrittweise aufgedeckt und andererseits das Wesen des wahren Gottes fortschreitend enthüllt wurden. Dieser Offenbarungsvorgang erreichte in der Kreuzigung und in der Auferweckung Jesu seinen Höhepunkt, denn dieser hat zwar durch seine Basileia-Botschaft die dunklen Mächte der Lüge und Gewalt voll bloßgelegt, aber dennoch haben bei seiner Ausstoßung wieder Gruppen von Menschen für einen Augenblick zusammengespielt, die sonst tödlich untereinander verfeindet waren. Ihre kollektive Projektion (Verurteilung als Gotteslästerer und als politisch gefährlicher Aufrührer) konnte den Getöteten und Ausgestoßenen aber nicht mehr sakralisieren, weil durch seine Auferweckung bei den Jüngern ein definitiver Bekehrungsprozeß eingeleitet und so die Mechanik der Zusammenrottung und der Projektion nicht nur voll aufgedeckt, sondern in ihrem Glauben auch überwunden wurde. (28)
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Gemäß der umfassenden Hypothese Girards hat die Geschichte nach dem Kommen Christi einen ganz eigenen Charakter, denn durch seine Verkündigung und sein Geschick wurde einerseits die verborgene Mechanik aller früheren Gesellschaften entschleiert, anderseits kam es aber zu vielen Rückfällen, in denen neue und noch subtilere Verdrehungen und Verdeckungen wirksam waren. Eine dieser Verdrehungen bestand darin - und in diesem Punkt treffen sich die Analysen Delumeaus direkt mit denen Girards (29) -, daß von einer breiten theologischen und spirituellen Tradition der gekreuzigte Christus direkt als Opfer einer göttlichen Gewalt dargestellt wurde, was - trotz der Lehre von der Gewaltfreiheit in der Bergpredigt - zur Rechtfertigung gewalttätiger Verfolgungen Andersdenkender beitrug. Zwar hat Girard den besondern Charakter der vom Christentum beeinflußten Geschichte nicht mehr im einzelnen herausgearbeitet, in Fortsetzung seiner Analyse haben aber Paul Dumouchel und Jean-Pierre Dupuy versucht, die Eigenart der modernen Gesellschaft zu umschreiben. (30) Während es bis zur und mit der Reformation viele Formen der Resakralisierung gab, begann mit dem 17.Jahrhundert ein Prozeß wachsender Differenzierung (Funktions- und Arbeitsteilung) und umfassender Säkularisierung. Die Gesellschaft wurde im hohen Maße komplex, so daß ihr Funktionieren heute von keinem Menschen mehr - auch von keinem wohlinformierten Staatsmann - im einzelnen durchschaut und gesteuert werden kann. Haben früher sakrale Vorstellungen stabilisierend gewirkt, so hat nun die für den einzelnen undurchsichtig gewordene Komplexität die entsprechende Rolle übernommen. Die sich selber organisierende Gesellschaft bleibt für den einzelnen - analog zur sakralen Welt - undurchschaut und geheimnisvoll, aber sie wird nicht mehr durch ein sakrales Geheimnis (Faszination und Schrecken) bestimmt, sondern durch die Undurchdringlichkeit der komplexen Interaktionen all ihrer Glieder.
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Diese Deutung hat viel Erhellendes an sich, und ihre Plausibilität kann noch dadurch erhöht werden, daß sie mittels der Arbeiten Butterfields und vor allem Poliakovs ergänzt und nuanciert wird. Wenn die undurchschaubare Komplexität der modernen Gesellschaft die stabilisierende Funktion des Sakralen in früheren Gesellschaften übernommen hat, dann fragt sich, ob es auch in der neueren Geschichte jene gewaltsamen Entladungen gab, die gemäß der Hypothese Girards früher zur Produktion kollektiver sakraler Gebilde und gesellschaftlicher Institutionen geführt haben. Erforscht man die modernen großen Revolutionen im Licht dieser Fragestellung, dann gewinnen die Verschwörungstheorien, die Poliakov herausgearbeitet hat, plötzlich eine neue Bedeutung.. Diese Theorien haben danach als kollektive Projektionen eine ähnliche Rolle wie die gewaltsamen kollektiven Ausstoßungen in früheren Gesellschaften gespielt. Durch den Prozeß der Verdächtigung einer anderen Menschengruppe konnte eine Handlungseinheit unter den sich gegenseitig verdächtigenden und miteinander rivalisierenden Revolutionären erreicht werden. Die ganze menschliche Geschichte dürfte folglich in der einen oder anderen Weise von der gleichen Mechanik beherrscht worden sein. Die dauernde Tendenz, Verschwörer und Sündenböcke zu finden, entsprach nicht einem überholten Aberglauben, sondern dem einfachen, aber massiven Faktum, daß die Menschen durch die Anschuldigung anderer leichter zu einem gemeinsamen Handeln zusammenfinden als durch echte Verständigung und Versöhnung.
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Vermögen die Arbeiten Poliakovs (31), Delumeaus und Butterfields die große Hypothese Girards zu ergänzen, so scheint diese umgekehrt geeignet, die weiter oben angeschnittene Problematik vom Ende der Geschichte näher zu klären. Die bei Pannenberg offengebliebene Frage, wie die Rede vom Ende genau zu verstehen ist, läßt sich aus der Sciht Girards in dem Sinne beantworten, daß das Ende insofern antizipiert werden kann, als jene Mechanik aufgezeigt wird, die die Geschichte bis zu ihrem Ende beherrschen wird. Es ist - im Sinne einer umfassenden Hypothese - damit zu rechnen, daß die Menschen bis zum Ende der Tage die gleiche große Schwierigkeit haben werden, sich wahrhaft zu versöhnen, und daß sie immer wieder der Versuchung verfallen werden, eine äußere Einheit durch irgendwelche (zum Teil immer raffinierter werdende) kollektive Anschuldigungen zu schaffen. Da dieser Mechanismus im Kreuz Christi voll aufgedeckt und in der Hingabe des Gekreuzigten und in seiner Auferweckung auf grundsätzlicher Ebene bereits überwunden wurde, darf mit Recht davon gesprochen werden, daß die fundamentale Problematik der Geschichte in seinem Geschick sich zum voraus abgespielt und das Ende der Zeiten sich in seiner Kreuzigung und seiner Auferweckung vorausereignet hat.
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Wird durch diese Deutung aber nicht die geschichtliche Problematik auf die anthropologische reduziert, wogegen sich Pannenberg ausdrücklich wehrt? Dies ist aus einem dreifachen Grund nicht der Fall. Erstens hat die Anthropologie Girards selber einen geschichtlichen Charakter, denn sie versteht ihre Aussagen über die universale Wirksamkeit der Nachahmung und über die allgemeine Tendenz zu Rivalität und Gewalt nicht als Wesensaussagen von einer unveränderlichen Natur, sondern als eine aus sehr vielen empirischen Fakten gewonnene und an ihnen bewährte Hypothese. (32) Girard kann deshalb auch vertreten, daß im Tun Christi die begehrende Mimesis und die Gewalt radikal überwunden wurden, ohne daß er damit eine Veränderung der menschlichen Natur annehmen muß. - Zweitens deutet seine Theorie die aus den wechselseitigen Anschuldigungen entstehenden Konflikte und Kriege unter Menschen nicht als Naturereignisse, sondern - ähnlich wie Butterfield - als einen Gerichtsprozeß, und zwar als Formen eines menschlichen Selbstgerichts, bei dem die Schuld der Beteiligten allerdings nie mit einem menschlichen Maßstab gemessen werden kann. (33) - Der geschichtliche Charakter der umfassenden Hypothese Girards zeigt sich drittens - und hier am deutlichsten - in den sehr unterschiedlichen Formen, wie die kollektiven Anschuldigungen im Laufe der Zeit gesellschaftlich wirksam wurden. In den vorstaatlichen Kulturen war die Übertragung identisch mit dem Gründungsvorgang der betreffenden Stammesgesellschaft, und dieser Prozeß war identisch mit der Produktion religiöser Institutionen und Mythen. Auf dieser gesellschaftlichen Ebene wurde die von Pannenberg beschriebene exzentrische Struktur des Menschen nur im Rausch der kollektiven Erregung und Anklage gesellschaftlich wirksam gelebt. Andere Formen religiöser Erfahrungen konnten zwar auch vorhanden sein, sie vermochten aber noch keine öffentlich faßbare Gestalt zu gewinnen.
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Durch den Übergang zum Ataat mit seiner zentralen Autorität und deren Gewaltmonopol wurde die Frage der inneren Ordnung und des inneren Friedens auf neue Weise gelöst. Die religiöse und ekstatische Erfahrung der Menschen konnte damit eine gewisse Eigenständigkeit gewinnen, wodurch der Weg dafür frei wurde, daß Religionen als von der Gesellschaft unterschiedene öffentlich faßbare Gebilde und Institutionen in Erscheinung treten konnten. Auf dieser Stufe wirkten die kollektiven Übertragungen und Anschuldigungen weiter, aber jetzt auf gebrochene Weise in verschiedenen Bereichen: im Urteil über andere Völker, in der kollektiven Furcht vor dem eigenen König (bei gleichzeitigen untergründigen Beschuldigungen gegen ihn), in der heimlichen oder offenen Anklage des eigenen Gottes oder der eigenen Götter und in der Verteufelung fremder Religionen. Mit dem Kommen Christi und durch die völlige Aufdeckung der Mechanik der kollektiven Übertragung wurde dieser Mechanismus - soweit er nicht durch ein wahres christliches Leben innerlich überwunden wurde - genötigt, sich unter neuen geschichtlichen Formen zu verbergen. Er führte die weiterhin der Sünde verhaftete Christenheit u.a. dazu, den zentralen Erwählungsgedanken zu pervertieren und sich als Werkzeug des göttlichen Gerichts über die Ungläubigen und hartnäckigen Sünder zu verstehen und die eigenen Untaten im Namen der Erlösung zu entschuldigen oder gar zu verdecken. Ein nochmals neues Gesicht gewann der Mechanismus der kollektiven Anklage auf dem Hintergrund der modernen Technologie und vor allem der 'wissenschaftlichen Waffen'. Es zeigt sich nun selbst jenem Blick, der nur mit empirischen Fakten rechnen will, daß er ein mörderischer und selbstmörderischer Mechanismus ist, der gegebenenfalls die ganze Menschheit in eine endgültige Katastropge hineinreißen kann. - Durch diese Analysen Girards wird folglich die fundamentale Annahme Pannenbergs erhärtet, daß sich im Thema der Ganzheit der Geschichte eine streng gemeinsame Bezugsebene theologischer und historischer Arbeiten finden läßt.
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Die bisher vorgetragenen Überlegungen bedürfen einer zusätzlichen Prüfung. Auch wenn sie die Arbeiten und Analysen verschiedener Autoren integrieren und insofern eine beachtliche Plausibilität haben, stellt sich doch die Frage, ob sie nicht aus einer Denkhaltung heraus entstanden sind, die Karl Popper in seinem Werk "Das Elend des Historizismus" (34) scharf kritisiert hat. Gegen all jene, die glauben, ein allgemeines Gesetz der Entwicklung finden zu können, arbeitet er heraus, wie Geschichte und Gesellschaft von einer grundsätzlich unüberschaubaren Komplexität sind und deshalb nie in ihrer Gesamtentwicklung erfaßt werden können. Wenn es aber keine für uns erkennbare Bewegung dr Gesellschaft als Ganzes gibt, lassen sich auch keine universalen Bewegungs- oder Entwicklungsgesetze bestimmen. (35) Aufgabe der Geschichtswissenschaft sei es deshalb, sich mittels begrenzter Gesetze, die die Gesellschaftswissenschaften zu entwerfen und zu prüfen haben, mit einzelnen historischen Fakten zu beschäftigen.
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"Ich will die von den Historizisten so oft als altmodisch angefeindete Auffassung verteidigen, daß die Geschichtswissenschaft durch ihr Interesse für tatsächliche, singuläre, spezifische Ereignisse im Gegensatz zu Gesetzen oder Verallgemeinerungen charakterisiert ist... Während den theoretischen Wissenschaften hauptsächlich an der Entdeckung und Prüfung universaler Gesetze liegt, nehmen die historischen Wissenschaften alle möglichen allgemeinen Gesetze als gültig an und beschäftigen sich hauptsächlich mit der Entdeckung und Prüfung singulärer Sätze." (36)
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Mit dieser Betonung der Einzelereignisse als Gegenstand der Geschichtswissenschaft will Popper nicht ausschließen, daß man auch mit einem gewissen Recht von geschichtlichen 'Trends' sprechen kann. Trends seien aber keine Gesetze, sondern sie würden aus einer Vielzahl allgemeiner Gesetze und durch spezifische Rahmenbedingungen entstehen und nur so lange anhalten, wie diese Rahmenbedingungen gegeben sind (37) , was die 'Historizisten' mit ihrer Rede von Entwicklungsgesetzen immer übersehen würden (38). Popper geht dann allerdings noch einen Schritt weiter und anerkennt, daß es ein berechtigtes menschliches Bedürfnis gibt, größere geschichtliche Zusammenhänge, ja ganze Epochen zu 'interpretieren'. Solche 'Interpretationen' würden aber immer einen vorgefaßten selektiven Standpunkt voraussetzen und aus der unübersehbaren Vielfalt jene Einzeelereignisse und Zusammenhänge festhalten, die den jeweiligen Interpreten interessieren. (39) Ein solches Vorgehen sei berechtigt, solange man um die Auswahl wisse:
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"All dies sind mehr oder weniger interessante Standpunkte, gegen die als Standpunkte nichts einzuwenden ist. Aber die Historizisten stellen sie nicht als solche dar und sehen nicht ein, daß es zwangsläufig eine Vielfalt von Interpretationen gibt, die im Grund alle gleich geistreich und gleich willkürlich sind (wenn auch manche sich durch Fruchtbarkeit auszeichnen, was von einiger Bedeutung ist)." (40)
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Es ist gewiß nicht zu bestreiten, daß manche geschichtliche Interpretationen, auch wenn sie geistreich sind, recht willkürlich sein können. Dennoch anerkennt auch Popper, daß nicht alle gleich fruchtbar sind. Diese Tatsache ist von hoher Bedeutung. Popper geht sogar noch einen Schritt weiter und anerkennt, daß in "seltenen Fällen" selektive Standpunkte Ideen enthalten können, "die sich in Form singulärer oder universaler prüfbarer Hypothesen formulieren lassen" und solche Standpunkte könne man "auch durchaus als wissenschaftliche Hypothesen behandeln". (41)
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Aus der kritischen Sicht Poppers stellt sich deshalb die Frage, ob jener selektive Standpunkt, der weiter oben unsere Überlegungen geleitet hat, nicht genau von der Art ist, daß er unter die seltenen Fälle echter wissenschaftlicher Hypothesen eingeordnet werden kann. Folgende Gründe legen eine Bejahung dieser Frage nahe: 1. Die Problematik der inneren Ordnung und des inneren Friedens einer Gesellschaft ist zwar eine Problematik neben vielen anderen, dennoch ist sie alles andere als willkürlich, denn nur wenn sie positiv gelöst ist, wird ein normales gesellschaftliches Leben möglich. 2. Die Geschichtswissenschaft zeigt, daß das Bedürfnis, Sündenböcke zu haben, in den vergangenen Epochen sehr verbreitet war und auch dann wirksam blieb, wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert hatten. Wir haben es also im Sinne Poppers nicht mit einem begrenzten 'Trend', sondern mit einer Hypothese zu tun, die universal prüfbar ist. 3. Die Erforschung des Totalitarismus hat überzeugend aufzeigen können, daß zu totalitären Ideologien der Denkmechanismus eines undifferenzierten Freund-Feind-Verhältnisses gehört. (42) Wo solche Regime herrschen, werden böse Feinde für alle Übel und Konflikte verantwortlich gemacht. Der Standpunkt, der dem Denkmechanismus des Freund-Feind-Verhältnisses besondere Aufmerksamkeit widmet, ist deshalb kein willkürlicher, sondern er ist für die Gestaltung der politischen Landschaft und für eine 'offene Gesellschaft', wie Popper sie sich wünscht, von entscheidender Bedeutung. 4. Ein Blick ins heutige Leben zeigt fast täglich, wie der Mechanismus wechselseitiger Anschuldigungen in verschiedensten Bereichen - zwischen verfeindeten Staaten, zwischen rivalisierenden politischen Parteien, unter Religionen, zwischen Verbänden und Unternehmen, unter Familienmitgliedern und zwischen Nachbarn etc. - spielt und insofern universal ist. 5. Da er auch das Verhältnis zwischen den großen militärischen Blöcken, die mit ihren Waffenarsenalen die ganze Menschheit bedrohen, bestimmt, ist eine Auseinandersetzung mit ihm alles andere als willkürlich, sondern von zentralster Bedeutung für die kommende Geschichte der Menschheit.
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Diese Gründe dürften eindeutig zeigen, daß jener selektive Standpunkt, der in der Erforschung der Geschichte seine besondere Aufmerksamkeit der kollektiven Schuldübertragung, dem Sündenbockmechanismus und dem Freund-Feind-Verhältnis widmet, Anspruch auf eine wissenschaftliche Hypothese erheben kann. Zwar wird auch von diesem Standpunkt aus längst nicht alles wahrgenommen, was tatsächlich geschehen ist. Da aber die öffentliche Ordnung eine Voraussetzung für alle Formen menschlichen Zusammenlebens und -wirkens ist, wirkt sich die von uns beschriebene Problematik in alle Bereiche menschlichen Lebens hinein aus: sie hat folglich eine strukturierende Bedeutung. An ihr vorbeizugehen wäre in hohem Maße willkürlich und unwissenschaftlich.
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Die ganze Problematik kann nochmals von einer anderen Seite her verdeutlicht werden. Heinz Sitta hat in einer bescheidenen, aber sehr instruktiven Studie fast nichts anderes getan, als die Urteile großer Historiker zum jahrhundertelangen Konflikt zwischen Deutschland und seinen östlichen und westlichen Nachbarn und zur Auseinandersetzung zwischen Preußen und Bayern zusammengrtragen. (43) Das faszinierende und zugleich bedrückende Ergebnis dieser kleinen Studie ist, daß die Einschätzungen der deutschen, polnischen, französischen und englischen, aber auch der preußischen und bayrischen Forscher gerade in entscheidensten Fragen meist radikal auseinandergingen. Auch die großen Historiker erweisen sich folglich im hohen Maße von nationalen und völkischen Vorurteilen abhängig. Deshalb ergibt sich als eine der primären Forderungen an eine Geschichtsschreibung, die nicht resignieren und sich weiterhin um Wissenschaft bemühen will, daß sie die großen Konflikte, wie Butterfield dies tut, immer aus der Perspektive aller beteiligten Parteien zu betrachten und durch dieses Vorgehen die kollektiven Anschuldigungen und Vorurteile einzelner Völker, Parteien oder anderer Gruppierungen aufzudecken hat. Der Standpunkt, der vor allem auf die kollektiven Projektionen achtet, ist auch aus dieser Sicht kein willkürlicher, der zu unwissenschaftlichem Vorgehen verleitet, sondern gerade umgekehrt die notwendige Voraussetzung für eine wissenschaftliche Geschichtsforschung. Dieser Standpunkt läßt sich, wie Popper es fordert, in folgender Form als prüfbare Hypothese formulieren: In Angelegenheiten, die vitale Interessen betreffen, finden sich die Menschen leichter durch gemeinsame Polarisierung auf einen Feind (oder Feinde) und durch Projektion ihrer Ängste auf andere als durch echte Verständigung und wahren Ausgleich der Interessen zu Aktionseinheiten zusammen. Was leichter ist, führt aber auch dazu, daß die Menschen sich immer wieder gegenseitig 'richten'.
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Anmerkungen:
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1. W. Pannenberg, Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Licht der Theologie (KVR 139/140). Göttingen 1968; ders., Anthropologie in theologischer Perspektive. Göttingen 31983.
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2. Pannenberg, Anthropologie (s.Anm. 1) 473-478.
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3. Ebd. 488.
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4. Ebd. 501f.
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5. Vgl. W.Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie. Frankfurt a.M. 1977. - Der englische Historiker W.Butterfield zeigt durch ein einfaches Beispiel auf eindrückliche Weise, wie schon durch eine leichte Erweiterung des Kontextes oder durch eine neue Sichtweise ein vergangenes Ereignis einen völlig neuen Sinn gewinnen kann: "Die einzige angemessene Analogie zu der Arbeit der echten Rekonstruktion eines geschichtlichen Vorgangs ist der Fall eines Detektivs, der in einem der üblichen Kriminalromane einem Verbrechen auf die Spur zu kommen trachtet. Im ersten Stadium sieht man den unbegabten Inspektor von Scotland Yard, der über alle in die Augen springenden Spuren stolpert, auf alle Fallen hereinfällt und dann alle auf der Hand liegenden Schlüsse zieht, und siehe da: der Verbrecher scheint erkannt. Nun wird uns das ganze Verbrechen sofort klar, für jeden der beteiligten Charaktere ergibt sich eine plausible Rolle, die Lösung befriedigt den Verstand - zum mindesten den Verstand auf einer bestimmten Stufe; und man möchte wirklich sagen, daß es für diesen armseligen Scotland-Yard-Inspektor nichts einfacheres auf der Welt geben könnte als das Studium der Geschichte. Detektivgeschichten mögen sonst nicht lebensgetreu sein, aber das jedenfalls trifft auf die menschlichen Verhältnisse zu, daß die gleichen Anhaltspunkte von einer höheren geistigen Ebene aus gesehen, mit oder ohne Hinzukommen von neuem Beweismaterial - die gleichen Anhaltspunkte also von einem Sherlock Holmes zu einer neuen Form zusammengefügt - ein neues Bild der ganzen Angelegenheit ergeben können, einen gänzlich unerwarteten Fortgang der Geschichte und möglicherweise sogar einen Verbrecher dort, wo wir ihn anfangs nie vermutet hätten. Genau dasselbe kann sich zutragen, wenn eine geschichtliche Episode nach, sagen wir, einem Jahrhundert wissenschaftlicher Kontroversen aufs neue beleuchtet und rekonstruiert wird." Christentum und Geschichte. Übersetzt von S.Erdmann. Stuttgart 1952,22.
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6. Vgl. K.Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie (UB 2). Stuttgart 1953,175.
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7. W.Pannenberg, Grundfragen systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze. Bd.1. Göttingen 31979, 266, vgl. 138.
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8. Ebd. 140.
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9. Pannenberg, Wissenschaftstheorie (s.Anm.5) 312f.
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10. Es widerspräche der Gottheit Gottes, "als der allesbestimmenden Wirklichkeit, dem Menschen wie eine jederzeit reproduzierbare endliche Gegebenheit nach Belieben verfügbar zu sein, damit menschliche Behauptungen an ihm gemessen werden können. Gottes Gottheit ist - wie immer es sonst mit ihrer Wirklichkeit stehen mag - auf solche Weise jedenfalls nicht zugänglich, weil das im Widerspruch zu ihrem Begriff stehen würde. Das ist das Wahrheitsmoment des Schlagworts von der Nichtobjektivierbarkeit, weil Unverfügbarkeit Gottes"; ebd. 335.
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11. "Eine nach diesem Gesichtspunkt verfahrende theologische Untersuchung geschichtlich gegebener Religion würde darin bestehen, daß die in der religiösen Überlieferung artikulierte Auffassung der Wirklichkeit im ganzen darauf befragt wird, ob sie tatsächlich allen gegenwärtig zugänglichen Aspekten der Wirklichkeit Rechnung trägt und somit den in dieser Religion überlieferten und verehrten Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit zur Sprache zu bringen vermag. Die überlieferten Behauptungen einer Religion lassen sich also als Hypothesen betrachten, die am Zusammenhang gegenwärtig zugänglicher Erfahrung darauf zu überprüfen sind, inwieweit von den überlieferten Behauptungen einer bestimmten Religion her die Vielseitigkeit gegenwärtiger Erfahrung integriert werden kann"; ebd. 317f.
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12. Auch der Einwand, die christliche Theologie beschäftige sich mit einer übernatürlichen Ordnung, die der Wissenschaft grundsätzlich unzugänglich sei, wird aus der Sicht Pannenbergs hinfällig. Weil die traditionelle Theologie sich am griechischen Denken orientiert hat, das die Natur als einen in sich geschlossenen Kosmos verstand, mußte sie das grundsätzlich Neue der Offenbarung der so verstandenen Natur als 'Übernatur' zuordnen. Da Pannenberg aber die geschichtliche Wirklichkeit als grundsätzlich unabgeschlossen betrachtet und die Gottesfrage ganz im geschichtlichen Rahmen stellt, gehören nach ihm alle neuen Erfahrungen in den einen Fragebereich nach der letzten Sinntotalität. Die "Differenz von natürlicher und übernatürlich-geschichtlicher Gotteserkenntnis" wird dadurch "unüberwindbar"; vgl. ebd.316.
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13. Offenbarung als Geschichte. Hg. W.Pannenberg in Verb. m. R.Rendtorff, U.Wilckens, T.Rendtorff (KuD.B 1) Göttingen 21963,98.
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14. Einen anderen wichtigen Entwurf, Theologie und Wissenschaft zusammenzuartikulieren, hat H.Peukert vorgelegt: Wissenschaftstheorie - Handlungstheorie - Fundamentale Theologie. Analysen zu Ansatz und Status theologischer Theoriebildung (ppb). Düsseldorf 1976. Darin zeigt sich eine ähnliche Problematik. Peukert geht zunächst vom Programm des logischen und empirischen Positivismus aus, zeigt dann dessen innere Grenzen auf und behandelt die Wende zur Pragmatik. Bei der Untersuchung der Handlungstheorien zielt er auf eine 'systematische Rekonstruktion des normativen Kerns kommunikativen Handelns' und stößt zur Frage der 'unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft' und zu den 'Aporien anamnetischer Solidarität' vor. Dabei zeigt sich, daß die Idee wahrer Kommunikation nur aufrecht zu halten ist, wenn auch die Frage nach den Opfern der Geschichte gestellt wird. Diese Frage impliziert aber die Frage der Problematik der Auferweckung der Toten. Da Peukert von einem normativen Kern kommunikativen Handelns her argumentiert, kann er zeigen, daß die Frage nach den Toten insofern gestellt werden muß, als man sich auf die Problematik des Normativen einläßt. Muß aber ein Geschichtswissenschaftler, der sich nicht mit dem Normativen, sondern mit dem Faktischen beschäftigt, so fragen?
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15. "Ich glaube nicht, daß jemand je seine Deutung des menschlichen Dramas finden kann, wenn er in der Art des Geschichtsforschers sein Auge lediglich über den Gang der Jahrhunderte schweifen läßt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand in der Geschichte dieser Welt die Hand Gottes entdecken kann, wenn ihm nicht schon vorher durch persönliche Erfahrung Gewißheit darüber geworden ist." Butterfield, Christentum und Geschichte (s.Anm.5) 123.
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16. Ebd. 56.
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17. Ebd. 50.
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18. Hervorhebung von mir.
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19. Ebd. 50f.
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20. L.Poliakov, Geschichte des Antisemitismus. Übers. von R.Pfisterer. Worms 1977-1987. Bd.1: Von der Antike bis zu den Kreuzzügen (1977); Bd.2: Das Zeitalter der Verteufelung und des Ghettos (1978); Bd.3: Religiöse und soziale Toleranz unter dem Islam (1979); Bd.4: Die Marranen im Schatten der Inquisition (1981); Bd.5: Die Aufklärung und ihre judenfeindliche Tendenz (1983); Bd.6: Emanzipation und Rassenwahn (1987).
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21. L.Poliakov, La causalité diabolique (Collection 'Liberté de l'esprit'). Tome 1: Essai sur l'origine des persécutions. Paris 1980; Tome 2: Du joung mongol à la victoire de Lénine. Paris 1985.
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22. Ebd. 1,45f.
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23. J.Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts. Übers. von M.Hübner, G.Konder u. Martina Roters-Burck. 2 Bde. (rororo 7919/7920). Reinbek 1985.
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24. Ebd. 572.
| 68
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25. F. v.Spee, Cautio criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Übers. u. eingel. von J.-F.Ritter (DTV 2171). München 31985.
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26. Vgl. R.Girard, Mensonge romantique et vérité romanesque. Paris 1961.
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27. R.Girard, La violence et le sacré. Paris 1972.
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28. R.Girard, Des choses cachées depuis la fondation du monde. Recherches avec J.-M.Oughourlian et G.Lefort. Paris 1978.
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29. "La présente analyse rejoint au moins sur un point celle de René Girard. Comme cet auteur je crois, à la lecture des évangiles et notamment de celui de Jean, que Jésus, au cours de sa passion, a subi une violence 'désacralisé' qui venait des hommes et non de Dieu: il était venu chez les siens et les siens ne l'ont pas recu." J.Delumeau, Le péché et la peur. La culpabilisation en Occident (XIII.-XVIII. siècles). Paris 1983, 335.
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30. P.Dumouchel - J.-P.Dupuy, L'enfer des choses. René Girard et la logique de l'économie. Paris 1979.
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31. Für Girard ist die Antisemitismusproblematik ein bevorzugtes Feld, um seine Arbeitsmethode zu erläutern und zu begründen; vgl. ders., Le bouc émissaire. Paris 1982, 7-36.
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32. Theologisch gesprochen beziehen sich seine Aussagen auf die durch historische Ereignisse - durch die menschliche Sünde - geschwächte oder verwundete menschliche Natur.
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33. In bezug auf dieses Gerichtsverständnis trifft sich Girard voll mit Butterfield, der ebenfalls sehr ausdrücklich vom Gericht in der Geschichte spricht und gleichzeitig betont, daß man nie folgern darf, jene Menschen und Völker seien vor Gott schuldiger, die in der Geschichte härter geschlagen und stärker durch andere Menschen 'gerichtet' werden (Christentum und Geschichte /s.Anm.5/59-80). Auch Pannenberg teilt dieses Geschichtsverständnis: "Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß nach den biblischen Überlieferungen göttliches Gericht der menschlichen Lebenswirklichkeit nicht willkürlich und äußerlich auferlegt wird, sondern die inneren Konsequenzen eines menschlichen Verhaltens an den Tag bringt, das sich um Gott nicht kümmert." (Die Bestimmung des Menschen. Menschsein, Erwählung und Geschichte). Göttingen 1978,91f.) In diesem Sinn kann Pannenberg davon sprechen, daß die "Maßlosigkeit des Nationalstolzes" durch den "selbstmörderischen Ausbruch der Antagonismen zwischen den europäischen Nationen im ersten Weltkrieg, der das Ende der früheren Rolle Europas in der Welt bedeutete", gerichtet wurde (ebd.111f).
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34. K.Popper, Das Elend des Historizismus (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 3). Tübingen 21969.
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35. "Die Idee einer Bewegung der Gesellschaft selbst, die Vorstellung, daß sich die Gesellschaft wie ein physikalischer Körper als Ganzes auf einer bestimmten Bahn und in eine bestimmte Richtung bewegen kann, ist nichts als ein verworrenes holistisches Hirngespinst"; ebd.90.
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36. Ebd. 112.
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37. Ebd.99f.
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38. "Dies, kann man sagen, ist der Kardinalsfehler des Historizismus. Seine 'Entwicklungsgesetze' erweisen sich als absolute Trends"; ebd.101.
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39. Ebd.117f.
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40. Ebd.118.
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41. Ebd.
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42. Wege der Totalitarismus-Forschung. Hg. B.Seidel /u.a./ (WdF 140). Darmstadt 1968, 25.
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43. H.Sitta, Geschichte und politischer Charakter der Deutschen. (Selbstverlag) Friesoythe 1980.
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