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Niewiadomski Jozef: Die Begnadete oder der Mensch ist besser als sein Ruf!
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Die Begnadete oder der Mensch ist besser als sein Ruf!
(Predigt zum Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens am 8. Dezember 2010 in der Jesuitenkirche)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-12-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Die Bergbauern in den Alpen haben es schon immer gewusst: Schon ein lauter Schrei kann eine Lawine auslösen. Um ein Verhängnis zu produzieren, um einer Katastrophe auf die Beine zu verhelfen, dazu braucht es nicht viel. Eine Einzeltat des Menschen kann das Geschick von Generationen über Jahrzehnte, gar über Jahrhunderte beeinflussen. Seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl nahm diese Binsenwahrheit konkrete Konturen an: nicht nur in den Köpfen der Grünen. “Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Söhnen sind die Zähne stumpf geworden” - auf diese Kurzformel bringt die Bibel die Kontrastfolie zum Geheimnis des heutigen Festes. Jene Kontrastfolie, die den Boden bereitet für unsere alltägliche Erfahrung. Und um welche Erfahrung geht es dabei?

2
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Durch menschliche Untaten wird nicht nur die Kultur der Menschen in den Dreck gestoßen. Durch die alltägliche Banalität des Bösen wird seine Natur in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt eine Geschichte des Bösen, eine Geschichte der Sünde, die einer Lawine vergleichbar ist. Der Teufelskreis von Lüge und Gewalt wird uns allen nach und nach zur zweiten Haut. Er kann auch zur zweiten Haut der Kirche werden: das haben wir ja so schmerzlich in diesem Jahr erfahren. Im Zeitalter der virtual reality fällt der Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit oft nicht einmal auf. Wir alle sitzen in einem Boot. Und da in der Nacht bekanntlich alle Katzen schwarz sind, braucht man sich keine Vorwürfe zu machen. Oder? In einer Welt voll von Scheiße fühlt man sich nur wohl, wenn man selber stinkt. 

3
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“Vorsicht, Vorsicht du Prediger!”, wird der kirchenkritische Zeitgenosse einwenden. “Wenn man im Glashaus sitzt, soll man das Steinewerfen lieber unterlassen. Und auch das Geschrei. Sagtest du nicht selber, dass so etwas Lawinen auslösen kann?” „Ganz klar!“, pflichtet der Prediger bei, weil er selber über den erhobenen Zeigefinger unserer selbstgerechten Kultur und über all die Strategien der frontalen Bekämpfung des Bösen, die doch immer nur bei der Sündenbockjagd enden, alles andere als glücklich ist. Der Prediger muss dabei an das biblische Bild denken: ein Riesenfass mit einem Deckel aus Blei verschlossen. Und was ist im Fass drin? “Das, worauf das ganze Land versessen ist ...”. Das Böse, versinnbildlicht in der Gestalt einer Frau. Mit Gewalt im Fass eingesperrt, soll das Böse außer Landes getragen werden. Hinausgestoßen! Was soll das Bild nun aussagen? Immer und immer wieder verfällt die selbstgerechte Menschheit ein und derselben Versuchung. In der Scheiße sitzend - jener Scheiße, die sie selber produziert: weil ein jeder den kleinen Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit zugunsten von Täuschung verschiebt, weil ein jeder unzählige kleine Lawinen im Alltag auslöst, weil ein jeder die alltägliche Macht des Bösen banalisiert -, verfallen wir alle der Versuchung zu glauben, dass wir doch den Stinker (Genderfrage ist hier zweitrangig) klar identifizieren können und ihn in ein Fass oder weiß Gott wo einsperren können. Wir alle verfallen der Versuchung der Saubermänner. Alle Revolutionen nähren sich an dieser Versuchung und aus dieser Logik, einer Logik, die meint, man könnte die Lawine auf eine direkte Art und Weise frontal aufhalten.

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Die Alpenländer haben aber auch immer schon gewusst, dass man eine Lawine, wenn sie losgegangen ist, unmöglich durch einen frontalen Widerstand stoppen kann. Gezielte Unterbrechungen sind vonnöten. Unterbrechungen! Lawinenverbauungen etwa dort, wo Prophylaxe noch hilft, Sprengungen dort, wo der Schaden begrenzt werden kann.

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Liebe Schwestern und Brüder, das Geheimnis des heutigen Festes bringt diese uns allen doch so vertraute Weisheit aus der Logik der Lawinenverbauung auf den Begriff. Dem Fest liegt also eine Wahrheit zugrunde, eine zutiefst katholische Wahrheit, eine Wahrheit, die befreit und Anlass zur Freude gibt. Und wie lautet sie? Gott selber unterbricht unsere Verstrickungen in die Geschichte der Sünde. Und wie tut er das? Er zeichnet zuerst für das Gegenbild verantwortlich. Dem Bild, das die Bemühung der selbstgerechten Menschheit auf den Begriff bringt, jener Menschheit, die meint, in der Gestalt eines archaisch anmutenden Menschen den Inbegriff des Bösen, den Stinker gefunden zu haben, den Inbegriff, den man im Fass oder weiß Gott wo einsperren und ausstoßen kann, setzt Gott ein Gegenbild entgegen: das Gegenbild einer begnadeten Frau: Einer Frau, die ein ganz konkreter Mensch ist. Ein Mensch wie Du und ich, biologisch gezeugt und geboren auf eine Art und Weise wie alle Menschen gezeugt und geboren werden. Keine Göttin also. Und auch keine Heldin à la Hollywood. Nein. Ein Mensch mitten unter uns Menschen: Maria, die Begnadete. Maria, die radikal Begnadete.

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 Mit dem heutigen Fest bekennt die Kirche, dass Gott im Grunde einer Lawinenkommission vergleichbar sei. Er sorgt für Lawinenverbauungen dort, wo stückweise Katastrophen verhindert werden können. Das sind Millionen und Abermillionen von Menschen, die dank der göttlichen Gnade die Anfänge der Lawinen des Bösen tagtäglich aufhalten. Wir alle fallen unter diese Kategorie. Gott sorgt aber auch für eine spektakuläre Sprengung: indem er jener Menschheit - und darauf kommt es beim heutigen Fest an -, die schon dazu neigt, die Gewalt und den Hass als Bestandteile des menschlichen Erbes zu definieren, jener Menschheit, die also dem Menschen seine Würde raubt, weil sie ihn mit dem Prädikat “schlimmer als das Tier” abqualifiziert, indem er jenen Menschen, die in der Scheiße sitzend dem Zynismus verfallen, einen ganz konkreten Menschen, eine Frau schenkt, die frei ist von Sünde, frei von Lüge und Gewalt, frei von Zynismus. Frei, nicht aufgrund einer übermenschlichen Disziplin. Frei aufgrund göttlicher Gnade. Jener Gnade, die alles vermag, jener Gnade, die allein im Stande ist, das Böse zu überwinden. Jener Gnade, gegen die wir, die Stinkenden, oft so allergisch sind. Weil wir uns in der Lawine notgedrungen eingerichtet haben.

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Liebe Schwestern und Brüder, beglückwünschen wir uns zu diesem katholischen Fest, zu dieser geglückten Lawinensprengung. Beglückwünschen wir uns aber auch zu den unzähligen Lawinenverbauungen, die tagtäglich mitten unter uns gerade durch uns selber aufgrund der göttlichen Gnade geschehen. Und schauen wir auf die Begnadete, die in dieser Stunde mit uns  bei dieser Eucharistiefeier mitfeiert. Sie ist der Kirche eine “socia”, eine Gefährtin. Eine Gefährtin in Freud und Leid, eine Gefährtin, an der wir eines ablesen können: Der Mensch ist besser als sein Ruf! Und dies trotz aller gegenteiligen Erfahrung. Der Mensch ist besser als sein Ruf: Das ist das katholische Dogma, das Dogma, das befreit. Befreit vom Zynismus!

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