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Schwager Raymund: Theologie des Heiligen Geistes
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Theologie des Heiligen Geistes
(Manuskript zur Vorlesung Pneumatologie)

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategorielehrbehelf
Abstrakt:
Publiziert in:# Das Manuskript ist im Sekretariat Dogmatik des Instituts für Systematische Theologie erhältlich
Datum:2002-06-15

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die Pneumatologie bildet die unmittelbare Fortsetzung zur Vorlesung über die Christologie und Erlösungslehre. Fragen, die dort am Rand aufgetaucht sind, werden hier ausführlicher behandelt, wobei die gleiche Methode verfolgt wird, die dort erprobt wurde (vgl.R.Schwager, Jesus im Heilsdrama).

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I. Das Wirken des Hl. Geistes nach außen

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Im Zentrum unserer Überlegungen steht das Wirken des Heiligen Geistes in der Heilsgeschichte (Altes Testament, Geschick Jesu, Kirchengründung, Glaubensleben). Fragen, die den Heiligen Geist als innergöttliche Person betreffen, werden hier nur gestreift, denn diese gehören zum Traktat über die Trinität. Das Wirken des Hl. Geistes innerhalb der Kirchengeschichte wird in der Ekklesiologie und sein Wirken in der Weltgeschichte in der Eschatologie behandelt.

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In der westlichen Theologie wurde relativ wenig vom Heiligen Geist gesprochen. Einer der Gründe für diese 'Geistvergessenheit' war der theologische Grundsatz, daß das Wirken der drei göttlichen Personen nach außen streng gemeinsam erfolgt: "Vater, Sohn und Heiliger Geist sind nicht drei Ursprünge der Schöpfung, sondern nur ein Ursprung" (NR 286; DS 1331). Durch diesen theologischen Grundsatz sollte sichergestellt werden, daß im Namen der Dreifaltigkeit nicht heimlich eine Lehre von drei Göttern vertreten wird. Als einzige Ausnahme vom Prinzip, daß die Dreifaltigkeit nach außen stets gemeinsam handelt, anerkannte man die hypostatische Union, d.h. die Union der zweiten göttlichen Person mit der individuellen menschlichen Natur Jesu Christi. Da es aber nur eine hypostatische Union gebe, so argumentierte man, bleibe für den Heiligen Geist keinen Platz für ein ihm eigentümliches Wirken in der Schöpfung und Heilsgeschichte. Wenn im neuen Testament trotzdem von seinem Wirken gesprochen werde, dann müsse diese Rede anders gedeutet werden, nämlich als 'Zuschreibung' oder 'Appropriation'. Die Hl. Schrift schreibe dem Heiligen Geist eine Tätigkeit zu (appropriieren), die in Wahrheit von der einen göttlichen Natur (und damit von der ganzen Trinität) ausgehe. Die unreflektierte biblische Redeweise müsse theologisch präziser gefaßt werden. So konnte z.B. Yves Congar noch 1969 die Ansicht vertreten, "daß das Neue Testament eine große Zahl von Texten enthält, die auf naive Weise der Person des Heiligen Geistes eine eigene Aktion zuschreiben. "

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Yves Congar, Pneumatologie ou 'christomonisme' dans la tradition latine. In: Ephem.Theol.Lov. 45 (1969) 416. Gestützt auf K.Rahner und die östliche Tradition hat Y.Congar inzwischen seine Meinung geändert; vgl.ders., Der Heilige Geist, Freiburg i.Br. 1982, vor allem 331-337.

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Mit welchem Recht wirft man der Heiligen Schrift eine naive Redeweise vor? Könnte man - bei einer solchen Vorgangsweise - nicht mit gleichem Recht behaupten, auch die Aussagen über die Gottheit Christi seien nur naive Redeweisen? In neuester Zeit hat sich H.Mühlen am eingehendsten mit dem theologischen Grundsatz, daß das Wirken der Dreifaltigkeit nach außen gemeinsam erfolgt, auseinandergesetzt. Er kann überzeugend nachweisen, daß dieser Grundsatz nur für das schöpferische Wirken gilt, d.h. für jenes Tun, durch das Gott - als Wirkursache (causa efficiens) - eine von ihm verschiedene Wirklichkeit hervorbringt. Der Grundsatz gilt aber nicht für die Selbstmitteilung Gottes, d.h. für die Union einer göttlichen Person mit einer geschaffenen Wirklichkeit. Es stellt sich nun die Frage, ob eine solche Union nur für die zweite göttliche Person denkbar ist. Die traditionelle Theologie sagte, da es nach kirchlicher Lehre nur eine hypostatische Union gebe, dürfe für eine andere göttliche Personen keine weitere Union angenommen werden. In dieser Argumentation lag aber eine sprachliche Täuschung. Gewiß gibt es nur eine hypostatische Union in jenem Sinne, wie ihn die großen christologischen Konzilien definiert haben, nämlich als Union der zweiten göttlichen Person mit einer individuellen menschlichen Natur, wodurch diese Natur mit der göttlichen Person seinsmäßig eins wird (Jesus Christus ). Dies schließt aber nicht aus, daß auch der Heilige Geist eine ihm eigene (und von der zweiten Person verschiedene) Union mit den Menschen eingehen kann, eine Union, durch die er in den Menschen wohnt, ohne daß diese selber zum Heiligen Geist werden. Die Begriffe hypostatische Union und Union, die einer Hypostase/Person eigen ist, sind folglich sauber zu unterscheiden. "Hypostatische Union" ist der spezifische Begriff für die besondere Union der zweiten göttlichen Person mit einer individuellen Natur, während der Ausdruck "Union, die einer Hypostase eigen ist" einen Oberbegriff bildet, in dem die Unionen der verschiedenen Personen zusammengefaßt werden. (Für die Union des Hl. Geistes mit den Menschen hat die theologische Tradition - aus den oben erwähnten Gründen - keinen eigenen Begriff geschaffen).

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Da folglich das richtig verstandene theologische Prinzip von der gemeinsamen Wirksamkeit der göttlichen Personen im Bereich der Wirkursächlichkeit (Schöpfung) eine dem Hl. Geist eigene Union nicht ausschließt, und da die Hl. Schrift ausdrücklich von einem besonderen Wirken des Geistes spricht, muß eine solche Union angenommen werden und die biblische Redeweise darf nicht länger als naiv verdächtigt werden, (H.Mühlen, Der Heilige Geist als Person [1963], 199f. 210f. 231-240).

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Das falsch verstandene theologische Prinzip war aber nicht allein an der Geistvergessenheit schuld. Wäre es früher ein großes Anliegen gewesen, vom Wirken des Geistes zu reden, hätte man sicher auch den Fehler in der theologischen Argumentation gefunden. Ein solches Anliegen bestand aber nicht, denn das kirchliche Denken war stark hierarchisch ausgerichtet (himmlischer Vater - Christus - Apostel - Bischöfe), und in dieses hierarchische Schema paßte der Hl. Geist nicht gut hinein. Heute ist hingegen die Demokratie zu einem Wert geworden und das Denken orientiert sich an polaren Modellen. Beiden Anliegen entspricht die biblische Rede vom Wirken des Hl. Geistes, und deshalb werden diese Aussagen heute viel ernster genommen.

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II. Das Wirken des Heiligen Geistes im Alten Testament

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1. Charismatische Führer und Propheten

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Das Wirken des Geistes zeigte sich zunächst vor allem in 'begeisterten' Menschen. Von charismatischen Männern (Num 11,25; Ri 3,10; 11,29; 13,25; 14,6.19; 1 Sam 10,6.10; 16,13) und Propheten (1 Kön 18,12; 22,24; 2 Kön 2,15f; 1 Chr 12,18; 2 Chr 15,1; 24,20; Ez 3,12.24; 8,3; 11,1) wurde gesagt, daß sie vom Geist des Herrn ergriffen würden. Diese Erfahrung war aber höchst zweideutig, und sie hatte große Ähnlichkeiten mit entsprechenden Erfahrungen bei anderen Völkern (Magier, Weise, Schamanen, Heiler, etc).

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2. Der Heilige Geist und die Heiligkeit des Volkes

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a) Heiligkeit durch Treue zum Gesetz

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Israel verstand sich als das auserwählte Volk, mit dem Gott einen Bund geschlossen hatte und das sich durch diesen Bund verpflichtet wußte, die Bundesgebote zu halten. Im Falle der Treue zu den Geboten wurde ihm Segen (Fruchtbarkeit der Frauen, der Herden und des Feldes und Sicherheit vor den Feinden) verheißen. Andernfalls wurde ihm Unglück und Vernichtung angedroht (vgl. Dtn 28).

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b) Katastrophe der Ethik

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Tatsächlich erfuhr das Volk viel Unheil. Diese harte Tatsache wurde von den Propheten als Strafe für die Untreue gegenüber Gott gedeutet. Trotz der vielfachen Ermahnungen erwies sich Israel - im Licht der prophetischen Predigt - als ein Volk, das ständig versagte urd dessen Herz im Bösen verhärtet war. Vor allem die militärische Katastrophe von 587 v.Chr. (Vernichtung der Stadt, des Königreichs und des Tempels) wurde von den Propheten als grundsätzliches Versagen, als Katastrophe des ethischen Bemühens gedeutet: Das Volk hatte sich so verhärtet, daß der Bund gebrochen schien und Israel einem totalen Gericht ausgeliefert wurde. Sollte es dennoch eine Zukunft geben, dann mußte Gott selber den gebrochenen Bund erneuern.

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c) Der neue Bund, das neue Herz und der Hl. Geist

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Jeremia hat im Namen Jahwes den Bruch des Alten Bundes festgestellt und zugleich einen neuen verheißen. Dabei kündigte er an, daß das Gesetz nicht mehr auf steinerne Tafeln, sondern direkt ins Herz der Menschen geschrieben wird (Jer 31,31-33). Diese Umwandlung des Herzens schreibt Ezechiel direkt dem Wirken des göttlichen Geistes zu:

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"Ich (Jahwe) schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist in euch und bewirke, daß ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt" (Ez 36,26f)

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Ähnlich spricht die Tradition des Propheten Jesaja:

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"Wenn aber der Geist aus der Höhe über uns ausgegossen wird, dann wird die Wüste zum Garten, und der Garten wird zu einem Wald. In der Wüste wohnt das Recht, die gerechtigkeit weilt in den Gärten" (Jes 32,15; vgl. 44,3)

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d) Der Messias und der Hl. Geist

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Die grundsätzliche Erneuerung und Aufrichtung des Volkes wird auch vom Messias erwartet. Diese Hoffnung ist aber ganz mit dem Kommen des göttlichen Geistes verbunden. Der Messias/Knecht Gottes wird nämlich stets als Geistträger, als mit göttlichem Geist 'Gesalbter' beschrieben:

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"Der Geist des Herrn läßt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht" (Jes 11,2).

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Oder:

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"Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und läßt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen" (Jes 42,1)(im Unterschied zu den ekstatischen Propheten, die herumschreien).

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e) Auferweckung und schöpferischer Geist

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Weil das Versagen Israels und das Gericht über das Volk radikal waren, mußte die Neuaufrichtung des geschlagenen Volkes als schöpferischer Akt erhofft werden. Ezechiel beschreibt deshalb die Erneuerung des Volkes aus dem Exil als Auferweckung von den Toten. Dabei haucht der göttliche Geist den toten Gebeinen neues Leben ein (Ez 37,1-14; vgl.Jes 53,10).

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Der Glaube an die Auferweckung des Volkes führte zum Glauben an die individuelle Auferweckung nach dem leiblichen Tod. Damit hing auch die Vorstellung vom schöpferischen Geist eng zusammen. Die Beschreibung des Ezechiel, wie durch den Geist den toten Gebeinen Leben eingehaucht wird (Ez 37,14), hat starke Ähnlichkeiten mit der Beschreibung, wie Gott dem aus Lehm geformten Adam den Lebensodem einhaucht (Gen 2,7). Im zweiten Buch der Makkabäer steht zudem die Aussage von der Schöpfung aus dem Nichts im direkten Zusammenhang mit dem Glauben an die Auferweckung der Toten (2 Makk 7,28f; vgl.7,14). Wie die Auferweckung, so geschieht auch die Schöpfung in der Kraft des Geistes (Ijob 33,4; Gen 1,1; 2,7; Weish 1,7), und nur weil der Geist schöpferische Kraft hat, vermag er Toten das Leben zu schenken.

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III. Geisterfahrung im Neuen Testament

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1. Jesus als der 'christós' ( = Gesalbte)

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a) Geistsalbung bei der Taufe

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Die Tauferzählungen berichten, wie Jesus sich in eine Reihe mit den Sündern stellte und wie gleich nach der Taufe der Heilige Geist auf ihn herabkam, während eine Stimme ihn als geliebten Sohn ansprach (Mk 1,9-11par). Diese Erzählungen stellen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Heilsauftrag Jesu, seiner Geistsalbung und seiner besonderen Beziehung zum Vater (geliebter Sohn) her.

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b) Öffentliche Wirksamkeit

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Jesus wurde gleich nach der Taufe vom Geist in die Wüste getrieben (Mk 1,12). Er ist folglich unter der Inspiration des Geistes seinen Weg gegangen. Nach dem Lukasevangelium begann Jesus seine öffentliche Wirksamkeit in der Synagoge seiner Heimatstadt, indem er jene Stelle aus dem Buch des Propheten Jesaia vorlas (Jes 61,1f), die ausdrücklich vom geistgesalbten Messias, spricht, der kommen soll, um die Frohbotschaft des Herrn zu verkünden und um den Menschen Heil zu bringen. In der anschließenden Deutung proklamierte Jesus, daß die alte Verheißung im Augenblick seiner Rede ("heute") in Erfüllung ging (Lk 4,18-21). Er erhob damit den Anspruch, selber der verheißene Geistträger (Messias) zu sein (vgl. Apg 10,38) (vgl. seine machtvollen Taten [Wunder] und sein machtvolles Wort [Mk 1,22]).

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c) Kreuz

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Zum Kreuz kam es, weil die Botschaft von der Nähe der Gottesherrschaft von Israel mehrheitlich abgelehnt wurde. In dieser Ablehnung manifestierte sich die gleiche Katastrophe der Ethik, wie sie von den Gerichtspropheten Israels bereits viele Jahrhunderte früher diagnostiziert worden war (vgl. auch: Vorlesung zur Christologie/ Erlösungslehre).

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Jesus hat aber - wie der geschlagene Knecht - in der Kraft des Geistes die aus der Ablehnung entspringende Aggression seiner Feinde ohne Gegengewalt ertragen und sein Geschick im Gehorsam gegenüber dem Vater angenommen. Nach dem Lukasevangelium wurde er bei seinem inneren Ringen am Ölberg durch einen Engel des Herrn gestärkt (Lk 22,43), und der Hebräerbrief sagt - diese Szene deutend -, Christus habe sich "selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht" (Hebr 9,14).

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d) Auferweckung

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Die Evangelien sprechen nicht direkt von der Auferweckung, sondern nur von den Erscheinungen des Auferstandenen. Paulus schreibt aber die Auferweckung Christi und seine Einsetzung zum Sohn ausdrücklich "dem Geist der Heiligkeit" zu (Röm;1,4; vgl. 1 Tim 3,16). Ähnlich spricht der erste Petrusbrief: "Dem Fleische nach wurde er (Christus) getötet, dem Geiste nach lebendig gemacht" (1 Petr 3,18). Nach der Apostelgeschichte hat der Auferweckte im Heiligen Geist den Aposteln Weisungen gegeben (Apg 1,2); und das Johannesevangelium erzählt, wie der Auferweckte seinen Jüngern den Geist zuhauchte (Joh 20,22).

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Von besonderer Bedeutung war, daß der Auferweckte seinen Jüngern den Sinn der Schriften erschloß. Vom eigenen Geschick Jesu her wurde eine Zusammenschau vieler (gegensätzlicher) alttestamentlicher Themen möglich (siegreicher Messias und verfolgter Prophet oder getöteter Knecht Gottes; Reich auf Erden und Reich nach dem Tod etc.) (pneumatische Exegese = Zusammenschau in Entsprechung zum einen Geist, der die ganze Offenbarung inspiriert).

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e) Zusammenfassung

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Die erwähnten Punkte belegen, wie im Neuen Testament das Wirken des Geistes zunächst im Wirken und Geschick Jesu erfahrbar wurde. Diese Feststellung ist unter doppelter Rücksicht bedeutungsvoll:

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(1) Weil Christus der ursprüngliche Geistträger ist, kann letztlich nur von ihm her erkannt werden, wie der Geist tatsächlich wirkt (vgl.Joh 14,26; 16,14). Jede Geisterfahrung, die sich nicht an diesem Zentrum orientiert, bleibt zweideutig.

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(2) Christus wird öfters als der Heilige bezeichnet (Lk 1,35; Mk 1,24par; Joh 6,69; Apg 3,14; 4,27.30; 1 Joh 2,20). Darin spricht sich aus, daß er ganz der vom Heiligen Geist Erfüllte und Geleitete war.

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2. Vom Geistträger zum Geistspender

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Zusammen mit dem Vater hat der erhöhte Christus am Pfingsttag den Geist über seine Jünger ausgegossen. Als Geistträger stand Jesu in einer Reihe mit den Menschen; als Geistspender steht er auf der Seite des Vaters allen Menschen gegenüber. Im Übergang vom Geistträger (wahrer Mensch) zum Geistspender (wahrer Gott) zeigt sich das letzte Geheimnis der Person Jesu (vgl. Christologie).

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3. Der Heilige Geist und die Kirche

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Pfingsten war das große heilsgeschichtliche Ereignis, das anzeigt, wie der Heilige Geist - über das Leben und Geschick Christi hinaus - auf eigenständige Weise in der Geschichte wirkt.

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a) Kommen des Geistes als erfahrbares Ereignis

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Sowohl die Apostelgeschichte wie die Paulusbriefe heben auf vielfältige Weise hervor, daß das Kommen des Geistes in der nachösterlichen Zeit für viele Menschen erfahrbar war. An Pfingsten ergoß er sich in Gestalt von Feuerzungen über die Apostel (Apg 2,3), und das Volk strömte zusammen, weil es ein Sturmesbrausen hörte (Apg 2,2.6). Der Geist bewirkte, daß die Apostel von fremdsprachigen Menschen in ihrer Muttersprache verstanden wurden (Apg 2,4.11; vgl. Mk 16,17). Später zeigte sich sein Kommen vor allem in der Zungenrede (Apg 10,44-46; 19,6; 1 Kor 12,28; 14,l-25), in der Gabe der Prophetie (Apg 11,28; 20,23; 21,4.11; Röm 12,6; 1 Kor 12,10.28; 14,1-25) und der Heilung (Apg 3,l-10; 5,12-16; 1 Kor 12,9f.28; 2 Kor 12,12; Gal 3,5; Hebr 2,4). Dank der vielfältigen Gaben des Geistes kann Paulus von den Gläubigen sagen, daß sie der Ort sind, wo die Herrlichkeit Gottes erfahren wird:

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"Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn" (2 Kor 3,18).

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H.Mühlen hat daraus geschlossen:

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"Das Pneuma ist jene gnadenhafte und lebendigmachende Faszination selbst, in welcher die Christen sich gegenüberstehen." Jeder Christ ist dem andern "pneumatischer Mittler zu dem unanschaulichen Gott hin" (H. Mühlen, Entsakralisierung, 310).

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b) Geist der Einheit und der Unterschiedenheit: Liebe

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Die neutestamentlichen Schriften betonen, daß der Geist die Einheit wirkt, wobei diese Einheit aber nirgends als Einerleiheit oder Uniformität dargestellt wird. Der Heilige Geist bewirkt an Pfingsten, daß alle Menschen die Apostel in ihrer je eigenen Sprache verstehen.

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In der alttestamentlichen Erzählung vom Turmbau zu Babel wird die Vielzahl der Sprachen negativ gewertet und als Strafe Gottes gedeutet. Der Pfingstbericht gibt der gleichen Vielzahl aber - als Unterschiedenheit in der Einheit - einen positiven Sinn und bewirkt so eine fundamentale Umkehr in der Wertung.

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Paulus betont ferner, der eine Geist wirke verschiedene Gnadengaben (l Kor 12,4-11.28-31). Er veranschaulicht diesen Gedanken mit dem Bild des Leibes. Alle Gläubigen bilden durch den Geist einen Leib, aber in diesem einen Leib gibt es unterschiedliche Glieder, die ihre je eigene unverwechselbare Aufgabe haben (1 Kor 12,12-27; Röm 12,4-8).

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Die Menschen können aus eigener Kraft entweder Zerstreuung (bis zur Anarchie) oder Uniformität (bis zum Totalitarismus) schaffen. Wo sich hingegen eine Einheit in Vielfalt findet, dort zeigt sich deutlich das Wirken des göttlichen Geistes. Das sichtbarste Zeichen für seine Gegenwart ist deshalb - über alle besonderen Zeichen hinaus - die lebendige Einheit der Gläubigen in der Liebe (vgl. Joh 17; Apg 2,46; 1 Kor 13; 14,24f; Gal 5,13-26), durch die die neue Sammlung der Menschen bewirkt wird (vgl. AT und Botschaft Jesu).

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c) Geist der Wahrheit und der Freiheit

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Obwohl die Jünger bereits vom irdischen Jesus mit einer Mission betraut und vom Auferweckten nochmals ausdrücklich in die Welt gesandt worden waren, begann ihre eigentliche Wirksamkeit erst mit Pfingsten. Der Geist gab ihnen die Kraft, einerseits Jesus und seiner Botschaft treu zu bleiben und anderseits ohne sklavische Abhängigkeit in Freiheit neue Wege zu gehen.

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Das Johannesevangelium betont besonders deutlich, daß der Geist nichts wesentlich Neues bringt, sondern nur immer tiefer in die Wahrheit Christi einführt (Joh;14,26; 16,13). Der wahre Geist ist dort am Werk, wo Christus als der Gekreuzigte und Auferweckte (1 Kor 12,3) und als der fleischgewordene Sohn Gottes (l Joh 4,2; 5,6) bekannt wird.

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Der Geist der Treue zu Christus ist zugleich der Geist der Freiheit. Paulus spricht nachdrücklich von dieser Freiheit und beschreibt sie einerseits als Freiheit vom Gesetz (Röm 7,l-6; Gal 4,26-31) und anderseits als Befreiung von den Mächten der Sünde und des Todes (Röm 6,7.15-23; 8,2; Gal 4,13f).

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Die Treue zu Christus bei gleichzeitiger Freiheit manifestiert sich beispielhaft beim Übergang zur Heidenmission. Die Apostelgeschichte schildert, wie Petrus durch das Herabkommen des Geistes über Heiden gegen sein spontanes Empfinden dazu bekehrt wurde, auch Heiden zu taufen (Apg 10,1-48).

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d) Freimut und Öffentlichkeit

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Wieso muß neben der Freiheit der Freimut als besondere Wirkung des Heiligen Geistes erwähnt werden? Die biblischen Schriften bezeugen, daß die Öffentlichkeit eine Eigengesetzlichkeit hat. So heißt es etwa im Johannesevangelium, daß viele Juden zwar in ihrem Herzen an Jesus glaubten, aber nicht öffentlich zu ihm zu stehen wagten, weil sie die Ehre bei den Menschen mehr liebten als die Ehre bei Gott (Joh 12,37-43; vgl. Lk 16,14f). Aus Menschenfurcht hat auch Petrus seinen Herrn verraten (Mk 14,66-72par; Joh 18,17.25-27), und aus dem gleichen Grund haben die anderen Jünger ihn in seiner Leidensstunde verlassen, obwohl sie beim letzten Mahl seinen Leib empfangen hatten (Mk 14,5O par; Joh 16,32). Aus Furcht vor den Juden haben die Jünger sich sogar noch an Ostern hinter verschlossenen Türen versammelt (Joh 20,19).

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Verlangen nach Ehre und Menschenfurcht bewirken folglich, daß die Menschen in der Öffentlichkeit oft ganz anders handeln als sie in ihrem Herzen möchten. Daraus entsteht die "Eigengesetzlichkeit" der Öffentlichkeit. Ihr Bann - die Menschenfurcht - kann nach neutestamentlichem Zeugnis nur durch den Heiligen Geist überwunden werden. Der Freimut (parrésia) ist deshalb eine besondere Gabe des Geistes (Apg 2,29; 4,13.29.31; 28,31; 3,6.12; Eph 6,19; Phil 1,20).

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Der Geist des Freimuts ist zugleich der Beistand für Verfolgte. Das Johannesevangelium nennt ihn deshalb den Parakleten; damit ist sowohl jener Beistand gemeint, der den Jüngern zur Erkenntnis der Wahrheit hilft (Joh 14,26; 16,13), als auch jener Tröster, der den Verfolgten zur Seite steht (Joh 15,18-27) und jene Verfolger überführt (Joh 16,7-10), die nicht wahr haben wollen, daß sie Verfolger sind (vgl. Sündenbockmechanismus).

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e) Der Geist des Friedens

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Die verschiedenen Wirkungen des Geistes haben ein einziges Ziel: den Frieden zwischen Gott und den Menschen und unter den Menschen wieder herzustellen. - Fast alle neutestamentlichen Briefe beginnen mit dem Segenswunsch: Gnade sei euch und Friede von Gott dem Vater (Röm 1,7; 1 Kor 1,3; 2 Kor 1,2; Gal 1,3; Eph 1,2; Phil 1,2; Kol 1,2; 1 Thess 1,1; 2 Thess 1,2; 1 Tim 1,2; 2 Tim 1,2; Tit 1,4; Phlm 3; 1 Petr 1,2; 2 Petr 1,2; Jud 2; 2 Joh 3; 3 Joh 15; Offb 1,4). Mit Gnade (charis) ist die Gabe des Geistes gemeint, sodaß die Formel "Gnade und Friede" alles zusammenfaßt, was die neutestamentlichen Briefschreiber den jeweiligen Gemeinden wünschen.

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Bereits Jesus hat - gemäß dem Johannesevangelium - seinen Jüngern beim Abschiedsmahl durch die Verheißung des kommenden Beistandes den Frieden hinterlassen (Joh 14, 25-27; vgl.20,21f). Nach Paulus geht das Trachten des Heiligen Geistes ganz auf Leben und Friede (Röm 8,6; vgl,14,19; Gal 5,22). Gott ist ein Gott des Friedens (Röm 15,33; 16,20; 1 Kor 14,33; 2 Kor 13,11; Phil 4,9; 1 Thess 5,23; 2 Thess 3,16; Hebr 13,20), der seine Liebe und seinen Frieden durch den Heiligen Geist in die menschlichen Herzen ausgießt (Röm 5,1-5; 15,13; Phil 4,7; Kol 3,15).

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f) Zusammenfassung: Geist als die Frucht der Erlösung

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Die verschiedenen Wirkungen des Geistes zeigen, daß durch ihn das neue Leben ermöglicht werden soll. Er ist deshalb die eigentliche Frucht der Erlösung. Diese zeigt sich als:

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-- Befreiung von den Mächten der Sünde und des Todes (Röm 6,7-23; 8,2; Gal 3,13f).

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-- Aufbau des neuen Gottesvolkes (Glaube, Liebe, Freiheit, Einheit, Freimut, Friede).

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-- Angeld der kommenden Herrlichkeit (2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,14).

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Im Alten Bunde offenbarte sich Gott, indem er eine neue Sammlung des geschlagenen Volkes durch seinen Geist verheißen hat. Jesus erhob den Anspruch, daß mit ihm die alten Verheißungen in Erfüllung gehen. Durch die Botschaft von der nahen Gottesherrschaft wollte er das versprengte Volk im Namen seines Vaters sammeln. Der Widerstand der Welt führte ihn aber ans Kreuz. Doch gerade von dort her wurde der Geist des Lebens, der Liebe und des Friedens frei (Joh 19,34). Das von ihm angekündigte Reich Gottes ist deshalb dort zeichenhaft unter den Menschen gegenwärtig, wo durch seinen Geist ein Raum des Friedens und der gerechtigkeit geschaffen wird:

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"Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist... Laßt uns also nach dem streben, was zum Frieden und zum Aufbau (der Gemeinde) beiträgt" (Röm 14,17-19).

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IV. Der Heilige Geist und die Erneuerung der Herzen

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Wir haben bis jetzt die wichtigen Themen, in denen vom Wirken des Heiligen Geistes die Rede ist, zusammengetragen und in ihrer Einheit zu verstehen versucht. Auch wenn sich dabei eine gewisse innere Logik zeigte, insofern der Hl. Geist die neue Sammlung, die Kirche, schafft, so verbirgt sich dahinter dennoch ein großes Problem.

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1. Problematik

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Auf die großen Katastrophen (geschichtliche Katastrophen als Folge der Katastrophe des ethischen Wollens) reagierte das Alte Testament mit der Verheißung einer fundamentalen Erneuerung der menschlichen Herzen durch das Wirken des Geistes. Eine ähnliche 'Katastrophe' zeigte sich im Geschick Jesu (Ablehnung seiner Botschaft). Er reagierte darauf, indem er nicht bloß den erneuernden Geist einmal mehr verheißen, sondern ihn durch seinen erlösenden Tod und seine Auferweckung auch tatsächlich gesandt hat. - Ist diese Glaubenssicht des Neuen Testaments aber realistisch? Spricht sie aus, was tatsächlich geschehen ist, oder entwirft sie nur einmal mehr Hoffnungsbilder? Sind die Christen nicht ungefähr die gleichen geblieben wie die Menschen vorher? Zeigt sich in der Geschichte der Kirchen nicht die gleiche Macht des Bösen wie überall auf der Welt (Reichtum/Armut, Verfolgung, Kriege etc.)?

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Zur Entkräftung dieses Einwandes genügt der Hinweis nicht, es gebe in der Kirchengeschichte neben vielen dunklen Punkten auch helle. Dies trifft zwar (glücklicherweise) zu, dennoch hebt sich das ethische Leben der durchschnittlichen Christenheit nicht in entscheidender Weise von dem der Nicht-Christen ab.

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Verweist man auf Heilige, dann ist zu bemerken, daß diese einerseits Ausnahmeerscheinugen waren und daß sich anderseits auch bei ihnen viel Zweideutiges, (was sich aus späterer Sicht als sündhaft erweist), findet (z.B. Bernhard von Clairvaux und die Kreuzzugspredigt).

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Die entscheidende Frage muß folglich lauten: beschreiben die neutestamentlichen Schriften das Wirken des Heiligen Geistes auf eine Weise, die mit dem tatsächlichen Leben der Christenheit in all den vergangenen Jahrhunderten vereinbar ist oder entlarvt diese Geschichte die neutestamentlichen Aussagen als zwar schöne, aber doch täuschende Projektionen? Was sagt das Neue Testament zur Sünde in den Gläubigen, die durch die Taufe bereits den Heiligen Geist empfangen haben sollen? Um eine Antwort zu finden, wenden wir uns zunächst dem Römerbrief und dann den Evangelien zu.

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2. Die Sünde in den Gläubigen

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a) Römerbrief

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In den ersten fünf Kapiteln legt der Apostel dar, daß alle Menschen der Sünde verfallen sind. Keiner kann aus eigener Kraft durch Werke des Gesetzes, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus vor Gott gerecht werden. Dieser Glaube gründet darin, daß Gott vorgängig zu jeder menschlichen Anstrengung, "als wir noch (seine) Feinde waren" (Röm 5,10), gehandelt und im Kreuz Christi die Welt mit sich versöhnt hat. Die Sünde ist seit Adam in der Menschheit mächtig geworden. "Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade (in Christus) übergroß geworden" (Röm 5,20).

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Angesichts der in den ersten fünf Kapiteln des Römerbriefes entfalteten heilsgeschichtlichen Erfahrung, daß die Gnade sich dort übergroß zeigte, wo die Sünde mächtig geworden war, stellt Paulus im sechsten Kapitel die Frage, ob wir selber in der Sünde verharren sollen, damit auch in uns die Gnade übermächtig werde. Er verneint diesen (blasphemischen!) Gedanken kategorisch. Durch die Taufe als einem Mitbegräbnis (Röm 6,4) haben die Gläubigen anerkannt, daß sie mit Christus am Kreuz bereits gestorben sind (Röm 6,8; 7,4; 2 Kor 5,14) und durch dieses Mitsterben von der Sünde grundsätzlich frei wurden.

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In den Kapiteln 6-8 führt Paulus weiter aus, wie das Freisein von der Sünde näher zu verstehen ist. Er beschreibt den Menschen als ein Wesen, das immer einem Herrn gehört. Beim Übergang zum Glauben geschieht ein "Herren-Wechsel". Wer zunächst als Sklave der Macht der Sünde gedient hat, steht nun unter Christus als neuem Herrn (Röm 6,15-23).

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Gemäß dem Römerbrief kann aber die eigentliche Macht der Sünde erst dann erkannt werden, wenn ihre Herrschaft grundsätzlich gebrochen ist. Vorher blendet sie die Menschen und bewirkt, daß diese ihre Versklavung gar nicht sehen. Paulus entfaltet diesen Gedanken zunächst mittels des Gesetzes (Röm 7,7-13). Dieses ist zwar an sich gut und heilig. Die Sünde erwies sich aber als so stark und raffiniert, daß sie sich sogar des heiligen und geisterfüllten Mittels bedienen konnte, um die Menschen zu täuschen und zu töten. Die Eiferer für das Gesetz meinten, ganz im Dienst Gottes zu stehen, und merkten nicht, daß sie ganz von der Sünde manipuliert wurden. Durch diese Macht der Verdrehung hat sich die Sünde "über alle Maßen als sündhaft" (Röm 7,13) erwiesen. Sprach Paulus in Röm 5,20 vom Übermaß der Gnade, so deckt er nun - aus der Perspektive des grundsätzliches Sieges - das Übermaß der Sünde auf und zeigt, wie sie die Menschen lähmt, indem sie als Gesetz in ihren Gliedern wohnt und von dort aus dem guten Wollen hartnäckigen Widerstand leistet.

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Die entscheidende Frage lautet nun: Ist mit dem gespaltenen Menschen, wie Paulus ihn in Röm 7,14-25 beschreibt, der Mensch vor der Bekehrung oder auch jener gemeint, der bereits unter der Wirkung des Hl. Geistes steht? Von der Antwort auf diese Frage hängt zum großen Teil ab, wie die Befreiung von der Sünde und das Wirken des Heiligen Geistes näher zu verstehen sind. Hier entscheidet sich auch, ob die eingangs aufgeworfene Problematik eine befriedigende Klärung finden kann. Die große Mehrzahl der Theologen und Exegeten der Väterzeit, des Mittelalters und der Neuzeit sehen im gespaltenen Menschen nur den Ungläubigen. Unter jenen, die die gegenteilige Ansicht vertreten haben, ragen Augustinus und Luther hervor.

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Folgende Gründe sprechen gegen die Position der Mehrheit:

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1.) Paulus benützt sowohl zur Entlarvung der Sünde und des Gesetzes wie zur Beschreibung des gespaltenen Menschen die Ich-Form. Während er aber im Text, der der Beschreibung des gespaltenen Menschen unmittelbar vorausgeht im Aorist spricht (Röm 7,7-13/ Gesetzesproblematik), redet er Röm 7,14-25 (gespaltener Mensch) im Präsens. Dieser Zeitenwechsel legt nahe, daß der Apostel die Gesetzesproblematik auf die Vergangenheit (vor der Bekehrung) bezieht, mit dem gespaltenen Menschen aber eine auch im Gläubigen noch gegenwärtige Problematik meint.

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2.) Paulus stellt bei der Beschreibung des gespaltenen Menschen dem Gesetz der Sünde das Gesetz der Vernunft oder den "inneren Menschen" gegenüber (Röm 7,22f). Mit dem Ausdruck "innerer Mensch" bezeichnet er in anderen Zusammenhängen aber immer den Menschen des Glaubens (vgl.2 Kor 4,16; Eph 3,16).

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3.) Trotz des Widerstandes der Sünde stimmt der gespaltene Mensch dem Gesetz zu, daß es gut ist (Röm 7,16); ja er freut sich dem inneren Menschen nach sogar an ihm (Röm 7,22). Würde damit der Mensch vor der Gnade beschrieben, dann wäre dieser von sich aus fähig, wenigstens das Gute zu wünschen, (wenn auch nicht zu tun). Dies aber ist die semipelagianische Position, die die Kirche verurteilt hat (vgl. Vorlesung über die Gnade).

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4.) Paulus beendet die Beschreibung des gespaltenen Menschen mit dem Ausruf: "Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?" (Röm 7,25). Er gibt selber die Antwort: "Dank sei Gott durch Jesus Christus, unserem Herrn!" (V 25a), und er folgert unmittelbar daraus: "Es ergibt sich also daß ich mit meiner Vernunft dem Gesetz Gottes diene, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde" (V 25b). In V 25b spricht Paulus wieder eindeutig vom gespaltenen Menschen, und der sprachlichen Formulierung nach (ara oun) ist diese Aussage eine Folgerung aus V 25a, wo er für die Errettung des unglücklichen Menschen durch Christus dankt. V 25b muß folglich ohne jeden Zweifel auf den Glaubenden bezogen werden. Damit ergibt sich aber eine klare Identifizierung des gespaltenen Menschen mit dem an Christus Glaubenden.

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Jene vielen Exegeten, die den gespaltenen Menschen als den Menschen vor der Gnade deuten, haben meistens auch gesehen, daß der Wortlaut von V 25b ihrer Interpretation eindeutig widerspricht. Sie haben deshalb alle möglichen Versuche unternommen, den störenden Vers wegzudeuten. Zu den Deutungsversuchen der Väter und der Scholastik: vgl.W. Keuck, Dienst des Geistes und des Fleisches. Zur Auslegungsgeschichte und Auslegung von Röm 7,25b. TThQ 191 (1961) Z57-280.

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Als modernes Beispiel, die Schwierigkeit von V 25b zu lösen, sei der Versuch von U. Wilckens erwähnt, der schreibt: "Deswegen kann der Satz V 25b nicht im Paulustext belassen und muß als diesen mißverständliche Randglosse eliminiert werden. Da jedoch sämtliche handschriftliche Zeugen den Satz an derselben Stelle im Kontext lesen, muß dann allerdings vermutet werden, daß die gesamte Textüberlieferung nicht auf das paulinische Original, sondern auf eine Handschrift zurückgeht, in der die Glosse bereits in den Text eingeführt war. (U.Wilckens, Der Brief an die Römer (EKK 6/2). Zürich 1980, 97; ähnlich: Schlier, Römerbrief (HThK) 235, vgl. Anm.12 und 13).

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Vier klare sprachliche Gründe, unter denen der letzte besonders eindeutig ist, sprechen dafür, daß Röm 7,14-25 auf den Glaubenden zu beziehen ist. Wenn die große Mehrzahl der Theologen und Exegeten diese Deutung dennoch ablehnt, dann ist dafür ein inhaltlicher Grund ausschlaggebend. Ihnen scheint es einfach undenkbar, daß Paulus geschrieben haben könnte, der Gläubige diene mit seiner "Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde" (Röm 7,25b). Ist diese Aussage aber - trotz der klaren sprachlichen Argumente - aus dem Gesamtkontext des Paulus und des NT sachlich tatsächlich unmöglich? Um diese wichtige Frage zu entscheiden, müssen wir weitere neutestamentliche Texte zu Rate ziehen.

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b) Der Unglaube im Glauben (Johannesevangelium)

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In Joh 8,30-47 klagt Jesus die Juden an, sie hätten den Teufel zum Vater und wollten tun, was dieser Vater tut, der zugleich der Vater der Lüge und der Mörder von Anfang an ist. Diese harten Worte gegen die Juden wurden in der christlichen Vergangenheit benutzt, antisemitische Gefühle zu rechtfertigen. - Heute wird der Spieß nicht selten umgedreht, und dem Johannesevangelium wird vorgeworfen, daß es selber Antijudaismus betreibe und aus einem sozial-religiösen Vorurteil heraus die Juden verteufle. Doch was sagt der Text genau? Der Abschnitt, in dem von den Juden als Kinder des Teufels die Rede ist (Joh 8,30-47), beginnt mit folgenden Sätzen:

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"Als Jesus das sagte, kamen viele zum Glauben an ihn. Da sagte er zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien. Sie erwiderten ihm: Wir sind Nachkommen Abrahams und sind noch nie Sklaven gewesen. Wie kannst du sagen: Ihr werdet frei werden?..." (Joh 8,30ff)

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Die Rede mit den harten Worten über die Juden richtet sich folglich im Johannesevangelium nicht an die Juden im allgemeinen, sondern an jene Juden, die bereits an Jesus glauben. Diesen sagt er, was sie tun müssen, wenn sie wirklich seine Jünger sein und aus den Mächten des Bösen befreit werden wollen. Die bereits glaubenden Juden wollen aber nicht einsehen, wieso sie noch befreit werden müssen, da sie ja schon Kinder Abrahams sind. Von diesem Mißverständnis her zeigt Jesus auf, daß selbst in jenen, die an ihn glauben, noch ganz andere Mächte am Werk sind und daß ihr Mißverständnis bezüglich der Befreiung belegt, wie sehr sie mit jenen Juden, die Jesus ausdrücklich töten wollen, in Einklang stehen.

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Die Zweideutigkeit herrschte nicht nur im weiteren, sondern selbst im engsten Jüngerkreis. In der Abschiedsrede hielt Jesus jenen, die sagten, daß sie an ihn glauben, nüchtern entgegen, daß sie ihn bald verlassen werden (Joh 16,29-32). Der Verrat ging von einem aus, den er selber erwählt hatte (Joh 6,70f; 13,18f, 21-30; 18,2-5), und auch Petrus liebte im entscheidenden Moment die Ehre bei den Menschen mehr als die Ehre bei Gott. Er verleugnete dreimal seinen Herrn (Joh 18,15-18,25-27) und stellte sich damit de facto in die Reihe jener, die Jesus töten wollten. Die harte Anklage von Joh 8,30-47 gegen die an Jesus glaubenden Juden trifft folglich selbst Petrus.

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c) Die verhärteten Jünger (Synoptiker)

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Die Sicht des Johannesevangeliums bezüglich des Glaubens findet sich auf analoge Weise bei den Synoptikern. Das Markusevangelium hebt eindringlich hervor, daß die Jünger trotz der Worte, die sie hörten, und trotz der Zeichen, die sie sahen, ihren Meister immer wieder mißverstanden haben (Mk 7,18; 9,30-37; 10,35-45). Jesus mußte ihren Unglauben tadeln (Mk 4,40) und sie fragen, ob denn ihr Herz verstockt sei (Mk 8,17f). Im Zusammenhang mit der Brotvermehrung urteilt der Evangelist kurz und trocken über die Jünger: "Ihr Herz war verstockt" (Mk 6,52). Wie das Johannesevangelium berichtet auch Markus, daß der Verrat gerade von jenem engsten Kreis ausging, den Jesus besonders erwählt hatte (Mk 14,10f.44f), und daß sogar jener, den er an die Spitze seiner Jünger gestellt hatte (Mk 8,29; 9,2), ihn verleugnete (Mk 14,30.50.66-72).

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Das Matthäusevangelium sieht den Glauben der Jünger in einem ähnlichen Licht, wie vor allem die unmittelbare Zusammenstellung der Berichte vom Messiasbekenntnis in Cäsarea Philippi und von der ersten Leidensankündigung deutlich macht. Jener Petrus, der das Messiasbekenntnis ablegt, bekommt von Jesus zu hören: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen..." (Mt 16,18). Gleich danach wird aber der gleiche Petrus, der die Leidensankündigung nicht verstehen will, hart abgewiesen: "Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen" (Mt 16,23). Der Evangelist dürfte kaum zufällig die beiden extrem gegensätzlichen Aussagen über Petrus (Fels und Satan) direkt nebeneinander gestellt haben. Das zweite Wort deckt auf, welch unheimliche Gedanken in jenem wirksam sein können, dem die Schlüssel des Himmelreichs übergeben wurden.

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d) Ergebnis

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(1) Nach dem Zeugnis aller Evangelien gehören ganz positive und sehr negative Aussagen über die Jünger zusammen. Gegen die Bedeutung dieser Feststellung mag man den Einwand erheben, die negativen Aussagen würden sich rein historisch auf die Jünger vor Ostern und Pfingsten (also vor der Geistsendung) beziehen, während die positiven Aussagen die durch den Hl. Geist bekehrten Jünger beschreiben. Doch dieser Einwand ist aus folgenden Gründen nicht stichhaltig.

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(a) Man kann die Evangelien nicht in zwei Teile zerreissen, in einen, der nur eine historische Bedeutung hätte, und in einen zweiten, der auch theologisch für uns verbindlich wäre. Das ganze Evangelium gehört zur Frohbotschaft.

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(b) Die Jünger waren schon vor Pfingsten Glaubende. Man darf sie deshalb nicht einlinig nur der Welt des Unglaubens und der Sünde zuordne.

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(c) Auch nach Pfingsten blieben die Jünger Sünder. Dies zeigt sich einerseits am Fall des Petrus, der von Paulus getadelt werden mußte, weil er sich "ins Unrecht gesetzt hatte" und "weil er als Jude nach der Art der Heiden lebte" (Gal 2,11-14). - Die neutestamentlichen Brief zeigen zudem mit großer Deutlichkeit, daß die Gläubigen einerseits als 'Heilige' angesprochen werden und anderseits dauernd getadelt werden müssen (Apg 5,1-11; 6,1; 15,1.37-40; 1 Kor 1,10-12; 5,1-6; 6,1-11; 11,18-22; 2 Kor 1,23-2,4; 12,20f; Gal 1,6f; 3,1-5; 4,8-20; Phil 3,18f; 2 Thess 3,6f; 1 Tim 4,1-5; 2 Tim 3,1-9; Tit 1,10-16; Hebr 6,4-8; Jak 2,1-13; 4,1-5,6; 2 Petr 2,1-3.10-22; 3,3; 1 Joh 2,18-27; 2 Joh 7-11; 3 Joh 9f; Jud 3-16; Offb 2,4f.14f.20; 3,1.15). Angesichts dieser vielen Aussagen über die Sünde in jenen Gemeinden, die den Heiligen Geist empfangen haben, ist es willkürlich, wenn man die positiven vorösterlichen Aussagen (z.B.Petrus als Fels) für allgemeingültig hält, die negativen (z.B.Petrus als Satan) aber historisierend auf die vorösterliche Zeit eingrenzt.

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"In einem Rückfall in die Eigenmächtigkeit menschlichen Denkens, das die Gnade nicht wahrhaben will, sondern dennoch wieder einen geheimen Triumph des Menschen erdichtet, haben wir uns angewöhnt, Fels und Verleugner in Petrus säuberlich zu verteilen: Verleugner, das ist der vorösterliche Petrus, Fels, das ist der Petrus nach Pfingsten, von dem wir ein seltsam idealisiertes Bild entwerfen. Aber in Wirklichkeit ist er beide Male beides: Der vorösterliche Petrus ist schon der, der das Bekenntnis der mitten im Abfall der Masse gläubig Gebliebenen spricht... Der nachpfingstliche Petrus anderseits ist noch immer der, der aus Furcht vor den Juden die christliche Freiheit verleugnet (Gal 2,11ff): immer noch Fels und Strauchelstein in einem." J.Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 258ff.

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(2) Da die neutestamentlichen Schriften eindrücklich herausstellen, daß auch in den Jüngern und Getauften, die den Heiligen Geist bereits empfangen hatten, böse Mächte am Wirken waren, gibt es keinen Grund, die Aussagen des Paulus, die vom gleichen Sachverhalt sprechen, (durch Streichung von Röm 7,25) wegzudeuten. Die Beschreibung des gespaltenen Menschen (Röm 7,14-25) ist folglich auf die Gläubigen zu beziehen. Wenn es in Röm 7,25 heißt, die Gläubigen dienten mit ihrer Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde, wird nicht etwas theologisch Unmögliches behauptet, sondern nur präzise formuliert, was auf andere Weise im Neuen Testament oft bezeugt wird.

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(3) Dieses Ergebnis trifft sich mit einer klaren Aussage des Paulus in einer anderen Schrift, nämlich im Galaterbrief:

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"Darum sage ich: Laßt euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, sodaß ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt" (Gal 5,16f).

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Wie aber ist das Wirken des Geistes zu verstehen, wenn die Sünde im Glaubenden trotzdem mächtig bleibt? Auf diese Frage gibt Röm 8 eine Antwort.

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3. Der Heilige Geist und die verbleibende Sünde

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Die Deutung von Röm 8 wird oft durch harmonisierende Übersetzungen erschwert. Im Anhang findet sich die wörtliche Übersetzung eines Spezialisten, auf die ich mich stütze und die auch gut zur erarbeiteten Deutung von Röm 7,14-25 paßt. Das christliche Leben erscheint so in einer höheren Dramatik, als die oft dargestellt wird.

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a) Der Gläubige im Kraftfeld dreier Mächte

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Paulus unterscheidet im Gläubigen verschiedene Bereiche und Mächte: Leib oder Fleisch (als Bereich der Sünde und des Todes), Geist (als anthropologisches Prinzip, das durch die Taufe erneuert wurde) und der heilige Geist (Röm 8,13.16). Diese Dreiteilung zeigt, daß Paulus eine doppelte Wirkung der Heilstat Christi und des Heiligen Geistes im Gläubigen kennt. Einerseits wird jener Geist, den der Mensch als seinen eigenen besitzt (anthropologisches Prinzip), durch die Taufe gnadenhaft und dauernd erneuert, und anderseits steht dieser erneuerte Mensch unter der unverfügbaren je neuen Wirkung des Heiligen Geistes, "der weht, wo er will" (Joh 3,8). Der Kampf des grundsätzlich (durch die Taufe) erneuerten Menschen (unter Absehen von der je gegenwärtigen Wirkung des Heiligen Geistes) gegen das Gesetz des Fleisches wird in Röm 7,14-25 geschildert. Dem Gegensatz Fleisch/ innerer Mensch von Röm 7,14-25 entspricht in Röm 8 der Gegensatz Fleisch/Geist (erneuertes anthropologisches Prinzip). Hier kommt allerdings als entscheidende neue Größe das unverfügbare, je aktuelle Wirken des Heiligen Geistes hinzu, der mit dem erneuerten Geist des Menschen zusammenwirkt und erst dadurch die in Röm 7,14-25 beschriebene wechselseitige Lähmung überwindet. Dank des unverfügbaren Wirkens des Heiligen Geistes gewinnt der erneuerte menschliche Geist die Vorherrschaft über das Gesetz des Fleisches, und beide bezeugen zusammen gegen die verbleibende Sünde, daß die Gläubigen Kinder Gottes sind (Röm 8,16). Das Zusammenwirken geschieht so, daß der Heilige Geist den menschlichen Geist, der trotz seiner Erneuerung nur unartikuliert stöhnen kann, überformt, dabei aber - als Hoffnungsgut - unsichtbar bleibt und deshalb auch nur im geduldigen Ausharren sich als dauernd gegenwärtig zeigt. Von einer äußerlich siegreichen Veränderung der Geschichte ist also auch hier nicht die Rede, ja ein solcher Gedanke wird durch den Hinweis auf die Struktur der Hoffnung direkt abgewiesen.

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b) Christus in euch: Toter Leib und lebender Geist (Röm 8,10)

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Die große Schwierigkeit bei der Deutung von Röm 8,10 liegt in der Frage, wie einerseits der Leib tatsächlich tot sein kann, wenn er doch noch sehr wirksam ist, und wie anderseits der Geist (anthropologisches Prinzip) in gerechtigkeit leben kann, wenn er doch untrennbar mit einem Leib der Sünde verbunden ist. Um einer Lösung dieser Schwierigkeiten näher zu kommen, haben wir die juristische Sprache des Apostels zu beachten, mit der er eine mystische Dimension anspricht. Gemäß seiner Lehre gehört der Mensch wesentlich einer fremden Macht: entweder der Sünde oder Christus. Die Aussage, daß der Leib der Sünde im Gläubigen bereits tot ist, dürfte folglich bedeuten, daß die Macht der Sünde keinen Rechtsanspruch mehr auf den getauften Menschen hat. Die Sünde ist zwar immer noch virulent, aber sie vermag durch ihr Tun das eigentliche Ich (den Geist als anthropologisches Prinzip) nicht mehr zu beherrschen und zu bestimmen.

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Vgl. Röm 7,20: "Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde."

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Das Ich des Menschen (Geist) gehört nicht mehr der Sünde, aber auch nicht ihm selber, sondern der Heilige Geist überformt den menschlichen Geist (Röm 8,26), und dadurch wird Christus in ihm gegenwärtig und wirksam (vgl.Röm 8,9f; Gal 2,20; Kol 3,4). Der Sohn vollzieht sein Sohnsein [Abba-Rufen] in den Gläubigen, während diese "stöhnen" (Röm 8,15). Trotz der Gespaltenheit der erneuerten Menschen gibt es in ihnen eine eindeutige gerechtigkeit, weil sie durch den Heiligen Geist an der vollkommenen gerechtigkeit Christi Anteil haben. Die wahre menschliche Selbstbestimmung vollzieht sich als Bestimmtwerden durch Christus, in dem (an unserer Stelle) die Grundentscheidung für Gott und gegen die Sünde gefallen ist, denn in ihm hat Gott die Sünde gerichtet (vgl. Röm 8,4) und in ihm hat der himmlische Vater die Welt mit sich versöhnt, als wir selber noch Sünder waren (Röm 5,8-10). Der Vorrang des Handelns Christi meint nicht bloß einen zeitlichen Vorrang. Er bedeutet vor allem, daß die Existenz der Gläubigen zunächst durch sein Tun in ihnen (Heiliger Geist) und erst in Abhängigkeit davon auch durch ihr eigenes Handeln bestimmt wird.

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c) Das Töten der Taten des Leibes (Röm 8,13) --"Töten des Todes!!"

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Der Aufruf des Paulus, die Taten des Leibes zu töten, war ein wesentlicher Anstoß für die traditionelle Praxis der "Abtötung" (mortificatio) in der christlichen Spiritualität und Aszese. Diese Praxis war - vom NT her gesehen - notwendig und zugleich zweideutig. Sehr oft wurde die Abtötung nämlich in dem Sinne verstanden, daß man versuchte, die bösen Tendenzen und Taten durch die Mobilisierung von Gegenkräften zu unterdrücken. Da die Sündenmacht aber trotz des Heiligen Geistes in den Gläubigen wirksam bleibt, wurde das Böse durch solche Versuche nicht wahrhaft überwunden, sondern eher verdrängt. Es trat oft genau das Gegenteil von dem ein, was hätte geschehen sollen; die verborgenen Mächte wurden nicht entlarvt und innerlich besiegt, sondern nur ins Dunkle abgedrängt, wo sie erst recht an Virulenz gewannen.

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Der menschliche Geist (wahres Ich) oder der innere Mensch (Bereich des Lebens) ist in seinem Kampf gegen das Fleisch (Bereich des Todes) machtlos (Röm 7,14-25). Nur dank des Zusammenwirkens des Heiligen Geistes mit dem erneuerten menschlichen Geist (Röm 8,16) gibt es eine Vorherrschaft dieses Geistes über den Leib (Röm 8,9.26). So kann der Bereich des Todes schrittweise durch jenen Heiligen Geist, der Tote erweckt, in einen Bereich des Lebens und der beginnenden Herrlichkeit verwandelt werden (Röm 8,11.18). Der Gläubige hat dabei im wesentlichen jenen Weg zu gehen, den Jesus vorausgegangen ist.

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Weg Jesu:

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(a) Verkündigung des wahren Gottes als 'Abba' und Aufruf zur Umkehr

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(b) Aufdecken der dunklen Mächte (Lüge, Gewalt u. satanischer Geist)

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(c) Erleiden der bösen Mächte in der Kraft des Geistes

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(d) Ergriffenwerden vom 'Abba' (Ostern)

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Weg der Nachfolge (Töten der Taten des Leibes):

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(a) Erkennen des wahren Gottes und Bemühen um Umkehr

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(b) Aufdecken der dunklen Mächte im eigenen Inneren und in der Welt, die gegen die Umkehr kämpfen (und nicht Verdrängen dieser Kräfte)

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(c) Ertragen und Erleiden der eigenen Schwäche und der Übel in der Welt und in der Kirche im Glauben an die rechtfertigende Tat Christi und im Vertrauen auf die verborgene Wirkung des Geistes

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(d) Hoffen auf ein Ergriffenwerden durch den 'Abba' und auf eine neue Erfahrung des Geistes

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Wo Getaufte etwas von der Herrlichkeit des lebensspendenden Geistes erfahren, entdecken sie zugleich tiefer, wie sehr die Sünde noch in ihnen sitzt; sie können dadurch solidarischer mit den Fehlern aller anderen Gläubigen und mit den Sünden aller Menschen werden. Sie dürfen ihre eigenen Sünden immer weniger von denen der Kirche und der ganzen Menschheit absondern. Die Erfahrung der beginnenden Herrlichkeit des Heiligen Geistes führt die Gläubigen in eine Situation, in der sie als "Geist" auf vertiefte Weise den ganzen Bereich des Fleisches (Sünde der Kirche und der Welt) erleiden.

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d) Folgerungen für die Erlösungslehre

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Nicht die Freiheit von Sünde ist das wahre Zeichen, daß die Erlösung geschehen ist. Eher das Umgekehrte gilt. Der Heilige Geist zeigt sein Wirken gerade dort am deutlichsten, wo die Sünden der Welt und der Christenheit nicht mehr als Argument gegen die Erlösung verstanden werden. Der unbekehrte Mensch regt sich über diese Sünden auf, weil er sich heimlich für besser hält. Der Mensch unter dem Geist aber sieht seine eigenen Abgründe und leidet deshalb mit den anderen Menschen mit, die ebenso ins Böse verstrickt sind. Er hat damit Anteil am Erlöserleiden Christi. Was von außen als stärkstes Argument gegen das Wirken des Geistes erscheint, erweist sich so von innen her gesehen als intensivster Ausdruck gerade dieses Wirkens, nämlich als geistgewirkte Teilhabe am Leiden Christi unter der Weltsünde.

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e) Erkenntnis der Sünde als 'Unterdrückungsmoral'?

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Die Frage, ob es nicht einen Widerspruch zwischen den neutestamentlichen Aussagen von der Erneuerung der Herzen durch das Wirken des Heiligen Geistes und der christlichen Praxis im Laufe der Geschichte gebe, haben wir durch den Aufweis zu lösen versucht, daß die neutestamentlichen Schriften selber sehr deutlich von einer verbleibenden Sünde in den Gläubigen sprechen und daß der Geist sie dazu führt, das Böse - in Teilhabe am erlösenden Leiden Christi - leidend ('stöhnend') zu ertragen und so zu besiegen. Diese Antwort wirft aber sogleich eine neue Frage auf. Dem Christentum wird nämlich oft vorgehalten, es impfe den Menschen Schuldkomplexe ein und mache sie dadurch seelisch krank. Das war die große Anklage Nietzsches, nach dem die christliche Religion - trotz gegenteiliger Ansätze bei Jesus selber - in die Reihe aller andern Religionen gehört, die zusammen mit Institutionen wie Staat und Kultur eine Sklavenmoral züchten. Viele andere sind ihm in dieser Einschätzung gefolgt (vgl. z.B. Tillmann Moser, Gottesvergiftung. Frankfurt 1976):

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Gegen unsere bisherigen Ausführungen erheben sich folglich ein starkes Bedenken. Wenn bereits in der vergangenen Geschichte der Christenheit auf massive Weise die Sünde gepredigt wurde, und gerade so manche unerwünschte negative Folgen eingetreten sind, ist es dann nicht gefährlich, eine Lösung vorzuschlagen, die die Sündenproblematik eher nochmals vertieft? Verstärkt man damit nicht das, was die Kritik eines Nietzsche oder der Tiefenpsychologie herausgefordert hat? Wird durch unseren Versuch, die erneuernde Wirkung des Heiligen Geistes im Zusammenhang mit der verbleibenden Sünde aufzuzeigen, nicht genau das Gegenteil erreicht, nämlich seelische Lähmungen und Schuldkomplexe? - Eine Teilantwort auf diese Fragen haben wir bereits indirekt durch die vorsichtige Deutung von Röm 8,13 (Töten der Taten des Leibes) zu geben versucht. Da die angesprochene Problematik aber von großer Tragweite ist, müssen wir noch direkt auf sie eingehen.

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Die alltägliche Erfahrung zeigt, daß Menschen einander viel Böses antun und oft stark untereinander leiden (Streit, Mißverständnisse, Isolierung, negative Urteile, Ausstoßung, Verachtung etc.). Die gleiche Erfahrung belegt, daß in diesen Schwierigkeiten und Leiden die Schuld normalerweise bei den 'andern' gesucht wird. Dies gilt für Kleingruppen, für Großgruppen und für ganze Völker. Wieviel Leid, Haß und Verbitterung sind nicht durch Kriege über die Menschen gekommen! Dabei waren praktisch alle Völker immer der Überzeugung, die 'bösen Nachbarn' seien am Streit schuld. Will man nicht annehmen, Gott hätte den Menschen grundsätzlich falsch 'konstruiert' (vgl. Schöpfungslehre) und will man die Schuld auch nicht auf eine blinde Evolution abschieben, dann drängt sich mit Notwendigkeit die Folgerung auf, daß man -entsprechend der Größe des Leidens - von einem großen moralischen Übel sprechen muß, das sich als Schuld darin erweist, daß einer dem anderen die Verantwortung für die Übel zuschiebt. Diese nüchterne Betrachtung zeigt, daß durch die Abschaffung oder Abschwächung der intensiven biblischen Rede von der Sünde nichts gewonnen wäre. Die Menschen würden einander weiterhin wechselseitig anklagen, und sie kämen sogar in Gefahr, einander nur noch ungehemmter zu verteufeln.

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Aufgrund der bitteren Erfahrungen mit den Religionskriegen meinten manche aufgeklärten Geister, man brauche nur die Religion aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen, um Frieden zu haben. - Der gewünschte Friede stellte sich aber keineswegs ein. Anstelle der Religion trat der Mythos der Nation, der ebenso zu Kriegen führte. Vgl.H.G.Stobbe, Ökumene und Frieden. In: Una sancta 37 (1982) 202- 215.

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Ist die globale Kritik an der Lehre von der Sünde unhaltbar, so gibt es dennoch eine berechtigte Frage bezüglich einer bestimmten Art von der Sünde zu reden. Diese Kritik ist auch keineswegs neu, sondern findet sich ihren wesentlichen Zügen nach bereits in den biblischen Schriften. Jesus hat die Kasuistik der Pharisäer abgelehnt und ihnen u.a.vorgehalten, sie würden anderen schwere Lasten auf die Schultern laden, selber aber keinen Finger rühren, die Lasten selber zu tragen (Mt 23,4). In Entsprechung dazu deckte Paulus auf, wie durch die Gesetzespredigt gegen die Sünde diese nur noch vergrößert wurde. Die Rede von der Sünde ist biblisch gesehen zwar notwendig, aber es kommt entscheidend darauf an, wie von ihr geredet wird.

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Jesus hat den Ehebruch abgelehnt, zugleich aber auch den lüsternen Blick dem Ehebruch gleichgestellt (Mt 5,27). Er hat im Einklang mit der Überlieferung den Mörder dem Gericht anheimgegeben, aber ebenso jeden, der Böses über seinen Bruder oder seine Schwester sagt, dem gleichen Gericht ausgeliefert (Mt 5,21-26). Er hat das Gesetz radikalisiert; gerade damit aber auch jedem Menschen die Möglichkeit genommen, rechtmäßig andere in ihrem Inneren zu verurteilen, denn wer könnte angesichts dieser Radikalität noch von sich sagen, daß er selber nicht tue, was er bei andern verurteilt. Jesus hat deshalb seine Jünger sehr eindringlich vor dem Richten gewarnt (Mt 7,1-5), und Paulus schreibt:

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"Darum bist du unentschuldbar - wer du auch bist, Mensch -, wenn du richtest. Denn worin du den andern richtest, darin verurteilst du dich selber, da du der Richtende, dasselbe tust" (Röm 2,1).

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Die radikale neutestamentliche Sündenlehre führt gerade nicht zu einem Prozeß des dauernden Richtens, sondern verunmöglicht es, daß Menschen einander im Innersten mit Recht verurteilen. Dieser ersten "Unmöglichkeit" folgt eine weitere. Das Geschick Jesu und die paulinische Rechtfertigungslehre nötigen zur Einsicht, daß die Menschen auch sich selber nicht in Wahrheit durchschauen und folglich auch sich nicht selber vor Gott rechtfertigen können (vgl. Erlösungslehre). Nur jener Gott, der die Welt mit sich versöhnt hat, als wir noch Sünder waren (Röm 5,8-10), kennt die Tiefen unseres Herzens (Röm 8,27; 1 Joh 3,20), und nur er kann uns vor sich und damit auch vor uns selber rechtfertigen. So wird den Menschen jede Möglichkeit genommen, sowohl über andere, als auch über sich selber und über Gott letzte Urteile zu fällen.

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4. Unterscheidung der Geister in den ignatianischen Exerzitien

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191
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Die ausführlichste methodische Einführung in die praktische Kunst des Unterscheidens zwischen Gut und Böse und in die Wahrnehmung des unverfügbaren Wirkens des Heiligen Geistes findet sich, soweit ich sehe, in den ignatianischen Exerzitien unter dem Stichwort 'Unterscheidung der Geister'.

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Die geistlichen Übungen des Ignatius vollziehen sich in vier 'Wochen', die den Ablauf nicht nur zeitlich, sondern vor allem auch inhaltlich und spirituell-existentiell strukturieren und deshalb auch länger als sieben Tage dauern können. Bevor nämlich der Schritt in die jeweils nächste 'Woche' getan wird, sollte ein bestimmtes Ziel erreicht sein. Trotz des teilweise unterschiedlichen Aufbaus gibt es eine Analogie zwischen den fünf Akten im Heilsdrama Jesu und den vier Wochen der Exerzitien).

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1.Woche: Meditation über die Sünde und Erkennen ihrer Tiefe - zugleich Gebet um Vertrauen im Blick auf den Gekreuzigten - Entscheidung, sich von der Sünde abzukehren!

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2.Woche: Hören des Rufes Christi und Meditationen über die Geheimnisse des Lebens Christi -- Entscheidung, dem Ruf Christi zu folgen!

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3.Woche: Inneres Mitgehen mit Christus - Meditatio über das Leiden -- Entscheidung, auch den Weg des Leidens mit Christus zu gehen!

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4.Woche: Hoffen auf eine Mitauferweckung - Meditation über Ostern!

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Ignatius leitet den Übenden an, intensiv über die wichtigen Ereignisse im Leben Jesu zu meditieren. Er gibt auch Leitlinien, wie die Geheimnisse aus dem Leben Jesu zu sehen sind, und er erwartet, daß der Übende im Zusammenhang mit den Meditationen intensive Erfahrungen macht (Trost und Mißtrost). Er leitet ihn auch an, auf diese Erfahrungen sehr bewußt zu achten. Kommt es zu keinen solchen Erfahrungen, dann stimmt etwas auf dem Exerzitienweg nicht.

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Die Meditationen sind auf eine Entscheidung ausgerichtet. Dennoch ist es für den Exerzitienweg sehr wichtig, daß die Entscheidung nicht im direkten Anschluß an die Meditationen gefällt wird. In diesem Fall bestände nämlich die Gefahr, daß der Übende sich in etwas hineinsteigert, wozu er die Kraft doch nicht hat und wozu er vielleicht gar nicht berufen ist.

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Ignatius gibt vielmehr ausführliche Regeln, wie die unterschiedlichen Erfahrungen zu deuten sind. Nach ihm hängt der Sinn von Einzelerfahrungen ganz von der Gesamtrichtung eines Menschen ab. Bewegungen der Ruhe oder der Unruhe, des Trostes oder Mißtrostes, des inneren Friedens oder der Verwirrung sind für sich allein genommen vieldeutig und erhalten erst von der Grundausrichtung (hermeneutischer Horizont) her ihre Klarheit. Bei einem Menschen, der unbekümmert in der Sünde lebt, ist die Unruhe ein Zeichen, daß der gute Geist ihn aufwecken möchte; während es dem bösen Geist eigen ist, den Sünder weiterhin einzuschläfern und zu beruhigen. Bei einem Menschen hingegen, der sich auf dem Weg zum Besseren befindet, verhalten sich die beiden "Regungen" genau umgekehrt. Der 'gute Geist' gibt dem Fortschreitenden innere Ruhe, geistliche Freude und Zuversicht; während der 'böse Geist' versucht, ihn zu täuschen, zu verwirren und mit Spitzfindigkeiten zu ermüden, damit er von seinem Weg wieder abkehrt.

200
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Die ignatianischen Kriterien für den 'guten Geist' beim Menschen, der auf dem Weg des Fortschritts ist, entsprechen weitgehend den Früchten des Heiligen Geistes, wie Paulus sie in Gal 5,22 beschreibt: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte. Während der 'böse Geist' bei einem solchen Menschen die Taktik anwendet, die Paulus als Tarnung bezeichnet: "..., denn der Satan tarnt sich als Engel des Lichts" (2 Kor 11,14). Ignatius beschreibt diese Taktik als Versuchung unter dem Schein des Guten, und er gibt Anweisungen, wie dieser Schein entlarvt werden kann. Er leitet den Exerzitanten an, von einer falschen, oberflächlichen und zweideutigen Unterscheidung zwischen Gut und Böse zu einer wahreren vorzustoßen. Er gibt aber auch Hinweise, und zwar recht subtile, wie die direkten (unverfügbaren) Wirkungen des göttlichen Geistes von der Eigentätigkeit des menschlichen Geistes unterschieden werden können.

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Die Entscheidung, die der Übende zu fällen hat, soll sich nicht aus frommem Überschwang, sondern aus einem möglichst treuen Hören auf den 'guten Geist' oder heiligen Geist ergeben. Dort wo dieser Geist den Menschen führt, kann der jene dunklen Mächte überwinden, denen gegenüber er mit seinem guten Willen allein machtlos bleibt.

202
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Die Exerzitien enthalten folglich Anleitungen für genau jene zwei Unterscheidungen, die für Röm 7/8 ausschlaggebend sind: Fleisch - Geist (erneuertes anthropologisches Prinzip) und menschlicher Geist - Heiliger Geist. Die Exerzitien machen zugleich deutlich, daß all das, was wir weiter oben zur Deutung von Röm 8 erwogen haben, nur dann richtig verstanden werden kann, wenn es im Einklang mit einer Grundausrichtung steht, die sich bemüht, zum Bessern fortzuschreiten. Im umgekehrten Fall müßte alles Gesagte zu viel Verwirrungen, Mißverständnissen und zu falschen Selbstrechtfertigungen führen.

203
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Die ignatianische Methode hat auch ihre Grenzen. Sie ist auf individuelle 'Unterscheidungen' ausgerichtet und gibt keine direkten Hinweise, wie bei kollektiven 'Bewegungen' (politischer, sozialer und kultureller Art) der gute vom bösen Geist zu unterscheiden ist und wie Täuschungen, die in diesem Bereich besonders hartnäckig sind, und Versuchungen unter dem Schein des Guten sich durchschauen lassen.

204
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Mögliche Kriterien des bösen Geistes sind: Schwarzweißmalerei; Schwanken zwischen Defätismus und Utopismus; Fanatismus; Widerspruch der langfristigen Folgen zu kurzfristigen Erfolgen; wechselseitige kollektive Projektionen etc.).

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Anhang

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207
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(Für die Prüfung nicht unmittelbar erfordert)

208
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Die nachfolgende 'Arbeitsübersetzung" stammt von Norbert Baumert (Frankfurt), der einer der wenigen Spezialisten für das Koinë-Griechisch ist. Von seinen Spezialkenntnissen her kommt er zu wichtigen Neudeutungen des paulinischen Textes, die er in folgenden Arbeiten auch schon erprobt hat:

209
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Vgl. N. Baumert, Täglich sterben und auferstehen. Der Literalsinn von 2 Kor 4,12-5,10. München 1973.

210
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Die "Arbeitsübersetzung" von Röm 8,9-38 wurde unabhängig von unserer Problematik erstellt und ist deshalb auch in keiner Weise durch sie beeinflußt. Dennoch ist sie sehr hilfreich für die uns beschäftigenden Fragen:

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von N.Baumert(mit Kommentar von Schwager)

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Übersetzung

Kommentar von Schwager

1

Jetzt also gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Jesus Christus sind.

Keine Verurteilung wegen Christus!

2

Denn das Gesetz des lebendigen Geistes in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.

Es wird noch nicht gesagt, worin diese Freiheit genau besteht.

3

Denn angesichts der Unfähigkeit des Gesetzes, woran es krankte durch das Fleisch, hat Gott, indem er seinen Sohn in der Eigenart des Sündenfleisches und für die Sünde geschickt hat, die Sünde im Fleisch verurteilt,

Die Freiheit gründet darin, daß Gott die Sünde im Fleisch, d.h. im Fleisch Christi verurteilt hat.

4

damit die Rechtsforderung des Gesetzes in uns dadurch erfüllt wird, daß wir nicht fleischlich, sondern geistlich leben.

 

5

Die nämlich fleischlich sind, trachten nach dem, was zum Bereich des Fleisches gehört, die aber geistlich sind, nach dem, was zum Geist gehört.

 

6

Denn das Trachten des Fleisches ist Tod, das Trachten des Geistes hingegen Leben und Friede,

Das Fleisch ist nicht in dem Sinn tot, daß es nicht wirkt, sondern insofern, als es auf den Tod zielt (vgl. Girard)

7

(und zwar) deshalb, weil das Trachten des Fleisches in Feindschaft gegen Gott besteht. Es unterwirft sich nämlich dem Gesetz Gottes nicht, und kann es ja auch nicht.

 

8

Die jedoch im Fleisch (daheim) sind, können Gott nicht gefallen.

 

9

Ihr seid nicht im Fleisch (unter der Vorherrschaft der Sünde), sondern im Geist (nun hat der Geist die Vorherrschaft),

Im Geist sein heißt nicht, daß das Fleisch nicht mehr wirksam wäre, sondern bedeutet, daß der Geist die Vorherrschaft hat.

 

wenn wirklich Geist Gottes in euch wohnt (jetzt!).

 

 

Wenn freilich einer Geist Christi nicht hat,

 

 

ist dieser nicht sein (eigen, gehört nicht zu ihm).

 

10

Wenn aber Christus in euch (ist),

Mit Leib (sóma) ist nicht der Körper im Unterschied zur Seele gemeint,

 

ist zwar der Leib tot aufgrund von Sünde (gibt es also infolge der Sünde noch einen Todesbereich in euch = Leib)

sondern der ganze Mensch, insofern er der Sünde verfallen ist (vgl.Röm 6,6; 7,24; 8,13; Kol 2,11). Die Aussage vom toten Leib beinhaltet nicht, daß die Macht der Sünde in dem Sinne tot wäre, daß sie nicht mehr wirken könnte. Sie ist im Gegenteil noch höchst wirksam.

 

(ist) der Geist aber Leben aufgrund von gerechtigkeit (gibt es infolge der Rechttat einen Lebensbereich in euch = Geist).




Der Leib der Sünde ist aber dennoch tot, weil er einerseits vom Fleisch beherrscht wird, dessen Trachten mit dem Tod identisch ist (vgl.Röm 8,6) und weil die Sünde andererseits im Kreuz Christi verurteilt (getötet) wurde (Röm 8,4).
Mit dem Geist ist hier der menschliche Geist gemeint, der dank der Gegenwart Christi lebendig ist. Manche Exegeten beziehen das Wort pneuma in diesem Vers auf den Heiligen Geist (vgl.H.Schlier, Der Römerbrief,247). Da diese Problematik aber später noch ausdrücklicher angesprochen wird, muß sie hier nicht entschieden werden.

11

Wenn aber der Geist dessen, der Jesus aus Toten erweckt hat, in euch wohnt,dann muß er, der Christus Jesus aus Toten erweckt hat, lebendig machen auch die sterblichen Leiber von euch durch (diesen) den euch innewohnenden Geist von ihm.

In diesem Vers ist - im Unterschied zu 8,10 - ausdrücklich vom Geist Gottes die Rede. Wie Gott durch den Geist Christus von dem Tode erweckt hat, so werden durch den gleichen Geist auch die sterblichen Leiber der Gläubigen (d.h. ihre ganze Existenz, insofern sie sündhaft war und ist) lebendig gemacht. Dem Heiligen Geist wird gegenüber dem Bereich des Todes im Menschen eine lebensspendende Funktion im Sinne der Erweckung von den Toten zugeschrieben.

12

Also nun, Brüder, Schuldner sind wir,

In der Aussage, daß die Menschen Schuldner sind, klingt deutlich die paulinische Anthropologie an, gemäß der der Mensch nie ein autonomes Wesen ist, sondern immer einem Herrn gehört: entweder der Sünde oder Christus. Daß der Gläubige, obwohl in ihm noch ein Bereich des Todes wirksam ist, nicht mehr der Macht der Sünde und dem Fleisch gehört, ergibt sich aus Röm 8,4 und 8,10, wonach 1) Gott in Christus die Sünde verurteilt hat und 2) Christus selber in den Gläubigen ist.

 

nicht des Fleisches, um nach dem Fleisch zu leben.


 

13

Wenn ihr nämlich nach dem Fleisch lebt,

Aus dem Vorhandensein von zwei Bereichen entspringt die Aufgabe, durch den Geist die Taten des Todesbereiches zu töten. Aus dem Gesamtzusammenhang muß sich erst ergeben, wie dieses Töten näher zu verstehen ist.

 

steht ihr im Begriff zu sterben (folgt notwendig Tod);

 

 

Wenn ihr aber durch Geist die Taten des Leibes tötet (die aus dem Todesbereich in euch aufsteigenden Tendenzen; Versuchbarkeit)

 

 

werdet (müßt) ihr leben (folgt durch die Treue des totenerweckenden Gottes notwendig Leben).

 

14

All die nämlich, die durch Geist Gottes sich bestimmen (treiben) lassen, sind Söhne Gottes.

Wie Christus der Sohn Gottes ist, so werden die Gläubigen durch das Innesein Christi in ihnen vermittels des Heiligen Geistes zu Söhnen Gottes.

15

Nicht habt ihr ja empfangen einen Geist von Knechtschaft,

Obwohl die Gläubigen erlöst sind, sind sie dennoch unfähig, aus eigener Kraft richtig zu beten. Aber Christus wird in ihnen gegenwärtig. Wie er während seines irdischen Lebens im Gebet Gott als Abba angerufen hat (vgl.Mk 14,36), so ruft in den Gläubigen der Geist 'Abba'. Sie gewinnen folglich Anteil am innersten Geheimnis der Vater-Beziehung Christi (Erben), und deshalb sind sie von jeder Knechtschaft frei.

 

wiederum zur Furcht (um euch zu fürchten),

 

 

sondern habt empfangen einen Geist der Sohnesannahme (Adoptivsohnschaft)

 

 

in dem wir schreien: "Abba, (du) Vater" (wie Kinder schreien).

 

16

Der Geist selbst (der Geist Gottes, den wir empfangen haben)

Hier wird ausdrücklich der Geist Gottes vom Geist des Menschen (erneuertes anthropologisches Prinzip) unterschieden (der Geist des Menschen ist identisch mit dem 'inneren Menschen' oder dem 'Gesetz der Vernunft' in Röm 7,14-25). Beide (göttlicher und menschlicher Geist) wirken aber zusammen gegen den Todesbereich im Menschen. Dank dieses Zusammenwirkens wird trotz des Weiterwirkens der Sünde das eindeutige Zeugnis möglich, daß die Gläubigen Kinder Gottes sind.

 

bezeugt zusammen mit unserem Geist (als jenem anthropologischen Prinzip, das Gott in uns zu "Leben" erweckt hat; vgl. 8,10),

 

 

daß wir Kinder Gottes sind (er bezeugt es 'gegen' den Leib und seine toten Werke; also im Kampf gegen jenes andere Prinzip in uns bezeugt der Geist, daß wir genuine, 'geborene' Kinder Gottes sind, durch den Geist als Lebensprinzip).

 

17

Wenn aber (aus ihm geborene) Kinder, auch Erben;

Aus der Gotteskindschaft folgt, daß die Gläubigen auch am Erbe Christi (Verherrlichung) teil haben. Der Anteil am Leiden bewirkt Anteil an der Verherrlichung. Für die Deutung von Baumert ist entscheidend, daß er die Verherrlichung nicht bloß jenseitig versteht, sondern sie schon im Diesseits beginnen läßt.

 

einerseits Erben Gottes, andererseits Mit-Erben Christi,

 

wenn wirklich wir mit (Christus) leiden, damit wir auch mit (ihm) verherrlicht werden (jetzt schon; damit aus dem Leid schon in dieser Zeit Herrlichkeit erwächst).

18

Ich halte nämlich dafür, daß die Leiden der Jetzt-Situation (also des Todesbereiches in uns und um uns)

Das christliche Leben schließt Leiden ein. Diese stehen aber nach dem Urteil des Apostels in keinem Verhältnis zu jener Herrlichkeit, die schon hier auf Erden im Begriff ist, sich zu enthüllen (vgl. 2 Kor 3,17f). Der Begriff 'mellousa', der im Koinë-Griechisch nicht etwas rein Zukünftiges bezeichnet, sondern etwas, das im Begriff ist, einzutreten, ist entscheidend für die Deutung von Baumert.

 

in keinem Verhältnis stehen (nicht gleichgewichtig sind im Verhältnis) zu der Herrlichkeit, die im Begriff steht, sich an uns zu enthüllen (die - von diesen Leiden her, vgl. 17c - 'drauf und dran ist' in uns hinein offenbar zu werden, in unseren sterblichen Leib hinein)

 

19

Das Gespanntsein der Schöpfung nämlich empfängt die Offenbarung der Söhne Gottes (entnimmt, empfängt von oben her mehr und mehr die Sohnesherrlichkeit).

19-22: Ob mit der Schöpfung die untermenschliche Schöpfung oder der Mensch als Geschöpf (im Unterschied zur Annahme als Sohn) gemeint ist, kann hier offen bleiben. Auf alle Fälle wird von der Schöpfung gesagt, daß sie mitstöhnt..

20

Der Nichtigkeit ist nämlich die Schöpfung (von Gott) unterworfen worden - nicht aus eigenem Willen, sondern aufgrund dessen, der sie unterworfen hat (der an der Unterwerfung schuld ist: der Mensch)

21

aufgrund von (unter der Voraussetzung einer) Hoffnung, daß auch die Schöpfung selbst befreit werden wird (muß) von der Knechtschaft des Verderbens (hinein in die) zur Freiheit der Herrlichkeit der Gotteskinder (der 'natürlichen' Kinder Gottes).

22

Wir wissen ja, daß die ganze Schöpfung mitstöhnt und mit in Wehen liegt bis jetzt;

23

Aber nicht nur (das), sondern auch wir selbst, die wir im Besitz der Anfangsgabe des Geistes sind (die wir den Geist anfanghaft, als Anfangskapital schon innehaben), wir sind auch selbst in uns am Stöhnen, während wir als Sohnschaft die Erlösung unseres Leibes in Empfang nehmen (auch wir stöhnen beim 'als Sohnschaft von oben her Empfangen die Erlösung unseres Leibes': die fortschreitende Befreiung der Todeszone in uns durch das Wirken des von seinen Anfängen her immer weiterwirkenden, uns innewohnenden Geistes)

Die Erlösung des Leibes als Empfang der Sohnschaft geschieht nicht problemlos. Die Gläubigen, auch insofern sie Kinder Gottes sind, stöhnen, ja sie stöhnen gerade beim Empfang der Sohnschaft durch den Geist. Dies bestätigt, daß trotz des Geistes eine Gegenkraft (Gesetz der Sünden /Röm 7,14-25) in ihnen wirksam ist. - Die Sohnschaft ist kein - durch die Taufe - abgeschlossener Vorgang, sondern ein dauerndes Empfangen gegen dauernden Widerstand.

24

Durch die Hoffnung (durch ein Hoffnungsgut = den Geist) nämlich wurden wir gerettet (sind wir in das gegenwärtige Heil gekommen), Hoffnung (ein Hoffnungsgut) aber, das man sieht ist nicht Hoffnung, was nämlich einer sieht, wie kann er das hoffen (wieso hat er dazu ausgerechnet die Beziehung der 'Hoffnung')?

Das Stöhnen hat seinen Grund darin, daß die Gläubigen die Rettung nicht in ihrer Vollendung besitzen, sondern "nur" in Form der Hoffnung, d.h. als ein Hoffnungsgut, das man noch nicht sehen (und auch nicht voll spüren und fühlen) kann. Die Rettung ist noch kein eindeutiges empirisches Faktum.

25

Wenn wir aber, was wir nicht sehen, hoffen,

Das Hoffen ist schon ein Empfangen, aber in der Form des geduldigen Ausharrens wegen des Nicht-Sehens und wegen der verbleibenden Sünde.

 

wird es uns unter Aushalten zuteil (sind wir solche, die es mit Geduld von oben her empfangen).

 

26

Genau so aber (auf eben diese Weise, wie wir es eben von der Hoffnung sagten) wird auch der Geist zusammen mit unserer Schwachheit empfangen (wird der Geist als Gegengabe, nämlich für unser Leid, von uns im Zustand der Schwachheit aufgenommen);

Genau so wird der Geist empfangen, d.h. er wird nicht als eine äußerlich sieghafte Macht, sondern als eine Kraft empfangen, die unter Stöhnen, im Hoffen und im geduldigen Ausharren gegenwärtig ist. Der so empfangene Geist überformt den menschlichen Geist, der von sich aus nicht weiß, wie er beten soll, und nur unartikuliert stöhnen kann.

 

denn das 'was sollen wir in gehöriger Weise beten' wissen wir nicht (denn mit welchem Inhalt wir [an-]beten sollen, wie es sich gehört, wissen wir nicht),

Die überformende Kraft des Geistes bleibt uns selber weitgehend verborgen (wir stöhnen weiter);

 

sondern der Geist selbst überkommt unartikuliertes Stöhnen (der Geist selbst trifft von oben her auf unartikulierte Seufzer):

Gott aber kennt das Sinnen seines Geistes in uns. Obwohl wir selber im Zweideutigen verharren (unartikuliertes Stöhnen), bewirkt der Geist dennoch Eindeutigkeit im Herzen (gegen Einheitsübersetzung, die nicht vom 'unartikulierten Stöhnen' unseres Geistes, sondern von den 'unaussprechlichen Seufzern' des göttlichen Geistes spricht).

27

der aber die Herzen erforscht, weiß was das Sinnen des Geistes ist

Wenn unser Tun zweideutig bleibt, sieht Gott dennoch das Eindeutige, das der göttliche Geist in uns bewirkt.

 

daß er (nämlich) gott-gemäß eintritt für Heilige (Heiliges?).

 

28

Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, Gott immer zu Gutem (ver-)hilft, denen, die entsprechend einer vorherigen Setzung berufen sind.

28-30: Jenen, die Gott lieben, ist Gott längst schon zuvorgekommen, da er für sie eintritt und sie gemäß seiner Vorherbestimmung ruft, gerecht macht und verherrlicht.

29

Denn die er vorher erkannt hat, hat er auch vorher bestimmt, gleichförmig zu sein der Gestalt seines Sohnes (Mitgestaltete des Bildes seines Sohnes),

 

so daß er der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist.

30

Die er aber vorher bestimmt hat, die hat er auch gerufen;

 

 

und die er gerufen hat, die hat er auch gerecht gemacht;

 

 

die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

 

31

Was sollen wir nun sagen im Blick auf dieses (was folgt nun im Verhältnis dazu = was ergibt sich nun daraus, vgl. 7,20f;8,1)?

31-32: Unsere Zuversicht gründet ganz darin, daß Gott trotz unserer Sünden für uns eintritt und dieses Eintreten auch in der Hingabe seines eigenen Sohnes bewiesen hat.

 

Wenn Gott (der Vater) für uns ist, wer (ist dann) gegen uns?

32

Er, der ja seinen eigenen Sohn nicht geschont hat,

 

sondern für uns alle ihn hingegehen hat,

 

 

wie wird er nicht gerade mit ihm alles schenken?

 

33

Wer könnte gegen die Auserwählten Gottes Klage führen? (Der Satan als Kläger vor Gott und als innerer Ankläger?)

Die rhetorische Frage bringt die unerschütterliche Zuversicht des Apostels zum Ausdruck. Die zentralen Begriffe 'Klage führen', 'gerecht machen', 'verurteilen' zeigen dabei, wie sehr er in juristischen Kategorien denkt, die für die Gesamtdeutung besonders zu beachten sind. Die gleichen juristischen Kategorien finden sich auch in 8,4 (verurteilen) und 8,12 (Schuldner), ja sie bestimmen den ganzen Römerbrief (vgl.Problematik der gerechtigkeit).

 

Ist Gott der Gerechtmachende,

 

wer (ist) dann der Verurteilende?

34

Ist Jesus der Gestorbene (nämlich für unsere Sünde),

34-38: Die juristischen Kategorien sind nicht Selbstzweck.

 

mehr noch aber (der) Auferstandene (für uns, vgl. 4,25!)

Letztlich dient alles dazu, die unbesiegbare Macht der Liebe Gottes in Jesus Christus gegenüber uns sündigen Menschen zu bezeugen.

 

- er sitzt zur Rechten Gottes, er tritt gerade für uns ein.

Durch die juristischen Kategorien wird zum Ausdruck gebracht,

35

wer könnte uns dann trennen von der Liebe Christi?

daß der Mensch in Kräftefeld fremder Mächte ist, die um ihn streiten (einen Prozeß führen!).

 

Bedrängnis oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?

 

36

Es steht ja geschrieben: Deinetwegen werden wir den ganzen Tag getötet, werden behandelt wie Schlachtvieh.

 

37

Aber in all dem (diesen Situationen) überwinden wir durch den, der uns geliebt hat.

 

38

Ich bin nämlich überzeugt, daß weder Tod noch Leben noch Engel noch Herrschaften noch Gegenwärtiges noch Künftiges noch Mächte noch Höhe noch Tiefe noch irgendein anderes Geschöpf uns abzutrennnen vermag von der Liebe Gottes in Christus Jesus unserem Herrn (von der Liebe, die Gott in Christus zu uns hat).


 

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