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Lumma Liborius: Wenn Glaube und Vernunft miteinander sprechen
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Wenn Glaube und Vernunft miteinander sprechen
(Eine kurze Einführung in das Theologiestudium)

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2007-02-15

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt. (1 Petr 3,15)

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Ich habe selbst Theologie studiert. Am Ende wurde mir sogar der Titel "Doktor der Theologie" verliehen. Zugleich begleitet mich seit dem ersten Tag die Erfahrung, dass, je mehr ich selbst lerne, mir umso deutlicher bewusst wird, wie viel ich nicht weiß... Theologie ist eine unglaublich reichhaltige Wissenschaft, die viele Arbeitsmethoden, viele ganz unterschiedliche Blickwinkel auf ein und dasselbe Thema vereinigt. Und mittlerweile gibt es so unendlich viel, was eine Theologin oder ein Theologe unserer Zeit wissen könnte und vielleicht auch wissen sollte. Zugleich wird es immer schwieriger, den Überblick zu behalten. Wie alle anderen Studentinnen und Studenten auch, musste ich mich während meines Studiums und spätestens dann beim Beginn der Doktorarbeit für eines der zahlreichen theologischen Teilgebiete entscheiden. Ich hoffe, dass man dieser Einführung in das Theologiestudium nicht anmerkt, welche dieser Teildisziplinen mein Hauptbetätigungsfeld geworden ist. Nicht dass ich mich dafür schämen würde - im Gegenteil! Aber gerade wenn man sich auf ein bestimmtes theologisches Teilgebiet spezialisiert, kann es passieren, dass man den Bezug zum Ganzen verliert. Man kann dann nicht mehr einordnen, welche Rolle die eigene Arbeit im Rahmen der gesamten Theologie spielt und was sich in den anderen Bereichen so alles tut. Ich hoffe, den Überblick über das Ganze noch nicht verloren zu haben und auch mein eigenes Spezialgebiet realistisch einschätzen und einigermaßen unparteiisch einordnen zu können. Ob es mir wirklich gelingt, mögen andere beurteilen.

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Aber auch wenn man sich um eine noch so faire, ausgewogene und objektive Darstellung einer Sache bemüht, in die man selbst verwickelt ist: Es bleiben doch immer bestimmte Voraussetzungen, die man dabei stillschweigend macht und die manch andere so gar nicht machen würden. Ein paar Voraussetzungen, derer ich mir beim Schreiben bewusst bin, möchte ich aber, so gut ich kann, benennen:

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1. Mir geht es nicht darum, irgendwelches Grundwissen zu vermitteln, sozusagen eine "Kurzfassung der gesamten Theologie" vorzuführen. Das wäre unmöglich und anmaßend. Mir geht es vielmehr darum zu zeigen, welchen Sinn das Theologiestudium haben kann und wie sich die Aufteilung der Theologie in ihre vielen Teilgebiete verstehen lässt. Manchmal geht das nicht ohne Bezug auf bestimmtes Grundwissen dieser Teilgebiete - doch ich werde versuchen, mich wirklich auf das Allerwesentlichste zu beschränken.

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Was ich schreibe, soll gerade dazu dienen, Lust auf die vielen theologischen Spezialprobleme zu machen, die ohne eigene Fachleute nicht kompetent gelöst werden können. Ich meine aber, dass man für Spezialfragen gerade dann am besten Lust wecken kann, wenn man zeigt, wie sie jeweils einen eigenen Beitrag zu einem großen Ganzen leisten.

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2. Ich möchte diese Einführung so schreiben, dass sie auch von Menschen, die noch keine Ahnung von Theologie haben, sich aber für das Theologiestudium interessieren, verstanden werden kann. Ich werde daher versuchen, möglichst wenig Fachwörter und stattdessen etwas griffigere Ausdrücke zu benutzen - manchmal ist es nötig, von einem sehr komplizierten Gedanken, den man kaum in ein paar Worte fassen kann, wenigstens ein "Gefühl" zu vermitteln, und da kann dann die Alltagssprache, die sich von der exakten Sprache der Wissenschaft unterscheidet, gute Dienste leisten, auch wenn das dann bisweilen auf Kosten der Präzision geht.

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Vermutlich wird keine einzige Theologin und kein einziger Theologe, die oder der sich bereits auf ein bestimmtes Thema spezialisiert hat, sich von mir korrekt dargestellt fühlen. Solange nur alle Spezialistinnen und Spezialisten in gleicher Lautstärke murren und ich alle Teilbereiche der Theologie wenigstens in gleichem Maße vereinfacht habe, bin ich schon zufrieden.

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3. Ich habe ausschließlich katholische Theologie studiert und kann mich daher auch nur darauf beziehen. Ein paar Besonderheiten des evangelischen Theologiestudiums, die mir bekannt sind, werde ich an entsprechender Stelle benennen. Insgesamt ist mein Text also zunächst eine Einführung in das Studium der katholischen Theologie.

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Beim Schreiben dieser Einführung sind mir einige kleinere Fragen eingefallen, mit denen man als Theologin oder Theologe häufig konfrontiert ist: Fragen, die mir wichtig vorkamen, die aber nicht direkt in das Gesamtkonzept passten. Ich habe sie in ein kleines Schlusskapitel gestellt und dort in ein paar Sätzen zu beantworten versucht.

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1 Was ist Theologie?

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1.1 Was genau ist Theologie? Was leistet sie?

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Wenn ich in einem Satz sagen soll, was Theologie ist, dann würde ich sagen: Theologie ist das Gespräch zwischen dem Glauben und der Vernunft. (1)

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Vernunft bedeutet dabei dasselbe wie "Wissenschaft": Prüfen von Argumenten, Aufstellen (und auch Verwerfen) von Theorien, logische Schlussfolgerungen ziehen. Vernunft ist die Fähigkeit des Menschen, schlüssig zu denken, die Fähigkeit, Richtiges von Falschem, Sinnvolles von Sinnlosem unter Angabe von verständlichen Gründen zu unterscheiden.

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Glaube bedeutet hier den christlichen Glauben, wie er in der römisch-katholischen Kirche verkündet und gepflegt wird. - Genauso gut gibt es natürlich auch eine Theologie lutherischer, reformierter, calvinistischer, orthodoxer, anglikanischer, altkatholischer oder anderer Christen. Auch andere Glaubensvorstellungen können eine eigene Theologie hervorbringen, so etwa das Judentum oder der Islam. Das Wort "Theologie", das aus dem Griechischen kommt, bedeutet eigentlich "Rede von Gott"; aber es ist mittlerweile zum Fachausdruck für den Dialog zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Religion und Wissenschaft geworden, so dass man wohl auch bei Religionen, die gar keinen oder sehr viele Götter kennen, von einer "Theologie" sprechen kann, etwa einer buddhistischen Theologie oder einer Theologie der Hindu.

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Gespräch bedeutet: Beide Seiten, der Glaube und die Vernunft, nehmen einander ernst: Der Glaube versucht, seine eigene Bedeutung und seine Inhalte so zu vermitteln, dass die Vernunft ihn verstehen kann. Umgekehrt fordert der Glaube von der Vernunft, sich darauf einzulassen, dass er ihr womöglich etwas Verständliches zu sagen hat, was sie aus sich heraus nicht selbst hervorbringen kann.

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Manche Christinnen und Christen stellen die Frage, warum der Glaube sich auf so ein Gespräch überhaupt einlassen soll. Bedeutet das nicht, den Glauben zu "zerreden", indem man etwas, was doch eigentlich den ganzen Menschen und nicht zuletzt auch seine Gefühle betrifft, "verkopft" und es damit zerstört? Geht es im Glauben nicht gerade um etwas ganz anderes als in der Vernunft?

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Meine Antwort auf diese Frage kann ich nur geben, indem ich ein wichtiges Element des christlichen Glaubens vorwegnehme: den Glauben an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Was "Menschwerdung" nun genau bedeutet; was es also heißt, dass "Gott Mensch wird", das ist nun wieder ein Spezialthema für die Theologie - aber zumindest dies sollte doch jede Christin und jeder Christ sagen können: Gott hat als Mensch zu den Menschen gesprochen. Er hat sich auf die Lebensbedingungen der Menschen eingelassen und zu ihnen in ihrer Sprache gesprochen und mit ihnen gelebt. Jesus selbst hat seinen Jüngern aufgetragen, den Glauben weiterzusagen und ihn vorzuleben. Der christliche Glaube lebt also unter anderem davon, dass Menschen zu Menschen in menschlicher Sprache über den Glauben sprechen. Wenn Gott aber den Menschen in dessen Sprache ansprechen will, dann kann es nicht sein, dass der Mensch dabei die Vernunft weglassen soll, ohne die er nicht Richtiges von Falschem unterscheiden kann, ohne die er auch nicht prüfen kann, ob er den Sprecher überhaupt richtig verstanden hat. Ein Glaube, der "ohne Vernunft" verkündet wird, würde also zutiefst den Anliegen Gottes widersprechen, der gerade in der Sprache der Menschen zu den Menschen sprechen wollte. "Wenn Gott uns etwas zu sagen hat, will er verstanden werden." (Peter Knauer)

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Man kann auch noch ganz anders argumentieren: Der christliche Glaube verlangt von mir, mich ganz und gar für ihn zu entscheiden. Er verlangt, mich öffentlich zu ihm zu bekennen, mein Verhalten zu ändern, mein ganzes Leben in Beziehung zu Gott zu setzen, ja, er verlangt sogar von mir, im Ernstfall für diesen Glauben in den Tod zu gehen. Wie aber kann der Glaube das von mir verlangen, wenn ich dabei zugleich meine Urteilsfähigkeit ausschalten soll, meine Vernunft? Der Glaube ist zu ernst, als dass ich meine Vernunft für ihn aufgeben sollte. Und umgekehrt: Wenn der christliche Glaube wirklich mehr ist als nur "Überredung" oder Demagogie, dann braucht er sich vor Kritik, vor Fragen und vor dem Gespräch mit der Vernunft nicht zu fürchten. Vielmehr sollte sich der Glaube über dieses Gespräch mit der Vernunft freuen, denn so kann er unter Beweis stellen, dass er nicht nur ein "Trick" ist, mit dem Menschen für irgendwelche Ideologien gefangen und ausgenutzt werden.

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Der christliche Glaube ist dabei natürlich nicht einfach das Ergebnis einer logischen Schlussfolgerung. Weder gilt, dass alle Christen besonders vernünftig noch alle Nichtchristen besonders unvernünftig sind. Aber: Wenn der christliche Glaube darauf beruht, dass Gott als Mensch zu Menschen in menschlicher Sprache gesprochen hat, dann muss es möglich sein, den Glauben so darzustellen, dass die Vernunft ihn verstehen und Fragen an ihn stellen kann. Dieser Aufgabe stellen sich die Menschen, die Theologie treiben. Sie sind deswegen keine besseren Christinnen und Christen, ganz bestimmt nicht. Und doch steht ihr Tun im Dienst des Glaubens, denn ohne Theologie, ohne vernünftige Prüfung wäre es nicht möglich, den Glauben von einer willkürlichen Ideologie zu unterscheiden.

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1.2 Der Aufbau der Theologie

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Die Theologie wird in vier große Bereiche unterteilt. Diese Unterteilung ergibt sich vor allem dadurch, dass jeder der Bereiche den Glauben unter einer bestimmten Hinsicht betrachtet und daher von bestimmten wissenschaftlichen Methoden geprägt ist. Den meisten Theologen liegt irgendeine dieser Methoden besonders, und dementsprechend bilden sich schon sehr früh im Studium bestimmte "Lieblingsfächer", auf die man sich dann später spezialisieren kann. Doch nur all diese vielen Methoden und Forschungsergebnisse ergeben gemeinsam die Theologie, und kein Spezialist kann es sich erlauben, die Ergebnisse der anderen Bereiche einfach zu ignorieren.

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Die vier großen Bereiche der Theologie sind 1) die Biblische Theologie, 2) die Historische Theologie, 3) die Systematische Theologie, 4) die Praktische Theologie.

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Diese vier Bereiche sind je nach örtlicher Tradition, Schwerpunktsetzung und nicht zuletzt auch finanzieller Ausstattung der jeweiligen Hochschule in kleinere Fächer untergliedert. Im Folgenden möchte ich nun die vier große Bereiche sowie eine mögliche Untergliederung vorstellen. Die zahlreichen "Hilfswissenschaften", also wissenschaftliche Kenntnisse, die zwar nicht direkt zum theologischen Kernbestand gehören, aber für eine fundierte Theologie unverzichtbar sind, benenne ich in den einzelnen Kapiteln an der entsprechenden Stelle. Voraus geht noch eine wichtige Unterscheidung zweier grundlegender wissenschaftlicher Methoden, mit denen in der Theologie gearbeitet wird.

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1.3 Theologie - "hermeneutisch" und "analytisch"

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Zum theologischen Arbeiten (übrigens auch zum Arbeiten in den meisten anderen Wissenschaften) gehören zwei grundsätzlich voneinander zu unterscheidende Arbeitsmethoden. Es gibt verschiedene Begriffe, mit denen man diese beiden Methoden beschreibt: Gebräuchlich sind die Wörter "historisch" und "systematisch". Da ich diese Ausdrücke aber bereits in den Kapiteln "Historische Theologie" und "Systematische Theologie" verwende, stifte ich vermutlich nur Verwirrung, wenn dieselben Wörter hier in einem anderen Zusammenhang gebrauche. Statt "historisch" spreche ich daher von "hermeneutisch" (der Begriff stammt aus dem Griechischen und hat etwas mit "richtigem Verstehen" zu tun) und statt "systematisch" benutze ich den Begriff "analytisch" (der Begriff hat etwas zu tun mit dem Zusammenhang zwischen einem großen Ganzen und seinen Einzelteilen).

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Hermeneutische Arbeit hat es immer mit "Quellen" zu tun. In der Theologie handelt es sich dabei zunächst um schriftliche Quellen, vor allem die Bibel und alle möglichen Arten von kirchlichen Dokumenten aus der gesamten Geschichte. In der hermeneutischen Arbeit geht es nun darum, diese Quellen zu verstehen. Das ist schwieriger, als es zunächst klingt, denn wann immer wir eine Quelle erforschen, haben wir eine bestimmte Erwartungshaltung, bestimmte Wunschvorstellungen, was wir in der Quelle finden wollen, und oft auch schon ein fertiges gedankliches System, von dem wir wollen, dass die Quelle sich in dieses System einfügen lässt. Hermeneutische Arbeit versucht nun aber, all diese Erwartungshaltungen außer Acht zu lassen. Es geht also um die Grundhaltung, sich von der Quelle "etwas sagen zu lassen", unabhängig davon, ob mir das Ergebnis gefällt oder nicht und ob es zu anderen Ergebnissen passt oder nicht. Wer die Auslegung einer Quelle mit dem eigenen Urteil vermischt, der beginnt, die Quelle für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen. Wissenschaft wird dann zu Ideologie - und das passiert leider viel zu oft (und oft auch unabsichtlich). Zur hermeneutischen Arbeit gehört also eine Grundhaltung, die sagt: "Mal schauen, was dieser Text zu sagen hat"‚ und nicht: "Mal schauen, wozu ich diesen Text gebrauchen kann." - Da der christliche Glaube auf Textquellen beruht, die den Anspruch erheben, dass sich in ihnen Gottes Wort ausdrückt, dürfte wohl klar sein, warum hermeneutisches Arbeiten grundlegend zur Theologie dazugehört.

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Analytische Arbeit hingegen hat es immer mit "Systemen" zu tun. Der Begriff System bedeutet, viele einzelne Aspekte in einen sinnvollen Zusammenhang zueinander zu bringen. Ist dieser Zusammenhang hergestellt, kann von dort ausgehend das Ganze logisch dargestellt, zusammengefasst und können Konsequenzen daraus gezogen werden. Die christliche Glaubensgemeinschaft, die Kirche, hat von Anfang an den Anspruch gehabt, dass der von ihr verkündete Glaube in sich keine Widersprüche hat. Hätte er Widersprüche, wäre es ja im wahrsten Sine des Wortes unverantwortlich, diesen Glauben anzunehmen - denn kein Mensch der Welt kann für etwas Verantwortung übernehmen, das er selbst nicht verstanden hat. Und ein in sich widersprüchliches System ist nun einmal nicht verständlich. Die analytisch arbeitende Theologie beschäftigt sich also damit, die Einzelaspekte so zusammenzufügen, dass sich ein verantwortbares Ganzes ergibt.

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Natürlich hat jede Forscherin und jeder Forscher einen persönlichen Schwerpunkt: Je mehr ich hermeneutisch arbeite, umso mehr kann ich die vielen Einzelaspekte kennen lernen und verstehen - andererseits bin ich in der Gefahr, den Blick für das Ganze, für den Kern und den Roten Faden zu verlieren. Je mehr ich analytisch arbeite, umso besser kann ich den christlichen Glauben vor der menschlichen Vernunft verantworten - andererseits bin ich in der Gefahr, dabei manche Einzelaspekte einfach zu ignorieren oder sie falsch zu interpretieren, weil sie mir nicht in mein System passen.

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Zu jedem theologischen Teilgebiet, ja fast zu jeder einzelnen theologischen Fragestellung gehören sowohl hermeneutische als auch analytische Aspekte. Wichtig ist, dass Theologie als Ganze auf die Zusammenarbeit beider Methoden angewiesen ist.

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2 Biblische Theologie - Heilige Schrift als Quelle des Glaubens

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2.1 Allgemeines zur Biblischen Theologie

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Die Fächer der Biblischen Theologie sind wohl diejenigen, die für den Theologie-Neuling die meisten und dramatischsten Überraschungen parat haben. In keiner Disziplin gehen die Forschungsergebnisse der Theologen und die Vorstellungen, die sich Nichttheologen vom gleichen Gebiet machen, weiter auseinander. Wie die Biblische Theologie ihre am Anfang sehr überraschenden Methoden begründet, das soll die "Biblische Hermeneutik" erläutern. Der Frage nach der Entstehung biblischer Texte geht die sogenannte "Biblische Einleitungswissenschaft" nach. Kern der bibeltheologischen Arbeit ist aber die Auseinandersetzung mit dem konkreten biblischen Text, sowohl dem des Alten als auch des Neuen Testaments. Diese Textforschung nennt man "Exegese", was so viel bedeutet wie "Herauslesen", also: "die Aussage eines Textes richtig erkennen und wiedergeben".

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Eigentliches Thema der Biblischen Theologie ist aber nicht einfach der Bibeltext; dann würde sich die Biblische Theologie nicht von anderen Formen wissenschaftlicher Texterforschung (etwa der Literaturwissenschaft, Literaturgeschichte o.Ä.) unterscheiden. Vielmehr geht es der Biblischen Theologie bei ihrer Arbeit um den Glauben - und zwar unter der speziellen Fragestellung, welcher Glaube sich in den Texten der Bibel genau niederschlägt, die für alle Christinnen und Christen verbindliche Quelle ihres Bekenntnisses ist.

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2.2 Biblische Hermeneutik

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Die Biblische Hermeneutik ("Hermeneutik" = "Lehre vom richtigen Verstehen") begründet, warum sich die Theologie mit dem Bibeltext überhaupt auf wissenschaftliche Weise beschäftigt und mit welchen Methoden dies genau geschieht. Die wissenschaftliche Methode der Bibellektüre unterscheidet sich ganz erheblich von der Art, wie in der persönlichen Betrachtung oder im Gottesdienst die Bibel gelesen wird:

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Als Christinnen und Christen sehen wir in der Bibel zuerst einen "heiligen Text". Und weil es ein heiliger Text ist, deshalb lesen wir ihn. Wir wollen ihm etwas für unser Glaubensleben entnehmen: Zuspruch, Zeugnis, vielleicht auch Infragestellung oder Belehrung. Kurz gesagt: Weil die Bibel heiliger Text ist, deshalb hat sie mir etwas zu sagen. Die wissenschaftliche Bibelerforschung geht den umgekehrten Weg. Anstatt zu sagen: "Weil die Bibel heiliger Text ist, deshalb hat sie mir etwas zu sagen", heißt es hier: "Weil dieser Text Menschen etwas zu sagen hatte, deshalb war er ihnen heilig und deswegen haben sie ihn als Heiligen Text aufbewahrt und weitergegeben."

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Es geht also in der wissenschaftlichen Bibellektüre vor allem darum, den "ursprünglichen" Sinn‚ des Textes herauszufinden. Man bedenke nur einmal, dass wir die Bibeltexte meist nur in einer deutschen Übersetzung kennen, nicht aber in ihrer ursprünglichen Sprache - Hebräisch, Aramäisch oder Griechisch. Die deutschen Wörter wecken in uns bestimmte Assoziationen, die gar nichts mit dem ursprünglichen Bibeltext zu tun haben, sondern die wir nur einer modernen Übersetzung verdanken. Viele Texte sind uns vertraut, weil unsere Eltern, Lehrerinnen und Lehrer davon erzählt haben, und diese Erinnerungen bringen wir in die Textlektüre mit ein. Wir leben in einer Welt, die bestimmte Vorstellungen von Politik, gelingendem Leben, Schönheit oder Liebe hat; und das alles prägt die Art, wie wir Texte lesen, was wir von ihnen erwarten und was wir in ihnen suchen. Könnte da nicht die Gefahr bestehen, dass wir in Wirklichkeit mehr in einen Text "hineininterpretieren" als es aus ihm "herauszulesen", wir also den Text für uns vereinnahmen, anstatt uns von ihm "etwas sagen zu lassen"?

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Die wissenschaftliche Bibel-Exegese geht genau von diesem Verdacht des "Hineinlesens" aus. Deshalb versucht sie dem Text dadurch gerecht zu werden, dass sie seine Entstehung und seine ursprüngliche Verwendung untersucht. So versucht sie herauszufinden, wie diejenigen Menschen den Text verstanden haben, die ihn für wert hielten, weitergesagt zu werden. Kurz gesagt lautet die Ausgangsfrage der wissenschaftlichen Bibellektüre nicht: "Was bedeutet mir der Text?", sondern: "Was hat der Text den Schreibern und den ersten Lesern bedeutet?" Die Frage, welche Bedeutung so ein Text dann heute für uns hat, schließt sich in einem letzten Schritt natürlich an, sie steht aber nicht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit. - Lange Zeit in Vergessenheit geraten, aber derzeit langsam wieder im Blickfeld ist die Fragestellung: "Was hat der Text der glaubenden Gemeinschaft der Kirche bedeutet, die ihn uns als heiligen Text überliefert hat?" Es geht dabei darum, dass zum Verständnis des Textes auch dazugehört, in welcher Form er innerhalb der Kirche weitergegeben wurde, wie er z.B. im Gottesdienst oder in Predigten ausgelegt wurde. Diese Fragestellung betrifft zwar nicht den Text in seiner Entstehung, aber in seiner Verwendung als heiliger Text einer konkreten Gemeinschaft, die ihr Selbstverständnis über diesen Text definiert.

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In der Biblischen Hermeneutik sollten Lehrerinnen und Lehrer der Biblischen Theologie erläutern, welche Methoden der Textinterpretation im Einzelnen genau anzuwenden sind und warum. In der Praxis geschieht diese Offenlegung der Methoden aber oft nicht ausdrücklich, sondern begleitet "stillschweigend" die konkrete Arbeit am Text.

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Im weiteren Sinne gehört zur Biblischen Hermeneutik auch die Frage, wann und warum bestimmte Texte überhaupt in die Bibel aufgenommen wurden und welche Bedeutung dieser Entstehungsprozess für die Verbindlichkeit der einzelnen Texte hat. Dann gibt es auch noch die Frage der genauen Textüberlieferung der Bibel: Unseren deutschsprachigen Bibelübersetzungen sehen wir nicht mehr an, dass der Urtext gar nicht so eindeutig feststeht, wie wir meinen - schon zur Zeit Jesu kursierten verschiedene hebräische und griechische Fassungen der damaligen heiligen Schriften, die zum Teil inhaltlich deutlich voneinander abwichen. Auch mit dieser Problematik sollte sich die Biblische Hermeneutik beschäftigen.

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Wichtigste Hilfswissenschaft für die Biblische Hermeneutik ist die sogenannte "Philosophische Hermeneutik" (eine allgemeine Theorie darüber, wie man einen Text richtig versteht und vor welchen Problemen man dabei steht), daneben vor allem die Literaturwissenschaft (die ebenfalls umfangreiche Theorien zur Textinterpretation entwickelt hat). Auch das Wissen um die Art und Weise, wie die Heilige Schrift früher, vor allem im Judentum selbst und in der frühen christlichen Kirche ausgelegt wurde, ist für die Biblische Hermeneutik unverzichtbar. Ebenso muss die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der einzelnen Texte (siehe "Biblische Einleitungswissenschaft") in die Biblische Hermeneutik einbezogen werden. Daneben ist auch die Frage wichtig, wann und aus welchen Gründen überhaupt welche Schriften Eingang in die Bibel gefunden haben.

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2.3 Biblische Einleitungswissenschaft

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Der Begriff "Einleitungswissenschaft" lässt vielleicht vermuten, dass es sich hierbei um eine Art "allgemeine Einführung in die Biblische Theologie" handelt. Das ist aber nicht der Fall. "Biblische Einleitungswissenschaft" ist ein feststehender Fachbegriff. Er bedeutet die Erforschung des genauen historischen Ortes bzw. der Entstehungsgeschichte einzelner biblischer Texte. Dieses Thema nahm vor einigen Jahrzehnten mehr als heute einen großen Raum ein, weil vor allem die Erforschung des Alten Testaments ergeben hatte, dass die biblischen Texte oft das Endergebnis eines äußerst komplizierten Entstehungsprozesses sind, der sich bisweilen über Jahrhunderte erstreckt. Die Biblische Einleitungswissenschaft behandelt also nicht die Frage "Was bedeutet dieser Vers, dieses Wort, dieses Gleichnis?" oder "Was ist die Kernaussage des Buches Genesis?", sondern eher Fragen der Art "Wann und wo ist das Buch Jesaja entstanden?" oder "Wer hat wann und für wen die Apostelgeschichte geschrieben?"

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Ebenso wie die Biblische Hermeneutik wird auch die Biblische Einleitungswissenschaft oft in die Textlektüre einzelner Texte eingestreut und nicht "im Block" behandelt.

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2.4 Exegese des Alten und des Neuen Testaments

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Für den christlichen Glauben ist die Bibel grundlegende Quelle. Zu den vorrangigsten Aufgaben der Theologie gehört somit, diese Texte zu untersuchen und zu deuten.

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Traditionell werden an theologischen Hochschulen das Alte und das Neue Testament von unterschiedlichen Forscherinnen und Forschern behandelt. Das ist angesichts der Stoffmenge verständlich und inhaltlich dadurch begründbar, dass nur das Neue Testament ausdrücklich von Jesus Christus spricht.

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Leider kann aber diese Trennung auch den Eindruck erwecken, als sei das "Alte" Testament etwas "Vergangenes", etwas "Nicht mehr Benötigtes"; dagegen das "Neue" Testament das "Eigentliche", das einzige wirklich Wichtige in der Bibel. Viele Christinnen und Christen und somit auch viele Theologiestudierende am Beginn ihrer Ausbildung haben diese - zunächst ja auch nahe liegende - Meinung.

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Das ist aber in keinster Weise so. Die ersten Christen waren Juden, sie verstanden sich als Menschen, die ihren jüdischen Glauben in einer bestimmten Weise deuteten, indem sie nämlich der Person Jesus eine bestimme Rolle in ihrem Glauben zuwiesen und indem sie schon bald auch Nichtjuden in ihre Gemeinschaft aufnahmen. Diesen großen Kreis aus Juden und Nichtjuden, die an Jesus glauben, nennen wir heute Christen. Selbstverständlich waren die heiligen Schriften der Juden auch die heiligen Schriften dieser ersten Christen. Erst später haben sie weitere Schriften gesammelt und für verbindlich erklärt - auch dies ist nicht besonders ungewöhnlich, denn auch die jüdische Bibel war in den Jahrhunderten zuvor immer wieder einmal erweitert worden. Die "neuen" Schriften wurden an die bisherigen heiligen Texte angehängt; und so entstand die begriffliche Unterscheidung zwischen "Altem" und "Neuem" Testament. Doch trotz dieser begrifflichen Trennung gilt: Christen haben eine einzige, große, für ihren Glauben verbindliche Textsammlung, die wir heute "Bibel" nennen. Und: Die ersten Christen hatten keine andere Heilige Schrift als die Juden, also die Schriften, die wir heute zum "Alten Testament" zählen. Erst nach einigen Jahrzehnten christlichen Lebens kamen die "neuen" Schriften hinzu. Dass es für Christen nicht zwei unterschiedlich wichtige Bibelteile, sondern nur eine einzige Bibel gibt, ist - wie man im Laufe des Studiums erleben wird - für die Auslegung der Texte sehr wichtig. Leider droht es immer wieder vergessen zu werden.

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Die Untersuchung der einzelnen Texte der Bibel - gemäß den Methoden, die die Biblische Hermeneutik erarbeitet - ist also Thema der Exegese des Alten und des Neuen Testaments. Zum Aufgabengebiet der Lehrerinnen und Lehrer gehören dabei auch allgemeine Einführungen in ihr Themengebiet: Hier wird man mit Grundwissen über die ganze Bibel und ihre großen und kleinen Unterteilungen, ihre Kernaussagen, ihre Entstehungsgeschichte und die genauen Zusammenhänge zwischen Altem und Neuem Testament ausgestattet. In diese allgemeinen Einführungen fließen dann zumeist auch Fragen der Biblischen Hermeneutik und der Biblischen Einleitungswissenschaft ein, so dass sich eine allgemeiner Überblick über die gesamte Biblische Theologie ergeben kann.

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Exegetische Arbeit ohne Kenntnis der biblischen Sprachen Hebräisch (für das Alte Testament) und Griechisch (für das Alte und besonders das Neue Testament) ist schlichtweg unmöglich. Alle weiteren literaturwissenschaftlichen und religionsgeschichtlichen Fragen (vor allem zur historischen Entwicklung des Judentums sowie der frühen christlichen Gemeinden) treten an entsprechender Stelle zum Teil sehr umfangreich hinzu, ebenso wie vertiefendere Sprachkenntnisse, besonders in Aramäisch (der Alltagssprache Jesu).

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3 Historische Theologie - Die Geschichte des Christentums als Quelle des Glaubens

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3.1 Allgemeines zur Historischen Theologie

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"Historische Theologie" scheint ein etwas gestelzter Ausdruck für das zu sein, was man gemeinhin "Kirchengeschichte" nennt. Aber "Historische Theologie" ist nicht einfach der Teil der Geschichtswissenschaft, der sich mit dem Christentum befasst - etwa so, wie es auch eine Geschichte Frankreichs, eine Mittelalterliche Geschichte oder eine Geschichte des Hauses Habsburg gibt. Wenn "Historische Theologie" wirklich Theologie sein soll, dann heißt das zunächst: ihr Thema ist der christliche Glaube. Die Historische Theologie untersucht den christlichen Glauben, wie er seit seiner Entstehung bis heute weitergegeben wurde: in Gestalt der christlichen Institutionen (der Kirche, ihren Strukturen, ihren Dokumenten und ihrem Verhältnis zu Staat und Gesellschaft), ebenso aber auch in Gestalt des Glaubenslebens, wie es von den Gläubigen weitergegeben, niedergeschrieben oder in ihren gottesdienstlichen Feiern gepflegt wurde.

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Am besten kann man die Bedeutung der Historischen Theologie anhand ihrer beiden Hauptforschungsgebiete erläutern, zum einen der "Theologiegeschichte" (bzw. "Dogmengeschichte"), zu der auch als großer Abschnitt die sogenannte "Patristik" gehört; zum anderen die "Kirchengeschichte".

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3.2 Theologiegeschichte (Dogmengeschichte) und Patristik

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Theologiegeschichte wird meist "Dogmengeschichte" genannt (Zur Bezeichnung "Dogma" siehe auch den Abschnitt über "Dogmatik und Fundamentaltheologie"). Sie behandelt die geschichtliche Entwicklung der Theologie und der kirchlichen Lehre: Wie wurde der Glaube in Worte gefasst, über welche Fragen wurde von den Theologinnen und Theologen debattiert, welche Fragen wurden von kirchlichen Autoritäten behandelt? Welche Glaubensaussagen wurden von der Kirche für verbindlich erklärt und mit welcher Begründung?

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Diese Fragen werden aus historischer Perspektive behandelt: Es geht also darum, die Abfolge und Zusammengehörigkeit der einzelnen Argumente und ihren Zusammenhang zu den jeweils vorausgehenden theologischen Auseinandersetzungen, der Philosophie und den Gebräuchen der betreffenden Epoche zu prüfen. Denn auch Streitfragen, Argumente und schließlich die verbindlichen Lehrentscheidungen der Kirche sowie die daraus entstandenen Kirchenspaltungen lassen sich erst dann wirklich verstehen, wenn man ihre Entstehungsgeschichte kennt und wenn man genau weiß, was die Begriffe bedeuten, die in den entsprechenden Debatten verwendet wurden.

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Innerhalb der Theologiegeschichte spielt die "Patristik" eine besondere Rolle. Damit ist die sogenannte "Theologie der Kirchenväter" gemeint: vereinfacht gesagt die Werke der Theologen aus den ersten sechs, sieben Jahrhunderten nach Christus. Die Bedeutung dieser Theologen bedarf eigentlich einer genaueren Erklärung. Fürs Erste sei nur gesagt, dass das Eindringen des Christentums über das Judentum hinaus in das römische Reich eine rasante theologische Entwicklung mit sich brachte. Diese Entwicklung trug erheblich zu den zahlreichen grundlegenden Festlegungen bei, die in den ersten Jahrhunderten von der christlichen Kirche getroffen wurden. Die Arbeit dieser Theologen muss besonders gründlich untersucht werden, damit man richtig verstehen kann, warum sich schon die junge Kirche so streng auf bestimmte Glaubensaussagen festlegte und andere als unchristlich verwarf. Das Studium der Patristik nimmt traditionell in der evangelischen und der orthodoxen Theologie einen deutlich größeren Raum ein als in der katholischen.

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Voraussetzung für Patristik und Theologiegeschichte ist vor allem die Kenntnis der Geschichte im Allgemeinen sowie der jeweils benötigten Fremdsprachen, um bei der Arbeit die alten Texte nicht nur durch die Brille einer Übersetzung zu lesen: Man braucht also für die ältesten Texte Griechisch (in der Patristik verwenden die Expertinnen und Experten auch Syrisch, Aramäisch und andere sehr alte christliche Kultursprachen), für die späteren Texte dann überwiegend Latein.

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3.3 Kirchengeschichte

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Während die Theologiegeschichte sich mit der Geschichte der kirchlichen Lehre beschäftigt, hat die Kirchengeschichte eher die Entwicklung der Kirche als einer historischen Größe, einer geschichtlichen Wirklichkeit vor Augen: Die Kirche hat eine konkrete Struktur, sie hat Einfluss auf Staat und Gesellschaft, umgekehrt wurde sie auch von Politik, Weltbild, Philosophie um sich herum beeinflusst, denn in der Kirche wirken dieselben Mechanismen wie in jeder menschlichen Gemeinschaft. Neben der Kirche als großer, mächtiger Institution betrachtet die Kirchengeschichte aber auch die Kirche als konkreten Lebensort von Menschen. In der Kirche, für die Kirche, von der Kirche inspiriert haben Menschen gehandelt, Entscheidungen getroffen, Traditionen entwickelt, gepflegt und verworfen usw.

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An den meisten Hochschulen ist die Kirchengeschichte noch einmal unterteilt in "Alte Kirchengeschichte" (die Zeit der Entstehung des Christentums und die darauf folgenden Jahrhunderte) und "Mittlere und Neuere Kirchengeschichte" (die Zeit von Mittelalter bis Gegenwart). Häufig wird daher die Patristik auch als ein Teil der "Alten Kirchengeschichte" betrachtet und von den dort arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterrichtet. Manchmal gibt es auch noch eine eigene Abteilung "Neueste Kirchengeschichte" (grob gesagt die Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts). Daneben ist es mancherorts üblich, auch noch eine regionale Kirchengeschichte eigens zu behandeln, etwa die "Bayerische" oder die "Westfälische Kirchengeschichte", das hängt von der örtlichen Tradition bestimmter Hochschulen ab.

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Die Kirchengeschichte zeigt, welche Elemente der Kirche in welcher konkreten Situation unter welchen Umständen entstanden sind. Die Kirchengeschichte leistet auf diese Weise einen ganz wesentlichen Beitrag dazu, dass man unterscheiden kann, welche Elemente der Kirche und des Glaubenslebens unbedingt zum Glauben dazugehören und welche einfach aufgrund einer bestimmten, quasi "zufälligen" historischen Entwicklung Teil des kirchlichen Lebens geworden sind, ohne dass es dafür im Glauben selbst irgendeine Notwendigkeit wäre. Vieles, was heutigen Gläubigen selbstverständlich und unverzichtbar erscheint, ist keineswegs "vom Himmel gefallen", sondern hätte auch ganz anders kommen können, ohne dass die Kirche aufgehört hätte, sie selbst zu sein. Indem die Kirchengeschichte das Werden der Kirche rekonstruiert, hilft sie, die konkrete heutige Kirche zu verstehen und möglicherweise auch Fehlentwicklungen, für die es bereits historische Vorbilder gibt, zu erkennen und vermeiden zu helfen. In manchen Bereichen kommt die Kirchengeschichte durch ihre Untersuchungen zu Ergebnissen, die für viele Christinnen und Christen zunächst fast erschreckend sind: Prominentestes Beispiel ist hier vielleicht die genaue Erforschung der Entstehung der kirchlichen Ämter (vom Papst bis zum Priester und Diakon) oder auch die Geschichte der christlichen Moralvorstellungen und Frömmigkeitsformen. Die meisten Kirchenhistorikerinnen und -historiker sind in ihrer Arbeit auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert: entweder auf eine bestimmte Epoche wie das Frühmittelalter oder das 19. Jahrhundert, oder auf ein bestimmtes Thema (Papstamt, Frauen in der Kirche o.Ä.), das sie quer durch alle Epochen hindurch untersuchen.

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Für die Arbeit der Kirchengeschichte ist neben allgemeinen Kenntnissen der Geschichte und der Methoden des geschichtswissenschaftlichen Arbeitens auch wieder die Kenntnis von Sprachen nötig, zunächst des Griechischen, später des Lateinischen, und je mehr man sich der Gegenwart nähert, auch der modernen Sprachen wie Französisch oder Italienisch. In der alltäglichen Arbeit der Historischen Theologie mischen sich natürlich Kirchengeschichte, Theologiegeschichte und Geschichte im Allgemeinen; sie sind nicht ohne einander denkbar.

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4 Systematische Theologie - Die Verkündigung der Kirche als Quelle des Glaubens

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4.1 Allgemeines zur Systematischen Theologie

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Zur Systematischen Theologie gehören die Dogmatik, die Fundamentaltheologie und die Moraltheologie. An den meisten theologischen Hochschulen werden noch weitere Fächer zur Systematischen Theologie gezählt, etwa die Ökumenische Theologie, Sozialethik, Kirchenrecht, Religionswissenschaft, Liturgiewissenschaft. Diese Fächer lassen sich aber auch anderen theologischen Bereichen zuordnen. Ich werde an entsprechender Stelle die Problematik ihrer Zuordnung erläutern.

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Auch die Systematische Theologie hat als eine Form der Theologie den Glauben zum Thema. Im Gegensatz zur Biblischen und Historischen Theologie geht es darum, den Glauben streng logisch-philosophisch schlüssig aufzubauen, seinen inneren Zusammenhang, seine denkerischen Voraussetzungen und seine Konsequenzen für das christliche Handeln zu erläutern. Ausnahmslos jeder Teil der Systematischen Theologie ist eng der Philosophie verwandt. Systematische Theologie behandelt die zentralen Themen der Philosophie (die Immanuel Kant in vier Fragen ausformulierte: "Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?") aus der Perspektive des christlichen Glaubens. Aufgabe ist es dabei nicht, die Richtigkeit des christlichen Glaubens zu beweisen, sondern den inneren Aufbau und die Schlüssigkeit des Glaubens zu prüfen und die Ergebnisse dieser Untersuchung in wissenschaftlicher Sprache verständlich zu formulieren.

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4.2 Dogmatik und Fundamentaltheologie

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Ich behandle hier zwei der zentralen Fächer der Theologie, Dogmatik und Fundamentaltheologie, in einem gemeinsamen Abschnitt. Sie bilden die "Systematische Theologie" im engsten Sinne. Alles, was ich oben über die Systematische Theologie gesagt habe, gilt für diese beiden Fächer im Besonderen.

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Dogmatik und Fundamentaltheologie in einen Topf zu werfen, entspricht nicht der Wirklichkeit an theologischen Hochschulen. Dort sind in aller Regel beide Fächer voneinander getrennt, beide sind sehr umfangreich und werden in der Regel von unterschiedlichen Forscherinnen und Forschern vertreten. Der Grund für meine Darstellung liegt darin, dass sich die Besonderheiten beider Fächer am besten darstellen lassen, wenn man beide direkt aufeinander bezieht.

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Sowohl Dogmatik als auch Fundamentaltheologie leiden vor allem unter einem: ihrem Namen. Das eine Wort erinnert an "dogmatisch", das andere an "fundamentalistisch", und beide Wörter meinen im alltäglichen Sprachgebrauch so viel wie "willkürliche Festlegung", "Dialogunwilligkeit", oder schlimmer noch: fanatisch bis hin zur Gewaltbereitschaft. Das ist aber nicht gemeint. Der christliche Glaube ist im Laufe der Jahrhunderte immer wieder in Worte gefasst, in Glaubenssätzen aufgeschrieben und für verbindlich erklärt worden, zum Beispiel: Zum christlichen Glauben gehört der Glaube an die Auferstehung Jesu. Zum christlichen Glauben gehört der Glaube an die Menschwerdung Gottes. Zum christlichen Glauben gehört der Glaube an die Auferstehung der Toten. Diese Glaubensaussagen nennt man "Dogmen"; erst viel später hat dieses Wort seinen negativen Beigeschmack erhalten. Davon ausgehend bedeutet Dogmatik nichts anderes als die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Inhalten des christlichen Glaubens. Die Dogmatik erläutert, was "Auferstehung" sinnvollerweise bedeuten kann und was die kirchliche Tradition über die Auferstehung sagt, wie "Menschwerdung" zu verstehen ist usw.

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Dogmatik bezieht ihre Themen aus der Bibel und der Geschichte der kirchlichen Verkündigung, sie ist somit auf die Ergebnisse der Biblischen und Historischen Theologie angewiesen. Ihre eigentliche Arbeitsmethode ist aber der Philosophie eng verwandt, denn es geht der Dogmatik darum, die Glaubensaussagen zu ordnen, zu einem sinnvollen, verantwortbaren System zusammenzufügen und dann auch eventuell, wenn es nötig ist, in eine Fehlinterpretation christlicher Dogmen korrigierend einzugreifen. Die klassische Arbeitsweise der Dogmatik besteht darin, zunächst aus Bibel und Dogmengeschichte den Bestand der jeweils zu behandelnden Frage zu entnehmen und dann mit philosophischen Methoden die Fragen so umfassend wie möglich zu beantworten. Dogmatik ist dazu da, den christlichen Glauben verständlich zu machen.

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Genau dasselbe Anliegen hat auch die Fundamentaltheologie. Ihr Ausgangspunkt ist aber ein anderer als der der Dogmatik: Fundamentaltheologie hieß über viele Jahrhunderte "Apologetik", was soviel bedeutet wie "Rechtfertigung". In der frühen christlichen Kirche gab es Menschen, die versuchten, ihrer nichtchristlichen Umwelt den Glauben zu erläutern. Die Apologeten versuchten ganz bewusst, philosophische Begriffe und Gedanken ihrer nichtchristlichen Umgebung aufzugreifen und so ihren Glauben auf eine den Menschen verständliche Weise zu „rechtfertigen‚. Es geht in der Fundamentaltheologie also um solche Fragen wie "Wozu braucht der Mensch überhaupt eine Religion?", "Was heißt Glauben überhaupt?", "Auf welche Fragen meint das Christentum eine Antwort zu haben?", knapp gesagt: "Wozu braucht die Welt überhaupt das Christentum?" Daneben kommt der Fundamentaltheologie auch die Aufgabe zu, die allgemeine Hinführung zur Theologie (die sogenannte "Theologische Propädeutik") und die Rechtfertigung der theologischen Erkenntnismethoden in den verschiedenen Teildisziplinen ("Theologische Erkenntnislehre") zu leisten. Insofern ist Fundamentaltheologie eine echte theologische "Grundlagenwissenschaft"; und das erklärt auch ihren Namen, der diese Disziplin als "Fundament", also eine Grundlegung der Theologie ausweist.

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Der Unterschied zwischen Dogmatik und Fundamentaltheologie besteht also in ihrem Ausgangspunkt: Die Dogmatik beginnt ihre Argumentation mit den bereits vorhandenen Glaubensaussagen, die Fundamentaltheologie beginnt hingegen mit den existenziellen, philosophischen Fragen der Menschen, auf die das Christentum eine Antwort zu haben behauptet. Aus diesen beiden Richtungen nähern sich Dogmatik und Fundamentaltheologie einer verantworteten, gedanklich strukturierten Rechenschaft über die Inhalte des christlichen Glaubens an. Es ist allerdings nicht so, dass Dogmatik "mit dem Glauben" beginnt und Fundamentaltheologie "mit dem Unglauben", denn die Fundamentaltheologie muss ja immer schon die Inhalte des Glaubens voraussetzen. Umgekehrt muss die Dogmatik immer schon voraussetzen, dem Menschen grundsätzlich etwas Sinnvolles und Verständliches zu sagen zu haben. Auch die klassische Arbeitsteilung, wonach bestimmte theologische Einzelfragen (sogenannte "Traktate") grundsätzlich zur Dogmatik gezählt wurden, andere zur Fundamentaltheologie, wird heute wegen des engen Zusammenhangs beider Fächer meist nicht mehr streng eingehalten.

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Auch wenn die allermeisten Theologinnen und Theologen für sich in Anspruch nehmen, das jeweils ihr Spezialgebiet das wichtigste der gesamten Theologie ist, so kann man wohl doch sagen, dass das zentrale Fach der Theologie die Dogmatik ist, in der alle anderen Fächer zu einer umfassenden Rechenschaft über den christlichen Glauben zusammenlaufen - was aber umgekehrt auch bedeutet, dass Dogmatik nicht denkbar ist ohne die Erkenntnisse aller anderen Disziplinen, die in der Dogmatik mit den Mitteln der Vernunft zu einer umfassenden Rechenschaft über den christlichen Glauben gebündelt werden.

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In der Praxis betreiben oft dieselben Personen sowohl Dogmatik als auch Fundamentaltheologie. Eine heute recht starke Richtung der Fundamentaltheologie widmet sich dem Phänomen Religion im Allgemeinen, untersucht Möglichkeiten und Zielsetzungen interreligiösen Dialogs und arbeitet eng mit Kultur- und Religionswissenschaften zusammen.

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Im Theologiestudium sind es zumeist Dogmatiker und Fundamentaltheologen, die sich der Aufgabe der Einführung in das Studium für die neuen Studentinnen und Studenten widmen.

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4.3 Moraltheologie

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Die Moraltheologie (oder auch "Theologische Ethik"), also die Lehre vom richtigen und falschen, guten und schlechten Handeln aus christlicher Perspektive, nimmt innerhalb der katholischen Theologie traditionell einen sehr breiten Raum ein. Neben der Biblischen und der Praktischen Theologie hat die Moraltheologie in den letzten Jahrzehnten die tiefstgreifenden Veränderungen erlebt.

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Moraltheologie widmet sich der Frage, welche Konsequenzen sich aus dem christlichen Glauben für das Handeln der und des Einzelnen ergeben. Diese Aufgabe ist zunächst eine rein logisch-wissenschaftliche, die nichts weiter voraussetzt als den Kernbestand des christlichen Glaubens, wie er in der Dogmatik umfassend ausformuliert wird. Zugleich ist die Moraltheologie aber konfrontiert mit einem über die Jahrhunderte zumeist sehr umfangreichen, verpflichtenden und mehr oder weniger streng durchgesetzten Katalog an Handlungsvorschriften und Wertmaßstäben, die die Kirche für alltägliches, wirtschaftliches, politisches, gottesdienstliches und nicht zuletzt auch sexuelles Handeln erlassen hat. Daraus ergibt sich als umfangreiches Betätigungsfeld der Moraltheologie die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Tradition und mit der gegenwärtigen kirchlichen Verkündigung in moralischen Fragen.

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In der gegenwärtigen Moraltheologie nehmen auch Fragestellungen einen großen Raum ein, die sich erst in jüngerer Zeit durch wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen ergeben haben, etwa die Frage der moralischen Bewertung von Sterbehilfe oder der Gentechnik. Moraltheologie thematisiert auch den Umgang des Menschen mit Tieren, mit der Umwelt oder mit den Ressourcen der Erde. Wo es in der Moraltheologie nicht mehr direkt um das Handeln von einzelnen Menschen geht, sondern um das Handeln von Gruppen (z.B. das politische Handeln im Staat oder das Mitwirken von Menschen innerhalb von ökonomischen und ökologischen Strukturen), hat sich als eigenständige Disziplin die Christliche Sozialethik (s. dazu auch den Abschnitt 6.4) herausgebildet; beide Disziplinen sind aber nicht eindeutig voneinander zu trennen und werden oft gemeinsam unter dem Oberbegriff "Moraltheologie" behandelt.

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Für die Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition kann die Moraltheologie zumindest auf Kenntnisse des Lateinischen nicht verzichten. Für die moralische Beurteilung menschlichen Handelns sind auch Kenntnisse in psychologie, Soziologie und ähnlichen Disziplinen notwendig. Am meisten aber ist die Moraltheologie mit der Moralphilosophie ("Philosophische Ethik") verwandt. Warum das so ist, warum also auch Christinnen und Christen in moralischen Fragen auf die Philosophie angewiesen sind, das kann hier kaum in wenigen Worten erläutert werden, sondern wird sich erst endgültig erklären lassen, wenn man schon einen Einstieg in die Grundlagen der Moraltheologie getan hat.

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5 Praktische Theologie - die Umsetzung des Glaubens in das kirchliche Handeln

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5.1 Allgemeines zur Praktischen Theologie

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Thema der Praktischen Theologie ist die Reflexion des kirchlichen Handelns, sei es von Einzelnen oder von Gruppen: So sind etwa Religionsunterricht, Gottesdienst und Predigt, Gemeindeleitung und Seelsorge solche Felder kirchlichen Handelns. Im weiteren Sinne gehört zum Forschungsgebiet der Praktischen Theologie auch ganz allgemein das Handeln von Christinnen und Christen im Umgang miteinander, in der Familie und Gesellschaft.

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Auch die Praktische Theologie hat sich auf katholischer Seite in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. Wenn es der Kirche ernst damit ist, den Menschen zu dienen, und wenn der Glaube von Menschen zu Menschen in menschlicher Sprache verkündigt werden soll, dann muss sich die Kirche in ihrem Handeln auf die Bedingungen einlassen, unter denen Menschen existieren. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) sind daher verstärkt die so genannten "Humanwissenschaften" ins Blickfeld theologischen Arbeitens geraten, also jene Wissenschaften, die sich unabhängig vom christlichen Glauben mit den Lebensbedingungen von Menschen beschäftigen, etwa psychologie, Pädagogik, Soziologie. Die Praktische Theologie erforscht die Bedingungen und Möglichkeiten eines kirchlichen Handelns, das sowohl den Inhalten des Glaubens als auch den Bedingungen menschlicher Lebenswirklichkeit entspricht. Das bringt dann mit sich, dass die Praktische Theologie auch in kritischer Weise die traditionelle kirchliche Praxis prüft und gegebenenfalls Korrekturen vorschlägt und neue Modelle für kirchliches Handeln entwickelt.

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Zur Praktischen Theologie gehören in der Regel die Fächer Pastoraltheologie, Religionspädagogik, Katechetik und Homiletik, wobei oft ein und dieselbe Person für mehrere dieser Fächer zuständig ist. Dazu kommen an den meisten Hochschulen noch andere Fächer, deren Zuordnung zu einem der vier großen theologischen Bereiche aber nicht eindeutig ist, etwa Liturgiewissenschaft, Kirchenrecht, Christliche Sozialethik oder Missionswissenschaft. Für die Praktische Theologie sind neben den Humanwissenschaften auch die Ergebnisse der anderen theologischen Disziplinen relevant, vor allem die exegetischen Erkenntnisse über das Handeln Gottes und das Handeln Jesu, ferner die gesamte Systematische Theologie.

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In der Regel sind die Lehrerinnen und Lehrer der Praktischen Theologie auch eingebunden in die praktische Ausbildung angehender Seelsorgerinnen und Seelsorger, Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die dann für den konkreten kirchlichen Dienst von den jeweiligen Bistümern verantwortet und durchgeführt werden. Es ist auch nicht selten, dass von Studentinnen und Studenten der Theologie während des Studiums Praktika in Gemeindeseelsorge oder Religionsunterricht verlangt werden. Hier sind dann die Praktischen Theologen die zuständigen Betreuer.

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5.2 Pastoraltheologie

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Die Pastoraltheologie hat die grundlegenden Voraussetzungen kirchlichen Handelns zu klären. Dazu gehört zum Beispiel das christliche Menschenbild, das Kirchenverständnis, und die daraus folgenden Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Priestern und Laien, Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern. Auch sind Kirche und Gemeinde als Lebensraum von Menschen, die miteinander und füreinander handeln, zu analysieren. In der Pastoraltheologie ist zu klären, wie "kirchliches Handeln" überhaupt zu definieren ist und wie es unter welchen Bedingungen aussehen kann und soll. Die Aufgabe der Pastoraltheologie ist durch die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte, in denen sich das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft im deutschen Sprachraum grundlegend gewandelt hat, äußerst vielschichtig und kompliziert geworden. In aller Regel nimmt die Pastoraltheologie (wie auch überhaupt die gesamte Praktische Theologie) in der theologischen Arbeit und Ausbildung einen sehr viel größeren Raum ein als noch vor einigen Jahrzehnten. Pastoraltheologie schafft die Grundlage für die übrigen Fächer der Praktischen Theologie. Oft sind Pastoraltheologinnen und -theologen auch in anderen Fächern der Praktischen Theologie tätig, in denen sie dann auf ihrer theoretischen Arbeit konkret aufbauen können.

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Die Pastoraltheologie ist Humanwissenschaften wie psychologie, Soziologie und Pädagogik sehr nahe. Zugleich ist Pastoraltheologie eng auf die Ergebnisse der anderen theologischen Disziplinen angewiesen, denn diese beschäftigen sich ja mit dem Glauben, dessen konkrete Weitergabe und Pflege es zu erforschen gilt. Und da auch die Kirche selbst Prinzipien für das pastorale Handeln festgeschrieben hat (hier hat katholischerseits besonders das 2. Vatikanische Konzil für erhebliche Änderungen in der kirchlichen Praxis gesorgt) und immer wieder neu amtliche Vorgaben für kirchliches Handeln erlassen werden (etwa in Form kirchlicher "Dienstanweisungen" für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Religionsunterricht und Seelsorge), tritt für die Pastoraltheologie auch die Auslegung und Würdigung kirchenamtlicher Dokumente zum Arbeitsfeld hinzu.

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5.3 Religionspädagogik und Katechetik

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Sauber voneinander zu trennen und doch eng miteinander verwandt sind die Fächer Religionspädagogik und Katechetik. In beiden geht es, um es mit einem etwas altmodischen Ausdruck zu sagen, um "Glaubensunterweisung": Religionspädagogik und Katechetik erforschen unterschiedliche Formen von Glaubensunterweisung.

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Der Unterschied zwischen Katechetik und Religionspädagogik besteht nun darin, dass Katechese ganz ausdrücklich als "Anleitung in das Glaubensleben" zu verstehen ist. Katechese geht in ihrer Grundform davon aus, dass ein Mensch sich bereits selbst für die Kirche entschieden hat und zu ihr gehören will. Ein Mensch, der sich selbst als Gläubiger versteht, wünscht eine Unterweisung und Vertiefung in diesem Glauben, den er bereits hat. - So war es die Praxis in den ersten christlichen Jahrhunderten: Erwachsene Menschen wollten in die Kirche aufgenommen werden und wurden nun auf dem Weg zu ihrer eigenen Taufe begleitet. In diesem Sinne bedeutet Katechese also die Unterweisung in einem Glauben, den der Mensch bereits hat und den er nun vertieft verstehen möchte.

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Religionsunterricht ist zwar ebenfalls Glaubensunterweisung, aber zunächst nicht unter der Voraussetzung, dass die Menschen bereits den Glauben kennen oder dass sie sich selbst als Glaubende verstehen, und auch nicht unter der Voraussetzung, dass am Ende des Unterrichts ein mehr oder weniger endgültiger Schritt des Unterrichteten zum Glauben und zur Kirche stehen soll. Im Religionsunterricht geht es vielmehr darum, Kenntnisse über den Glauben zu vermitteln, einen Sinn für religiöse Fragen zu fördern bzw. zu entwickeln und die Urteilskraft über religiöse Phänomene zu stärken.

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Wirklich kompliziert wird die Sache nun, wenn wir einen Blick auf die historisch gewachsene Praxis im kirchlichen und schulischen Leben werfen. Da treten Katechese und Religionsunterricht in Mischformen auf - zum Beispiel kann man in der Vorbereitung von Kindern auf die Erstkommunion nicht erwarten, dass sie bereits eine eigene bewusste Entscheidung für den Glauben getroffen haben oder dass sie schon über die nötigen Kenntnisse verfügen, um den Glauben verantworten zu können. Hier muss die Katechese also zugleich Elemente des Religionsunterrichts einbinden - ansonsten liefe man Gefahr, Kindern etwas aufzudrängen, dem sie nicht aus freiem Entschluss und eigener Verantwortung zustimmen würden. Umgekehrt erwartet die Kirche und zumeist auch die Eltern, ja oft auch die Schülerinnen und Schüler selbst, dass der schulische Religionsunterricht nicht nur zur "Information über den Glauben", sondern auch zur "Einübung in den Glauben" dienen soll: So sind viele katechetische Elemente auch in den Religionsunterricht eingebunden. Gerade im Umgang mit Kindern mischen sich also in der kirchlichen Praxis Katechese und Religionsunterricht - aber gerade deswegen ist die begriffliche Unterscheidung sehr wichtig, denn für das Selbstverständnis und die Zielsetzung der Lehrerinnen und Lehrer ist es wesentlich, ob sie katechetisch oder religionspädagogisch handeln.

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Unter den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen und den in der katholischen Kirche seit dem 2. Vatikanischen Konzil geänderten Grundvorstellungen von katechetischer und religionspädagogischer Arbeit sind diese Fragestellungen hochkomplexe Themenfelder geworden.

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Zum Rüstzeug für Katechetik und Religionspädagogik gehören in sehr hohem Maße humanwissenschaftliche Anteile, oft eine Ausbildung in psychologie oder Pädagogik. Die allermeisten Hochschullehrerinnen und -lehrer dieser Fächer arbeiten zugleich im schulischen Religionsunterricht, der Erwachsenenbildung oder in der Gemeindeseelsorge, oder haben zumindest langjährige Erfahrung darin. Oft arbeiten sie auch an konkreten kirchlichen Projekten mit, indem sie sie konzipieren, durchführen, begleiten oder auswerten (z.B. neue Modelle für den Religionsunterricht oder neue Formen in der kirchlichen Jugendarbeit o.Ä.); so kann es sogar nötig sein, über Kenntnisse in Statistik und Soziologie zu verfügen, um Forschungsergebnisse richtig auswerten zu können.

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5.4 Homiletik

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Die Homiletik hat die Predigt im christlichen Gottesdienst zum Thema. Neben der wissenschaftlichen Reflexion über das Predigen gehört in das Fach Homiletik auch die praktische Ausbildung, in der Theologinnen und Theologen sich in die Fragen der Vorbereitung einer Predigt und deren Durchführung im Gottesdienst einüben.

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In der Homiletik bündeln sich sowohl biblische als auch systematische als auch praktisch-theologische Kompetenz: Die Predigerin und der Prediger muss sich in den Dienst des biblischen Textes stellen (Biblische Theologie), in den Dienst des christlichen Glaubens (Systematische Theologie) und muss die Botschaft den Bedürfnissen und Möglichkeiten der konkret im Gottesdienst versammelten Menschen angemessen vermitteln (Praktische Theologie). Das verlangt auch eine Einarbeitung in Grundlagen der Sprachphilosophie und Philosophischen Hermeneutik (Wie funktioniert Kommunikation und Verstehen?) sowie in bestimmte Bereiche der Liturgiewissenschaft (denn die Predigt findet in der Regel im Rahmen einer "rituellen" Versammlung statt, die ihrerseits wieder bestimmten Bedingungen unterliegt). Dazu kann ergänzend auch Sprecherziehung und eine grundlegende psychologische Schulung kommen, die eine Rednerin und einen Redner auch körperlich befähigt, öffentlich vor Gruppen zu sprechen. Dass bei der Predigtausbildung die Humanwissenschaften besondere Beachtung verdienen, ergibt sich eigentlich von selbst.

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6 Weitere theologische Fächer

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Wie schon erwähnt, gibt es theologische Fächer, die sich nicht eindeutig einem der vier großen Bereiche zuordnen lassen. Das liegt zum Teil daran, dass diese Fächer an der Schnittstelle mehrerer großer Bereiche liegen, zum Teil auch daran, dass ein Fach aus sehr verschiedenen Perspektiven betrieben werden kann. Ich möchte hier nun einige dieser Fächer vorstellen und die Problematik ihrer Zuordnung zu einem der großen Bereiche zu erläutern versuchen.

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6.1 Kirchenrecht

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Die katholische Kirche ist - wie alle anderen christlichen Kirchen auch - nicht bloß eine theologische Konstruktion, sie ist vor allem eine reale, aus konkreten Menschen bestehende, organisierte und strukturierte Gemeinschaft mit verschiedenen Ämtern, Aufgaben, Befugnissen, sie steht als Vertragspartner in Beziehung zu Staaten, sie hat eine geistliche Aufgabe und zugleich weltliche Angestellte. Sie unterhält ein eigenes Rechtswesen, hat Gesetze und Gerichte; als Institution untersteht sie zugleich staatlichem Recht.

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Das Kirchenrecht vermittelt sowohl Kenntnisse in der innerkirchlichen Rechtsordnung ("Kanonisches Recht") als auch im staatlichen Recht, sofern es für die Kirche von Bedeutung ist ("Staatskirchenrecht"). Darüber hinaus werden auch theologische Grundlagen des Kirchenrechts vermittelt und das Verhältnis zwischen dem christlichen Glauben und der konkreten Rechtsordnung der Kirche untersucht: Braucht eine Kirche überhaupt ein Rechtswesen? Wie hat sich das heutige Rechtswesen der Kirche historisch entwickelt? Gibt das kirchliche Recht in geeigneter Weise dem Glauben eine konkrete Ordnung? Neben das "Kanonische Recht" und das "Staatskirchenrecht" tritt somit eine "Theologie des Kirchenrechts". Letztere gehört wohl am ehesten in die Systematische Theologie: die ersten beiden Teilgebiete wohl eher in die Praktische Theologie, oder aber man betrachtet sie gar nicht als theologische Disziplinen im engeren Sinne, sondern eher als rechtswissenschaftliche Disziplinen, die aber für Theologinnen und Theologen unabdingbar sind.

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Im kirchenrechtlichen "Alltagsgeschäft" spielt das kirchliche Eherecht die mit Abstand größte Rolle. Die Arbeitsmethode des Kirchenrechtsstudiums entspricht teils dem der systematischen oder praktischen Theologie, teils der Rechtswissenschaft. Jedoch wird man auch ohne juristische Vorkenntnisse sich im Kirchenrechtsstudium zurecht finden können. Der Umgang mit (lateinischen) Gesetzestexten bringt allerdings einiges Ungewohnte mit sich, an das sich manche Theologietreibende zeit ihres Lebens nicht recht gewöhnen mögen.

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6.2 Liturgiewissenschaft

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Ähnlich wie die noch zu erläuternde Ökumenische Theologie vereinigt auch die Liturgiewissenschaft (also die Wissenschaft vom christlichen Gottesdienst) historische, systematische und praktische Fragestellungen.

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Wird Liturgiewissenschaft historisch-theologisch betrieben, dann geht es dabei darum, die überlieferten Formen des Gottesdienstes als Quelle des Glaubens zu untersuchen: So wie die Bibel und die kirchliche Lehrtradition den Glauben der Christinnen und Christen bezeugen, tut dies auch die Liturgie. Die uns erhaltenen Quellen der Liturgie liefern Erkenntnisse für das Verständnis bestimmter christlicher Feste und Glaubenssätze, der Heiligen Schrift und des Gottesdienstes überhaupt. Diese Richtung der Liturgiewissenschaft wird auch als "Liturgiegeschichte" bezeichnet und gehört zur Historischen Theologie, weil sie geschichtlich Überliefertes als Quelle des Glaubens untersucht.

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Wird Liturgiewissenschaft systematisch-theologisch betrieben, dann geht es ihr vor allem darum, ausgehend vom christlichen Glauben (wozu natürlich auch wieder dessen Geschichte, also auch die Liturgiegeschichte, gehört) ein schlüssiges Verständnis von Inhalt und Bedeutung des christlichen Gottesdienstes zu entwickeln. Von dieser Perspektive ausgehend kann und will diese "Systematische Liturgiewissenschaft" dann auch Kritik an der überlieferten liturgischen Tradition oder der gegenwärtigen liturgischen Praxis nicht ausschließen.

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Wird Liturgiewissenschaft praktisch-theologisch betrieben, dann ist sie mit der Katechetik eng verwandt. Es geht dann darum, Modelle kirchlichen Feierns zu entwickeln sowie den zukünftigen Gottesdienstleiterinnen und -leitern allgemeine Fähigkeiten zu vermitteln, mit denen auf geeignete Weise der christliche Glaube im Gottesdienst ausgedrückt werden kann. Diese Richtung der Liturgiewissenschaft heißt auch "Pastoralliturgik"; sie ist der jüngste Zweig der Liturgiewissenschaft. Ursprünglich war die Liturgiewissenschaft ausschließlich in der Historischen Theologie verankert; mittlerweile hat sich das Gewicht aber in Richtung der Systematischen und der Praktischen Theologie verschoben.

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Als Liturgiegeschichte ist die Liturgiewissenschaft natürlich der gesamten Historischen Theologie verwandt. Sie orientiert sich vor allem (aber nicht ausschließlich) an griechischen und lateinischen Quellen und bezieht auch besonders die Liturgie der orthodoxen Kirchen mit ein. Als Systematische Liturgiewissenschaft ist sie der Dogmatik am nächsten, als Pastoralliturgik verlangt sie dieselben Kompetenzen wie die Praktische Theologie überhaupt. In allen drei Perspektiven darf sich die Betrachtung nicht allein auf die römisch-katholische Tradition beschränken. Sehr großen Raum nimmt wegen ihrer theologischen Bedeutung die Untersuchung der Eucharistiefeier ein.

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6.3 Ökumenische Theologie

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Die Ökumenische Theologie weiß sich durch den tief greifenden Missstand herausgefordert, dass die weltweite Christenheit in viele verschiedene Kirchen, Konfessionen, unterschiedliche Ausdrucksweisen und Verständnisse ein und desselben Glaubens geteilt ist und damit - entgegen der Weisung Jesu - nicht mehr sichtbares Zeugnis von der Zusammengehörigkeit aller Gläubigen gibt. Die Ökumenische Theologie untersucht das Verhältnis der christlichen Kirchen zueinander. Sie vereint dabei historische, systematische und praktische Theologie in sich: Sie arbeitet historisch, wenn sie die Gründe, die zur Spaltung der Christenheit geführt haben, rekonstruiert und die Konsequenzen für die Gegenwart der getrennten Christenheit erforscht. Sie arbeitet systematisch, wenn sie ihren Blick besonders auf die Lehrunterschiede zwischen den Kirchen richtet: Was lehren die einzelnen Konfessionen in bestimmten theologischen Fragen? Welche Bedeutung haben diese Lehrunterschiede, lassen sie sich womöglich auf gegenseitige Missverständnisse zurückführen? Rechtfertigen diese Unterschiede eine Trennung der Kirchen? Schließlich arbeitet die Ökumenische Theologie praktisch-theologisch, wenn sie Möglichkeiten von konfessionsübergreifender Zusammenarbeit theologisch untersucht und begleitet.

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In der Ökumenischen Theologie werden besonders die sichtbaren Unterschiede zwischen den Konfessionen behandelt, also z.B. Themen wie Papstamt, Priesteramt, Abendmahlsverständnis und Marienverehrung und deren theologische Grundlagen. Neben den evangelischen Konfessionen der Lutheraner und Reformierten, die in Deutschland besonders bedeutend sind, geraten bei der historischen und systematischen Arbeit in der ökumenischen Theologie auch die orthodoxen Kirchen mit ihrem Selbstverständnis, ihrer Geschichte und Theologie in den Mittelpunkt.

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Vielfach wird die ökumenische Theologie auch der Dogmatik, der Kirchengeschichte oder der Theologiegeschichte zugerechnet; diese drei Disziplinen sind ihr innerhalb der Theologie zweifelsohne am nächsten.

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6.4 Christliche Sozialethik

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Die Christliche Sozialethik - die auch, je nach örtlicher Tradition und Arbeitsschwerpunkt, den Namen "Christliche Gesellschaftslehre" oder "Christliche Sozialwissenschaft" tragen kann - ist der Moraltheologie eng verwandt und wird - besonders an kleineren Hochschulen - auch einfach als Teil der Moraltheologie behandelt. Während die Moraltheologie (s. dort) Maßstäbe für das Handeln des Einzelnen untersucht, geht es in der Sozialethik um das Handeln von Gruppen: gemeint sind damit vor allem sozial-, wirtschafts- und rechtspolitische Fragen aus Sicht des Christentums, das Auftreten der Kirche im Staat und dergleichen mehr. Ebenso wie mit der Moraltheologie ist die Christliche Sozialethik daher auch mit den Humanwissenschaften, den Sozialwissenschaften, den Wirtschaftswissenschaften und philosophischen Fragen nach Staat, Justiz und Gerechtigkeit verbunden. Vor allem wegen ihrer Bezüge zur Wirtschaftswissenschaft bringt die Christliche Sozialethik ganz eigene Themen zur Sprache, die ansonsten völlig außerhalb der theologischen Arbeit liegen.

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Liegt der Schwerpunkt der Sozialethik mehr darin, aus dem christlichen Glauben abstrakte Maßstäbe für das gesellschaftliche Handeln zu entwickeln, ist sie der Systematischen Theologie zuzuordnen. Liegt der Schwerpunkt mehr in der Diskussion und Entwicklung konkreter sozial- und wirtschaftspolitischer Optionen des Christentums, gehört sie eher in den Bereich der Praktischen Theologie.

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6.5 Sakramententheologie

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Auch die Sakramente der christlichen Kirchen können aus verschiedenen Perspektiven theologisch behandelt werden - schon der Begriff "Sakrament" wird nicht in allen christlichen Konfessionen gleich verstanden und muss daher vom Fach "Sakramententheologie" genauer erklärt werden. Historisch kann nach Entstehungsgeschichte und Überlieferung der Sakramente gefragt werden sowie danach, wie es zu der Siebenzahl der katholischen Sakramente kam (während viele andere christliche Kirchen nur zwei Sakramente kennen); systematisch steht eher die Frage im Vordergrund, was überhaupt Sakramente sind und welche Bedeutung sie für das Christentum haben; praktisch-theologisch geht es um eine angemessene Durchführung sakramentlicher Gottesdienstfeiern.

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Je nach örtlichem Brauch wird die Sakramententheologie entweder als eigenes Fach, als Teilgebiet der Theologiegeschichte, der Dogmatik, der Liturgiewissenschaft oder auch der Ökumenischen Theologie behandelt. Sie befindet sich im Schnittpunkt all dieser Fächer.

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6.6 Missionswissenschaft

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Die Missionswissenschaft thematisiert die kirchliche Arbeit, das christliche Glaubenszeugnis vor allem in Staaten und Kulturen, denen das Christentum fremd ist. Historisch geht es um eine Darstellung und Beurteilung der Ausbreitung der Kirche ("Missionsgeschichte"). Nach welchen Grundsätzen erfolgte die Verkündigung des Glaubens in Regionen, die bis dahin das Christentum nicht kannten? Welche geschichtlichen Folgen hatte diese kirchliche Arbeit? Lassen sich aus der Geschichte Modelle entnehmen, die auch für die zukünftige kirchliche Verkündigung geeignet sind, oder solche, die unbedingt vermieden werden müssen?

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Systematisch ist die Missionswissenschaft der Dogmatik und Fundamentaltheologie verwandt: Sie muss erklären können, warum die Kirche ein Interesse daran hat, Menschen mit dem christlichen Glauben bekannt zu machen und woher sie die Überzeugung nimmt, damit etwas Gutes für die Menschen zu tun, die oft bereits einer bestimmten Religion zugehörig sind und von sich aus nicht nach einer anderen Religion verlangen. - An dieser Stelle mischt sich die Missionstheologie vor allem mit der Religionswissenschaft (Kenntnisse anderer Glaubensvorstellungen und ihrer kulturellen Ausprägung). - An manchen Hochschulen wird auch die Religionswissenschaft speziell ins Theologiestudium eingebunden, obwohl sie eigentlich nicht direkt zu den theologischen Fächern gehört.

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Praktisch-theologisch geht es darum, Modelle kirchlicher Präsenz in nicht christlich geprägten Gesellschaften zu entwickeln. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, wie sich der christliche Glaube zu anderen Religionen verhält und wie der Umgang miteinander aus christlicher Perspektive aussehen soll.

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Zur Frage kirchlichen Lebens etwa in islamischen, buddhistischen oder anderen Gesellschaften gehören auch wieder humanwissenschaftliche „Hilfswissenschaften‚, etwa Kulturwissenschaft, Kulturgeschichte, Soziologie, Religionswissenschaft, Religionsphilosophie. Sie helfen zu verstehen, in welchem Umfeld sich dort das Christentum ausprägt und verständlich machen muss.

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Da auch der deutsche Sprachraum immer weniger von einer Präsenz der Kirche in der Gesellschaft geprägt ist, wendet sich die missionswissenschaftliche Forschung vermehrt Zukunftsmodellen für unsere eigene europäische Kirche zu und dürfte daher an Bedeutung gewinnen. Ihre Rolle im alltäglichen theologischen Betrieb ist zurzeit eher gering.

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6.7 Feministische Theologie

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Entstanden ist diese Disziplin aus der erst seit wenigen Jahrzehnten wissenschaftlich konsequent bedachten Beobachtung, dass fast überall auf der Welt und fast durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch immer wieder Frauen in psychologischen, gesellschaftlich-politischen sowie religiösen Strukturen unterdrückt wurden und ihre Erfahrungen, Meinungen und Optionen im wissenschaftlichen Diskurs, in gesellschaftlichen Strukturen und in bestimmten Verhaltensweisen unberücksichtigt bleiben. Die Untersuchung solcher Unterdrückungsmechanismen, ihrer Ursachen und ihrer Folgen, stand am Anfang des feministischen Denkens und somit auch der Feministischen Theologie. Mittlerweile wird unter diesem Namen aber weit mehr verstanden als nur die Erforschung einzelner Frauengestalten oder der Frauen insgesamt in Bibel, Kirchengeschichte, Staat und Politik. Feministische Theologie untersucht, warum und mit welchen Folgen sich in der kirchlichen Tradition und im theologischen Denken bestimmte Machtstrukturen gefestigt haben. Dazu gehört besonders der Blick auf ein Denken, das bestimmte (meist typisch männliche und westeuropäisch-amerikanische) Denk-, Glaubens-, Verhaltens- und Existenzformen als "normal" und höherwertig gegenüber anderen ansieht. Die Feministische Theologie versucht, solche Machtstrukturen aufzudecken und alternative, christlich fundierte Optionen des Denkens und Zusammenlebens - nicht zuletzt unter Bezug auf frauenspezifische Erfahrungen - zur Geltung zu bringen.

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Daher versteht sich die Feministische Theologie nicht als eine Teildisziplin der Theologie (obwohl sie an theologischen Hochschulen oft als solche behandelt wird). Sie ist vielmehr als kritischer Prüfstein zu verstehen, der an die gesamte Theologie und alle ihre Teile angelegt werden muss. Feministische Theologinnen (in aller Regel wird die Feministische Theologie von Frauen betrieben, aber von der Sache her sind männliche Forscher keineswegs ausgeschlossen!) bringen ihre Optionen in das von ihnen jeweils behandelte Fachgebiet der Theologie ein. Besonders häufig finden sich feministische Zugänge in der Biblischen Theologie, der Kirchengeschichte, der Moraltheologie und der Praktischen Theologie insgesamt.

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7 Philosophie

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Die Philosophie ist eigentlich kein theologisches Fach. Doch ist ihre Bedeutung in der theologischen Ausbildung traditionell sehr groß; deshalb sei ihr hier ein kurzer Abschnitt gewidmet.

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In der Theologie, so war mein Ausgangspunkt, geht es um die Untersuchung und Darstellung des christlichen Glaubens mit den Mitteln der Vernunft. Philosophie nun ist sozusagen "Vernunft pur": Sie beschäftigt sich mit der Funktionsweise und den Möglichkeiten der menschlichen Vernunft: Wie funktioniert unser Erkennen und was wissen wir sicher? Welchen Gesetzen folgt das Sprechen, die Kommunikation, der Austausch von Erkenntnis? Und wie können wir etwas verstehen, was ein anderer spricht oder schreibt? - Die Abschnitte der Philosophie, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, heißen nacheinander: Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Hermeneutik. Ohne eine Kompetenz in diesen Fragen kann eigentlich niemand Wissenschaft betreiben. Und über viele Jahrhunderte gab es keine wissenschaftliche Ausbildung, die nicht mit einem Philosophiestudium begann. Leider hat sich dies nur im Theologiestudium gehalten; vermittelt werden hier aber Fähigkeiten, ohne die überhaupt keine Wissenschaft möglich ist.

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Darüber hinaus geht es in der Philosophie auch um die Fragen, die man vielleicht als "Sinnfragen" zusammenfassen kann: Was sind wir Menschen, wozu gibt es uns? Wie soll ich mich verhalten und warum? Woher kommt die Welt, wohin geht sie, woraus besteht sie? Was bedeutet es, wenn wir sagen, dass etwas "ist"? Hat unser Leben einen Sinn? Gibt es Gott? - Diese philosophischen Themengebiete heißen Anthropologie, Ethik oder Moralphilosophie, Metaphysik, Ontologie, Religionsphilosophie, Philosophische Gotteslehre. Diese philosophischen Gebiete sind für die Theologie ebenfalls von hoher Bedeutung, denn sie betreffen genau diejenigen Fragen, für die der christliche Glaube bestimmte Antworten zu haben behauptet. Ignoriert der Glaube die philosophischen Erkenntnismöglichkeiten in den betreffenden Fragen, wird er schlicht unverständlich, denn er spricht dann nicht mehr die Sprache der menschlichen Vernunft.

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Daneben gibt es noch kleinere philosophische Bereiche, die oft unberücksichtigt bleiben, die jedoch einen Bezug auf viele andere Teilbereiche sowie auf die Theologie insgesamt haben. Dazu gehören etwa die Ästhetik (entgegen der landläufigen Verwendung dieses Wortes geht es hier nicht zuerst um "Kunst" oder "Schönheit", sondern viel umfassender um "Wahrnehmung", den Zusammenhang von Inhalt und Form, die Verschmelzung von Subjekt und Objekt der Wahrnehmung) oder die Feministische Philosophie (zu den Grundgedanken vgl. in etwa den Abschnitt 6.7 über Feministische Theologie).

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Wenn auch die Philosophie im Studium viel mühselig zu erarbeitenden Lernstoff mit sich bringt und manchmal auf griechische und lateinische Originaltexte zurückgreift, so erfordert Philosophie eigentlich nur eine Voraussetzung, die man mitbringen muss: die Bereitschaft zum Denken.

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8 Zum Abschluss: Fragen und Antworten

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Wie läuft das Theologiestudium ab?

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Zurzeit finden im deutschsprachigen Hochschulwesen erhebliche Umstrukturierungen statt, die auch vor dem Theologiestudium nicht halt machen. Ich kann daher nur das "klassische" Modell darstellen. Wie weit dies zukünftigen theologischen Ausbildungsgängen entspricht, wird sich in den kommenden Jahren erst noch zeigen.

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Üblich ist jedenfalls die Unterteilung der theologischen Ausbildung in ein Grund- und ein Hauptstudium: Im Grundstudium nehmen Philosophie und Historische Theologie den größten Raum ein; meist kommen Einführungen in Biblische und Systematische Theologie dazu. Begonnen wird das Grundstudium in aller Regel mit einer allgemeinen Einführung in die Theologie und in das wissenschaftliche Arbeiten. Nicht vergessen werden dürfen die Fremdsprachen: In unterschiedlichem Umfang werden an allen theologischen Hochschulen Kenntnisse in Latein, Griechisch und Hebräisch verlangt. Fremdsprachen und erste Grundlegungen der Biblischen Theologie sind besonders in der evangelischen Theologie sehr umfangreich, während katholischerseits die Philosophie stärker gewichtet ist. Manchmal tritt auch noch eine Grundausbildung in psychologie oder Religionswissenschaft zum Grundstudium hinzu.

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Auf das Grundstudium folgt dann das Hauptstudium. Hier nehmen die theologischen Kernfächer Altes Testament, Neues Testament und Dogmatik den größten Raum ein, meist sind auch Pastoraltheologie und Religionspädagogik, Fundamentaltheologie, Moraltheologie und Kirchenrecht mit großem Gewicht in den Studienplänen vertreten. Alle übrigen Fächer ergänzen das Hauptstudium je nach örtlicher Regelung.

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Die genauen Prüfungsanforderungen und -modalitäten variieren von Hochschule zu Hochschule erheblich.

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Muss man Christin oder Christ sein, um Theologie treiben zu können?

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Versteht man die Theologie als das Gespräch zwischen dem christlichen Glauben und der Vernunft, so ist es von diesem Ausgangspunkt nicht sinnvoll, wenn die Theologie von jemandem betrieben wird, der diesen Glauben gar nicht teilt. Damit die Theologie - auch innerhalb der Gesellschaft, der Wissenschaften und der Kirche - einen Dialog zwischen dem lebendigen Glauben von Christinnen und Christen und der menschlichen Vernunft herstellen kann, ist sie auf Menschen angewiesen, die sich wirklich zu diesem Glauben bekennen. Daher hat nicht nur die Kirche an ihren eigenen theologischen Hochschulen, sondern auch der Staat an den öffentlichen Hochschulen als Lehr- und Forschungsstätten aller Wissenschaften - darunter auch die Theologie - ein Interesse daran, dass Theologie von Menschen betrieben und öffentlich repräsentiert wird, die selbst Angehörige der Kirche sind. Meist bedeutet das, dass zu bestimmten Abschlüssen im Theologiestudium nur Personen zugelassen werden, die selbst der betreffenden Kirche angehören und ausdrücklich ein entsprechendes Bekenntnis öffentlich ablegen; erst recht und viel strenger gilt dies für die theologischen Lehrerinnen und Lehrer. Ohne solche Regelungen wäre nicht mehr gesichert, dass es wirklich der christliche Glaube ist, der in der theologischen Arbeit behandelt wird; das Gespräch zwischen Glaube und Vernunft wäre dann gefährdet. Nichtsdestotrotz gilt aber: Theologie ist eine Wissenschaft wie andere Wissenschaften auch: Sie arbeitet nach streng vernünftigen Methoden. Es muss daher prinzipiell möglich sein, dass jeder Mensch Theologie betreiben und die Ergebnisse der theologischen Forschung verstehen kann. Würde die Theologie so arbeiten, dass außer den Christinnen und Christen niemand ihre Ergebnisse verstehen kann, wäre sie keine Wissenschaft mehr, denn sie wäre dann nicht mehr jedem Menschen verständlich zu machen, der vernünftig denken kann.

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Sind umgekehrt nur Theologinnen und Theologen "richtige Christen"?

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Nein. Sich theologisch zu bilden heißt weder ein besserer noch ein schlechterer Christ zu werden. Niemand kann sich den Glauben oder besondere Stärke im Glaubensleben auf wissenschaftlichem Wege erarbeiten; jede Christin, jeder Christ hat den Glauben einzig von Gott geschenkt, das gilt auch für Theologinnen und Theologen.

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Für die Christenheit insgesamt ist die Theologie aber unverzichtbar: Mit den strengen Kriterien der Vernunft kann die Theologie einen Beitrag dazu leisten, dass die christliche Botschaft, die von Gott zu Menschen in menschlicher Sprache verkündigt und gelebt wurde, auch tatsächlich den Raum der menschlichen Sprache und der Bedingungen des menschlichen Lebens nicht verlässt und sich nicht im Raum willkürlichen, ideologischen, demagogischen „Geheimwissens‚ ansiedelt. Gott hat uns zwar keine Mittel in die Hand gegeben, den Glauben zu "beweisen". Aber er hat uns mit der Vernunft einen Maßstab gegeben, mit dem wir prüfen können, wie weit das, was wir als Christinnen und Christen glauben, tatsächlich in menschlicher Sprache sinnvoll ausgedrückt werden kann. Diese Aufgabe leisten, stellvertretend für die ganze Kirche und im Dienst des Glaubens, die Theologinnen und Theologen; jeder nach seinen Möglichkeiten, jeder auch in seinen persönlichen Grenzen, aber alle im selben Auftrag.

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Und was lernt man sonst noch im Theologiestudium?

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- dass der Glaube, wenn man ihn jahrelang zum Thema wissenschaftlichen Arbeitens macht, ganz anders wird - und dabei doch derselbe bleiben kann

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- dass Theologie wie kein anderes Studium verschiedenste wissenschaftliche Methoden in sich vereint

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 - dass das Sprichwort "vom Saulus zum Paulus" gar keinen Anhaltspunkt in der Bibel hat

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- dass vieles in der Kirche gar nicht so wichtig ist, wie man immer denkt (und anderes dafür viel wichtiger)

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 - dass ein bedeutender Theologe "Theodor von Mopsuestia" hieß

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- dass die Theologie keine Absicherung bietet, ein gläubiger Mensch zu werden oder zu bleiben

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 - dass es eine "Ökonomische Trinität" gibt

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 - dass sich Biblische und Systematische Theologen ständig in den Haaren liegen

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 - dass "MT" etwas völlig anderes ist als "Mt"

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- dass Theologinnen und Theologen von ihren eigenen Kirchen, in deren Dienst sie sich stellen, oft nicht verstanden - und von den übrigen Wissenschaftlern bisweilen nicht ganz für voll genommen werden; beides kann bitter weh tun

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 - dass es ohne Theologie heute keine Universitäten gäbe

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9 Lektüretipps

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In diese kleine Liste sind nur Bücher, Aufsätze oder andere Dokumente aufgenommen, die mir persönlich in meinem Theologiestudium wesentlich weitergeholfen haben. Alles, was ich hier empfehle, habe ich selbst während meines Studiums gelesen und als unverzichtbar empfunden. Ohne diese Bücher wäre mein Theologiestudium anders gelaufen (und zwar vermutlich nicht gerade besser!).

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Zum Thema: Theologie allgemein - Theologie und Glaubensverkündigung - Praktische Theologie

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Klaus Müller: Homiletik. Ein Handbuch für kritische Zeiten. Dieses Buch stammt von 1994 und ist im Pustet Verlag Regensburg erschienen. Wie der Titel verrät, ist es eigentlich ein Handbuch für die Ausbildung von Predigerinnen und Predigern. Bei mir hat es - zunächst mehr zufällig - das erste Semester des Theologiestudiums begleitet und mir Impulse mitgegeben, von denen ich heute noch zehre. Es war sozusagen mein erstes theologisches Buch überhaupt.

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Während die Theologie in ihrem Alltagsbetrieb eigentlich ein sehr "trockenes" wissenschaftliches Geschäft ist und auf den ersten Blick nicht viel mit dem kirchlichen Glaubensleben zu tun hat, steht die Homiletik genau an der Schnittstelle zwischen Theologie und kirchlicher Verkündigungspraxis. Das Buch führt fast nebenbei, aber sehr grundlegend in die Bedeutung der verschiedenen Teildisziplinen der Theologie für die kirchliche Verkündigung insgesamt ein - und es vermittelt zugleich Grundlagen für die praktische Durchführung und die geistliche Bedeutung der Glaubensverkündigung.

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Zum Thema: Theologie als Wissenschaft - Glaube und Vernunft - Systematische Theologie

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Peter Knauer: Unseren Glauben verstehen. Das Buch ist zuletzt 2001 im Echter Verlag Würzburg erschienen und bietet eine leicht verständliche Einführung in die Aufgabe, die Kernaussagen und den inneren Zusammenhang der Theologie. Für das Thema "Was ist Theologie?" bieten sich besonders das erste Kapitel ("Gottes gutes Wort") und das letzte Kapitel ("Glaube und Vernunft") an. Im ganzen - sehr leicht verständlichen - Buch entwirft Knauer eine komplette theologische Auslegung des christlichen Glaubens und entfaltet die einzelnen Glaubensaussagen aus einer einzigen zu Grunde liegenden Kernbotschaft. - Wie zu jeder Wissenschaft gehört es natürlich auch zur Theologie, dass über die Aussagen einzelner Autorinnen und Autoren gestritten wird; nicht jede Theologin und jeder Theologe wird den Aussagen Peter Knauers zustimmen und viele würden die Theologie ganz anders darstellen. Die Aufgabe, Aussagen kritisch zu prüfen, kann einem nun einmal niemand abnehmen. Für mich kann ich jedenfalls sagen, dass ich für eine grundlegende Einführung in die Theologie kein besseres Werk kenne. Vor allem in der Auslegung bestimmter Lehren und Traditionen der römisch-katholischen Kirche (Sakramente, kirchliches Amt, Unfehlbarkeit des Papstes u. a.) sowie in der grundlegenden Frage, wie der christliche Glaube und die streng wissenschaftlich-vernunftorientierte Methode der Theologie zusammenhängen, verdanke ich diesem Buch und seinem Autor viel.

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Zum Thema: Wissenschaftlich Arbeiten - Umgang mit Quellen

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Helmut Seiffert: Einführung in die Wissenschaftstheorie. Zweiter Band. Geisteswissenschaftliche Methoden: Phänomenologie - Hermeneutik und historische Methode - Dialektik. Dieses Lehrbuch des wissenschaftlichen Arbeitens wird schon seit 1969 immer wieder neu aufgelegt; die 10. Auflage stammt von 1996. Es geht hier zwar nicht ausdrücklich um Theologie, aber das Buch vermittelt anhand vieler, sehr griffig gewählter Beispiele einen sehr guten Eindruck davon, was es heißt, mit Quellen zu arbeiten und diese zu interpretieren. Für das, was ich am Beginn als "hermeneutisches Arbeiten" beschrieben habe, ist dieses Buch wohl die beste Einführung, die es gibt - und es sind sogar einige der Beispiele im Buch aus theologischen Fragestellungen gewählt. - Für besonders wichtig halte ich das Kapitel "Was ist Phänomenologie?" aus dem ersten Teil des Buches (S. 41-54) und aus dem zweiten Teil das lange Kapitel "Historie, die nichts als Historie sein will." (S. 59-184).

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Zum Thema: Dogmatik - Theologisches Grundwissen

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Joseph Ratzinger: Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis. Erstmals 1968 erschienen und danach nur noch geringfügig für Neuauflagen überarbeitet, sind diese gesammelten Vorlesungen des damaligen Professors für Dogmatik ein echter Bestseller, seit Ratzinger im Jahre 2005 zum Papst und damit zum Oberhaupt der Katholischen Kirche gewählt wurde. Dieses Buch macht grundlegend und zusammenhängend mit den Inhalten des christlichen Glaubens vertraut und nimmt dabei "am Wegesrand" auch eine Fülle an Wissen über Religions- und Theologiegeschichte mit. Auch für jemanden, der kaum mit wissenschaftlichen Texten vertraut ist, dürfte dieses Buch gut lesbar sein. Es setzt nicht viel Vorwissen voraus, auch wenn es einen dann vielleicht zwingen mag, den ein oder anderen Satz oder Absatz zweimal oder mehrmals zu lesen, um ihn wirklich zu verstehen.

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Zum Thema: Biblische Theologie - Biblische Hermeneutik - Altes und Neues Testament

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Zwei Dokumente der Päpstlichen Bibelkommission (eine Art "Beratergremium" des Papstes) scheinen mir hier das Beste zu sein, was man zum Einstieg in die Biblische Theologie lesen kann. Sie sind erschienen in der Reihe "Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls". Das grundlegende Dokument ist Die Interpretation der Bibel in der Kirche von 1993, das in dieser Reihe als Band 115 erschienen ist. Für das Verhältnis von Altem zu Neuem Testament empfiehlt sich Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel von 2001; es trägt die Band-Nummer 152.

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Das erste Dokument widmet sich, wie der Name sagt, besonders der Biblischen Hermeneutik; hier werden grundlegende Forschungsergebnisse vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts dargestellt, die im theologischen Alltag selbstverständlich, aber vielen Gläubigen noch immer fremd sind. Diese Darstellung ist sehr klar strukturiert, aufs Wesentliche beschränkt und sie benutzt eine äußerst verständliche und behutsame Sprache.

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Das zweite Dokument bezieht in die Frage des Verhältnisses von Altem zu Neuem Testament besonders die Grundaussagen beider Teile der Bibel ein. Man erhält also fast nebenbei eine profunde Darstellung des "Roten Fadens" oder der "Roten Fäden" der Bibel.

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Beide Dokumente erhält man über die Generalvikariate der katholischen Bistümer oder direkt beim Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, D-53113 Bonn. Außerdem sollte man eigentlich erwarten, dass jeder Pfarrer, jede Religionslehrerin und jeder Religionslehrer und erst recht die Berufs-Theologinnen und -Theologen diese Dokumente in ihrem Bücherschrank stehen haben und sie gerne zur Lektüre ausleihen. Auch kann man sie als .doc- oder .pdf-Datei kostenlos von der Homepage der Deutschen Bischofskonferenz http://www.dbk.de herunterladen.

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Zum Thema: Philosophie - Selber Denken

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Gar keine Frage, da gibt es einen ultimativen Tipp: Thomas Nagels winziges Büchlein Was bedeutet das alles? - Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie. Erstmals 1990 erschienen im Reclam-Verlag. Kostet fast nichts.

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Im Philosophiestudium besteht die Gefahr, dass man nur die Positionen bestimmter Philosophen kennen lernt, aber nicht weiß, was man denn nun mit diesen ganzen Meinungen machen soll, welche davon richtig, welche falsch ist, und nach welchen Kriterien man das entscheiden soll. Thomas Nagels kleine Aufsätze führen anhand einiger der "heißesten Eisen" der Philosophie in das ein, worauf es in der Philosophie eigentlich ankommt: nämlich das Philosophieren selbst! Bei Thomas Nagel lernt man nicht an erster Stelle, wer welche Meinungen vertritt, sondern man lernt denken - und das ist letztlich der einzige Grund, warum Philosophie eine unverzichtbare Beschäftigung ist für jede Wissenschaftlerin, jeden Wissenschaftler und eigentlich für jeden Menschen, der für seine Überzeugungen und Hoffnungen verantwortlich eintreten möchte.

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Zum Thema: Liturgiewissenschaft - Zusammenhang von Historischer und Systematischer Theologie

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Das theologische Fach, in dem ich mich mit meiner eigenen Forschung bewege, ist die Liturgiewissenschaft. Hier empfehle ich Reinhard Meßner: Einführung in die Liturgiewissenschaft. 2001 erschienen in der Reihe "UTB für Wissenschaft" (die gemeinsam von mehreren Verlagen herausgegeben wird), Band Nr. 2173.

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An einer der wichtigsten uns überlieferten Traditionen des kirchlichen Glaubenslebens, nämlich der gottesdienstlichen Feier, lernt man in diesem Handbuch, das in die wichtigsten liturgischen Glaubensvollzüge und deren inhaltliche Bedeutung einführt, fast wie nebenbei, wie sehr die Theologie als Ganze auf das historische Arbeiten angewiesen ist. Das Buch ist so gegliedert, dass man ohne Probleme gezielt nach einzelnen Themen suchen und die Aussagen verstehen kann, auch ohne gleich das ganze Buch lesen zu müssen. überragend in diesem Buch sind die zahlreichen Literaturhinweise zu jedem Kapitel, die als Ausgangspunkt für umfangreiche Recherchen sowohl in biblischer als auch historischer als auch systematischer Theologie dienen können.

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Anmerkungen:

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1.

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1 Vielleicht klingt manchem der Begriff "Gespräch" schon zu unwissenschaftlich. "Gespräch" lässt in unserer Alltagssprache so etwas wie ein "unverbindliches Miteinander-Reden" anklingen, aber das ist hier nicht gemeint. Ein Gespräch, wie ich es verstehe, hat immer mit der Suche nach Wahrheit zu tun, damit, dass man Unverstandenes nicht einfach stehen lässt, dass man nachfragt, dass man etwas erklärt und dafür Verantwortung übernimmt. Würde ich Theologie als „Wissenschaft von der christlichen/katholischen Religion‚ definieren, wäre sie nicht von der Religionswissenschaft zu unterscheiden. Mit dem Ausdruck "Gespräch zwischen dem Glauben und der Vernunft" versuche ich anzudeuten, dass in der Theologie die Innenperspektive des Glaubens zur Sprache kommt, also der Glaube nicht als ein von außen zu beobachtendes Phänomen, sondern als etwas, das die Existenz gläubiger Menschen prägt und wesentlich ihr Selbstverständnis als Menschen ausmacht. In die Theologie ist immer der konkrete Glauben eingebunden.

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