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Scharer Matthias: Supervision zwischen (strategischer) Interpretationsmacht und kommunikativer "Ohnmacht - Macht"
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Supervision zwischen (strategischer) Interpretationsmacht und kommunikativer "Ohnmacht - Macht"

Autor:Scharer Matthias
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Die deutschsprachige Arbeitsgemeinschaft für Supervision im pastoralen Feld hatte sich für ihre siebte Fachtagung ein provokantes Thema gewählt: "Macht Supervision Sinn?" Wie sie damit das Feld der Religion berührt, wie der Zusammenhang von Supervision und Religion interpretiert werden kann und welche Herausforderungen sich aus dieser Verbindung ergeben, zeigt das folgende Referat. Der Referatscharakter wurde absichtlich beibehalten.
Publiziert in:Scharer, Matthias, Supervision zwischen (strategischer) Interpretationsmacht und kommunikativer "Ohnmacht - Macht", in: K. Hampel/H.B. Köppen (Hg.), Macht - Supervision - Sinn. 7. Fachtagung Supervision im pastoralen Feld, Münster 2004, 13 - 31; weiters i
Datum:2004-06-11

Inhalt

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Das Thema der 7. Fachtagung Supervision im pastoralen Feld1 stellt eine mehrsinnige Wortkombination dar: „Macht Supervision Sinn“. Bemerkenswert ist, dass auf der Titelseite des Werbeprospektes die einzelnen Worte leicht untereinander und ohne abschließendes Satzzeichen geschrieben sind. Man kann die Worte also zunächst als eigenständige Begriffe lesen: Macht – Supervision – Sinn. Die Leserin/der Leser fragt nach einem möglichen Zusammenhang der Einzelbegriffe: Wie verhält sich die Macht zur Supervision, wie die Supervision zur Macht? In welchem Zusammenhang steht die Supervision mit dem Sinn? Wie hängen Macht und Sinn zusammen? Man kann die Begriffe beliebig kombinieren und erhält so immer wieder neue Fragestellungen.

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Im beschreibenden Teil des Werbefolders wird aus den losen Begriffen ein klarer Satz gemacht, indem die Wortkombination mit einem Fragezeichen abgeschlossen wird: „Macht Supervision Sinn?“ Auch das ist noch mehrdeutig. Zumindest zwei Bedeutungen der Frage drängen sich auf:

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„Macht Supervision Sinn?“ Die Betonung liegt auf der Supervision und es wird gefragt ob Supervision eine sinnvolle Handlung2 sei.

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„Macht Supervision Sinn? In diesem Fall liegt der Akzent auf dem Wort Sinn. Ist Supervision eine Handlung, welche Sinn stiftet?

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Mit der zweiten Bedeutung des Themas begibt sich Supervision in das Feld der Religion. Denn Sinnstiftung und Sinnorientierung des Menschen gehören nach Ansicht der modernen Religionssoziologie zu den Funktionen von Religion3.

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Ist Supervision eine (neue) Religion?

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Die Frage, die in der Regel von denen, welche die Frage stellen, gleich als Anschuldigung behauptet wird, kennen SupervisorInnen im kirchlichen Feld allzu gut4. Doch mit der Formulierung „Macht Supervision Sinn?“ begibt sich die Supervision tatsächlich in das Feld der Religion, auch der christlichen Religion, insofern man das Christentum als Religion betrachten will5. In der weiteren Formulierung des Werbetextes forcieren Sie den Anschein, dass Supervision Funktionen von Religion übernehmen könnte:

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Sie sprechen von der Hoffnung der SupervisandInnen auf Orientierung für ihre berufliche Biografie; und dies in Auseinandersetzung mit dem Trend zur Bastel-Biografie in der Postmoderne.

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Sie benennen die Erwartung der Institutionen – in Ihrem Fall sind vermutlich vorwiegend kirchliche Institutionen gemeint – auf Stabilisierung der MitarbeiterInnen und die konstruktive Entschärfung von Konflikten.

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Sie sprechen von der „Deutungsmacht“ der Supervision, die diese im Zuge ihrer wachsenden Anerkennung gewonnen habe.

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Ja, Sie fragen sogar, ob das supervisorische Gespräch dazu beitrage, beruflichen Sinn zu finden oder gar zu produzieren.

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Und die rhetorische Gegenfrage macht die Stoßrichtung ihrer Auffassung noch deutlicher: „Oder überhebt sich die Supervision, wenn sie sich als eine Instanz versteht, die ‚Sinn macht‘?“

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1. These: Mit dem Thema „Macht Supervision Sinn?“ wird die Religionsfunktion der Supervision pointiert hervorgekehrt. Das löst im kirchlichen Feld Konkurrenz aus; eine solche Funktionalität der Supervision passt sich aber widerstandslos in die postmoderne Individualisierung und Pluralisierung von Religion/Religionen ein, in der jede/jeder nach ihrer/seiner Fasson „selig“ werden kann; nicht zuletzt auch durch Supervision.

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Supervision als Stabilisierung und Aufklärung

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Um die Tragweite aber auch die Grenze der ersten These zu verdeutlichen, muss ich – sozusagen als Zwischenschritt – eine Überlegung zur funktionalen Sicht von Religion anstellen. Denn speziell aus ihrer Perspektive heraus wird die Sinnstiftung als Funktion der Religion deutlich. Insofern argumentieren „Kirchenmenschen“, welche die Supervision wegen ihrer scheinbaren Ersatzfunktion zu traditionellen kirchlichen Handlungen in Frage stellen, in der Regel nicht aus derselben Logik heraus. Sie befürchten weniger einen Funktions- als einen Inhaltsverlust des kirchlichen Handelns durch Supervision. Sie beziehen sich also auf ein substantielles Religionsverständnis.

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Am besten kann ich das funktionale Verständnis von Religion mit einem Klassiker der Religionssoziologie, nämlich mit P. Berger6 erklären. Ihn treibt die Frage um, wie Menschen ihre Welt errichten, wie sie Sinn finden und welche Funktion die Religion dabei hat. P. Berger geht von der Grundannahme aus: Jede menschliche Gesellschaft baut ihre Welt. Und Religion spielt dabei eine besondere Rolle. Aufgrund seiner „biographischen Verfasstheit“ betritt der Mensch nicht instinktgesichert wie die anderen Lebewesen die Welt, sondern muss sich seine Welt erst errichten. Dies geschieht in einem „dialektischen Prozess“, der aus drei Schritten besteht: der Externalisierung, Objektivierung, Internalisierung. Was ist damit gemeint? Im „externalisierenden Handeln“ schafft der Mensch gemeinsam mit anderen die immaterielle und die materielle Welt: Sprache, Werte, Institutionen; Werkzeuge, Techniken u. a. m., um für feste Strukturen des menschlichen Lebens, die ihm biografisch fehlen, zu sorgen.

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Diese vom Menschen geschaffenen Produkte, deren Gesamtheit die „Kultur“ ausmacht, treten ihm in der Folge als Faktizität, als eine objektive Wirklichkeit gegenüber. Der Mensch „vergisst“ also sozusagen, dass die scheinbar objektive kulturelle Welt in Wirklichkeit von ihm selbst gemacht ist. Die vom Menschen hervorgebrachte Welt wird für ihn etwas „da draußen“. Sie besteht aus Objekten, die ihrem Erzeuger gegenüber ein Eigenwesen, eine Eigendynamik gewinnen.

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Die Menschen internalisieren die kulturelle Welt wiederum. Jede Gesellschaft ist bemüht, in Sozialisationsprozessen, die objektivierten Sinnzusammenhänge von einer Generation an die nächste weiterzugeben. Eine totale Sozialisation, in der eine Generation alles weitergibt, was und wie es für sie sinnvoll erscheint, ist nach P. Berger unmöglich. Es müssen aber wenigstens die wichtigsten Sinnzusammenhänge der Gesellschaft tradiert werden, damit sie auf Dauer Bestand hat.

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Innerhalb des Prozesses der Sozialisation, in einer Dialektik von Fremdzuschreibung und Selbstdefinition, entwickelt sich Identität. Diese Identität ist ein sehr fragiles Gebilde, das nur durch das ständige Im-Gespräch-Bleiben mit „Signifikant Anderen“ aufrechterhalten und (weiter-)entwickelt werden kann, mit Menschen also, die im Leben bedeutsam werden. Wenn das Gespräch mit Signifikant Anderen abbricht, beginnt die Welt zu wanken und verliert ihre bisherige subjektive Plausibilität. Wer sich radikal von der sozialen Welt absondert, verfällt in „Anomie“, d.h. er/sie verliert den Sinn für Wirklichkeit und Identität und erleidet einen „Weltverlust“. Gesellschaftliche Veränderungen, der Verlust Signifikant Anderer durch Tod, Scheidung oder räumliche Trennung und andere „absondernde“ Geschehnisse können einen Sinnverlust auslösen: Der „Nomos“ als ordnungs- und sinnstiftende Instanz der Gesellschaft kann nur gemeinsam mit anderen aufrechterhalten werden.

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Dieser Nomos bedarf stets der Rechtfertigung, der Legitimation. Von einer Generation zur anderen kommt immer wieder neu die Frage auf: „Warum ist das so? Warum muss das so sein?“ Es besteht ständiger Legitimationsbedarf. Um die bei der neuen Generation unweigerlich aufkommenden Fragen beantworten zu können, müssen Legitimationsformeln vorhanden sein und immer wieder erinnert werden. Besonders wichtig wird dieser Fundus an Legitimationen bei individuellen und kollektiven Krisen.

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Die älteste und wirkungsvollste Form der Legitimierung der zerbrechlichen Wirklichkeit der sozialen Welt geschieht durch die Religion. Warum kommt der Religion eine derart herausragende Bedeutung zu? „Die historisch entscheidende Rolle, welche die Religion für Legitimierungsprozesse gespielt hat, beruht auf ihrer einzigartigen Fähigkeit, menschlichen Phänomenen einen ‚Platz‘ in einem kosmischen Bezugssystem zu geben … Die von sich aus ungesicherten und vergänglichen Konstruktionen menschlichen Handelns werden so durch ‚Kosmisierung‘ mit dem Anschein letzter Sicherheit und Dauer versehen.“7

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Religion bildet also einen „heiligen Kosmos“. Er drückt sich in allem aus, was dem Menschen heilig ist, was sich also von der Routine seines Alltags abhebt, als mächtig und gefährlich in gleicher Weise erlebt wird. „Wer aus der ‚richtigen‘ Beziehung zum heiligen Kosmos herausfällt, verbannt sich an den Rand des Abgrunds, der Sinnlosigkeit.“8 Durch die Religion erhalten die gesellschaftlich errichteten Welten einen überzeitlichen Charakter und einen ontologisch gültigen Status.

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Die größte Herausforderung für die gesellschaftlich objektivierten Wirklichkeitsbestimmungen stellen Grenzsituationen und insbesondere der Tod dar. Damit ist das Problem der Theodizee aufgeworfen. Der Frage „Wo bist du Gott angesichts des Leides und des Todes?“ entkommt kein Mensch: „Der schriftunkundige Bauer, der beim Tod eines Kindes auf Gottes Willen hinweist, lässt sich ebenso auf Theodizee ein wie der gelehrte Theologe, der eine Abhandlung schreibt, um zu erklären, dass die Leiden der Unschuldigen der Vorstellung von einem allgütigen und allmächtigen Gott nicht widersprechen.“9

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Nach P. Berger enthält jede gesellschaftlich konstruierte Ordnung eine Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm zugelassenen Übels, indem sie den einzelnen und sein Schicksal transzendiert. Einzelne Menschen können sich selbst in ihrem Leiden und Sterben noch in den sinngebenden Nomos der Gesellschaft einfügen und werden fähig, „richtig“ zu leiden und zu sterben. „Theodizee in unserem Sinne, d. h. die religiöse Legitimation anomischer Phänomene, wurzelt also in entscheidenden Merkmalen der menschlichen Vergesellschaftung überhaupt.“10 Da jede Gesellschaft ein gewisses Maß an persönlicher Selbstverleugnung und Verzicht verlangt, besteht eine wichtige Funktion der Sinnwelt darin, dem einzelnen die Versagung zu erleichtern. Nach P. Berger ermöglicht der gesellschaftliche Nomos in Verbindung mit Religion eine besonders intensive Selbstverleugnung bis in die masochistische Haltung hinein. Das sado-masochistische Herr-Knechtverhältnis, das in der zwischenmenschlichen Liebesbeziehung ihren Ursprung hat, wird in die Theodizee hineinübertragen. Über Theodizee werden bestehende Leid- und Unrechtsverhältnisse erklärt und legitimiert. Die jeweiligen Sinngebungen unterscheiden sich in den unterschiedlichen Religionen.

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 Im Zusammenhang mit Bergers Gesellschafts- und Religionstheorie lautet meine zweite These:

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2. These: Supervision unterstützt – wie die Religion – die Tradierungs- und Legitimationsvorgänge, die für die Identität von Mensch und Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind, sie entzaubert sie aber auch. In Supervisionsprozessen erkennen Menschen u. a. subjektive, gesellschaftliche und kirchliche Konstruktionen und ihre Legitimationen als Menschenwerk und machen sie damit veränderbar. Supervision wirkt zugleich legitimierend-stabilisierend und emanzipatorisch.

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An welcher Macht hat supervisorisches Wissen Anteil?

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Mit der aufklärend-emanzipatorischen Funktion partizipiert Supervision am Aufklärungswissen moderner Gesellschaften, das in sich ambivalent ist:

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Auf der einen Seite befreit das moderne Aufklärungswissen von der Unmündigkeit, sich nicht ohne Abhängigkeit von anderen seines eigenen Verstandes bedienen zu können und autonom zu leben und zu handeln.

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Auf der anderen Seite zeigt sich – insbesondere in den neoliberalen Gesellschaften des Nordens der Welt – dieses Wissen als Macht, welche zur Beherrschung, ja zur Ausbeutung anderer eingesetzt wird.

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Es gibt wohl keine Epoche in der Geschichte der Menschheit, für die das geflügelte Wort „Wissen ist Macht“ mehr zutrifft als für unsere. Wir sprechen im Norden der Welt von einer Wissens- und Informationsgesellschaft, in welcher sich die Machtverhältnisse ganz neu verteilen. Mächtig ist, wer möglichst viel vom gesellschaftlich anerkannten Wissen besitzt und medial transportieren und exportieren kann. Die Universität, an der ich arbeite, überlegt im Moment, wie sie das Wissen der WissenschaftlerInnen für sich schützen und die Weitergabe an Außenstehende mit Gebühren belegen kann. Materiell wertvoll ist vor allem das naturalistische Verfügungswissen, das Menschen darauf hoffen lässt, die Welt nur aus sich heraus, also ohne Gott beherrschen zu können. Die totalitären Züge dieser Wissensmacht sind unverkennbar. Der Einsatz von Wissen und Information geschieht strategisch geplant und zeigt im Moment u. a. in der Irak-Krise in dramatischer Weise seinen widersprüchlichen Charakter zwischen Selbstaufklärung, Autonomie und totaler Abhängigkeit.

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Die Herrschaft des naturalistischen Verfügungswissens hat das Sinn- und Orientierungswissen, das die Religionen anbieten, in den Privatbereich abgedrängt. Die Religion scheint mit der gesellschaftlichen Emanzipation vom kirchlichen Sinn- und Orientierungsangebot und mit ihrer Privatisierung und Pluralisierung endgültig aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verschwunden zu sein. Damit wird den neuen Wissensmächten eine geradezu metaphysische Wirksamkeit verliehen, der die Einbettung in eine höhere Macht, als sie selbst es sind, und damit die menschliche Begrenzung abhanden gekommen sind.

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Der geschilderte weltanschaulich-religiöse Kontext macht deutlich: Unser supervisorisches Handeln in Kirche und Gesellschaft geschieht nicht im luftleeren, neutralen Raum; es geschieht im Kontext eines Kampfes zwischen dem sich immer ohnmächtiger erweisenden Gott der biblischen Botschaft, dessen Kommen die christlichen Kirchen, bei aller eigenen Schuldverstrickung, wach zu halten versuchen und den Göttern des modernen Verfügungswissens und seiner ökonomischen und medialer Nutzung und Weitergabe; Göttern also, die ihre Macht im Wissen und in der Schnelligkeit des Wissenstransfers offenbaren. Die Hoffnung auf den kommunikativen Gott der biblischen Botschaft, der den Schrei der Sklaven und Unterdrückten aller Zeiten hört, wird durch die Wissenskommunikation ersetzt, welche die Allmachtsphantasien des Menschen, wie Gott zu sein, entscheidend stimuliert. Dabei scheuen die ökonomischen Mächte nicht davor zurück, das traditionelle Feld der Religion/Religionen direkt für sich nutzbar zu machen: Der Chef des VW-Konzerns sprach kürzlich davon, dass es in Hinkunft nicht mehr darum gehe, zweckmäßige Autos zu bauen, sondern sinnstiftende. Und ein Linzer Kirchenarchitekt verkaufte einen Kirchenentwurf, den er bei der Kirche nicht los wurde, an einen Großkonzern. Fast ohne Änderung des Planes wurde die Kirche als Einkaufszentrum gebaut. Sogar die Idee des Taufbeckens blieb erhalten: Es wurde in einen Springbrunnen verwandelt.11

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In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, mit welcher Naivität – nicht zuletzt reaktionäre – Kirchenkreise auf die neoliberalen Züge der neuen Geld-, Wissens- und Informationsmächte aufspringen. Am liebsten würde man den Weltkatechismus über das Internet „verkaufen“ und tut es z. T. auch. Eine Kirche, die das Bewusstsein von der kommunikativen Beziehungsmacht ihrer Botschaft aus dem Bewusstsein verliert und sich der instrumentell-strategischen Informationsmacht moderner Wissensbestände in die Arme wirft, um gesellschaftlichen Erfolg zu erzielen, geht orthopraktisch in die Irre: Sie kann tausendmal die theologisch richtige Wahrheit des Glaubens behaupten, wenn die kommunikative Qualität der Glaubenserschließung dem kommunikativen Gott und seiner Kommunikation in der Geschichte zuwider läuft, wird der wahrste Inhalt ins Gegenteil verkehrt.12

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3. These: Supervisorische Kompetenz und supervisorisches Wissen haben Anteil am modernen Wissen und an der Information der Wissensgesellschaft; sie sind ambivalent. Zur zentralen theologischen Herausforderung wird das supervisorische Wissen im Hinblick auf die Frage, wie es eingesetzt wird und wie es wirkt: Als strategische Wissens- und Informationsmacht oder als kommunikative Beziehungsmacht.

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Das sinnlose Opfer(n)

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An keiner anderen Thematik als am Thema des Opfers und des Opferns prallen das instrumentell-emanzipatorische Wissensverständnis und sein strategischer Gebrauch und das christliche Selbstverständnis von der Kommunikation Gottes in der Geschichte als Ermöglichung wahrhaft menschlicher Kommunikation so deutlich aufeinander. Gleichzeitig gehört die Frage des Opfers zur Zentralgestalt vieler Religionen und speziell des christlichen Glaubens, auch wenn sie oft verdrängt wurde oder wird. Worum geht es konkret?

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Über Generationen wurde die Differenz zwischen dem, was nach kirchlichen oder anderen weltanschaulichen bzw. ethischen Maßstäben gelten sollte, und dem, was real lebbar war, durch eine Spiritualität des Opferns ausgeglichen. Der Ehe- und der Generationenvertrag, das Verhältnis zwischen den Partnern und das Verhältnis zwischen „Alt“ und „Jung“ waren ein beliebtes Feld, den Verzicht und die wechselseitige Abhängigkeit durch „Aufopfern“ zu regulieren: Speziell Frauen opferten sich für ihre Männer; Eltern, besonders Mütter opferten sich für ihre Kinder und erwarteten ihrerseits Dankbarkeit und Opfer der Kinder, wenn sie im Alter derer bedurften. Über dieses „Tauschgeschäft“ wölbte sich die Religion – auch das Christentum – wie ein „heiliges Zelt“ (vgl. P. Berger) und stabilisierte ein eindrucksvolles Opfersystem, das auf der einen Seite hohe Stabilität in den Rollen und Beziehungen garantierte, das aber andererseits nicht wenigen Menschen die Freiheit und das Lebensglück raubte. Jede und jeder wusste in diesem System „was sich gehört“, welche Rolle sie/er darin zu spielen hat und welches Risiko sie/er eingeht, wenn den wechselseitigen Erwartungen von einer Seite nicht entsprochen wird. Speziell Menschen in den „dienenden“ Rollen durften sich keinen Ausstieg erlauben.

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Die (post-)modernen Emanzipations- und Selbstverwirklichungsbewegungen, in denen vor allem Frauen eine wichtige Rolle spielen, und die feministisch-theologische Kritik am patriachalen Gottesbild, haben die „grandiose“ Opferspiritualität zumindest teilweise zum Einsturz gebracht. Wenn jemand – nicht zuletzt unterstützt durch Supervision – aus der erwarteten Rolle aussteigt oder diese zumindest hinterfragt, kann dahinter eine tiefe, ja prophetische Glaubenseinsicht stehen, sich und die anderen vom Gott des Lebens, der Beziehung ist, in eine neue, geschenkte Freiheit hinein verlocken zu lassen. Dies kann um den Preis geschehen, dass das konfliktarme, harmonische Leben mit einer konfliktreichen Existenz vertauscht wird, welche die neue Zukunft von Gott her antizipiert. Alle diesbezüglichen Dienste der Kirchen etwa im Ausbau von Beratungseinrichtungen dürfen als Zeichen des Wirkens des beziehungsstiftenden und befreienden Gottesgeistes anerkannt werden. Theologisches Kriterium für die Beurteilung solch geistvollen Handelns ist die Absichtslosigkeit und freie Zugänglichkeit solcher Dienste für alle Menschen, unabhängig von ihrer Kirchenzugehörigkeit und religiösen Einstellung. Der befreiende Gottesgeist, der Frauen, Männer und Kinder von einem asymmetrischen, abhängig haltenden Rollensystem in ein neues, geschwisterliches, also symmetrisches Rollenverständnis hinein ruft, kennt keine kirchliche Etikette. Er weht, wo er will.

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Wenn Beziehungsarbeit und Rollenklärung eine moderne Form der Spiritualität sein können, bedeutet das dann, dass jeder konfliktreiche Ausstieg aus traditionellen Rollen ein Werk des Hl. Geistes ist? Wie wir aus dem sogenannten Pfingstereignis wissen, sind die Phänomene des Geistes keineswegs eindeutig. Die JüngerInnen Jesu steigen vom Geist getrieben, freimütig und ohne Angst aus ihrer Rolle als Verängstigte, Unterdrückte und Verfolgte mutig aus. Sie gehen in eine neue, allerdings höchst konfliktreiche Zukunft, die ihnen schließlich Verfolgung bringt, ja das Leben kostet. Voll des Hl. Geistes zu sein und den Ausstieg aus der gesellschaftlich erwarteten Rolle zu wagen, kann als Betrunkensein interpretiert werden. Und vom Geist des Weines beseelt zu sein, darf nicht mit dem Hl. Geist verwechselt werden. So ist es auch mit der supervisorischen Arbeit: Aus welchem Geist heraus und in welcher Absicht sie geschieht, bedarf der Geistesgabe der Unterscheidung. Denn dasselbe rollenverändernde Handeln kann aus dem Geist der Liebe, der Freiheit, der tiefen Solidarität motiviert sein und zum Mut führen, einem anderen Menschen um einer größeren Lebensmöglichkeit willen im Moment sogar weh zu tun, aus einem System auszubrechen oder es zu bekämpfen; es kann aber auch aus dem Ungeist der Ich-Zentrierung, einer unbezogenen Selbstverwirklichung, einer menschlichen Enge und Solidaritätslosigkeit motiviert sein.

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Wie sehr es der Unterscheidung bedarf, zeigt sich an der (post-)modernen Überheblichkeit mancher Emanzipationsbewegungen gegenüber einfach glaubenden Menschen, die alltäglich, ohne viel Aufhebens treu zu sich und den anderen leben; sie zeigt sich mitunter auch in einer Überheblichkeit gegenüber den Kirchen, die dem „anything goes“ eine Alternative aus Verantwortung gegenüberstellen wollen.

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Der Angelpunkt der Überheblichkeit ist nicht selten der Opfergedanke. Sie besteht nicht selten im Bewusstsein, endlich alle Opfer befreit zu habe. Doch ist durch die Emanzipation, durch Therapie, Supervision und Organisationsentwicklung das Opfern endgültig aufgeklärt und beseitigt? Vielleicht erzeugt das „ganz normale Chaos der Liebe“ (U. Beck) und seine Bearbeitung auch neue Opfer? Opfer, die nicht selten in einem engen Zusammenhang mit der Befreiung von Menschen aus Opfersystemen und Opferrollen stehen:

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Kinder, die unter der Trennung ihrer Eltern leiden, weil ein Elternteil oder beide aus der bisherigen Rolle ausgestiegen sind;

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alte Menschen, die vereinsamen, weil die Karriere ihrer Kinder keine Zeit für sie übrig lässt;

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Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher, die mit einem oder mehreren Kindern nach einer sich selbst verwirklichenden Trennung eines Partners zurückbleiben;

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Priester, die die Gott und die Welt nicht mehr verstehen, weil sich alle aus dem kirchlichen Herrschaftssystem emanzipiert haben und niemand mehr ihr Rollenverständnis teilt, dem sie ihr Leben „geopfert“ haben.

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Es sollen keinesfalls die „neuen“ Opfer mit den alten aufgerechnet oder in ihrer Dramatik verglichen werden. Es geht einzig darum, vor der Illusion endgültig „befreiter“, nachreligiöser oder nachkirchlicher Menschen zu warnen und dabei die Verschleierung (post-)moderner Opfer zu übersehen.

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4. These: Supervision kann – speziell im kirchlichen Kontext – als „Befreiungsarbeit“ aus dem Opferkreislauf gesehen werden. Gleichzeitig produziert die Emanzipation aus den tradierten Rollen auch neue Opfer, die nicht selten übersehen oder verschleiert werden.

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Dem Opfer(n) Gestalt geben

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Gegenüber der Tabuisierung und Verschleierung traditioneller oder moderner Opfer hat die Kirche dem Opfer immer schon eine Gestalt gegeben, ja in gefährlicher Offenheit davon gesprochen. Auch die kirchliche Rede vom Opfer(n) war und ist ambivalent. J. Niewiadomski beschreibt in unserem gemeinsamen Eucharistiebuch das Opfersystem im Hinblick auf das traditionelle Verständnis des Messopfers treffend: „Der am Kreuz sich selbst auf blutige Weise darbringende Christus, der in unzähligen Messen auf unblutige Weise Gott dargebracht wird, konnte so – gerade in der ganzen Doppeldeutigkeit des Geschehens – zum Angelpunkt eines intensiven Kommunikationsverfahrens zwischen den Menschen werden. Zwischen den Lebenden untereinander (die einander opferten und sich auch füreinander opferten), zwischen den Lebenden und den Toten und natürlich zwischen den sündigen Menschen und dem zornigen, aber eben durch Sühnopfer der Menschen zur grenzenlosen Vergebung bereiten Gott.“13

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Wir haben gesehen: Auch die moderne, neoliberale, von Markt und Medien beherrschte Gesellschaft kennt ihre Opfer und „Sündenböcke“, denen der Ausschluss oder die Sonderbehandlung in besonders für sie geschaffenen sozialen oder therapeutischen Einrichtungen droht. Menschen werden in unserer Kultur in der Regel dann zu Opfern, wenn sie anders sind als die „normalen“ anderen. Das kann sich auf ihre Sprache, ihre Lebensweise, ihre Kleidung, ihre sozialen Verhältnisse und vieles andere beziehen.

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Es gibt auch regelrecht „vergessene“ Opfer in unserer Gesellschaft; damit sind jene benannt, die aus dem modernen Wirtschafts- und Kommunikationssystem herausfallen, weil sie nicht mitkönnen, weil sie keine Arbeit haben, weil sie krank oder behindert sind oder weil sie schlechterdings den Anschluss verpasst haben. Ganz zu schweigen von der modernen Opferbilanz aus der Perspektive der wirtschaftlich und technologisch benachteiligten Länder, also aus der Sicht des Südens.

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5. These: Supervision ist von der traditionellen und modernen Opferdynamik, die zum Ausschluss Dritter führt, besonders herausgefordert. Die Befähigung zu „gelingender“ Kommunikation und Sinnstiftung in Systemen geschieht nicht selten auf Kosten ausgeschlossener Dritter.14

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Vom Opfer(n) zur Wandlung

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Wie sich das moderne Verfügungswissen und die privatisierte Religion die Hand reichen, um eine in sich sinnstiftende, kommunikative Welt auf Kosten Dritter zu errichten, erleben wir in diesen Tagen dramatisch. Wer durchbricht den Schleier der instrumentell-strategischen Vernunft, der sich über die alten und neuen Opfer, über die alten und neuen Dritten und Ausgeschlossenen legt? Ich frage nach dem „Mehrwert“ des theologischen Bildes von der Vergegenwärtigung der Hingabe Christi in der Eucharistie?

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Zunächst durchbricht das Bild von der Hingabe Jesu Christi das große „Tauschgeschäft“ mit Gott oder mit dem, woran moderne Menschen ihr Herz hängen; das Opfern muss weder durch therapeutische noch durch religiöse Rituale endlos wiederholt werden. Die Hingabe Jesu Christi, dem die Opferrolle von Menschen aufgedrängt und der von Gott aus dem Tod gerettet wurde, ohne nun die Täter zu Opfern zu machen, durchbricht die alten Opferstrukturen und zerreißt den Schleier, der über die modernen Opfer gelegt wird: Den Stein, den die Bauleute verworfen haben, hat der kommunikative Gott des Lebens zum Eckstein gemacht.

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In diesem Geschehen zeigt sich die „Wandlung“ von Systemen und Menschen als Geschenk des „großen“ Gottes an die Freiheit des Menschen selbst durch größte Kränkung des Menschen (vgl. P. Berger), also durch den Tod hindurch. Der österliche Blick des christlichen Glaubens unterscheidet sich grundlegend vom „heiligen Kosmos“ der Religion, der das ungerechte Leiden angesichts eines gerechten Gottes erträglich machen soll. Am Kreuz hängt – nach christlicher Auffassung – in Jesus Christus Gott selber, seine Macht ist die Ohnmacht des Kreuzes, der solidarische Aufschrei mit allen Gekreuzigten.

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„Kleine“ Götter wie Harmonie, „gelingende Kommunikation“ auf Kosten Dritter, das Tauschgeschäft des Opferns usw. wandeln nicht wirklich; sie nehmen den Menschen in Beschlag und geben ihm nur einen kleinen Spielraum innerhalb der vorgegebenen Interessen und Zwänge. Wer sich wandeln lässt, bleibt nicht beim „Aufopfern“ aller Schwierigkeiten und Krisen stehen; sie/er begnügt sich auch nicht mehr mit einer „dünnen“ Solidarität im Sinne von: „Wir machen einander durch unsere Hingabe ‚fertig‘“, oder: „Wir sitzen alle im selben Boot und müssen uns daher gegen andere zusammenschließen.“ Die Metapher von der Hingabe Jesu an die Menschen und das Geschenk der Wandlung zum neuen Leben von Gott her, erschließen ein „Für-Sein“, das sich als konsequentes „Mit-Sein“ zeigt; es ist kein hohler Aktivismus für den Anderen, sondern eine tiefe Erfahrung der Hingabe, die zur beziehungsreichen Selbstverwirklichung wird. Solches Handeln ist im Tun und Lassen, in Actio und Contemplatio, in Macht und Ohnmacht geerdet. Der zwischenmenschliche und gesellschaftliche Einsatz für andere ist spirituell in der Botschaft des Glaubens, in einer Praxis des Gebetes und der Meditation, im Feiern der Gemeinde verwurzelt. Es geht um eine in der Gottes- und Menschenliebe geradezu mystisch verwurzelte, „dichte“ Solidarität, in der die anderen nicht nur als des Einsatzes Bedürftige, sondern als von Gott geschenkte „Andere“ in ihrer Andersheit und bleibenden Fremdheit, in ihrer eigenen Freiheit und Verantwortlichkeit erkannt werden.

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6. These: Bei allem supervisorischen Bemühen, Menschen in ihrer „Beziehungsarbeit“ und im Durchblick durch systemische Gegebenheiten in neue Handlungsspielräume hinein zu begleiten und sie Sinn in ihrem beruflichen und privaten Engagement finden zu lassen, muss der Blick auf eine mögliche Wandlung, die nicht nur aus eigener Kraft geschieht, und auf eine Lebensdimension hin offen bleiben, welche die Hoffnung auf eine „geschenkte Zukunft“ aufschließt.

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Das „Ja und Amen“ zur eigenen Berufs-/Berufungs- und Lebensgeschichte

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Angesichts des Fragmentarischen und Unversöhnten, das es im Leben eines jedes Menschen gibt, sind (post)modern zwei unterschiedliche Verhaltensweisen erkennbar: Die einen stürzen sich – oft unter Zuhilfenahme supervisorischer und therapeutischer Verfahren – in die Aufarbeitung dessen, was sie nicht auf sich beruhen lassen können oder wollen; andere versuchen die eigene Geschichte zu vergessen und zu verdrängen. Manchmal sind auch beide Möglichkeiten miteinander gekoppelt: Menschen benützen supervisorische und therapeutische Vorgänge, um nichts verändern zu müssen und alles vergessen zu können. Bei aller Sinnhaftigkeit supervisorischer und therapeutischer Arbeit an der eigenen Berufs- und Lebensgeschichte, an den Verletzungen und Verwundungen bleibt die entscheidende Frage: Muss oder kann ich mich selbst wandeln, mich in meinen vielfältigen Rollen erlösen?

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Wer sich die unterschiedlichen Rollen bewusst und ihre/seine Verstrickung in Systemen und Organisationen bewusst macht und seine Geschichte vergegenwärtigt, geht immer ein Risiko ein: Kann ich mich verständlich machen? Werde ich so anerkannt, wie ich bin? Selbstpreisgabe und vorausgehendes Vertrauen müssen im Lot sein. Jeder Mensch ringt nach Zustimmung: So bin ich, bitte gestatte mir, der oder die zu sein, der oder die ich bin. Menschen sind in der Regel sehr sensibel dafür, ob die Zustimmung zu allen ihren Rollen echt ist oder nur formal; ob sie nur in bestimmten Rollen akzeptiert oder so angenommen werden, wie sie sind. Oft signalisiert ein ehrfurchtsvolles Schweigen angesichts einer biographischen Erzählung mehr Zustimmung und Anerkennung – auch des Scheiterns – als viele oder gar übertriebene Worte.

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Vergegenwärtigen der eigenen Geschichte sucht also nach unbedingter Anerkennung und Erlösung. Jeder Mensch hofft auf einen, der sein ganzes Leben in der Buntheit und Widersprüchlichkeit der unterschiedlichen Rollen – und nicht nur Teile davon – anerkennt und bejaht „einschließlich seiner Irrungen und Wirrungen, seiner Verletztheiten und seiner Schuld.“15 In den meisten Situationen des Lebens müssen sich Menschen zurückhalten. Sie dürfen klugerweise nicht alles ausdrücken, was sie in ihrem bisherigen Leben gespielt haben und was an Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen in ihnen steckt. Doch die meisten Menschen haben eine tiefe Sehnsucht nach Wandlung. Sie wird erhofft, wenn einmal alles Geglückte und Misslungene vorbehaltlos und ohne moralischen Zeigefinger zum Ausdruck kommen darf; wenn die Buntheit und Widersprüchlichkeit der Lebensrollen anerkannt wird – im Angesicht von jemandem, bei dem es immer schon gut aufgehoben ist. „Gesucht ist: mein Leben – eine Gravur in Gottes Hand (Jes 49,16).“16 Auf diesem Hintergrund formuliere ich folgende Schlussthese:

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7. These: Supervision macht Sinn, wenn sie keinen Sinn macht, sondern Menschen daraufhin begleitet, die Sinndimension ihres Lebens auf einen größeren Horizont hin offen zu halten. Die supervisorische „Macht“ wandelt sich dabei von einer strategischen Interpretationsmacht, die darauf abzielt, Sinn zu konstruieren, zu einer kommunikativen „Ohnmacht-Macht“, die sich der Geschenkhaftigkeit (Gnadenhaftigkeit) des Lebenssinns bewusst bleibt.

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Anmerkungen:

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1 Die 7. Fachtagung Supervision im pastoralen Feld fand vom 10.-13. März 2003 in der Akademie Franz Hitze haus in Münster unter zahlreicher Beteiligung von SupervisorInnen aus dem deutschen Sprachraum statt.

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2 Im modernen Kontext meinen wir damit in der Regel, dass Supervision zielgerichtet ist und dass in „Verträgen“ klare Ziele vereinbart werden.

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3 Vgl. u. a. bereits Kaufmann, Franz Xaver, Religion und Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven, Tübingen 1989.

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4 Belardi geht in seiner Einführung zur Supervision so weit, dass er den Sokratischen Dialog, die Aufgabe des Regens als „geistlichen Leiter“ in den katholischen Priesterseminaren und Klosterschulen sowie die Institution der Beichte „als Vorläuferform“ der Supervision bezeichnet (Belardi, Supervision. Eine Einführung, 35f).

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5 Auf den Diskurs, ob und inwiefern das Christentum eine/keine Religion ist, kann und will ich hier nicht weiter eingehen.

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6 Vgl. Berger, Peter, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, amerikanische Originalausgabe: New York 1967, deutsch: Frankfurt a. M. 21988. Genauere Ausführungen finden sich in: Scharer, Matthias, Begegnungen Raum geben. Kommunikatives Lernen in Gemeinde, Schule und Erwachsenenbildung, Mainz 1995, 90 – 95.

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7 Berger, Dialektik, 35.

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8 Berger, Dialektik, 27.

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9 Berger, Dialektik, 52.

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10 Berger, Dialektik, 54.

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11 Vgl. dazu u. a. Scharer, Matthias, Kommunikation managen - Communio praktizieren. Leiten und kommunizieren in Schule und Gemeinde als theologische Herausforderung, in: RPB 39 (1997), 43-63 und in: CPB 110 (1997), 130-140; ds. , Wie wird Kirchliche Bildung marktgerecht oder: Welche Bildung macht den Markt gerecht? Communiotheologische Überlegungen zum kirchlichen Bildungsgeschehen, in: Hilberath, Bernd Jochen (Hg.), Communio – Ideal oder Zerrbild von Kommunikation (Quaestiones Disputatae 176), Freiburg u.a.O. 1999, 235 – 242.

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12 Vgl. Scharer, Matthias / Hilberath, Bernd Jochen, Kommunikative Theologie. Eine Grundlegung, Mainz 2002.

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13 Scharer, Matthias / Niewiadomski, Józef, Faszinierendes Geheimnis. Neue Zugänge zur Eucharistie in Familie, Schule und Gemeinde, Innsbruck-Mainz 1999.

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14 Vgl. Wolfgang Palaver, Kommunikationswelt Weltgesellschaft, erscheint in: Hilberath, Bernd Jochen / Kraml, Martina / Scharer, Matthias, Wahrheit in Beziehung. Der dreieine Gott als Quelle und Orientierung menschlicher Kommunikation, Mainz (vorauss.) 2003 (= Band 4 der Reihe Kommunikative Theologie).

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15 Siller, Hermann P., Die Fähigkeit eine Biographie zu haben, in: Diakonia 26 (1995), 16.

83
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16 Siller, Biographie, 16

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