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Reform oder Revolution? Österreich im Umbruchsjahr 1968 – Universität Innsbruck
Gruppenfoto bei der Ringvorlesung.
Die Personen von links nach rechts: Hubert Steiner, Ingrid Böhler, Vortragender Paulus Ebner, Eva Pfanzelter.

Reform oder Revo­lution? Öster­reich im Um­bruchs­jahr 1968

Der Historiker Paulus Ebner von der Technischen Universität Wien gab in seinem Vortrag im zweiten Teil der Ringvorlesung „100 Jahre Republik Österreich“ einen Einblick in das Jahr 1968 in Österreich. Mit einem Querschnitt über Politik, Kultur und Medien stellte er die Chiffre „1968“ und damit ein weiteres zentrales Jahr im Gedenk- und Jubiläumsjahr 2018 vor.

Ebner behandelte das Umbruchsjahr 1968. In einer thematisch breit angelegten Darstellung skizzierte er dieses sehr differenziert und verschaffte dem Publikum dabei einen Überblick über den historischen Kontext und seiner Vorgeschichte, den Ereignissen sowie den Folgen des Jahres in Österreich. Zu Beginn hielt Ebner fest, dass er sich nach fast 20 Jahren erst 2018 wieder vermehrt mit dem Thema bzw. dem Jahr 1968 beschäftigt habe, womit er die Bedeutung und Wirkung des aktuellen Erinnerungsjahres verdeutlichte. Allgemein zeigte Ebner die Unterschiede in der Erinnerung und der Wahrnehmung des Jahres in Vergangenheit und Gegenwart auf. Den Ausgangspunkt dafür bildete ein Zitat aus dem Roman „Der Mai ist vorbei“ (1978) von Peter Henisch (geb. 1943). Ebner sprach die Absicht aus, die darin zum Vorschein kommende Desillusion eines 68ers zu widerlegen und eine realistische Sicht auf dieses Jahr zu geben. Er richtete seinen Blick auf das innen- und außenpolitische Setting, auf die Hochschulen selbst sowie auf Kultur und Gesellschaft Österreichs im Jahr 1968. Mit einem Quellenmaterial basierend auf einer Vielzahl von Zeitungen und Presseartikeln verortete er es in seinem breiteren historischen Kontext und veranschaulichte damit die Spannungen und Konfliktlinien dieses Jahres.

Die politische Revolution bleibt aus

Die Politik in Österreich war laut Ebner im Jahr 1968 nicht von Revolution oder größeren Unruhen geprägt. Seit 1966 gab es eine ÖVP-Alleinregierung und im Jahr 1968 selbst standen nur zwei größere Wahlen in Graz und im Burgenland an. Aufgrund von Skandalen war die ÖVP in einer schwierigen Position, zumal die SPÖ unter Bruno Kreisky zunehmend in der bürgerlichen Presse punkten und WählerInnen der Mitte und des rechten Spektrums ansprechen konnte. Die FPÖ war kaum präsent und machte sich lediglich durch eine vom Allgemeinen Bauernverband organisierte Traktor-Demonstration bemerkbar. Auf den Hochschulen kam der Ring Freiheitlicher Studenten regelmäßig auf 30 % in ganz Österreich, womit die Universitäten eine Hauptbasis bildeten. Die KPÖ war nach Niederschlagung des Prager Frühlings intern gespalten und konnte die eigene Richtungsentscheidung erst Anfang 1969 fällen. Somit beschrieb Ebner es als wenig überraschend, dass die zweitgrößte Demonstration des Jahres 1968 eine „Pensionisten-Demo“ war. Wie der Referent ausführte, drückt dies den Unterschied zwischen der zeitgenössischen und der heutigen Wahrnehmung des Jahres aus. Im Gegensatz zur Bewertung des Jahres in der Gegenwart sei es in Österreich kaum als großes politisches Revolutionsjahr verstanden worden. In Bezug auf die außenpolitischen Entwicklungen waren vor allem die Attentate auf Martin Luther King, Rudi Dutschke (beide April) sowie Robert F. Kennedy (Juni) innerhalb kurzer Zeit bedeutsame Ereignisse.

Streiflichter aus dem Hochschulwesen

Die Entwicklungen des Jahres 1968 an den österreichischen Hochschulen veranschaulichte Ebner mit einer Vielzahl von Pressematerial. Die Österreichische Hochschülerschaft lieferte mit „Reform oder Revolution“ als Titel einer Zeitschriftenausgabe ein prägendes Schlagwort. Die ÖH stellte auf mehreren Seiten ihr Programm für eine umfassende Universitätsreform vor, wovon sehr viele Punkte in den 1970er Jahren umgesetzt wurden. Neben vereinzelten publizistischen Tätigkeiten umfasste der Aktionismus der mehrheitlich passiv gebliebenen Studierenden unter anderem auch Wand- und Bodenschmierereien. Doch es gab auch Aktionen an den Hochschulen, welche nicht direkt etwas mit den Universitäten zu tun hatten. Am 1. Mai störten Mitglieder des VSStÖ ein Blasmusikkonzert der sozialistischen Partei am Rathausplatz, woraufhin einige aus dem Verband ausgeschlossen wurden und den Sozialistischen Österreichischen Studentenbund (SÖS) neu gründeten. Im Sinne einer Etablierung einer Gegenkultur auf Uni-Boden sei dieser für die Aktion „Kunst und Revolution“ verantwortlich gewesen. Diese Veranstaltung wird in der Gegenwart am meisten mit dem Jahr 1968 in Österreich in Verbindung gebracht. Sie stellt ein besonders umstrittenes Ereignis dar, nicht zuletzt weil die Aktion von der Boulevard-Presse mit Schlagzeilen wie „Sex-Studenten zum Psychiater“ und „Uni-Orgie“ laut Vortragendem wenig differenziert dargestellt wurde.

Kultur zwischen Heintje und sozialem Aufbruch

Zusätzlich gab Ebner einen Einblick in das kulturelle Leben des Jahres. Zum einen nannte er wesentliche Entwicklungen und beschrieb Krisen und Konflikte bei Zeitschriften und deren Akteuren aus der intellektuellen Welt, wie etwa das „FORVM“ unter Günther Nenning (1921–2006) oder die stärker katholisch geprägte „Furche“ und Anton Pelinka (geb. 1941). „Der Spiegel“, die meistverkaufte und einzige politische Wochenzeitung in Österreich, wurde wegen einer Filmkritik drei Monate lang in Österreich verboten. Zum anderen ging Ebner auf die Populärkultur ein. Da Louis Armstrong und Heintje die Hitparaden in Österreich im Jahr 1968 dominierten, entsprach die Musik kaum dem gängigen Bild einer Gegenkultur. In den Medien sei keine andere Frau so präsent gewesen wie die Schauspielerin Diana Rigg als Emma Peel in „Mit Schirm, Charme und Melone“. Nur allmählich sei beispielsweise mit der Band „Novak’s Kapelle“ eine Subkultur und Underground-Szene entstanden. Die legendären Club-2-Gesprächsrunden zwischen Daniel Cohn-Bendit, Günther Nenning, Rudi Dutschke und Matthias Walden verdeutlichen schließlich die unterschiedlichen Zugänge und Bewertungen des Jahres und die Frage, was am Ende dabei herausgekommen ist.

Hinweis: „Die zahme Revolution. ‘68 und was davon blieb“ (Wien 1998) von Paulus Ebner und Karl Vocelka gilt als Standardwerk in der Historiografie über das Jahr 1968 in Österreich.

(Benedikt Kapferer)

Der Vortrag zum Nachsehen:

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