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Springen ohne Netz: Wendepunkte in Friedensprozessen – Universität Innsbruck
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Springen ohne Netz: Wendepunkte in Friedensprozessen

Adham Hamed beschäftigt sich in seiner Dissertation mit der Frage nach strukturellen und relationalen Rahmenbedingungen für Wendepunkte in Friedensprozessen: Einblicke aus seiner Forschung in Kolumbien, Äthiopien und Israel-Palästina.

Gewaltspiralen in bewaffneten Konflikten ziehen sich meist über Jahre, oftmals Jahrzehnte oder gar Generationen. Manchmal aber kommt es zu Wendepunkten, Momenten, in denen politische Entwicklungen und persönliche Erfahrungen mit Frieden und Konflikt einen neuen Lauf nehmen. Dies wird im folgenden Ausschnitt aus einem narrativen Interview mit der ehemalige kolumbianischen „Movimiento 19 de Abril (M-19)“-Guerilla-Kämpferin Vera Grabe Loewenherz, eine der meistgesuchten Personen im Kolumbien der 1980er-Jahre, sichtbar. Grabe beschreibt darin zwei entscheidende Momente im Friedensprozess zwischen M-19 und der Regierung. Dieser gipfelte 1991 in der Verabschiedung einer neuen Verfassung und der Gründung der „Alianza Democrática M-19“, einer eigenen politischen Partei als Basis für die Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration der Guerilla-Gruppe in den kolumbianischen Staat.

Momente der Sättigung

Blicken wir zunächst zurück auf das Jahr 1985. Die links-nationalistische kolumbianische M-19-Bewegung war damals seit über einem Jahrzehnt in Kolumbien aktiv. Inspiriert von politischen Bewegungen in anderen lateinamerikanischen Staaten wie Kuba, El Salvador und Nicaragua, zählte die M-19 neben den „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ (FARC) und der „Ejército de Liberación Nacional“ (ELN) zu den bedeutsamsten Guerillagruppen Kolumbiens. Die Beziehungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der M-19 befanden sich, nach gescheiterten Friedensverhandlungen, in einer veritablen Krise. Die Regierung hatte im Zuge der Gespräche von der M-19 gefordert, ihre Waffen abzugeben, was von der Guerilla-Gruppe als politisch inakzeptabel wahrgenommen worden war. Korruption war hoch und autoritäre Strukturen waren allgegenwärtig. Auf diese Missstände aufmerksam zu machen und dabei politischen Druck zu erzeugen, war die zentrale politische Absicht, als eine M-19-Einheit am 6. November 1985 den Justizpalast in der Hauptstadt Bogotá besetzte und dreihundert Personen als Geiseln nahm. Die Aktion forderte insgesamt über hundert Todesopfer auf allen Seiten. Vera Grabe Löwenherz beschreibt die Bedeutung der Ereignisse rund um diesen Novembertag folgendermaßen:

Nach der Aktion haben die Leute gesagt […]: „Wir sind mit euch, aber mit dem bewaffneten Kampf geht das nicht mehr […]. [Wir hatten] im Gegensatz zu den anderen Guerilla-Gruppen […] die Kapazität […], das zu hören […] und dann zu sagen: „Hier muss es einen anderen Ausweg geben. Es geht nicht weiter mit dem Krieg.“

Grabe erzählt hier von einem Moment der Sättigung mit Gewalterfahrungen – ein Muster, das sich in meinen Interviews mit Menschen in Friedensprozessen immer wieder finden lässt. Diese Sättigung unterteile ich in Anlehnung an Ruth Cohns Ansatz der Themenzentrierten Interaktion in vier Kategorien: Erstens persönliche Sättigung, in diesem Fall der Kämpferin Vera Grabe, die in anderen Interviewausschnitten auch vom Gefühl der Isoliertheit spricht. Zweitens die Sättigung einer Gruppe, die der Gewalt müde wird. Konkret sprechen die InterviewpartnerInnen vom großen Verlust ihrer „compañeros“, der zu Resignation innerhalb von M-19 geführt hat. Drittens die Sättigung des gesellschaftlichen Umfelds mit Gewalterfahrungen, die sich etwa an den von Grabe erwähnten Reaktionen innerhalb der Bevölkerung festmachen lässt. Hinzu kommt viertens die Sättigung des gemeinsamen Themas „Kampf für die Revolution“, das M-19 bereits einige Jahre zuvor ideologisch durch den „Kampf für die Demokratie“ ersetzt hatte. Durch gutes Zuhören, eine für erfolgreiche Friedensprozesse zentrale Qualität, war es M-19 möglich, diese Situation zu erkennen und neue Handlungsoptionen für die weitere politische Ausrichtung zu benennen.

Aus der Einsicht, dass ein Moment der Sättigung erreicht war, folgte ein weiterer Anlauf im Friedensprozess, der in einem Moment gipfelte, den Grabe als riskant und ungewiss beschreibt. Sie erinnert sich an die Worte des damaligen M-19-Kommandanten Claudio Pizarro, der ihr und den anderen KämpferInnen vor Abschluss der Verhandlungen gesagt hatte: „Ja, wir machen den Prozess und [...] wir springen ohne Netz.“ Diese Entscheidung beschreibt Grabe als intuitiv richtig und fügt hinzu: „Man muss sich trauen und mutig sein. Ich glaube, der Frieden braucht manchmal mehr Mut als der Krieg; im Krieg bist du ja – der ist schrecklich der Krieg, aber da bist du irgendwie abgesichert. Im Frieden, da [fragst] […] du auf einmal: Was habe ich jetzt? Bin ich nur ich?“. Eine zentrale Kategorie in diesem kurzen Ausschnitt ist neben Risiko und Ungewissheit auch Identität. Wenn Wendepunkte in Friedensprozessen erreicht sind, stellt sich in der Regel für alle Konfliktparteien die Frage: „Wer bin ich?“. Für ehemalige KämpferInnen trifft dies meist besonders deutlich zu, wenn sie vor die Wahl gestellt werden, ihre Waffen niederzulegen. Ob es ihnen gelingt, nach Jahren des Kampfes wieder eine zivile Identität anzunehmen, ist oftmals völlig ungewiss. Im Fall der hier zitierten Vera Grabe funktionierte die Reintegration in die Gesellschaft – anders als für Claudio Pizarro, der wenig später ermordet wurde. Als hochrangige politische M-19-Repräsentantin fasste Grabe rasch als Abgeordnete im kolumbianischen Parlament und später als Friedensaktivistin Fuß. Ihre Geschichte ist ein Paradebeispiel für gelungene Reintegration einer ehemaligen Kämpferin und geglückte Konflikttransformationsarbeit: Sie profitierte direkt von der Entscheidung der M-19-Führung, der sie angehörte, im Friedensprozess das volle Risiko eines Demobilisierungsprozesses einzugehen und gewissermaßen einen Sprung ins Leere, ohne Gewissheit über die eigene politische Zukunft, zu wagen.

Der britische Friedensforscher Christopher Mitchell betont in diesem Zusammenhang im Interview über seine eigenen Erfahrungen in Friedensprozessen, es sei entscheidend, Menschen einen ehrenhaften Ausweg zu bieten. In Bezug auf den viel rezenteren Friedensprozess zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC, der 2016 in Havanna zu einem Abschluss kam und in der Demobilisierung und Reintegration der bis dahin größten noch aktiven Guerilla-Gruppe Lateinamerikas gipfelte, meint Mitchell im Vergleich zur Regierungsposition unter dem Vorgänger von Präsident Juan Manuel Santos: „What Alvero Uribe was offering them [the FARC] was surrender. Surrender and we will make these plans for you in terms of reinsertion and things like that. What Santos did was that he gave them a very honorable way out and said, we are going to negotiate with you things that are important for you.“ Santos verstand es also, seinem Gegenüber zuzuhören und in wesentlichen Bereichen entgegenzukommen. Nicht zuletzt hatten sich hierfür aber auch die militärischen Rahmenbedingungen geändert. Während die FARC Ende der 1990er-Jahre weite Teile Kolumbiens als parastaatlicher Akteur kontrollierten, wurden sie in den darauffolgenden Jahren militärisch massiv geschwächt.

In meinem Dissertationsprojekt „Turning Points in Peace Processes“ befasse ich mich mit Situationen der Übergänge, wie den oben beschriebenen: Bewegungen weg von etwas Altem und Bekannten, hin zu etwas Neuem, von dem man noch nicht weiß, wie es sein wird und ob man es subjektiv als besser oder schlechter wahrnehmen wird. Im Zentrum meines Interesses stehen neben dem kolumbianischen Friedensprozess auch Wendepunkte in den Kontexten des Friedensprozesses zwischen Äthiopien und Eritrea und des Nahostkonfliktes. Forschungsleitend ist dabei die Frage, unter welchen strukturellen und relationalen Rahmenbedingungen Wendepunkte in Friedensprozessen von den Beteiligten subjektiv wahrgenommen und welche Erkenntnisse daraus für die Friedens- und Konflikttheorie gewonnen werden können. In der Debatte um Friedensprozesse schließe ich besonders an die Arbeiten von John Paul Lederach an.

Lokale Friedensperspektiven

Mit Hilfe von narrativen Interviews konzentriert sich meine Arbeit dabei auf die Ebene von Middle-Range Leadership. Diese umfasst AkademikerInnen, JournalistInnen und lokale PolitikerInnen, aber auch FriedensaktivistInnen und ehemalige KämpferInnen und ist für die Friedens- und Konfliktforschung von entscheidendem Interesse, weil Middle-Range Leaders in der Regel gleichermaßen Zugang zu den Top Leaders, wie auch zur Ebene der Grassroots Actors haben. John Paul Lederach spricht in diesem Zusammenhang von einem „Middle-Out Approach“ zur Konflikttransformation und knüpft dabei an die Debatte um die Multi-Track Diplomacy an, ein Mehr-Ebenen-Ansatz, der unter anderen auch auf die Arbeiten von Christopher Mitchell zurückgeht. Mitchell beschreibt in diesem Zusammenhang die große Relevanz einer Berücksichtigung von lokalen Ansätzen der Konflikttransformation am Beispiel seiner Erfahrungen am Horn von Afrika:

They have managed to merry […] track one processes between the various political leaders […] and the local clans […] to bring an end to the fighting of the clans in Somaliland. And they did this quite literally by some of the local elders getting together and just walking around the country, sort of saying, “look you have forgotten all of these old tried indigenous ways of dealing with this” and “have you thought about compensation payments?” and “let us sit under a tree and let us talk about the possibilities of peace”.

Meine eigene Forschung am Horn von Afrika konzentriert sich auf den ost-äthiopischen Kontext, wo nach der Wahl von Abiy Ahmed zum Premierminister derzeit große politische Umbrüche nach innen wie außen stattfinden. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf lokalen Zugängen zur Konflikttransformation. Die von Mitchell genannte ethno-politische Gruppe der Somalis findet sich auch dort wieder und die Zugänge zur Konflikttransformation der benachbarten Gruppe der Oromos folgen, trotz einer historisch konflikthaften Geschichte der beiden Gruppen, teils ähnlichen Mustern. Während auf internationaler Ebene Bemühungen um die Transformation von externen Konfliktdynamiken mit Eritrea zum unerwartet schnellen Abschluss eines Friedensvertrages geführt haben und auch ernste Versuche unternommen werden, den Konflikt über die Nutzung von Wasser mit den nördlichen Nilanrainerstaaten zu transformieren, verdichten sich innere Spannungen. Die ehemaligen Eliten, die zu einem Großteil der ethnopolitischen Gruppe der Tigray angehören, sind gewissermaßen aus der Hauptstadt verbannt und haben sich in ihre Stammesgebiete im Norden des Landes zurückgezogen. Tiefer Hass zwischen den Gruppen ist kaum zu übersehen, Ethnonationalismen sind auf dem Vormarsch und diese stellen den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf eine beachtliche Probe. Hiervon zeugen etwa die anhaltenden Spannungen an den Universitäten, wo einzelne Gruppen nicht mehr, wie in den Curricula vorgegeben, auf Englisch, sondern in ihrer jeweils eigenen regionalen Sprache unterrichtet werden wollen. Mehr noch, einzelne Dörfer werden angezündet und bei Zusammenstößen zwischen den ethno-politischen Gruppen werden regelmäßig Menschen getötet. Der innenpolitische Weg Äthiopiens ist also völlig ergebnisoffen. Vor diesem Hintergrund scheint die Regierung in Addis Abeba erkannt zu haben, dass zentralistische Versuche, Konflikte zu lösen, in der stark von Stammesstrukturen geprägten Region in der Regel eher gewaltvolle Reaktionen hervorrufen. Sie bemüht sich daher nun proaktiv um die Einbindung von Stammesältesten in ihren Versuchen solchen polarisierenden Entwicklungen entgegenzuwirken.

Die äthiopischen Umbrüche sind daher hinsichtlich des Forschungsinteresses für Wendepunkte in Friedensprozessen ein besonders relevantes Beispiel. Mein Fokus liegt hier exemplarisch auf den Zugängen zur Konflikttransformation, wie sie im Gadaa-System der Oromos vertreten werden. Stammesältesten kommt dabei eine besondere Rolle zu. Diese versuchen im Kontext wachsender Spannungen auf lokaler Ebene Ausgleich zu finden. Im Interview erzählt der äthiopische Forscher für Gadaa Studies Emana Gebiagorges, dass Gefängnisstrafen nicht ausreichen, um gesellschaftlichen Frieden wiederherzustellen. Er betont, dass Aba Gadaas genannte Stammesälteste stattdessen die wichtige Aufgabe haben, den „Gesetzen der Natur“ folgend, Harmonie in den Beziehungen der Gemeinschaft zu ermöglichen. Menschen auch bei schwerwiegenden Delikten wie Morden in Gefängnisse zu sperren, ist vielen ost-äthiopischen Gemeinschaften fremd. Vielmehr werden im Rahmen von komplexen, öffentlich durchgeführten Ritualen unter der Anleitung der Aba Gadaas nebst einer materiellen Kompensation für das verlorene Leben, etwa durch die Abgabe von Herdenvieh an den geschädigten Stammesclan, Tiere als Ersatzopfer geschlachtet, um anschließend gemeinsam zu essen und zu trinken. Gebiagorges erläutert: „Harmonious relationships [are reestablished] between the two [parties] by eating together. You feed me, I feed you. In your mouth my hand […], so you will not practice any bad things in the coming [future]. So, this is the symbol of harmony.“

Der hier ausgeführte Zugang zur Konflikttransformation, der ganz anders als der moderne Nationalstaat Frieden nicht als Sicherheit oder Gerechtigkeit versteht, sondern als Harmonie begreift, unterstreicht die Relevanz eines Mehr-Ebenen-Ansatzes in der Friedens- und Konfliktforschung.

Viele Frieden

Der Fokus auf lokale Formen der Konflikttransformation führt notwendigerweise auch zur Frage nach einem entsprechenden theoretischen Friedensbegriff. Hier schließt meine Arbeit an die Forschung von Wolfgang Dietrich und den von ihm geprägten Innsbrucker Ansatz der Friedens- und Konfliktforschung an. Vor der Einsicht, dass Frieden je nach kulturellem Kontext und sozialer Situation ganz unterschiedlich interpretiert und erfahren wird – also ein dynamisches Konzept darstellt, das immer wieder neu ausverhandelt wird – plädiert Dietrich für ein Verständnis von Frieden im Plural, als „viele Frieden“. Diese Perspektive hat Auswirkungen auf die Konzeptualisierung von Wendepunkten in Friedensprozessen.

Mit einem Verständnis der vielen Frieden stellen wir rasch fest, dass vermeintlich positive Wendepunkte in Friedensprozessen oft auch negativen Einfluss auf die subjektive Friedenswahrnehmung der unterschiedlichen Konfliktparteien haben. Dies wird am dritten von mir untersuchten Fallbeispiel besonders sichtbar. Eine israelische Friedensaktivistin arabisch-jüdischer Herkunft – ich nenne sie hier Miriam – beschreibt die Auswirkungen der Osloer Friedensverträge auf ihr eigenes Leben in Gemeinschaft mit PalästinenserInnen in Wahat al-Salam - Neve Shalom, einer von Israelis und Palästinensern gemeinsam gegründeten Friedensgemeinde. Miriams Eltern waren dort 1994, nach den Osloer Abkommen, voller Optimismus und Hoffnung auf Frieden hingezogen. Sie war damals noch sehr jung. Im Interview erzählt sie von ihrer Kindheit, wie sie zweisprachig aufwuchs und gemeinsam mit PalästinenserInnen zur Schule ging. Mit achtzehn Jahren traf sie die Entscheidung, den verpflichtenden israelischen Wehrdienst zu verweigern – ein Schritt ins Leere. Sie erzählt über die Bedeutung dieser Entscheidung:

It meant that on the Israeli side, [I am] an outcast. And for the Palestinians I am able to build more trust. Because they saw that I am willing to sacrifice to build bridges of trust. And I think for us, the kids who grew up in Neve Shalom, it is really a turning point in our relationship to the community and the Palestinians. If you chose to go to the army it is very difficult. You walk in the community with uniform and Palestinians, I think, have a hard time with it.

Oslo hat also auch mehr als zwanzig Jahre danach noch direkte Auswirkungen auf das Leben von Menschen in diesem Konflikt. Während die Abkommen zumindest in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung von Israelis und Palästinensern positiv im Sinne eines Teilerfolgs der Diplomatie bezeichnet werden können, zeigt Miriams Beispiel, wie Wendepunkte Identitäten erschüttern, zugleich aber auch der Beginn der Entwicklung neuer Identitätsbilder sein können: Miriam ist heute in vielen israelischen Kreisen nicht erwünscht, zugleich aber verhandelt sie ihre eigene jüdisch-arabische Identität neu aus.

Strukturelle und relationale Bedingungen für Wendepunkte

Meine empirische Forschung zu Wendepunkten in Friedensprozessen ist noch nicht abgeschlossen. Dennoch kann man bereits ein Zwischenresümee ziehen:

Erstens bergen big gestures von Top-Leaders, wie sie zum Beispiel der ehemalige M-19-Kommandant Claudio Pizarro gezeigt hat, enorme persönliche Risiken für die handelnden Personen. Ob Friedensprozesse nach dem politischen oder tatsächlichen Ableben der jeweiligen Führungsperson weiter anhalten, hängt maßgeblich davon ab, ob unter den betroffenen Gruppen ein Konsens über die jeweiligen Prozesse besteht.

Zweitens wird die Bedeutung von Middle-Range Leadership in allen untersuchten Beispielen besonders deutlich. Der breitere gesellschaftliche Rückhalt konstituiert sich besonders stark über diese Ebene. Die Rolle von Stammesältesten in der Konflikttransformation in Äthiopien ist hierfür ein gutes Beispiel. Ähnliches kann über Gemeinschaften in Kolumbien und in Israel-Palästina gesagt werden.

Drittens implizieren Wendepunkte immer einen Aufbruch in neue Muster. Diese Aufbrüche erfordern Mut und gehen oft mit substantiellen Identitätsfragen einher, die im Rahmen von Friedensprozessen neu ausverhandelt werden müssen.

Viertens erscheinen die Aussichten auf erfolgreiche Veränderung besser, wenn ein Dialog auf Augenhöhe stattfindet, bei dem die Bedürfnisse des Gegenübers gehört werden. Während militärische Asymmetrien in Konflikten dazu verleiten mögen, harte Verhandlungsbedingungen vorzugeben, ist ein Rahmen, in dem sich die Parteien gegenseitig zuhören und verstehen können, von zentraler Bedeutung.

Fünftens ergeben sich Wendepunkte in konkreten Begegnungen oftmals spontan und sind häufig in einem Gefühl der Sättigung mit Gewalterfahrung begründet. Diese Momente wahrzunehmen, verlangt nach Aufmerksamkeit für sich selbst und andere. Vor allem aber erfordert es von den Beteiligten die Bereitschaft, einen Schritt ins Ungewisse zu wagen – gewissermaßen ins Leere zu springen, in dem Wissen, dass man womöglich von keinem Netz aufgefangen wird.

(Adham Hamed)


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Adham Hamed ( adham.hamed@uibk.ac.at), Friedens- und Konfliktforscher, ist Kollegiat am Doktoratskolleg „Dynamiken von Ungleichheit und Differenz im Zeitalter der Globalisierung“ und Gründungsmitglied des Forschungszentrums „Friedens- und Konfliktforschung“ (InnPeace). Sein Buch „Speaking the Unspeakable: Sounds of the Middle East Conflict“ ist im Verlag Springer erhältlich.

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