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Niewiadomski Jozef: Weihnachten 2009
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Weihnachten 2009

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2009-12-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Auch Weihnachten 2009 braucht eine gute Geschichte. Und welche Geschichte kann uns besser ansprechen im Zeitalter der Wirtschaftskrise und in der Zeit der gnadenlosen Konkurrenz als die Geschichte vom Wolf an der Krippe. Homo homini lupus: der Mensch ist dem Menschen Wolf, dichtete ja ein Schriftsteller des Altertums. Niemand versteht das besser, als jene Menschen, die zu Opfer wurden: zu Opfer ihrer Angehörigen, ihrer Mitmenschen. Benutzt und verlassen, an Einsamkeit leidend, vom Hass und Selbsthass geplagt, werden sie dem Dichter aus vollem Herzen beipflichten. Immer und immer wieder sagen sie auch: die Menschen sind so bös! Und wir - die wir uns ja Christen nennen - sind da keineswegs immun. Nur Eines soll uns vielleicht doch von unseren Durchschnittszeitgenossen unterscheiden. Und das wäre die Antwort auf die Frage, ob sich Wölfe ändern können? Zu dieser Antwort soll uns auch die Weihnachtsgeschichte verhelfen.

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Es war einmal ein Wolf. Er lebte in der Gegend von Bethlehem. Eines Nachts schlich er den Hirten mit ihren Schafen nach, bis er zu einem Stall ankam. Und es sah ein wundersames Bild. Mitten im Stall ein paar Menschen. Und ein kleines Kind in ihrer Mitte. "Das Kind, das schnappe ich mir. Wenn alle schlafen" - dachte der hungrige Wolf. Nach stundelangem Warten war es endlich so weit. Auf leisen Pfoten schleicht der Wolf in den Stall. Sein Rachen weit geöffnet. Begierig schleckt sich das Ungeheuer die Lefzen. Und setzt zum Sprung an. Doch: da geschieht etwas Unerwartetes. Behutsam und liebevoll berührt die Hand des Jesuskindes den Wolf. Zum ersten Mal streichelt jemand sein struppiges Fell. Mit einer Stimme, die er noch nie vernommen hat, sagt das Kind: "Wolf, ich liebe dich!" Und da ereignet sich das Weihnachtswunder. Die Tierhaut des Wolfes platzt und es steigt ein Mensch heraus. Der Wolf wurde Mensch, weil ein anderer Mensch ihn streichelte und zu ihm sagte: "Ich liebe Dich!"

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Was soll man zu einer derart einfachen und auch einfältigen Geschichte noch sagen? Und dies im Jahre 2009? Ist sie nicht eindeutig genug? Natürlich! All die Adventsmärkte, die wir aufgesucht und all das Glühwein, das wir inzwischen getrunken haben, all die Geschenke, die wir gekauft oder gebastelt haben, all die Reisen, die wir gebucht und auch all die Leckerbissen, die wir für das festliche Tisch vorbereitet haben: All das, vermag uns die Freude von Weihnachten nicht zu vermitteln! Mindestens solange nicht, solange wir die Erfahrung dieses Wolfs nicht nachvollziehen können. Und warum dies? Seien wir ehrlich! Tagtäglich werden wir alle - die Christen und auch die Nichtchristen - dazu abgerichtet, dass wir ordentlich hart mit uns selber und auch mit unseren Mitmenschen sein müssen. Wir sind ständig auf der Hut, dass uns niemand überholt im alltäglichen Konkurrenzkampf. Ständig bemühen wir uns darum, die Besten zu sein. Und das geht heutzutage nur noch dann, wenn man gnadenlos mit sich selber und auch mit anderen ist. Oder: wir haben uns schon längst aufgegeben und erleben uns als Versager. Mit dem Alk als Trost.

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Wie sehen die Folgen dieser alltäglichen Logik aus? Nach und nach verlieren wir die Züge der Menschlichkeit in unserem Gesicht. Wie Wölfe fallen wir übereinander her. Oder - was noch schlimmer ist - gnadenlos verletzten wir uns selber. Werden deswegen auch immer härter. Und auch verbitterter. Und auch unfähiger jene Hand wahrzunehmen, die uns behutsam und liebevoll streichelt. Oft sogar tagtäglich streichelt! Unfähig auch, die Stimme zu hören, die uns sagt: "Ich liebe Dich!" Wir idealisieren oder aber banalisieren die Zuwendung, die wir tagtäglich erleben: die Zuwendung der Ehepartner, der Eltern, der Kinder, der Freunde. Und sehen deswegen auch das Wunder von Weihnachten nicht. Jenes Wunder, das sich tagtäglich in unseren Schlaf- und Badezimmer, in unseren Schulen und Kirchen ereignet. Es tut also gut, sich gerade im Jahr 2009 folgenden Befund vor Augen zu führen:

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Trotz aller Entchristlichung gibt es heutzutage kein anderes Fest und dies in allen Kulturen und auch in allen Religionen, das so verbreitet bleibt und im Grunde auch spontan so verstanden wird, wie Weihnachten. Selbst bei Nichtchristen und auch bei Menschen, die sich als nicht religiös erleben. Und warum dies? Weil das Fest auf die tiefste Sehnsucht des Menschen antwortet. Der tägliche Zwang, Stärke zu demonstrieren, der innere Druck, sich "nach oben" zu strecken, auf der Karriereleiter hinaufzuklettern, macht bei diesem Fest für ein Paar Stunden Platz für entgegengesetzte Bewegung. Es ist eben nicht ein inhaltleeres Fest, nicht ein beliebig austauschbarer Event. Nein! All die Kommerzialisierung und mediale Verkitschung vermögen die Botschaft nicht umzubringen: Gefeiert wird Menschlichkeit und Verletzlichkeit. Bewundert, ja angebetet wird der Weg nach unten. Der Inhalt des Festes lässt sich eben auf einen einfachen Satz bringen: Gott steigt herab: auf unsere Augenhöhe. Er wird klein und hilfsbedürftig, liebevoll naiv, aber gerade deswegen auch entwaffnend. Er wird Mensch. Und weswegen? Eigentlich nur darum, damit er den "Wolf" in mir behutsam streicheln kann und ihm auch sagen kann: Du "Niewi-Wolf", ich liebe Dich! Auf das Kind in der Krippe schauend, findet also der "Wolf" seine menschliche Würde wieder. Und was ist die Folge davon?

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Schauen Sie am Heiligen Abend ihr eigenes eigenes Gesicht an: ohne Selbstverachtung, ohne Komplexe und ohne Schuldgefühle. Entdecken Sie darin jene Spuren, die das Kind von Bethlehem in Ihnen sieht. Es sind die Spuren der Göttlichkeit. Mehr noch: Entdecken Sie diese Spuren in den Gesichtern der Ihrigen! Im Gesicht des eigenen Mannes, mit dem Sie schon so lange zusammenleben. Schauen sie das Gesicht ihrer Frau an und lassen sie sich überraschen. Entdecken sie das, was vielleicht zugeschüttet ist. Steigen Sie herab auf die Augenhöhe ihrer Kinder, ihrer Eltern, ihrer Großeltern. Und entdecken Sie die Selbstachtung und das Selbstwertgefühl neu. Verhelfen Sie dazu, dass der "Wolfsfell" platzt und der Mensch heraussteigt. Jener Mensch, der schon seit eh und je in Ihnen selber, oder in den Menschen, die mit Ihnen zusammenwohnen, lebt. In diesem Sinne wünsche ich uns allen: eine geglückte Menschwerdung!

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Sie haben im vergangenen Jahr unsere Fakultät - schon durch ihren Besuch auf unserer Homepage - unterstützt. Dafür möchte ich Ihnen danken und Ihnen gesegnete Weihnachten und ein gutes Neues Jahr wünschen.

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Jozef Niewiadomski, Dekan

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