Seit 30. Juli ist die bisherige Zentrale der Raiffeisen-Landesbank Tirol in der Adamgasse menschenleer. Gearbeitet wird dort aber weiterhin. Und zwar an der vollständigen Leerräumung des Gebäudes, in Vorbereitung auf den Umbau. Dabei kommt ein Konzept zur Anwendung, das einen verwertungsorientierten Rückbau forciert. In der Fachsprache spricht man von Social Urban Mining. Das Wiener Unternehmen BauKarussell hat sich auf diese besonders nachhaltige Form des Rückbaus spezialisiert und wurde von der RLB mit der Durchführung beauftragt. Gemeinsam mit vier regionalen Partnern (ISSBA, schindel & holz, Verein emmaus und Ho&Ruck) wird BauKarussell dieses Social Urban Mining umsetzen.
Es ist dabei das erste Rückbauprojekt in dieser Größenordnung im Westen Österreichs: Denn jedes einzelne Bauelement – von der Bodenplatte über den Kabelschacht bis hin zur bekannten Glasbrücke in der Schalterhalle – wird Stück für Stück erfasst und so weit wie möglich einer Wiederverwertung zugeführt. Social Urban Mining orientiert sich am Modell der Kreislaufwirtschaft, ist in hohem Maße ressourcenschonend und zugleich mit sozialem Engagement verbunden. „Es geht hier nicht nur darum, das Gebäude auf den Rohbauzustand zurückzuführen, wie dies die Recycling-Baustoffverordnung und die ÖNORM B 3151 ‚Rückbau als Standardabbruchmethode‘ für Gebäude dieser Dimension ohnehin vorsieht, sondern Wertschöpfung mit sozialem Mehrwert zu ermöglichen“, erklärt Architekt DI Thomas Romm von BauKarussell. Ein ganz wesentliches Anliegen von Social Urban Mining sei es nämlich, „mit diesem umfassenden Re-Use- und Recyclingprozess sinnvolle Beschäftigung im sekundären Arbeitsmarkt zu schaffen“.
Prof. Dr. Anke Bockreis, Dr. Sabine Robra und der Doktorand Dominik Kornthaler vom Arbeitsbereich Umwelttechnik am Institut für Infrastruktur der Universität Innsbruck begleiten den nachhaltigen Rückbau wissenschaftlich. Mit Social Urban Mining wachse das Bewusstsein und die Sensibilität für dieses immens wichtige Thema, findet Robra. Denn gut 70 Prozent des gesamten Abfallaufkommens seien baubedingt, so Robra weiter. „Allein 12 Mio. Tonnen der jährlich über 60 Mio. Tonnen Abfall in Österreich sind Bau- und Abbruchabfälle. Daher sollte in der Abfallhierarchie das ‚Vermeiden‘ von unnötigem Ressourcenverbrauch an oberster Stelle stehen“, betont Robra. Auch die Bauwirtschaft müsse ökologischer werden. Viele Rohstoffe seien nicht erneuerbar und verursachen bei ihrer Gewinnung gravierende Umweltschäden.
Im Rahmen dieses Projekts besteht für Studierende der Masterstudien Umweltingenieurwissenschaften und Bauingenieurwissenschaften die Möglichkeit, eine Masterarbeit zu verfassen. Interessierte können sich bei Frau Dr. Sabine Robra vom Institut für Infrastruktur – Fachgebiet Abfallbehandlung und Ressourcenmanagement melden.
Tel: +43 512 507-62170
E-Mail: Sabine.Robra@uibk.ac.at
Dieser Ansatz hat auch den Vorstand und das Bauprojektteam der Raiffeisen-Landesbank Tirol überzeugt und begeistert. Mehrwert in der Region zu erbringen, entspreche ganz der DNA von Raiffeisen, betont Vorstandsvorsitzender Reinhard Mayr. „Wir wollen als Spitzeninstitut der Raiffeisen-Bankengruppe Tirol in der Region nachhaltig wirksam sein und dabei auch wirtschafts- und gesellschaftspolitische Impulse setzen. Social Urban Mining sollte langfristig betrachtet zum Standardprozess beim Rückbau von Nutzgebäuden werden.“
Der Rückbau erfolgt dabei in drei Stufen: Zunächst werden alle Wertstoffe wie Strom- und EDV-Kabel oder Metall- und Holzteile sortenrein getrennt und einer Wiederverwertung zugeführt. Im zweiten Schritt werden Re-Use-Bauteile wie Parkettböden, Beleuchtungskörper, Glaselemente und Einrichtungsgegenstände vermittelt und demontiert. Zuletzt werden – wie vom Gesetzgeber gefordert – sämtliche Schad- und Störstoffe wie etwa Leuchtstoffröhren und Kondensatoren aus dem Gebäude entfrachtet. Erst dann folgt der maschinelle Abbruch. Für diesen Prozess hat die RLB Tirol als Bauherr etwas mehr als ein halbes Jahr veranschlagt. „Dieses Zeitfenster werden wir auch brauchen“, ist Romm überzeugt, „denn all das ist zeitaufwendige Handarbeit und benötigt viel Manpower.“