Rätsel um kaltes Wasser gelöst
Unterkühlte Flüssigkeit existiert in zwei Formen unterschiedlicher Dichte
Was in der Forschung lange als unergründliches Rätsel galt, haben Wissenschaftler der Universität Innsbruck um Prof. Thomas Lörting jetzt mit theoretischen und experimentellen Arbeiten belegt: stark unterkühltes Wasser setzt sich aus zwei unterschiedlich dichten Flüssigkeiten zusammen.
Es bedeckt über zwei Drittel unserer Erde und bildet den Grundstoff des menschlichen Körpers. Wasser ist der „Urstoff“, der Leben auf der Erde möglich macht. Es ist allgegenwärtig und birgt doch viele Geheimnisse. Die Wissenschaft kennt heute über 60 Eigenschaften, in denen sich Wasser von fast allen anderen Flüssigkeiten unterscheidet. Während etwa fast alle Festkörper in der eigenen Schmelze untergehen, schwimmt Eis auf dem Wasser. Sein Gefrierpunkt liegt bei null Grad Celsius, doch kann Wasser auch stark unterkühlt werden. „Je tiefer es unterkühlt wird, desto ausgeprägter werden seine anomalen Eigenschaften“, erzählt Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck. Dass Wasser bei sehr tiefen Temperaturen aus zwei unterschiedlichen Flüssigkeiten bestehen könnte, wurde aufgrund experimenteller Beobachtungen bereits in den 1980-er Jahren vermutet. Lange Zeit blieb diese Theorie allerdings äußerst umstritten, weil sie in der Praxis nicht direkt nachweisbar war. „Unterkühltes Wasser hat eine starke Tendenz zu kristallisieren und kann deshalb nur sehr schwer untersucht werden“, erklärt der Physikochemiker Lörting. Wichtige Hinweise lieferte aber die Untersuchung der festen Form von Wasser. Diese besteht nicht aus Eiskristallen, sondern behält die molekulare Struktur der flüssigen Form - Wasser das fest, aber nicht gefroren ist. „Dabei zeigte sich, dass es abhängig vom Umgebungsdruck zwei unterschiedliche Formen von festem Wasser - oder amorphem Eis - gibt, eine mit niedriger Dichte und eine hochdichte Form.“ Die Vermutung lag nun nahe, dass beim Übergang von diesen festen in flüssige Phasen ebenfalls zwei unterschiedlich dichte Flüssigkeiten entstehen.
Bisher nicht direkt gemessen
Es konnte bereits gezeigt werden, dass sich festes Wasser
niedriger Dichte bei -137 Grad Celsius verflüssigt. In einer in der
Fachzeitschrift Physical Review Letters
veröffentlichten Forschungsarbeit haben Thomas Lörting und sein Team nun
erstmals auch für hochdichtes Wasser bestimmt, dass das Relaxationsverhalten
bei steigender Temperatur tatsächlich flüssigkeitsartig wird. „Bei einem Druck
zwischen 1000 und 2000 bar verflüssigt sich das Wasser zwischen circa -138 und
-133 Grad Celsius“, sagt Lörting. Da das Wasser in einem kleinen Zylinder unter
einen Hochdruckpresse gekühlt wird und nicht direkt beobachtet werden kann,
mussten die Forscher ein neues Verfahren für ihre Messung entwickeln. Sie
beobachteten, wie lange es dauert bis das hochdichte Wasser bei einer bestimmten Temperatur ins Gleichgewicht kommt und einen Ruhezustand einnimmt.
Substanzen gelten dann als flüssig, wenn dies innerhalb von 100 Sekunden
geschieht. Während dies bei -163°C viele Tage dauert,
so sind es bei -138°C nur mehr wenige Minuten. „Dieser Phasenübergang
wurde bisher noch von niemandem direkt gemessen. Gemeinsam mit früheren
Ergebnissen liefert uns dies einen klaren Hinweis auf die Existenz von zwei
unterschiedlichen Flüssigkeiten von Wasser“, ist Lörting stolz.
Die Daten aus dem Experiment decken sich mit einer
theoretischen Arbeit, die Thomas Lörting gemeinsam mit amerikanischen Kollegen
vor kurzem in Nature Scientific Reports
veröffentlicht hat. Mit Computermodellen wurde darin gezeigt, dass die nun
gemessenen Ergebnisse nur durch die Existenz von zwei Flüssigkeiten erklärt
werden können. Bereits im vergangenen Jahre haben die Innsbrucker Forscher die
zwei Flüssigkeiten experimentell
erzeugt und wieder eingefroren. „Die niedrig- und hochdichten Formen
verhalten sich wie Wasser und Öl. Sie entmischen sich und bilden zwei
Schichten“, erläutert Thomas Lörting das Experiment. Die Wissenschaftler
entnahmen die gefrorene Probe dem Druckzylinder und lösten die beiden Eisformen
voneinander. „Bei höheren Temperaturen expandiert die hochdichte Eisform und
geht in die niedrigdichte Form über“, erzählt der Chemiker, „ein weiterer
Beweis für die Existenz von zwei flüssigen Formen von Wasser.“
Diese Arbeiten entstanden im Rahmen der Forschungsplattform Material- und Nanowissenschaften an der Universität Innsbruck und wurden vom Europäischen Forschungsrat (ERC), dem österreichischen Forschungsförderungsfonds (FWF) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) finanziell unterstützt.
Publikationen:
- Relaxation Time of High-Density Amorphous Ice. Philip H. Handle, markus Seidl, Thomasa Loerting, Phys. Rev. Lett. 108, 225901 (2012). doi:10.1103/PhysRevLett.108.225901
- Interplay of the Glass Transition and the Liquid-Liquid Phase Transition in Water. Nicolas Giovambattista,Thomas Loerting,Boris R. Lukanov& Francis W. Starr. Scientific Reports 2 (2012) 390. doi:10.1038/srep00390 (open access)
- Equilibrated high-density amorphous ice and its first-order transition to the low-density form. Katrin Winkel, Erwin Mayer, Thomas Loerting. J. Phys. Chem. B 115 (2011) 14141-8. doi:10.1021/jp203985w
- Volumetric study consistent with a glass-to-liquid transition in amorphous ices under pressure. markus Seidl, Michael S. Elsaesser, Katrin Winkel, Gerhard Zifferer, Erwin Mayer, Thomas Loerting. Phys. Rev. B 83 (2011) doi:10.1103/PhysRevB.83.100201
Rückfragehinweis:
Assoz.-Prof.
Priv.-Doz. Dr. Thomas Lörting
Institut für Physikalische Chemie
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 5062
E-Mail: Thomas.Loerting@uibk.ac.at
Web: http://homepage.uibk.ac.at/~c724117/
Dr. Christian Flatz
Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 32022
E-Mail: Christian.Flatz@uibk.ac.at