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Niewiadomski Jozef: Das brennende Herz: Laudatio für P. Herwig Büchele SJ
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Das brennende Herz: Laudatio für P. Herwig Büchele SJ
(Laudatio des Dekans für em. Univ.-Prof. DDr. Herwig Büchele SJ anlässlich der Verleihung des Wissenschaftspreises des Landes Vorarlberg im Landhaus in Bregenz am 20. April 2009)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2009-05-16

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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"Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?" (Lk 24,32) - fragten sich die emmaus-Jünger, nachdem ihnen die Augen aufgegangen waren und sie in ihrem Wegbegleiter den Auferstandenen erkannt hatten. Sie erkannten in dem normalen Weggenossen, mit dem sie eine intensive intellektuelle Auseinandersetzung um die Wahrheit der Schrift geführt hatten, den sie aber auch - nicht zuletzt aufgrund der Faszination des theoretischen Diskurses - eingeladen hatten, mit ihnen zu Abend zu essen, den auferweckten Christus. Brannte ihnen nicht das Herz? Natürlich! Sonst hätten sie ja nicht jenes berühmte Wort gesprochen, über das der tschechische neomarxistische Philosoph Milan Machovec einmal geschrieben hat: "Jenes so menschlich natürliche und ergreifende Wort: 'Bleibe bei uns! Es ist Abend, bald wird es dunkel sein!' ist imstande, das menschliche Herz zu entflammen, auch wenn der Kopf nicht an die Auferstehung glaubt." Der zum Dialog bereite Neomarxist schlägt von seiner Position des Nichtglaubens aus eine Brücke zu den Glaubenden mit Hilfe der Logik der emmausgeschichte.

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Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Als ich nach einem Wort zu suchen anfing, einem Wort, das die Beschreibung der Person und des Werkes von Herwig Büchele gleichsam verdichten würde, bin ich fast spontan auf das zu Beginn zitierte Wort aus dem Lukasevangelium gestoßen: auf das Wort und die ganze Logik der emmausgeschichte. Denn das Herz des Preisträgers brennt. Es brennt, weil er - erlauben Sie mir diese wohl nach einer Predigt klingende Formulierung - den Auferstandenen erkannt hat und auch weiterhin erkennt: in den vielen Menschen, mit denen und zu denen er sein Leben lang unterwegs war, unterwegs ist und es auch vermutlich bleiben wird. Er erkennt ihn in den Arbeitern und Studierenden, in den PolitikerInnen und Kulturschaffenden, in den Bankern und Managern, in den Kindern in Kirgisistan genauso wie in den Nonnen eines oberösterreichischen Benediktinerinnenklosters. Sein Herz brennt, weil es immer wieder neu entflammt wird.

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Das Brennen seines Herzens während der Wanderung: Wenn er eine Wegstrecke mit seinen Weggenossen in Richtung seines emmaus geht, stellt dies für ihn vermutlich den "nicht instrumentellen Akt der Inspiration" dar, der ihn auch bei der Entwicklung und Vertiefung seines wissenschaftlichen Ansatzes begleitet, eines Ansatzes, den er selber "komponierende", später "dramatische Ethik" nannte, und dessen Eigenart er folgendermaßen beschrieb: "Von anderen Handlungslehren unterscheidet sich die komponierende Ethik nicht nur durch das Ernstnehmen der Ziel-Mittel-Problematik, der Forderung, dass trotz der Differenz zwischen Mittel und Ziel das angestrebte Ziel immer schon maßgebend zu sein hat für die Art der Mittel - ich kann ja das Reich der Freiheit nicht mit Gewalt durchsetzen -; sie unterscheidet sich auch dadurch, dass sie quer durch das Komponieren der fortlaufenden Takte den ganz anders gearteten, nicht instrumentellen Akt der Inspiration, eben die Anwesenheit der nicht als Ziel fassbaren "vollendeten Melodie" in den einzelnen Takten, in das Handeln, gerade auch in das politische miteinbezieht. Diese Melodie ist gegenwärtig als erfahrene Realität. Sie ist der symphonische Klang gelungener Lebenswirklichkeiten durch die Geschichte hindurch , die bestimmt sind nach dem Lebenszeugnis Jesu Christi." Besser kann sich, lieber Herwig, ein Vordenker in seiner Rolle und in seinem Selbstverständnis (in seinem christlichen Selbstverständnis) kaum beschreiben. Büchele gehört eben nicht zu jenen Wissenschaftlern, die vom Schreibtisch aus allerlei Expertenwissen, das sie aus den Büchern und Aufsätzen gewonnen haben, zu einem neuen Aufguss mischen und einen normativen Entwurf sozialer Wirklichkeit entwerfen, diesen dann den Bücherdepots und den Archiven überlassen, oder aber - was eigentlich schlimmer ist - mit Gewalt der Realität aufzuzwingen versuchen: mit Hilfe von Parteien, Verbänden, Kirchen oder auch des Staates und der Staatengemeinschaft. Er will auch weder eine "Ordnungsethik" konservativen Schlags noch eine "revolutionäre Ethik" konstruieren. In diesem Zusammenhang wird er oft missverstanden, wenn er von seinen Gegnern mit schablonenhaften Bezeichnungen in das gängige gesellschaftliche Schema "links-rechts" eingeordnet wird. Büchele setzt ganz woanders an. Sein Leben lang setzte er sich für das Konzept einer Ethik als "Weglehre" ein. "In dem Entwurf einer Wegstrecke ist niemals das Ziel schon beherrscht vom Endziel; Weg-Ziele sind nicht aus Prinzipien oder Sachgesetzlichkeiten abgeleitete Produktions- oder Gesetzesnormen. Ziele sind stets die vorläufigen Wegmarken; sie sind nicht wichtiger als der Weg selber und die Menschen, die den Weg von Etappe zu Etappe gehen." Immer wieder also nach emmaus aufbrechen, mit neuen Partnern, neuer Erwartung aber auch neuen Enttäuschungen. Deswegen setzt er nicht abstrakt an, sondern bei konkreten Menschen und ihren Fähigkeiten. Das "Credo" seiner politischen Ethik lautet: "Ein qualitativer Wandel der gesellschaftlichen Strukturen kann sich nur aus der erhöhten Widerstands- und Erneuerungskraft der Menschen ergeben." Und es steht für ihn selber nicht zur Diskussion, dass diese erhöhte Widerstandskraft, die erhöhte Erneuerungskraft des Menschen aus der Religion kommt, und ganz konkret aus der Kraft, die den Christen durch die Begegnung mit dem Auferweckten geschenkt wird ... auf ihrem emmausweg eben. Ihr Herz muss brennen; darauf kommt es an; es muss immer wieder neu entflammt werden.

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Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, nun im zweiten Schritt dieser Laudatio einen Rückblick mittels der Fragen: Warum brennt das Herz des Preisträgers und auf welche Art und Weise brennt es? Es brennt vermutlich deswegen, weil es im Elternhaus entflammt wurde. So paradox es zunächst klingen mag, der zukünftige Jesuit bekommt seine Berufung - und als Christ, Priester und Theologe bin ich überzeugt, dass es so etwas wie eine Berufung gibt - in einem liberalen Elternhaus. "Ist das nun so wichtig?" - wird der Zeitgenosse fragen, jener Zeitgenosse, der die Religion banalisiert und diese in die Supermarktregale zu den unverbindlichen Freizeitangeboten abschiebt. Für Herwig Büchele ist diese Tatsache von enormer Bedeutung. Beim Gespräch mit seinem Bruder Edgar ist mir das bewusst geworden. Als ein Außenseiter unter den fünf Geschwistern, emotional zurückhaltend, bekommt der junge Herwig sehr früh mit, dass der liberale Vater die Kasiner (wie er sie nannte) nicht mag: Menschen, die von Scheinheiligkeit geradezu durchdrungen sind - heute würde er vermutlich auch die Hobbychristen nicht mögen -, wohl aber bemerkt er, dass der liberale Vater Menschen, die ihre Überzeugung konsequent leben, achtet und schätzt. Der junge Büchele sieht, wie sich die Mutter um russische Kriegsgefangene kümmert, obwohl sie nicht fromm ist. Sind das die Gründe, warum der junge Herwig von einem Drang sondergleichen zur Konsequenz in seinem Leben geradezu beflügelt ist, und schon als Kind und Jugendlicher eine gewisse Härte sich selbst gegenüber zeigte? Er schlägt die kaufmännische Laufbahn ein, studiert Wirtschaftwissenschaft und finanziert sein Studium selber durch Kohlenschaufeln. Am Rande sei in Erinnerung gerufen, dass der überzeugte Vorarlberger in Innsbruck Ausschau nach Vorarlberger Produkten hält und diese auch kauft. Der Tod des Vaters und die sich anbahnende Entscheidung zum Ordenseintritt erfüllen ihn mit ungeheuren Spannungen. Er leidet darunter, dass er seine Lebensentscheidung dem Vater nicht mehr mitteilen kann. Als 28-jähriger promovierter Nationalökonom tritt er in den Orden ein, bekommt einen wahrhaft begnadeten Mitwanderer auf dem emmausweg im Noviziat in Gestalt von P. Joseph Müllner, seinem Novizenmeister; er lernt von ihm eine unaufdringliche Herzensgüte, auch wenn er sich nach außen weiterhin in der Haltung der Konsequenz übt. Im Spital, wo er die Sterbenden pflegt, im Säuferasyl oder aber auch im Frauengefängnis wird der nicht mehr ganz junge Novize mit den Sackgassen menschlichen Lebens und menschlicher Freiheit konfrontiert und auch auf das Theologiestudium in Louvain, das nun als Wegstrecke auf den Programm steht, existentiell vorbereitet. Eine - zweite - philosophische Promotion bereitet ihm den intellektuellen Boden für den jesuitischen Zugang zur Theologie und zum Glauben in der Gemeinschaft der ganz großen jesuitischen Gelehrten des 20. Jahrhunderts. Patres wie Emerich Coreth, Gaston Fessard, Karl Rahner aber auch Johannes Schasching und Oswald von Nell Breuning darf er als seine Lehrer, Mitbrüder und Kollegen betrachten: auf seinem Weg der Wahrheitssuche.

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"Was sind das für Gespräche, die ihr bei eurer Wanderung führt?" - fragte der Auferweckte die emmausjünger, und dieselbe Frage werfe ich nun im dritten Teil der Laudatio im Blick auf unseren Preisträger auf. Was sind das für Gespräche, die er sein Leben lang führte und auch weiterhin führt? Im Grunde trieb ihn eigentlich schon immer nur eine Frage um. Eine Frage, die ihn mit seinem liberalen Vater und den Gesprächspartnern, die jenseits der kirchlichen Mauer standen und stehen, genauso verband wie mit den jesuitischen und anderen christlichen Gelehrten. Es ist die Frage nach dem Geheimnis des Menschen in all ihren Nuancen: Der Kampf um Anerkennung, aber auch die Trieb-Affekt-Struktur des Menschen, vor allem aber das Paradox menschlicher Freiheit, ohne die es ja den Menschen nicht gibt, und das Ringen um die Grenze zwischen Freiheit und Freiheiten aufgrund des gegenseitigen Angewiesenseins. Mit der Zeit gerät die Frage nach der durch Strukturen bedingten Entfremdung ins Zentrum seiner Interessen. Als aufmerksamer Zuhörer konnte er förmlich mit Händen greifen, dass seine Gesprächspartner von genau demselben Eifer getragen wurden. Wenn das aber so ist, warum dann so viel Irrtum und auch so viel Gewalt? Was hindert den Menschen am Vollzug der Freiheit? Welche Verblendungen, welche strukturellen Mechanismen versklaven ihn? Büchele liest, ja er verschlingt förmlich die Klassiker des Marxismus, genauso wie jene des Existentialismus. Im führenden Vertreter des französischen christlichen Existentialismus, Gabriel Marcel, findet er einen Mitwanderer, dessen Herz auf ähnliche Art und Weise zu brennen scheint wie bei ihm selber. Die jahrelange Korrespondenz zwischen dem zum Katholizismus konvertierten ehemaligen französischen Atheisten und dem österreichischen Jesuitenpater kreist um die Fragen des Geheimnisses des Menschen, der Priorität des Seins vor Haben und um das Geheimnis des Todes und der Liebe. Schlussendlich ist es aber die Begegnung mit seinem wichtigsten Begleiter, die sein Herz neu entflammt. Im Schweizer Jesuitenpater Raymund Schwager, der als Dogmatikprofessor nach Innsbruck berufen wurde, fand P. Büchele einen kongenialen Wanderer nach emmaus. Beide Herzen brannten und brennen, und sie brannten auf ähnliche Art und Weise. Durch Raymund Schwager kam er mit René Girard in Berührung, jenem genialen Opfertheoretiker, von dem er sich in seiner Theorie des menschlichen Begehrens, aber auch in der Sicht auf die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit durch den Sündenbockmechanismus inspirieren ließ.

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"Womit geht nun Herwig Büchele in die Geschichte der Wissenschaft ein?" - frage ich im vierten Teil meiner Laudatio. Zuerst sicher mit seiner Neukonzeption der Katholischen Soziallehre. Was soll man sich darunter vorstellen? 1987 legte er mit dem Werk "Christlicher Glaube und politische Vernunft" eine solche Neukonzeption vor. Mit Oswald von Nell-Breuning sieht Büchele in der Diskrepanz von Wort und Tat die entscheidende Schwäche kirchlicher Soziallehre. Vom theoretischen Gesichtspunkt aus betrachtet bedeutet dies: Sie vermeidet Konflikte, sie redet unverbindlich, sie begnügt sich mit Appellen, sie übersieht gesellschaftliche Machtkonstellationen, sie erklärt sich unzuständig für die Wahl der Mittel. Seine Neukonzeption gibt sich keineswegs bescheiden. Er legt eine Lehre politischen Handelns unter den Vorzeichen der Lehre und des Lebens Jesu (der gelebten Bergpredigt also), eine Lehre, die den öffentlichen Umgang mit Macht reflektiert, vor. Was ihn aber interessant macht, ist zuerst sein methodischer Zugang. Seine Soziallehre stellt keine Anwendung abstrakter Prinzipien dar, Büchele ist ja kein Moralist. Sie besteht in der ethischen Reflexion politischen Handelns. Insofern bewegt er sich konsequent in jenen Bahnen, die das kirchliche Lehramt mit Papst Johannes XXIII. eingeschlagen und mit Papst Johannes Paul II. weiterentwickelt hat. Die Katholische Soziallehre wird in engster Anbindung an die Erlösungslehre entwickelt und damit zu einer genuin theologischen Disziplin. Als theologische Reflexion christlicher Praxis muss sie aber zuerst eine Gesellschaftsanalyse vorlegen. Bücheles Augenmerk galt immer den kollektiven Mechanismen, dem daraus entstehenden Verblendungszusammenhang, der auf eine subtile Art und Weise das negiert, was für Büchele immer schon ein zentrales Anliegen war: die menschliche Freiheit. Der promovierte Nationalökonom und Jesuit scheute sich nicht, in den 70-er Jahren auf Karl Marx (v.a. seine Frühschriften) zurückzugreifen und bei der fundamentalen Intuition eines positiven Humanismus anzuknüpfen, in der Überzeugung, dass auch das Herz von Karl Marx brannte. Er scheute sich nicht, die Verblendungsmechanismen der spätkapitalistischen Gesellschaft zu denunzieren. Mit wahrhaft prophetischem Eifer prangerte er zum Schock einiger verängstigter österreichischer Bischöfe (die Berufung Bücheles zum Professor in Innsbruck entwickelte sich für den damaligen Bischof von Innsbruck Dr. Paulus Rusch zu einem "Horrorevent") die herrschende ökonomische Rationalität an: sie ordne das Haben dem Sein vor.

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War es also ein Zufall oder ein Wink des Himmels? - ich meine jetzt den plötzlichen Tod des damaligen Leiters der Katholischen Sozialakademie. Dieses Ereignis machte P. Büchele zum Leiter dieser Einrichtung. Wie Pontius Pilatus ins Credo, so kam Büchele an die Spitze jener Einrichtung der Österreichischen Bischofskonferenz, die in den letzten 50 Jahren die wichtigste katholische Institution in der politischen Kultur dieses Landes war. Sie war es aber eben durch P. Büchele. Das ist auch der zweite Punkt, an dem seine Bedeutung für die kirchliche Soziallehre gemessen werden kann. Neben der theoretischen Konzeption, die die Soziallehre aus dem Bereich der abstrakten Reflexion einer Sozialmetaphysik auf das Niveau der theologischen Disziplin führte und die die konkrete Praxis der Kirche und der gläubigen Subjekte reflektierte, ist es die gelebte Soziallehre, die von der Bedeutung Bücheles für die Wissenschaft zeugt. Sein Engagement in der Leitung der Sozialakademie stellt das Paradebeispiel eines Engagements dar, das die Diskrepanz zwischen Wort und Tat stückweise überwindet. Die Akademie wird zur Plattform, von der aus Brücken zu politischen Kräften gebaut werden, die nicht selbstverständlich kirchlich sind. Nachdem das 2. Vatikanische Konzil endgültig Abschied von der Vorstellung eines katholischen Staates als Norm genommen hatte, setzte europaweit eine Suchbewegung nach neuen Formen katholischer Präsenz in einer multioptionalen Gesellschaft ein. Bücheles Suchbewegung, die er durch seine Arbeit an der Sozialakademie losgelöst hatte, war eine der markantesten und innen- und außenpolitisch wohl die brisanteste Suchbewegung. Der Katholizismus, der von dort ausging, raubte vielen förmlich den Atem - und dies nicht nur in der ÖVP und auch nicht nur in der Kirche. Und dies nicht nur wegen der intensiven Kontaktpflege zur österreichischen sozialdemokratischen Szene. 1977 verfasste Büchele auf die Einladung Bruno Kreiskys ein Gutachten für die Programmdiskussion der SPÖ: "Die Aufgabe des Staates erwächst aus der politischen Verwirklichung der Grundrechte: persönlicher Freiheitsrechte, sozialer Grundrechte, politischer Beteiligungsrechte"; Demokratie sei eine "Lebensform, deren Verwirklichung im ökonomischen System aussteht". Jahrelang beriet er Bischöfe bei den Sozialfragen, trug zur Entstehung des österreichischen Sozialhirtenbriefes bei. Die atemraubenden Stunden der Akademie in dieser Zeit sollen hier durch zwei Veröffentlichungen markiert werden. Anlässlich eines Symposiums zum 65. Geburtstag von P. Raymund Schwager erinnerte Büchele an die in der Öffentlichkeit wohl am besten bekannte Kontroverse: "Auf dem Höhepunkt des Ost-West-Konfliktes publizierten Raymund Schwager und ich im Rahmen der Katholischen Sozialakademie eine Broschüre mit dem Titel: 'Der Vatikan zur Rüstung. Ein Weg aus der Gefahr der Selbstvernichtung der Völker'. Der damalige Erzbischof von Wien, Franz Kardinal König, schrieb uns dazu ein Vorwort. In dieser Broschüre veröffentlichten wir das aus unserer Sicht ausgezeichnete Dokument 'Der Heilige Stuhl und die Abrüstung' und kommentierten es mit je einem Beitrag. Dieses Dokument wurde vom Päpstlichen Rat Justitia et Pax erstellt. ... In diesem Dokument wurde die Frage gestellt: 'Muss man nicht neue Lösungen finden, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen und dem Bann des Misstrauens zu entrinnen?'" Die neue Lösung, die die Autoren dort vorschlugen, hieß "kalkulierte Vorleistung". Obwohl dieser Schritt äußerst behutsam eingeführt wurde, "löste diese Broschüre heftigste, leidenschaftliche, polemische Reaktionen aus". So hieß es etwa in einer österreichischen Tageszeitung: "Diese Selbstmordprediger verdienen den Leninorden. Ihr Protest gegen den Rüstungswettlauf ist schwarz übertünchte Propaganda für die rote Weltrevolution." Die schwarze Broschüre - wie sie damals genannt wurde - stand in diesem Land für eine Kirche, die politisch unmöglich übersehen werden konnte, genauso wie das von Büchele zusammen mit Lieselotte Wohlgenannt veröffentlichte Programm des Grundeinkommens ohne Arbeit (der zweite Höhepunkt seiner Tätigkeit als Leiter der Akademie). Spätestens in diesem Moment wurde der Mann - dessen Herz brennt - zu einem der wichtigsten Vordenker in der intellektuellen Diskussion.

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Freilich war er auch Universitätsprofessor, hielt regelmäßig Vorlesungen, betreute DiplomandInnen und DissertantInnen, publizierte (wobei auch die Zahl der Bücher, die in den letzten Jahren erschienen sind, den LeserInnen den Atem nimmt), übte das Amt des Dekans der Fakultät aus. Die akademische Routine - so wichtig sie ist - sprengte er aber auf eine kreative Art und Weise, indem er die Studierenden durch seine Vorlesungen zum Thema "Der Tod" faszinierte, oder aber ein Forschungssemester nahm, um über das Werk von Aldous Huxley: "The Brave New World" ("Schöne neue Welt") zu forschen. Und dies, weil er von der kreativen Intuition getragen ist, dass die durch Huxley beschriebene Welt unsere Realität prägt. Damit sind wir beim fünften Teil dieser Laudatio angelangt: bei seiner Forschungskultur.

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Bücheles Forschungskultur erinnert an den Weg nach emmaus. Es genügt ihm nicht, bloß "allerlei Expertenwissen zu einem neuen Aufguss zu mischen". Die Arbeit eines Sixtus Beckmesser aus dem Werk "Die Meistersinger von Nürnberg" ist nicht seine Sache; er ist eher mit Walter von Stolzing zu vergleichen, der neuere Melodienführungen erfindet und seine Zuhörer in Begeisterung versetzt. Büchele führt unzählige Gespräche mit Insidern. Auf unterschiedlichen Wegstrecken stoßen auf seinem Weg nach emmaus BegleiterInnen zu ihm. Im Diskurs gehen ihm die Augen auf! Als beispielhaft sei seine Forschungsarbeit zum Thema: "Transnationale Kapitalströme" erwähnt. Über Monate hindurch sprach er mit Insidern in einer transnationalen Großbank in Zürich, reiste dann um die Welt, um mit Managern transnationaler Unternehmen und Banken, mit Politikern und Ökonomen in Großbritannien und in Asien (Japan, China, Indonesien, Philippinen, Singapur, Malaysia, Vietnam) Gespräche zu führen. Schlussendlich sprach er mit den MitarbeiterInnen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Das Ergebnis: Noch in der Zeit, als unsere Öffentlichkeit durch den Taumel der Sicherheit der transnationalen Geschäfte narkotisiert war, publizierte Büchele mit seinem Freund Erich Kitzmüller (einer seiner originellsten Wegbegleiter auf den Wegstrecken nach emmaus) sein entlarvendes Werk: "Das Geld als Zauberstab und die Macht der internationalen Finanzmärkte". Dort zeigt er die Zweideutigkeit der modernen Opferkultur, die zwangsläufig in eine Krise führen wird. Und er zeigt auch die Lösung auf: "Die Logik, welche die gegenwärtige wissenschaftlich-technische Zivilisation beherrscht, setzt nicht auf Teilen, sondern auf Macht-Konkurrenz. .. Nicht-Teilen führt notwendig zur Opferung. Opferung heißt: Ich schalte aus, zerstöre, um dadurch etwas 'Positives' für mich zu gewinnen." Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich an sein Credo: "Ein qualitativer Wandel gesellschaftlicher Strukturen kann sich nur aus der erhöhten Widerstands- und Erneuerungskraft der Menschen ergeben". Was lesen wir also bei Büchele und Kitzmüller - und dies noch vor der Finanzkrise: "Wie immer man auch zu dem Vorschlag der Gründung eines Weltsolidarrats stehen mag, kein Makro-Akteur kann sich - schon im Interesse seines partikularen Nutzenkalküls - der Sorge um das Weltgemeinwohl entziehen. In den Weltgemeingütern geht es um nichts Geringeres als um die materielle Grundlage einer gemeinsamen Welt, um die Grundlage der angestrebten Qualität des Zusammenlebens. Zur Verwirklichung dieses weltweiten Gemeinwohls brauchen wir ein (immer konfliktreiches und regulativ bedürftiges) Zusammenspiel von Staaten, transnationalen Unternehmen und Banken und zivilgesellschaftlichen und/oder privaten Akteuren. Dafür gilt es, sich zu engagieren."

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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Will man das erkenntnistheoretische Schibboleth von Herwig Büchele auf einen Nenner bringen, so kann man sich mit einer fast schon 30 Jahre alten Formulierung von ihm selber behelfen. "Die Todesdrohung der etablierten Mächte gilt nur unter der Voraussetzung der Geltung ihres Systems. Was also bekämpft werden muss, ist die Anmaßung, mit der sie ihr System zur Realität schlechthin erklären. Es ist nicht die wirkliche Wirklichkeit! Deswegen ist es notwendig, die andere Wirklichkeit sichtbar zu machen, und sie wird nur sichtbar, wenn sie gelebt wird. Das ist das einzige (gelebte) Argument gegen die Drohrede der herrschenden Unwirklichkeit." Deswegen lebt dieser Wissenschaftler Alternativen vor: Er verpflichtet sich nach seiner Emeritierung der "Global Marshall Plan Initiative", einer transnational operierenden Bewegung, die einen Beitrag zum öko-sozialen Umbau der Weltpolitik leistet - genauso wie er sich für die behinderten Kinder in Kirgisistan engagiert, Menschen in seinen Bann zieht, mit ihnen auch wochenlang unterwegs ist. Seine Ethik ist eine Ethik von Wegstrecken im umfassenden Sinn des Wortes. Mit P. Büchele wird heute ein Wissenschaftler geehrt, der zu den wichtigsten Vordenkern und Visionären der österreichischen wissenschaftlichen Landschaft gehört, und dies deswegen, weil er die jeweiligen herrschenden "Systemtotalitäten" sprengt - auch durch sein existentielles Engagement, und weil er einen kreativen Zugang sucht, damit auch die Wissenschaft als System dorthin zurückführt, wo sie ihren Platz hat: zum konkreten Menschen und seiner immer wieder freizuschaufelnden, gelungenen Lebenswirklichkeit. Dass dieser Mann - trotz seines enormen Engagements - gelassen bleibt, das verdankt er übrigens der regelmäßigen Praxis des Gebets und der Kontemplation und dem Vertrauen auf das Leben durch den Tod hindurch. P. Büchele, der sich trotz seiner distanzierten Haltung eine kindliche Frömmigkeit im besten Sinn des Wortes bewahrt oder auch erarbeitet hat, ist ein Wissenschaftler, dessen Herz brennt. Es brennt für Wahrheit, Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit. Diese drei zusammen stehen für eine humane Zukunft unserer Welt. Lieber Herwig, herzliche Gratulation - auch im Namen der ganzen Theologischen Fakultät an der Universität Innsbruck - zum Wissenschaftspreis des Landes Vorarlberg. Herzliche Gratulation auch an das Land für den Mut, diesen Vorarlberger Wissenschaftler mit brennendem Herzen auszuzeichnen.

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