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Sandler Willibald: Hat Gott dem Menschen eine Falle gestellt?
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Hat Gott dem Menschen eine Falle gestellt?
(Theologie des Sündenfalls und Sündenfall der Theologie)

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Gnosis, Aufklärung und heutige Literatur dokumentieren einen tiefliegenden Verdacht gegen Gott, dass er ein Fallensteller und die moralische Ursache für den Sündenfall ist. Diese Kritik ähnelt der Position, die die Schlange in der Paradieserzählung vertritt. Von daher legt sich die Annahme eines Sündenfalls der Neuzeit nahe, wie sie – verbunden mit einer Autonomiekritik – unter anderem von Benedikt XVI. vertreten wurde. Gleichen aber solche Annahmen nicht auch der Position der Schlange, die ja anfänglich das Paradiesverbot übertrieben hat? Offenbart eine forcierte Kritik an einem "Sündenfall der Neuzeit" damit einen "Sündenfall der Theologie"? Jedenfalls lassen sich die gottkritischen Verdächtigungen nicht einfach dadurch ausräumen, dass man sie als Folgen des Sündenfalls deklariert. Vielmehr ist eine bessere Antwort auf folgende Frage vorzulegen: Warum hat Gott einen verbotenen Baum in das Paradies gestellt?
Publiziert in:Ausführlichere Fassung des gleichnamigen Aufsatzes in: Zeitschrift für Katholische Theologie 129 (2007) 437-458.
Datum:2007-06-06

Inhalt

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1. Ein narzisstischer Fallenstellergott? Verdächtigungen gegen den Gott der Sündenfallgeschichte

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In Isabel Allendes Roman „Der unendliche Plan“ erinnert sich Gregory Reeves an eine Religionsstunde seiner Kindheit, als Padre Larraguibel über Adam und Eva unterrichtete:

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„Damals mußte ich fünfhundertmal schreiben: Ich soll nicht Gott lästern, weil ich zu dem Padre gesagt hatte, dann wäre das Gottes Sünde gewesen, weil er doch den Apfel im Garten Eden aufgehängt hatte, obwohl er wußte, daß Adam ihn auf jeden Fall essen würde, und wenn das nicht Zur-Sünde-Verleiten wäre, was denn dann?“ (1)

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Hat Gott dem Menschen eine Falle gestellt? – Einer der schärfsten in diese Richtung zielenden Vorwürfe der neueren Literatur stammt wohl von Alice Miller. In ihrem Alterswerk „Evas Erwachen“ rechnet die streitbare Pädagogin mit der „schwarzen Pädagogik“ der biblischen Sündenfallgeschichte und der sie verteidigenden Christen ab:

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„Schon in meiner Kindheit hat sich für mich die Schöpfungsgeschichte auf den verbotenen Apfel konzentriert. Ich konnte nicht begreifen, weshalb es Adam und Eva untersagt war, nach dem Wissen zu greifen. [...] Warum hat Gott den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse mitten in den Garten Eden gepflanzt, wenn er nicht wollte, daß die beiden von ihm geschaffenen Menschen dessen Früchte aßen? Warum hat er seine Geschöpfe in Versuchung geführt? Warum hat er das nötig, wenn er doch der Allmächtige Gott ist, der die Welt erschaffen hat? Warum hat er es nötig, die beiden Menschen zum Gehorsam zu zwingen, wenn er der Allwissende ist? Wußte er nicht, daß er mit dem Menschen ein Wesen ins Leben rief, das neugierig ist, und daß er es gezwungen hat, seiner Natur untreu zu werden? [...] Ihr Gott dachte sich ein grausames Szenario aus, schenkte Adam und Eva den Baum der Erkenntnis, verbot ihnen aber ausgerechnet dessen Früchte zu essen, das heißt zu wissenden und autonomen Menschen aufzuwachsen. Er wollte sie ganz von sich abhängig machen. Ein solches Vorgehen eines Vaters bezeichne ich als sadistisch, weil es die Freude am Quälen des Kindes enthält. Das Kind dann auch noch für die Folgen des väterlichen Sadismus zu bestrafen, hat nichts mit Liebe, sondern eher mit der Schwarzen Pädagogik zu tun. Aber so haben die Bibeldichter unbewußt ihre angeblich liebenden Väter gesehen.“ (2)

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Alice Millers Vorwurf zielt nicht allein auf Gottes scheinbar willkürliches und unverhältnismäßig hart geahndetes Verbot. Im Blick ist zugleich die vorausgehende Schöpfungsgeschichte: „Wußte er nicht, daß er mit dem Menschen ein Wesen ins Leben rief, das neugierig ist, und daß er es gezwungen hat, seiner Natur untreu zu werden?“ – Tatsächlich hat Gott den Menschen nicht als Marionette, sondern zu selbständiger – autonomer – Gestaltung der Welt geschaffen. (3) Miller unterstellt, dass der Gott der biblischen Paradieserzählung die Autonomie, auf die er die Menschen ursprünglich anlegte, willkürlich beschränkt hat. Schöpfung zur Autonomie und Verbot der Autonomie erscheinen in ihrem Zueinander wie eine boshafte Falle, in die der Mensch nur hineintappen konnte. Wer eine solche Falle aufstellt, kann nach Millers Dafürhalten nur ein schwarzer Pädagoge sein, ein Sadist.

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Die Anklage eines sadistischen Gottes wurde schon öfters erhoben, – allerdings eher im Blick auf den Kreuzestod Christi, der nach der Satisfaktionslehre von Gott Vater als Preis für die Erlösung der Menschen verlangt worden wäre. Gegen den Gott, wie er in der Paradiesgeschichte beschrieben wird, erscheint dieser Vorwurf wohl überzogen. Das schwächt die Plausibilität einer ansonsten von Alice Miller scharf gezeichneten Problematik. Versuchen wir im Sinne einer treffenderen Kritik, längs der eingeschlagenen Spur einer „pädagogischen Deutung“ zu verstehen, was jemanden zu einem derartigen „Sadismus“ antreiben könnte. Plausibel werden die von Miller dem Gott der Sündenfallerzählung unterstellten Verhaltensmuster durch die Annahme eines überzogenen Bedürfnisses nach Bestätigung und Selbstverherrlichung. Es entspricht dem Charakter eines Narzissten, dass er sich Bewunderer heranzieht, die er einerseits möglichst groß werden lässt – denn nur die Bewunderung von wirklich Großen schafft Befriedigung –, anderseits aber klein hält, auf jeden Fall kleiner als er selbst und von ihm abhängig, damit die angestrebte Bewunderung erhalten bleibt. So gibt der Narzisst den ihm Anvertrauten widersprüchliche Aufforderungen – er fördert sie und frustriert sie zugleich. Es entsteht die Interaktionsstruktur eines Double-Binds, (4) welches das Meister-Schüler-Verhältnis zerstört und dem Schüler in hohem Maße schadet. Die Double-Bind-Struktur, die das Verhalten eines narzisstischen Meisters gegenüber seinen Schützlingen kennzeichnet, wirkt sich für den Schützling als Falle aus: Wie immer er sich verhält, es ist verkehrt.

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Wir können die Falle eines dem Narzissmus entspringenden Double-Bind-Verhältnisses veranschaulichen, indem wir uns einen Schüler vorstellen, der seinen narzisstischen Lehrer leidenschaftlich verehrt. Der Schüler ahmt seinen Meister als ideales Vorbild nach; seine größte Sehnsucht besteht darin, zu werden wie er. Dies befähigt ihn zu höchsten Leistungen, und der Lehrer hat allen Grund, stolz auf ihn zu sein, – bis zu dem Punkt, an dem der Lehrer sich von den Ambitionen des Schülers bedroht fühlt. Der Schüler könnte gleich gut oder sogar besser werden wie er, was ihn als verehrten Lehrer überflüssig machen würde. Deshalb beginnt er, sich dem Schüler gegenüber abweisend zu verhalten. Dieser befindet sich nun in einer Falle: Einerseits erfährt er vom Lehrer die Aufforderung: „Streng dich an, werde besser“. Anderseits spürt er die Unzufriedenheit des Lehrers. Wenn er das Problem der Rivalität nicht durchschaut – was leicht möglich ist, weil der Lehrer die Rivalitätsproblematik nach Kräften zu verschleiern suchen wird – wird er unter Umständen seine Anstrengungen nochmals steigern, um den geschätzten Lehrer endlich zufrieden zu stellen, was dessen Distanziertheit allerdings noch mehr vergrößert. Verringert er aber resignierend seine Anstrengungen, wird er wiederum mit der Kritik des Lehrers, der ihm nicht mehr gewogen ist, rechnen müssen. Wie immer der Schüler sich verhält, es ist falsch. (5)

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Hat Gott dem Menschen in diesem Sinn eine Falle gestellt? Oder, um die Frage zu präzisieren: Ist das Gottesbild, das uns aus der Geschichte von Schöpfung und Sündenfall begegnet, zwangsläufig dasjenige eines narzisstischen Fallenstellergottes?

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Manches scheint den Verdacht zu erhärten: Nach der biblischen Urgeschichte hat Gott den Menschen groß gemacht; er schuf ihn als sein Abbild und berief ihn dazu, über die Welt zu herrschen. Hat aber Gott nicht dafür gesorgt, dass der Mensch kleiner als er selbst bleibt, indem er ihn auf ein willkürliches Verbot verpflichtete? Und – als er dieses Verbot übertrat – hat er ihn dann nicht maßlos bestraft, aus seiner Gegenwart vertrieben und all seine weiteren Versuche, aus Eigenem heraus groß zu werden, vereitelt? Ist eine solch extreme Reaktion anders erklärbar als durch die narzisstische Wut (6) von jemandem, dessen Bemühen um Selbstbestätigung im Anderen vereitelt wurde?

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Weitere Bibeltexte scheinen den Verdacht eines „narzisstischen Gottes“ zu erhärten: „Denn jeden, der nach meinem Namen benannt ist, habe ich zu meiner Ehre erschaffen, geformt und gemacht“ (Jes 43,7). – „Nur um meinetwillen handle ich jetzt, denn sonst würde mein Name entweiht; ich überlasse die Ehre, die mir gebührt, keinem andern“ (Jes 48,11). – „Denn wie sich der Gürtel den Hüften des Mannes anschmiegt, so wollte ich, daß sich das ganze Haus Juda mir anschmiegte – Spruch des Herrn –, damit es mein Volk und mein Ruhm, mein Preis und mein Schmuck wäre“ (Jer 13,11). – Und folgt dem eitlen Narzissmus nicht oft genug die narzisstische Wut auf den Fuß? Entsprechend fährt die zitierte Jeremiastelle fort: „Sie aber haben nicht gehorcht. [...] Ich zerschmettere sie, den einen am andern, Väter und Söhne zugleich – Spruch des Herrn. Keine Schonung, kein Mitleid und kein Erbarmen hält mich ab, sie zu vernichten“ (Jer 13,11b.14). – Auch das Neue Testament scheint diese Spur fortzusetzen: Wir alle sind „zum Lob seiner herrlichen Gnade“ (Eph 1,5f) bestimmt; – dass solche Bestimmung nicht nur zum Guten ausschlagen muss, zeigt das Wort über den ägyptischen Pharao: „Eben dazu habe ich dich bestimmt, dass ich an dir meine Macht zeige und daß auf der ganzen Erde mein Name verkündet wird“ (Röm 9,17).

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Und entspricht nicht auch der christlich-katholische Glaube diesem Bild? Laut Katechismus ist der Mensch „erschaffen, um Gott zu erkennen, ihm zu dienen und ihn zu lieben, um ihm in dieser Welt in Danksagung die ganze Schöpfung darzubringen und zum Leben mit Gott im Himmel erhoben zu werden.“ (7) – Passt darauf nicht das Bild eines eitlen Herrschers, der sich die Menschen nur zu seiner Selbstverherrlichung geschaffen hat? Wurde dem Menschen doch das Leben mit Gott im Paradies gegeben, solange er dieser Zielsetzung entsprach. Als er sich widersetzte, wurde er vertrieben. Und wenn er nun – unter erschwerten Bedingungen jenseits von Eden – sich in seiner Aufgabe, Gott zu dienen und ihn zu verherrlichen, doch bewähren sollte, so ist ihm zu diesem Zwecke „das Leben mit Gott im Himmel“ verheißen.

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2. Ist Gott die moralische Ursache für den Sündenfall? Schlaglichter einer Verdachtsgeschichte

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2.1 Gnosis

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Derartige Verdächtigungen gegen die biblische Erzählung vom Sündenfall sind in der Geschichte immer wieder erhoben worden, – besonders scharf im zweiten Jahrhundert nach Christus, als Markion einen Gegensatz zwischen alttestamentlichem Gesetzesgott und dem Gott des Evangeliums konstruierte, um so das Alte Testament zu verwerfen. Sein Schüler Apellessystematisierte diese Kritik. Im Gegensatz zu Markion möchte Apelles dabei aber nicht die Bosheit des alttestamentlichen Schöpfergottes nachweisen, sondern die Falschheit der alttestamentlichen Schriften, die den Menschen von einem Lügengeist eingegeben worden wären. In seinen „Syllogismen“ versuchte er die Widersinnigkeit des Alten Testaments zu beweisen und setzte sich dabei auch ausdrücklich mit der Sündenfallgeschichte und dem verbotenen Baum auseinander. (8) Aus mehreren Einwänden des Apelles greife ich drei heraus: 1. Da Gott selber über die Erkenntnis von Gut und Böse verfügt, muss sie – wie alles, was Gott zugeschrieben wird – als gut begriffen werden; dann aber ist es böse von Gott, wenn er diese Erkenntnis den Menschen vorenthalten hat. 2. Wenn die Menschen noch nicht die Erkenntnis von Gut und Böse hatten, wie sollten sie dann die Bosheit ihrer Übertretung begreifen. Dann war das Verbot eine Überforderung und die Bestrafung eine Ungerechtigkeit. 3. Wenn Gott im Voraus wusste, dass Adam das Gebot übertreten würde, dann war das Gebot überflüssig. Gott würde aber nichts Überflüssiges tun. Wenn Gott die Übertretung aber nicht vorherwusste, dann war er nicht allwissend, also nicht Gott. (9)

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Ungefähr zur gleichen Zeit dürfte das gnostische Werk „Testimonium Veritatis“ entstanden sein, welches einen kritischen Kommentar zur Sündenfallgeschichte enthält:

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„Was ist denn das für ein Gott? / Erst gönnte er Adam nicht, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Zweitens fragte er: ‚Adam, wo bist du?‘ Er hat es nicht von Anfang an gewußt! Gott hat also kein Vorauswissen. / Danach sagte er: ‚Wir wollen ihn aus diesem Ort hinauswerfen, sonst ißt er vom Baum des Lebens und lebt für immer.‘ Damit hat er zweifellos gezeigt, daß er bösartig und neidisch ist.“ (10)

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In der Folge wird die Schlange als alttestamentliche Heilsfigur mit Christus gleichgesetzt. Ähnliche gnostische Tendenzen werden von Kirchenvätern bezeugt. Hippolyt, Irenäus und Augustinus erwähnen gnostische Gruppierungen – Naassener und Ophiten –, für welche die Verehrung der Schlange eine zentrale Rolle spielt. Leitend für die Identifizierung von Christus mit der Schlange ist Joh 3,14: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muß der Menschensohn erhöht werden“). Wird dieser Gedanke – wie im Testimonium veritatis – auf die Paradiesesgeschichte angewandt, so resultiert eine vollständige Umkehrung ihrer Intention: Die Schlange hat Recht, wurde aber wie die Menschen von einem gewalttätigen und neidischen Schöpfergott unterdrückt.

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2.2 Aufklärung

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Die wirkungsgeschichtlich folgenschwersten Umdeutungen der Sündenfallgeschichte entstanden im 18. und 19. Jahrhundert durch Philosophen der Aufklärung und des deutschen Idealismus.

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Hermann Samuel Reimarus hatte Jahrzehnte heimlich an seiner „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ geschrieben, die erst nach seinem Tode der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Bereits die Veröffentlichung ausgewählter Teile durch Lessing – die Wolfenbütteler Fragmente – verursachte einen Skandal. Ein brisanter Teil der Schutzschrift, die Lessing vermutlich auch gekannt, aber nicht veröffentlich hatte, (11) ist eine Abrechnung mit der kirchlichen Erbsündenlehre, verbunden mit einer scharfen Kritik an der Paradiesesgeschichte. Ein buchstäbliches Verständnis dieses Textes macht laut Reimarus Gott zur moralischen Ursache für den Sündenfall:

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„Sagt mir aufrichtig: wird Gott nicht in dieser Erzehlung als die moralische Ursache des Sünden-Falls der Menschen dargestellt? Heißt dies, die Unschuld Gottes retten? Ich schließe so: Wer gewiß vorher weis, daß ein Mensch in Sünde verfallen wird, wenn ihm eine reitzende Gelegenheit dazu gegeben würde, und doch diese reitzende Gelegenheit dem Menschen ohne Noht giebt, da er sie füglicher hätte weglassen können und sollen, der ist eine moralische Ursache der Sünde des Menschen.“ (12)

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Reimarus illustriert die Problematik durch einen Vergleich:

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„Gesetzt, ich weis [zum] voraus, daß Simplicius sich wird voll sauffen, und sich sowohl als seinen Nachkommen eine unheilbare Krankheit, die schwere Noht, zuziehen, wenn man ihm einen schönen Römer mit Wein vor Augen setzt, und einen schlauen Menschen dabey stellet, der ihn zum Trunke nöhtigen wird. Ich mache mein bestes Zimmer im Hause zurecht: setze zwar hin und wieder allerley Eßwaren, auch Wasser, Bier, Thee, Caffee herum, in der Mitte aber setze ich einen grossen Römer auf dem Tische, dessen Wein mit seinem glüenden Glantze und erquickenden Geruche einen desto angenehmern Geschmack verspricht. Unter dem Tische liegt ein Anthal von demselben Weine, woraus mehr zu zapfen ist; ich gebe ihm den Namen Vin de joie. Nun lasse ich Simplicium zu mir bitten, führe ihn in dies Zimmer, und spreche: Hört, ich kann für eine Weile nicht bey euch seyn; wenn ihr aber unterdessen Appetit bekommt, so steht da allerley Essen und Trinken zur Erfrischung im Zimmer herum; aber nehmt euch in acht für den Vin de joie in der Mitte, daß ihr nicht davon trinket; denn wo ihr das thut, so werdet ihr euch eine unheilbare Krankheit zuziehen. Hierauf gehe ich weg; lasse aber Cacochartum alsobald hinein, ohne daß der da was zu schaffen hat. Ich weis es unterdessen wohl, daß der eine Freude daran zu haben pflegt, wenn er jemand zum Argen verleiten kann, und daß er dem Simplicio viel zu schlau ist. Dieser fängt ein freundschaftlich Gespräch mit Simplicio an, kommt endlich auf den Wein und nöhtiget ihn zum Trinken. Simplicius weigert sich, mit wiederholter Warnung des Wirts. Ey, sagt Cacochartus, merkt ihr denn nicht, daß der Wirt diesen Wein nur für sich allein behalten will? Riecht nur den Wein einmal, und seht wie er im Glase spielt: er heist nicht umsonst Vin de joie: wenn man den trinkt, so wird man so vergnügt als immer ein König seyn kann. Last uns heute lustig seyn; ich will den ersten Trunk thun, ihr sollt sehen, daß es mir nicht schadet. Mein Simplicius läst sich bereden, trinkt, kommt in den Geschmack, berauscht sich, daß er allen Verstand verliert, und kriegt die schwere Noht; da liegt er! Nun komme ich wieder dazu, wie Simplicius sich etwas wieder erholt, schmäle ich mit Cacocharto sowohl als Simplicio, daß sie beide ihr Unglück zur Strafe davon tragen würden. Endlich jage ich Simplicium aus dem Zimmer und Hause, verschließe das Zimmer und stelle ein Paar Diener mit bloßen Degen davor, daß niemand weiter hineinkommen und von dem Wein trinken solle.“ (13)

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Der Verdacht eines sadistischen Gottes, der uns eingangs bei Alice Miller begegnete, (14) wird mit diesem Text beklemmend aktuell. Allerdings will Reimarus seine harsche Kritik nicht gegen den jüdisch-christlichen Schöpfergott richten, (15) auch nicht – wie bei Apelles und bei Alice Miller – gegen die Schriften des Alten Testaments, sondern gegen deren unzulängliche Interpretation in einer Verbindung von kirchlich-dogmatischer Ideologie mit geistlosem Buchstabenglauben. Die von ihm vorgebrachte Kritik eines moralisch für den Sündenfall verantwortlichen Gottes ist allerdings so scharf, dass sie durch die Entwicklung einer historisch-kritischen Exegese, zu der Reimarus tatsächlich beigetragen hat, nicht entschärft werden kann.

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Dass die hier sich verbergende Gotteskritik in der Folge nicht wirksamer wurde, liegt an neuen Deutungsansätzen der Sündenfallgeschichte, die Gott als Verantwortlichen völlig aus dem Spiel nehmen.

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Immanuel Kant verfolgte das Programm, die Offenbarungsreligion nach den in ihnen angelegten Anteilen einer Vernunftreligion auszulegen. Ein direkt mit dem Menschen handelnder Gott hat hier keinen Platz. Programmatisch erprobte Kant diesen Ansatz im 1786 publizierten „Mutmaßlichen Anfang der Menschengeschichte“: Die „Stimme Gottes, der alle Tiere gehorchen“ wird hier zum Instinkt umgedeutet, der alsbald durch die aufkeimende Vernunft überschritten wird. Adams und Evas „Sündenfall“ – im Genuss der verbotenen Frucht – wird banalisiert zum Genuss von nicht bekömmlichen Nahrungsmitteln, und Gottes Strafen werden aufgelöst in die inneren Konsequenzen aus den Fehltritten einer noch schwachen erwachenden Vernunft. (16) Nicht banalisiert wird von Kant allerdings das Böse. Unablösbar begleitet und beeinträchtigt es den Reifungsprozess der Menschen zur moralischen Verantwortung. (17) Dennoch verläuft für Kant die Bilanz aus diesem derart umgedeuteten Sündenfall positiv:

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„Aus dieser Darstellung der ersten Menschengeschichte ergiebt sich: daß der Ausgang des Menschen aus dem ihm durch die Vernunft als erster Aufenthalt seiner Gattung vorgestellten Paradiese nicht anders, als der Übergang aus der Rohigkeit eines bloß thierischen Geschöpfes in die Menschheit, aus dem Gängelwagen des Instincts zur Leitung der Vernunft, mit einem Worte, aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit gewesen sei. Ob der Mensch durch diese Veränderung gewonnen oder verloren habe, kann nun nicht mehr die Frage sein, wenn man auf die Bestimmung seiner Gattung sieht, die in nichts als im Fortschreiten zur Vollkommenheit besteht, so fehlerhaft auch die ersten selbst in einer langen Reihe ihrer Glieder nach einander folgenden Versuche, zu diesem Ziele durchzudringen, ausfallen mögen.“ (18)

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Diese Umdeutung der biblischen Sündenfallerzählung in eine Emanzipationsgeschichte wurde von zeitgenössischen Denkern in hohem Maße aufgegriffen. Wir finden sie in unterschiedlicher Gestalt bei Fichte, Hegel, dem jungen Schelling und – mit emphatischer Zuspitzung – bei Friedrich Schiller:

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„Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte, der das moralische Übel zwar in die Schöpfung brachte, aber nur um das moralische Gute darin möglich zu machen, ist ohne Widerspruch die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschengeschichte, von diesem Augenblick her schreibt sich seine Freiheit, hier wurde zu seiner Moralität der erste entfernte Grundstein geleget.“ (19)

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Aber der Stachel steckte im Fleisch, und es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis kritische Geister die Problematik deutlicher wahrnahmen und religionskritische Konsequenzen zogen. Im Bezug auf den Sündenfall lässt sich hier auf Heinrich Heine verweisen:

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Du schicktest mit dem Flammenschwert
Den himmlischen Gendarmen
Und jagtest mich aus dem Paradies,
Ganz ohne Recht und Erbarmen!

Ich ziehe fort mit meiner Frau
Nach and'ren Erdenländern;
Doch daß ich genossen des Wissens Frucht,
Das kannst du nicht mehr ändern.

Du kannst nicht ändern, daß ich weiß,
Wie sehr du klein und nichtig,
Und machst du dich auch noch so sehr
Durch Tod und Donnern wichtig. [...]

Vermissen werde ich nimmermehr
Die paradiesischen Räume;
Das war kein wahres Paradies –
Es gab dort verbotene Bäume.

Ich will mein volles Freiheitsrecht!
Find'ich die g'ringste Beschränknis,
Verwandelt sich mir das Paradies
In Hölle und Gefängnis. (21)

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Das Projekt einer autonomen Vernunft, das Kant noch im Sinne einer Vernunftreligion in Übereinstimmung mit dem Schöpfergott andachte, wandelt sich hier eindeutig zu einem widergöttlichen „Wie-Gott-Sein-Wollen“. Das bislang verdeckte Moment eines Aufbegehrens gegen Gott kommt nun voll zum Tragen, – vielleicht am schärfsten formuliert von Nietzsche: „Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich̓s aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Götter.“ (22)

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Nietzsches atheistisches Pathos ist heute vielleicht überholt. Gewiss nicht überholt ist – trotz postmoderner Autonomiekritik – Kants Autonomiedenken, welches selber bereits eine mit der Neuzeit gewachsene Tendenz aufgriff, die Welt primär als Gegenstand eines eigenmächtigen Gestaltens zu begreifen. (23) Ineins damit erben wir einen unaufgelösten gegen Gott gerichteten Verdacht, der sich auch in christlichen und theologischen Kreisen durch ein verbreitetes Unbehagen und Schamgefühl gegenüber öffentlichen Äußerungen von Frömmigkeit zeigt. Dieser Verdacht ist unaufgelöst geblieben in der emanzipatorisch-fortschrittsoptimistischen Umdeutung des Sündenfalls, die dem Gottesbild der Schlange Recht gibt, ohne dass die damit verbundene Problematik reflektiert worden wäre.

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3. Verdacht gegen den Verdacht: Der Sündenfall der Neuzeit

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Wie im vorigen Kapitel dargestellt, ist das neuzeitliche Denken verbunden mit einer Deutung des Sündenfalls, die einen Verdacht gegen Gott nährt, indem sie dem Gottesbild der Schlange Recht gibt. Diese Gleichsinnigkeit von Denken der Neuzeit und Position der Schlange ist allerdings geeignet, einen Verdacht gegen den Verdacht zu wecken: Beweist diese Gleichsinnigkeit nicht, dass das Denken der Neuzeit von der Versuchung der Schlange erbsündig infiziert ist?

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Die kirchliche Deutung des Sündenfalls im Gefolge von Augustinus, die durch die beschriebene neuzeitliche Entwicklung kritisiert wurde, findet sich also durch ebendiese Kritik in ihrer Position bestätigt. Zentral für diese kirchliche Deutung ist ja, dass ein ursprünglich reiner Zustand menschlicher Bezogenheit (auf Gott, Welt und Mitmenschen hin) durch die Sünde Adams nachhaltig gestört wurde, und zwar derart, dass seitdem das gesamte Sein, Erkennen und Wollen des Menschen beeinträchtigt ist. Der Entschluss, gut und böse zu erkennen und wie Gott zu sein, erweist sich demnach dadurch als böse, dass er die Menschen von Gott weg und gegen Gott aufbringt. Genau das scheint aber durch die Entwicklung der Neuzeit spätestens seit Aufklärung und deutschem Idealismus bestätigt: Das menschliche Streben nach Autonomie und Emanzipation erweist sich zugleich als ein Streben nach Emanzipation von Gott.

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Dadurch, dass die Kritik der Neuzeit die Kritik der Schlange repetiert, scheint sie gerade in ihrer Kritik am Sündenfall der von ihr kritisierten Geschichte vom Sündenfall Recht zu geben. (24) Die neuzeitliche – ebenso wie die gnostische – Kritik an der Sündenfallgeschichte wird bereits vorweg durch die Sündenfallgeschichte kritisiert und erweist sich damit als deren bloße Spiegelung. Von daher könnte es als berechtigt erscheinen, von einem Sündenfall der Neuzeit zu sprechen.

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Der prominenteste heutige Theologe, der eine solche Kritik an der Neuzeit vorgetragen hat, ist gewiss Benedikt XVI. Für ihn gründet der „Sündenfall der Neuzeit“ (25) in einer eigenmächtigen, respektlosen Weltaneignung, die durch die Verschiebung von einem rezeptiven Wahrheitsverständnis zu einem eigenmächtig-entwerfenden Wahrheitsbegriff – „verum quia factum“ bei Giambattista Vico (26) – eingeleitet wurde:

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„Adam greift nach der Frucht, die ihm die Erkenntnis von Gut und Böse verheißt. Der springende Punkt dabei ist, daß es ihm gar nicht um Erkenntnis als Erkenntnis geht, um Erkenntnis als Vernehmen des Wirklichen, um sich ihm zu beugen und aus dem Vernehmen zu leben, in Entsprechung zu ihm. Der Wille, der sich im Gespräch mit der Schlange formt, geht in die genau umgekehrte Richtung: Adam sucht Erkenntnis als Macht. Er sucht Erkenntnis nicht, um die Sprache des Seins besser zu verstehen, um reiner zu hören und so wahrer gehorchen zu können, sondern er sucht sie, weil ihm Gottes Macht verdächtig geworden ist und weil er ihr mit ebenbürtiger Macht entgegentreten will. Er sucht sie, weil er meint, erst in der Rebellion werde der Mensch frei. Er will selbst ein Gott sein, und darunter versteht er, nicht mehr hören müssen, sondern Macht ausüben. Erkenntnis dient dem Bemächtigen, dem Beherrschen. Sie ist rein funktional auf Gebrauch und Beherrschung hin. Macht steht so nicht in Verantwortung, sondern sie ist nur Können und Verfügen. Als ihr Wesen erscheint es geradezu, niemand über sich zu haben, alles auf sich zu beziehen und auf den eigenen Gebrauch, damit sie ‚Herrlichkeit der Macht‘ werde. [...] Wie es aussieht, wenn man das Machtangebot Satans annimmt, das wird in der Sündenfallgeschichte sichtbar: Macht erscheint als Gegensatz zu Gehorsam, Freiheit als Gegensatz zu Verantwortung; Erkenntnis wird am Maßstab der Machtvermittlung gemessen und von ihrer ethischen Komponente gelöst. Ohne Naturwissenschaft und Technik zu verteufeln, muß man doch sagen, daß etwas von dieser Gesinnung in die neuzeitliche Form der Bemächtigung der Natur eingegangen ist.“ (27)

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Wenden wir diese Kritik auf die im vorigen Kapitel dargestellte Verdachtsgeschichte an, so scheint sich zu ergeben: Nicht Gott hat dem Menschen eine Falle gestellt, sondern die Paradiesesschlange, – der Teufel. Und diese Falle schnappt bis heute zu, – immer noch und immer wieder.

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4. Verdacht gegen den „Verdacht gegen den Verdacht“: Der Sündenfall der Theologie

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Der Gegensatz zwischen Ratzingers und Kants Deutung der Paradiesesgeschichte zeigt sich vor allem an einer völlig entgegengesetzten Bewertung des Begriffs Autonomie. Nicht nur bei Kant, sondern bis in die gegenwärtige Philosophie und auch Theologie, ja sogar in kirchlich-lehramtliche Texte, wird menschliche Autonomie zumindest auch als eminent positiv bewertet. (28) Innerhalb des Spektrums von emphatisch positiver Wertung eines menschlichen Autonomieverständnisses und der Warnung vor seinen Pervertierungen hat Ratzinger vor allem die problematischen Seiten hervorgehoben. (29) Diese Ausrichtung wurde auch von theologischer Seite immer wieder kritisiert. (30)

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Ohne auf die Kontroversen zur Theologie Benedikts XVI. näher einzugehen, zeigt sich hier eine grundsätzliche Problematik, die sich selbst nochmals in der Sündenfallgeschichte widerspiegelt: Diese kann ja nur recht verstanden werden vor dem Hintergrund der Erschaffung des Menschen als Gottes Ebenbild, mit dem Auftrag einer souveränen Weltgestaltung – etwa in der jahwistischen Aufforderung, der Mensch solle den Tieren Namen geben. Von daher hat Gott dem Menschen Freiheit und Eigenverantwortlichkeit verliehen, die dem Wort „selber“ eine grundsätzlich positive Ausrichtung verleiht. (31) Das ist die Grundlage für einen ursprungshaft positiven Begriff von menschlicher „Autonomie“. Der Missbrauch dieser Autonomie, wie er in der Sündenfallgeschichte zum Ausdruck kommt, widerlegt nicht die wesenhafte Gutheit menschheitlicher Autonomie. Wer den Sündenfall in Richtung einer Diffamierung menschlicher Autonomie auslegt, macht den Schöpfergott klein, – und stellt sich damit nochmals auf die Position der Schlange! Diese beginnt ihre Versuchung ja mit der Frage, ob Gott wirklich gesagt habe: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen. Damit stellt sie die ursprüngliche Freigabe der Schöpfung für den Menschen – „Von allen Bäumen dürft ihr essen ...“ – in Frage. Die Schlange spielt den Freiraum herunter, den Gott dem Menschen gegeben hat, und wertet damit den Schöpfergott ab. Hiermit beginnt die Versuchung. Die Übertreibung in Evas Antwort, – „davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren“(Gen 3,3) – zeigt, dass die Schlange damit erfolgreich war. Diese Verkleinerung der Schöpfungsfreigabe für den Menschen schafft erst die Grundlage für die nun folgende Versuchung in die gegenteilige Richtung: von der Übertreibung des Verbots zu seiner Übertretung. Die Versuchungsgeschichte folgt damit der Logik einer Debalancierung: zuerst in die Richtung eines ängstlich-übertriebenen Gehorsams, dann in die Gegenrichtung des Ungehorsams.

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Von daher liegt nun der Verdacht nahe, dass ebendies die Logik des Sündenfalls ist, wie er sich bis heute immer neu und immer wieder abspielt: Nicht bloß im Wie-Gott-Sein-Wollen, in der versuchten Emanzipation von Gott würde sich also der Sündenfall abbilden, sondern auch in den Versuchen, aus bestem Gehorsamswillen heraus die schöpfungsmäßige Autonomie zu begrenzen, – in den Versuchen, Gott groß sein zu lassen, indem man den Menschen klein macht, und dabei zu übersehen, dass man gerade so den Schöpfergott klein macht.

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In diesem Sinn kann nun von einem Sündenfall der Theologie gesprochen werden: Gemeint ist die Auswirkung der Logik des Sündenfalls auf Theo-Logie, auf Rede über Gott: Dieser Sündenfall manifestiert sich auch, aber nicht nur in der Abwertung von geschöpflicher Autonomie. (32) Er kann sich auch in der undifferenzierten Zurückweisung von Autonomiekritik sowie in affirmativen Konzepten geschöpflicher Autonomie verraten, die die Möglichkeit ihrer Pervertierungen ungenügend berücksichtigen.

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Ähnlich wie in der Kritik der Aufklärung kann dann die Problematik einer ungeklärten Gotteskritik kaschiert bleiben. Das ist nicht nur ein Problem in den Kontroversen um ein systematisch-theologisches Autonomieverständnis, sondern auch in der neueren Exegese. Mehrere neuere exegetische Beiträge zum Sündenfall ordnen den Jahwisten im Zusammenhang mit einer Spätdatierung dem weisheitlichen Denken zu und betonen im Zuge dessen, dass sowohl „Erkenntnis von Gut und Böse“ als auch „Sein wie Gott“ für weisheitliches Denken durchwegs positive Begriffe sind. Im Zuge dieser Deutungen, die nicht von vornherein problematisiert werden sollen, bleibt allerdings das „Restproblem“, dass der Zugriff zu den Früchten des Baums der Erkenntnis verboten ist. Im Sinne einer kohärenten Interpretation werden das Verbot und seine Folgen uminterpretiert, relativiert oder minimalisiert. Es kommt es zu einer Annäherung an die Position der Schlange – deren „Listigkeit“ nun auch tendenziell positiv begriffen wird. Dabei wird die Problematik des durch die Schlange transportierten negativen Gottesbildes m.E. ungenügend reflektiert. (33)

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Bei all dem zeigt sich der „Sündenfall der Theologie“ als fortgesetzter Balanceverlust, der die Vermittlung von Theonomie und Autonomie – von Gottbezogenheit und geschöpflichem Eigenstand – immer wieder scheitern lässt und Polarisierungen in feindliche theologische und kirchliche Lager bewirkt.

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5. Warum hat Gott den verbotenen Baum in das Paradies gestellt? – Das Frageverbot in der biblischen Exegese

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Dem Verdacht eines Fallenstellergottes, der die Menschen in den Sündenfall gelockt hat, wurde bis jetzt noch nicht direkt entgegnet. Der Widerspruch in der Weise eines Verdachtes gegen den Verdacht – durch die Feststellung, dass diese Gotteskritik der Kritik der Schlange gleicht – hat sich als unzulänglich erwiesen. Zum einen setzt er sich, wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt wurde, selber dem Verdacht eines verzerrten Gottesbildes aus, zum anderen beantwortet er eine Geltungsfrage durch Hinweise auf die Genese des Arguments, was logisch unzulänglich ist. Die Zurückführung der neuzeitlichen Kritik an der Paradiesesgeschichte auf die Position der Schlange ist unzureichend, wenn nicht dem Gottesbild der Schlange ein plausibleres positives Gottesbild entgegengestellt wird. Dass die Schlange eine Versucherin ist, deren Argumente in die Irre führen, entspricht der kirchlichen Deutung ebenso wie der Intention der Paradiesesgeschichte. Wem aber die Interpretation der Kirche, die biblische Geschichte oder gar der in ihr dargestellte Gott zweifelhaft wird, wird sich vom Hinweis auf Parallelen zur Position der Schlange nicht abschrecken lassen. Allenfalls können mit solchen Einwänden Kritiker in eine konsequentere Opposition gezwungen werden, – in Positionen, wie sie von der Gnosis vertreten wurden: die Schlange als Prophetin von Wahrheit und Befreiung versus einen Schöpfergott, von dem der Mensch sich baldmöglichst emanzipieren muss.

51
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Entkräften lässt sich der Verdacht eines Fallenstellergottes nur durch Vorlage einer alternativen Interpretation der Sündenfallgeschichte. Es muss gezeigt werden, dass Verbot, verbotener Baum und die Ahndung der Übertretung sich in einer Weise deuten lassen, die nicht weniger plausibel als die gotteskritische Deutung – von der Gnosis über Reimarus bis Alice Miller – ist, und die Gott zugleich in einem besseren Licht erscheinen lässt. Will man dem Verdacht eines Fallenstellergottes entgehen, muss man also eine überzeugende und im Hinblick auf Gott positive Antwort auf die Frage vorschlagen: Warum hat Gott einen Baum in das Paradies gestellt, dessen Früchte er den Menschen verbot?

52
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Richten wir diese Frage zunächst an die Exegese: (34) Gerhard von Rad betont in seinem Genesiskommentar die Fürsorglichkeit Gottes. Von daher dürfe das Verbot „keineswegs [als] ein drückendes“ verstanden werden, aber es habe „gleichwohl den Menschen in die Entscheidung und den Ernst der Gehorsamsfrage gestellt. Nach einem Zweck des göttlichen Verbotes zu fragen, wie das die Ausleger vielfach getan haben, ist u.E. ganz unzulässig, es ist indiskutabel.“ (35) Gebote Gottes seien auch für urständliche Menschen ein Faktum und nicht hinterfragbar.

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Mit von Rad weist auch Claus Westermann die Frage nach dem Grund des Verbots als unzulässig zurück. Aufgrund von formkritischen Überlegungen lehnt er zudem den Konnex von Verbot und Erkenntnis ab. Die Bezeichnung des verbotenen Baumes als „Baum der Erkenntnis von gut und böse“ sei sekundär. (36) Es habe also kein auf Erkenntnis zielendes Verbot gegeben. Nur ein einziges sei gesagt, „daß nämlich dieses Verbot den Menschen vor dem Tode bewahren soll“. (37)

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Sowohl von Rad als auch Westermann – und sie stehen hier stellvertretend für viele andere (38) – weisen einerseits die Berechtigung der Frage nach dem Grund des Verbots zurück und bringen anderseits doch vorsichtige Hinweise zu ihrer Beantwortung. Hingewiesen wird darauf, dass Gott als großzügig und fürsorglich dargestellt wird. Angesichts der Fülle der Gaben bedeute das Verbot weder Mangel noch Entbehrung. Dieser Hinweis ist gewiss wichtig, aber unzureichend, wie Reimarus mit seinem Beispiel zeigt: der Gastgeber des Simplicius hat ja sonst auch nicht mit Großzügigkeit gegeizt. Westermann fügt noch hinzu, dass das Verbot den Menschen vor dem Tode bewahren soll. Das wäre ein ehrenwerter Grund für ein Verbot, – vorausgesetzt der Warnende wäre nicht für die Präsenz des gefährlichen Baumes und dessen angedrohte Todesfolge verantwortlich. Von wem aber als von Gott sollen diese kommen? Gegen den Verdacht eines Fallenstellergottes könnte Westermanns Hinweis nur punkten, wenn Gott nicht allmächtig wäre.

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Somit bleibt das Argument von der Unzulässigkeit der Frage. Gemeint ist damit, dass wir späteren Leser Fragen an den Text richten, die dieser gar nicht beantworten wollte. Zu erklären, woher das Böse kommt und wie es zu dem Sündenfall gekommen ist, liege nicht in der Absicht des biblischen Textes. Dies schon allein deshalb nicht, weil der Text eigentlich gar nicht von einem Sündenfall spreche. (39) All das wären spätere Überfrachtungen des Textes, die frühestens seit Paulus und mit vollem Gewicht seit Augustinus dem Text aufgeladen worden wären. Im Gegensatz dazu würde die Paradieseserzählung nur Ätiologien geben für das Bestehen von Tod und anderen Unbilden, die die Bibel als Gottes Strafen für die Übertretungen der Menschen anführt.

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Die Argumentationsweise der heutigen Exegese ähnelt hier jener der aufklärerischen Bibelkritik des 18. Jahrhunderts. Das Gewicht der lastenden Fragen, insbesondere der Theodizeefrage, wird von den biblischen Geschichten genommen. Und diese Vorgangsweise wird begründet durch eine Kritik an der kirchlichen Dogmatik, die diese Lasten den biblischen Texten aufgeladen habe. (40) Bei solcher Argumentation droht eine Verwechslung von Genese und Geltung. Dass die Frage nach der Herkunft des Bösen durch die kirchliche Dogmatik der Paradieseserzählung aufgelastet wurde, schließt die Möglichkeit nicht aus, dass diese Frage bereits für den ursprünglichen Text virulent war, wenn auch vielleicht nicht mit gleicher Intensität und Explizität. (41) Diese Möglichkeit wird wahrscheinlicher, wenn man auf die Schlüsselposition achtet, die die Sündenfallgeschichte innerhalb der biblischen Urgeschichte einnimmt.

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6. Narrative Theodizee. Die Schlüsselstellung der Paradiesesgeschichte

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Folgende Annahme ist für mich leitend: Die Schöpfungs- und Sündenfallgeschichten in den Kapiteln 1-6 von Genesis sind als eine kompositionelle Einheit zu betrachten, die sich den Herausforderungen stellt, die aus der Krise des babylonischen Exils sowie ihrer Überwindung durch Monotheismus und universalen Schöpfungsglauben erwachsen sind. Monotheismus und universaler Schöpfungsglaube konnten den Eindruck eines Verlierergottes, der durch die Katastrophe des Exils für einen monolatrischen Gottesglauben entstehen musste, abwenden: (42) Der Gott des besiegten Israels war auch der Gott der Siegermacht Babylon. Er war also nicht von Babylon und seinen Göttern besiegt worden, sondern er hatte Babylon als Werkzeug benutzt, um Israel für seine Bundesbrüche zu strafen. Durch diese Antworten prophetischer Kritik wurde die Macht Gottes nicht nur bestätigt, sondern universalisiert, und es wurde eine Antwort gegeben auf die Fragen von Leid und Böses: sie waren als Straffolgen für die Sünden Israels zu verstehen. Damit brach aber ein weiteres Problem auf: Durch die monotheistische Universalisierung musste auch alles Böse, das irgendwo auf der Welt vorkam, mit der Erklärung eines allmächtigen Schöpfergottes versöhnt werden. Nicht für alles in der Welt konnte Israel mit seinen Bundesbrüchen verantwortlich gemacht werden. Das Problem, das durch die Universalisierung des Jahwe-Glaubens entstand, kann schematisch vereinfachend folgendermaßen gefasst werden: Grundsätzlich gibt es drei Wege, auf denen die Entstehung des Bösen in einer guten Welt erklärt werden kann:

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  1. „von außen“: Das Böse bricht von einem Bereich außerhalb von Gott und seiner Schöpfung in den von Gott geordneten Bereich ein;
  2. „von innen“: Menschen werden aus eigener Schuld und Verantwortung aus sich heraus böse;
  3. „von oben“: Gott selber pflanzt das Böse in die Welt ein.
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Das ist die Problematik, mit der ein universalistischer Schöpfungsglaube zumindest grundsätzlich konfrontiert ist. Es ist die Last der Theodizee, welche einem monotheistischen Schöpfungsverständnis von Anfang an aufgeladen ist. Fern von abstrakten Spekulationen gründet diese Last in den Leiderfahrungen jenes Israel, aus dem die Redaktion der Schöpfungs- und Sündenfalltexte hervorging. Auch wenn die theoretisch-spekulative Tragweite dieser Last für lange Zeit verhüllt geblieben ist, was wohl noch für mehrere Jahrhunderte nach Verfassung der biblischen Urgeschichte zugetroffen haben mag: Irgendwann ist die volle Tragweite der Problematik durchgebrochen, und seitdem konfrontiert sie das Verständnis der Sündenfallgeschichte mit enormen Schwierigkeiten. (43) Dass diese Schwierigkeiten wenigstens in Ansätzen von Anfang an bewusst waren, zeigt der Spannungsbogen, den die biblische Urgeschichte von Gen 1 zu Gen 6 zieht. Heißt es anfangs siebenmal, dass die Welt gut, ja sogar sehr gut ist, so in Gen 6,11: „Die Erde aber war in Gottes Augen verdorben, sie war voller Gewalttat.“ – Das sind die Endpunkte, die ein monotheistischer Schöpferglaube miteinander vermitteln muss: die ursprungshafte Gutheit der Welt als abbildliches Werk eines guten und allmächtigen Gottes – und das real erfahrene Überborden von Schlechtigkeit und Gewalt. Die biblische Urgeschichte verbindet diese Pole durch eine Abfallgeschichte, die dort plausibel ist, wo sie das Fortschreiten des Schlechten zum noch Schlechteren beschreibt. Wie aber kann das anfängliche Einbrechen des Bösen in eine gute Welt verstanden werden? (44) Mit dieser Schlüsselfrage ist die Sündenfallgeschichte konfrontiert. Sie stellt sich dem Problem in narrativer Form, indem sie jede der drei oben genannten Fragenalternativen anklingen lässt und zugleich abweist. Ad 1: Das Böse könnte von außen kommen, denn da taucht wie aus dem Nichts eine Schlange auf. Aber die Schlange wird als Gottes Geschöpf qualifiziert. Auch sie ist somit kein Indiz für ein „von außen“. – Ad 3: Das Böse könnte von oben kommen, denn Gottes Güte scheint durch ein Willkürverbot fraglich zu werden. Zumindest die Schlange nährt diesen Verdacht. Aber Gott wird von Anfang an und durchwegs als gut, liebend und fürsorglich beschrieben. – Ad 2: Das Böse könnte von innen kommen, – aus dem frei-verantwortlich böse gewordenen Herzen der Menschen. Die Sündenfallgeschichte spricht dafür, und doch wächst das Böse nicht nur im Menschen, sondern zwischen ihnen; und es gibt Anstöße von Außermenschlichem – die Schlange –, und Gottes Rolle gerät stellenweise in eine seltsame Schwebe. (45)

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Auch wenn das noch keine explizite Theodizee ist, so sind damit doch in der Weise einer „narrativen Theodizee“ Kriterien gegeben, die es möglich machen, ausgehend vom Text spätere diesem Text zugefügte Applikationen (46) der Theodizeefrage zu beurteilen.

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Ausgehend von diesen Überlegungen möchte ich nun auf das „exegetische Frageverbot“ zurückkommen. Die Frage, warum Gott einen verbotenen Baum in das Paradies gestellt hat, steht im Kontext der Theodizeefrage. Dass diese Frage für die Verfasser und Redaktoren der biblischen Urgeschichte leitend war, wird von den genannten Exegeten bestritten, und deshalb halten sie es im Sinne einer adäquaten Interpretation der Paradieseserzählung für irreführend, diese Frage an sie zu richten. Hingegen legen die vorausgehenden Überlegungen zur Schlüsselstellung der Sündenfallgeschichte die Vermutung nahe, dass man den biblischen Texten im Hinblick auf die Theodizeefrage mehr zutrauen kann, als es die etablierte historisch-kritische Exegese des 20. Jahrhunderts tat.

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Aber auch wenn die Frage nach der Herkunft des Bösen und nach einer Rechtfertigung Gottes angesichts des Faktums des Bösen von den biblischen Verfassern noch nicht explizit behandelt wurde, so ist die Paradiesgeschichte doch an einen funktionalen Ort gesetzt, der sie unabweisbar dieser Frage aussetzt. Ich stelle die Hypothese auf, dass von einer bestimmten Zeit an – wann, ist diskutierbar – die Theodizeefrage irreversibel aufgebrochen ist, und dass die Paradieserzählung seither aufgrund ihrer Positionierung nicht mehr unabhängig davon interpretiert werden kann. Dieser Frage zu entkommen kann allenfalls glücken, wenn man den Zusammenhang, in den sie gestellt ist, zerschlägt, – was durch die historisch-kritische Exegese ein Stück weit geschehen ist. (47) Aber selbst die historisch-kritischen Kommentierungen der Sündenfallgeschichte enthalten zahlreiche versteckte Optionen der ExegetInnen zur Theodizeefrage, die dort durchscheinen, wo sie versuchen, die Texte nicht nur zu analysieren, sondern verständlich zu machen, oder auch dort, wo sie die Ablehnung von „dogmatischen“ Deutungen begründen. Sollte die Hypothese einer irreversiblen Präsenz der Theodizeefrage sich bestätigen, dann würde daraus folgen: Besser als ein unterschwelliges Einfließen ungeprüfter Optionen ist es, die Positionen zur Theodizeefrage, die unvermeidlich im Zuge der Auslegung an die Paradiesesgeschichte herangetragen werden, offen zu thematisieren und zu diskutieren. (48) Wie bereits festgestellt, gibt die in der Sündenfallgeschichte verankerte „narrative Theodizee“ Kriterien zur Beurteilung von theodizeerelevanten Interpretationen. Die referierten Positionen aus Gnosis und Aufklärung sind solche theodizeerelevante Interpretationen; indem sie die Position der Schlange etablieren und die Güte Gottes in Frage stellen, halten sie allerdings den von der Erzählung aufgestellten Kriterien nicht stand. Salopp gesagt: Sie bürsten sie gegen den Strich. Solche subversive Interpretationen erscheinen aber in dem Maße als zwingend, als alternative, im Blick auf die aufgebrochene Theodizeefrage überzeugende Interpretationen fehlen.

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Daraus ergibt sich die Sinnhaftigkeit des Versuchs, befriedigende Antwortmöglichkeiten auf Fragen zu konstruieren, deren direkte Beantwortung vom primären Textkontext her nicht möglich ist, – etwa zur Frage, warum Gott einen verbotenen Baum in das Paradies gestellt hat. Solche Konstruktionen können zumindest zeigen, dass subversive, gottkritische Interpretationen – die ja ebenso „Konstruktionen“ sind – nicht die einzig möglichen sind.

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7. Warum hat Gott einen verbotenen Baum in das Paradies gestellt? – Konstruktion einer möglichen Antwort

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Die beiden vorhergehenden Kapitel haben ergeben: 1. Die Frage, warum Gott einen verbotenen Baum in das Paradies gestellt hat, ist auch im Blick auf die Exegese sinnvoll – trotz eines diesbezüglich verbreiteten Frageverbots. 2. Von Seiten der Exegese gibt es darauf keine hinlängliche Antwort. (49)

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Kritische Antworten auf die Frage liegen hingegen vor: Gott ist ein Fallensteller, der moralisch für den Sündenfall verantwortlich ist. Das ist im Grunde die gotteskritische Position der Schlange. Ihr kann man nur entkommen, wenn man eine alternative Deutungsmöglichkeit des Paradiesverbotes aufweist. Ein solcher Versuch scheint aber an einem Dilemma zu scheitern: (50)

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Entweder es handelt sich um ein Willkürverbot; d.h. Gott hat den Baum ohne Grund in den Garten gesetzt. Das entspricht seiner Allmacht, nicht aber seiner Güte, die es gegen den Verdacht der Schlange zu verteidigen gilt. – Oder es handelt sich um ein notwendiges Verbot; d.h. Gott musste die Menschen warnen vor den fatalen Folgen eines bestimmten Verhaltens. Das würde dann der Güte Gottes entsprechen, nicht aber seiner Allmacht. Denn ein solches notwendiges Verbot – als Warnung eines gütigen Gottes – wäre nur plausibel, wenn es nicht Gott wäre, der den gefährlichen Baum in das Paradies gesetzt hat. Kurz: Ein Willkürverbot entspricht Gottes Allmacht, aber nicht seiner Güte; ein notwendiges Verbot entspricht Gottes Güte, aber nicht seiner Allmacht. Eine Alternative zum Gottesbild der Schlange scheint somit prinzipiell verstellt zu sein.

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Ein Ausweg ist nur möglich, indem man ein Beispiel gibt für ein notwendiges Verbot, – im Sinne einer göttlichen Warnung vor unvermeidlichen fatalen Konsequenzen eines bestimmten Verhaltens –, welches Gottes Allmacht dennoch nicht einschränkt. Ich möchte nun ein solches Beispiel geben; und um es nicht sofort berechtigten exegetischen Anfragen auszusetzen, stelle ich es zunächst im Sinne eines Gedankenexperiments zur Diskussion.

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Stellen wir uns die Paradiesesgeschichte mit einem grenzenlos guten, wohlwollenden Schöpfergott vor, der dem Menschen nichts, aber auch gar nichts vorenthält. Das Resultat einer solchen Schöpfung wäre, dass der Mensch über alles verfügt, worüber auch Gott verfügt. Der Mensch wäre damit in eine Lebenssituation ohne jeden Mangel gesetzt. Als angemessenes Bild für eine solche grenzenlose Schöpfungsgabe mag der Garten Eden dienen, mit „allerlei Bäumen“, „verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten“ (Gen 2,9), und mit der umfassenden Freigabe Gottes: „von allen Bäumen des Gartens darfst du essen“ (Gen 2,16).

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Kann es in einer solchen Szenerie etwas geben, das dem Menschen fehlt, – etwas, das Gott hat und der Mensch nicht? Offenbar nicht. Weder scheint in einem solchen Szenario Platz zu sein für einen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, von dem der Mensch nicht essen darf, um nicht zu sterben. Noch macht die Verheißung der Schlange hier Sinn: „Sobald ihr davon eßt, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt gut und böse“. Denn gemäß unserer Voraussetzung ist der Mensch ja schon wie Gott. Wenn Gott gut und böse erkennt – was immer das auch bedeutet, – dann müsste das gemäß der Annahme unseres Gedankenexperiments auch dem Menschen eröffnet sein.

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Dennoch gibt es eine Differenz zwischen Gott und Mensch, die Gott auch durch eine restlose Anteilgabe von allem Eigenen nicht überwinden kann, ja die durch diese restlose Anteilgabe gerade aufgerichtet wird: Wenn der Mensch über alles verfügt, worüber auch Gott verfügt, so besteht doch die Differenz, dass Gott darüber aus Eigenem verfügt, der Mensch aber in der Weise eines Geschenks, das er empfangen hat.

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Es handelt sich hier um eine Differenz, die Gott nicht beseitigen kann. Gott kann nicht machen, dass das, was er dem Menschen als Geschenk gegeben hat, kein Geschenk ist, sondern ausschließlich aus dem Eigenen des Menschen entspringt. Dass Gott das nicht kann, hat logische Gründe, es beschränkt nicht seine Allmacht.

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Dennoch ist es vorstellbar, dass der Mensch versucht, diese Differenz zu beseitigen. Der Versuch würde darin bestehen, dass der Mensch sein Sein nicht mehr Gott verdanken will, sondern losgelöst von Gott ausschließlich aus Eigenem heraus zu leben versucht. Im Bild: Es reicht dem Menschen nicht mehr, in einem Garten zu leben, den Gott für ihn angelegt hat, auch wenn er ihn in unbegrenzter Gestaltungsfreiheit selber herrlich gestalten darf. Er will auf den Garten selbstherrlich zugreifen, in dem Sinn, dass seine Gestaltungsmacht sich in nichts Gott verdankt, sondern ausschließlich seine eigene Herrlichkeit widerspiegelt. Der Mensch versucht, die ihm von Gott geschenkte Autonomie absolut zu setzen, – im Sinn von ab-solutus: (von Gott) losgelöst. Nur scheinbar bedeutet eine solche Verabsolutierung eine weitere Steigerung und Vollendung menschlicher Autonomie. Faktisch bedeutet sie: Der Mensch weist alles, was Gott ihm geschenkt hat, zurück, und zwar weil und insofern es von Gott geschenkt ist. Das Gelingen dieses Versuchs würde bedeuten, dass der Mensch sich von allem lossagt, was ihm von Gott gegeben ist. Er schneidet sich von seiner Lebensquelle ab. Und das heißt: Er muss sterben. (51)

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Von daher öffnet sich die Möglichkeit, Gottes Verbot im Sinne eines positiven Gottesbildes zu verstehen:

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„Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon ißt, wirst du sterben.“ (Gen 2,16f)

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Nehmen wir einmal an, die Bäume des Gartens Eden stehen für die dem Menschen verliehenen Fähigkeiten und Vollkommenheiten. Dann könnte der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse die „Vollkommenheit“ repräsentieren, „wie Gott“ die Fähigkeiten nicht anderen zu verdanken, sondern ausschließlich aus sich selbst heraus zu besitzen. Gottes Verbot würde dann in der Warnung bestehen, dass der Mensch nicht versuchen darf, die ihm geschenkte Autonomie als von Gott losgelöst-absolut zu verstehen. Denn das würde die Selbstablösung von seinem göttlichen Lebensquell bedeuten und damit seinen Tod.

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Wie eingangs betont, geht es hier nicht darum, ob diese Deutung des verbotenen Baums die „richtige“, d.h. der ursprünglichen Textintention entsprechende ist. (52) Es geht zunächst nur darum, mit einem Beispiel nachzuweisen, dass auch Deutungen von Gottes Verbot denkbar sind, die nicht entweder seine Gutheit oder seine Allmacht in Frage stellen. So wie ich vorgeschlagen habe, das Verbot zu deuten, nimmt es nichts von Gottes ursprünglicher und umfassender Schöpfungs-Freigabe zurück, selbst dann, wenn diese so grenzenlos umfassend verstanden würde, wie wir es qua Gedankenexperiment unternommen haben. Im Gegenteil: Gerade weil Gott dem Menschen alles gegeben hat, bedeutet die Selbstloslösung von diesem Alles die totale Nichtigkeit. Gottes Gutheit ist damit entsprochen. Aber auch Gottes Allmacht wird durch dieses Verbot nicht relativiert. Gott kann dem Menschen nicht geben, dass er das, was ihm gegeben ist, ausschließlich aus sich selbst heraus hat. Und wenn er dem Menschen die Freiheit, im Sinne eines Agierens-aus-sich-selbst gegeben hat, dann kann er die Möglichkeit eines Missbrauchs dieser Freiheit, im Sinne eines gewollten Agierens-aus-sich-selbst-ohne-Gott, nicht ausschließen.

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Auch wenn die hier in der Weise eines Gedankenexperiments konstruierte Deutung exegetisch nicht haltbar sein sollte, ist bereits durch den Aufweis ihrer Denkmöglichkeit der Kurz-Schluss abgewendet, dass das göttliche Verbot im Paradies einen missgünstigen Willkürgott beweist. Dennoch ist es sinnvoll, das „Gedankenexperiment“ auf seine Eignung für eine adäquate Auslegung der Sündenfallgeschichte zu prüfen. Die Hauptschwierigkeit, die sich dabei ergibt, ist die Annahme, dass Gott dem Menschen „alles“ gegeben habe. Zwar ist diese Annahme nicht einfach absurd, (53) aber es ist einzuwenden: Faktisch gibt es mannigfaltige Begrenzungen für den Menschen, die nicht einfach nur den Folgen eines Sündenfalls zugeschlagen werden können. Hier lässt sich nun unser „Gedankenexperiment“ – nachdem sein „springender Punkt“ scharf herausgearbeitet wurde – modifizieren:

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Die maximale Annahme, dass der Mensch von Gott als in allem gottgleich geschaffen wurde, hatte im Gedankenexperiment allein die Funktion, eine Interpretation des Paradiesverbots zu erzwingen, welche in keiner Weise der Schöpfungsfreigabe des Menschen in die Quere kommt, ganz gleich, wie umfassend diese gedacht wird. Wenn die schöpfungsmäßige Freigabe des Menschen nun als begrenzte zu verstehen ist – zum Beispiel in der Annahme, dass Sterblichkeit dem Menschen wesensmäßig zukommt, und nur der Modus der Sterblichkeit sich durch den Sündenfall (auf die Erfahrung als Fluchtod hin) verändert hat –, dann tut dies unserer Deutung des Paradiesverbots und der mit ihr erzielten Überwindung des Gottesverdachts keinen Abbruch. Dies gilt auch, wenn die schöpfungsmäßige Freigabe des Menschen als eine dynamisch unbegrenzte begriffen wird: also in dem Sinn, dass Gott die Menschen zwar als faktisch begrenzt, aber mit einer unbegrenzten Dynamik zur Selbstvervollkommnung geschaffen hat. (54) Selbst wenn – wieder in der Weise einer Grenzüberlegung – diese „dynamische Gottebenbildlichkeit“ zu grenzenloser Erkenntnis, umfassendster Selbstverwirklichung und Unsterblichkeit voranschreiten würde, dann wäre dem Menschen dieser Weg durch das Verbot des Baums der Erkenntnis – so wie er hier interpretiert wird – nicht grundsätzlich untersagt.

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Damit muss die menschheitliche Entwicklungsgeschichte, wie sie Aufklärung und Idealismus als Reinterpretation der Sündenfallgeschichte skizziert haben, der Sache nach nicht mehr von vornherein verworfen werden. Nur erweist sie sich nicht mehr als Sündenfallgeschichte, sondern als die erzählerische Ausgestaltung einer dynamisch zu verstehenden Gottebenbildlichkeit, also als Geschichte, die der Schöpfung und noch nicht dem Sündenfall zugeschlagen werden muss. Der Sündenfall kommt erst in einer – nicht notwendigen, aber hochproblematischen – gottfeindlichen Modalität dieser menschheitlichen Selbstentwicklung ins Spiel. (55) Die Auffassung, dass die Emanzipation des Menschen zu Freiheit, Erkenntnis und Autonomie Gott erst gegen sein Gebot abgerungen werden muss, erweist sich somit als tragisches Missverständnis – als eigentlicher Sündenfall der Neuzeit –, dem durch überzogen autonomiefeindliche Erbsündentheologien allerdings zugearbeitet wurde. (56)

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Das Verbot des Baums der Erkenntnis zielt nach der hier vorgeschlagenen Interpretation also nicht auf eine prinzipielle Begrenzung menschlicher Ambitionen, sondern auf die Warnung vor einer problematischen Veränderung von deren Modus. Gott warnt den Menschen davor, die ihm anvertrauten Güter und Vermögen losgelöst von Ihm, als exklusiven, gott-losen Besitz des Menschen anzustreben. Selbst wenn der Mensch nach den höchsten und gefährlichsten Früchten einer kollektiven Selbstmanipulation greifen sollte – man denke an heutige Gentechnologien –, dann ist gemäß unserer Deutung dieses Bemühen nicht schon an sich als sündhaftes Streben, „wie Gott sein zu wollen“, zu verurteilen. Vielmehr muss dieses Streben als in sich „ambig“ (57) begriffen werden: Das heißt, es kann je nach der Weise ihrer Verwirklichung unterschiedlichen Positionen innerhalb eines Kontinuums zuzuordnen sein, dessen negativer Pol ein ohne-Gott-wie-Gott-Sein und dessen positiver Pol ein mit-Gott-wie-Gott-Sein ist, – letzteres in dankbarer und verantwortungsbewusster Übernahme der von Gott dem Menschen geschenkten Autonomie. (58) Diese Ambiguität gilt natürlich nicht nur für die ambitioniertesten Projekte menschlicher „Selbsttranszendenz“, sondern für jedes menschliche Streben, auch schon für die ersten und bescheidensten Versuche des Menschen, das ihm von Gott übergebene Selbstsein zu ergreifen. (59) Auch diese können je nach der Weise ihrer Verwirklichung unterschiedlichen Orten innerhalb eines Kontinuums zwischen den Extremen eines konkurrierenden ohne-Gott-wie-Gott-Seins und eines dankbar-transparenten mit-Gott-wie-Gott-Seins zuzuordnen sein und sind erst von daher entsprechend unterschiedlich zu bewerten.

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Aus den genannten Gründen ist die Annahme, dass Gott den Menschen als sein Ebenbild im Sinn einer gottgleichen Grenzenlosigkeit erschuf, für unseren Deutungsvorschlag nicht essentiell. Sie ist eine Grenzüberlegung, deren Wert und auch Grenze darin besteht, zu verdeutlichen, dass das göttliche Paradiesverbot nicht als willkürliche Begrenzung der schöpfungsmäßigen Freigabe des Menschen verstanden werden muss. (60)

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8. Ergebnis

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Es ergibt sich somit: Die in der Position der Schlange grundgelegte Annahme eines narzisstischen oder sadistischen Fallenstellergottes, der moralisch für den Sündenfall verantwortlich ist, gibt zwar eine denkbare Deutung des Paradiesesverbots, die aber den Kriterien der in der Sündenfallerzählung verankerten „narrativen Theodizee“ nicht entspricht. Nach dieser ist Gott nämlich durchwegs neidlos-gut und fürsorglich. Eine Interpretation des Paradiesesverbots, die der Intention der Sündenfallgeschichte besser entspricht, ist zumindest möglich. Der hier vorgelegte Vorschlag stützt eine Deutung der Sündenfallerzählung, welche die gottkritischen Interpretationen als Folge eines – auch kognitiven – Sündenfalls verstehen lässt, der sich bis in die Theologie hinein „als Sündenfall der Theologie“ auswirkt: nämlich als das Unvermögen, die schöpfungsmäßig dem Menschen geschenkte Autonomie adäquat von ihrem in der Sündenfallgeschichte exemplarisch beschriebenen Missbrauch zu unterscheiden; – oder anders formuliert: das Unvermögen, in adäquater Weise eine „verdankte Autonomie“ zu denken. Dass dieses existentiale Unvermögen auch nochmals die Versuche, sie zu reflektieren, – also auch den vorliegenden Versuch – beeinträchtigt, ist zuzugestehen. Die „gnoseologische Konkupiszenz“ (K. Rahner) bedingt, dass eine Überwindung der Sündenfallproblematik rein theoretisch nicht möglich ist. Die verlorene Balance zwischen Theonomie und Autonomie kann nicht zwingend konstruiert, sondern nur aufgewiesen werden, indem man Gnadenerfahrungen mit der in ihnen aufscheinenden glückenden Balance von Theonomie und Autonomie nach-denkt. Solche Bedingtheit aus der Erfahrung von Gnade kann allerdings auch dort wirksam werden, wo sie nicht explizit ist, – auch im vorliegenden Entwurf. Ihre ausdrückliche Reflexion in Christologie und Gnadentheologie wäre aber für eine hinlängliche Beantwortung der Problematik des Sündenfalls unabdingbar. Das kann hier nicht mehr geleistet werden.

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Was ist dann mit dem vorliegenden Versuch gewonnen? Die Fähigkeit, die Gegenposition aus der eigenen Sicht heraus erklären zu können, trifft ja nicht nur für die „gottfreundliche“ Interpretation des Sündenfalls zu. Auch die „gottkritische“ Interpretation beansprucht, ihre Gegenposition erklärend integrieren zu können. Im Blick auf die genetische Erklärungsleistung ergibt sich somit eine Pattstellung. Dass die hier vorgelegte Deutung den Intentionen der Paradiesesgeschichte von einem gütigen Gott besser entspricht, gibt ihr einen gewissen Vorzug. Dennoch behalten die kritischen Interpretationen eine relative Bedeutung, indem sie die Implikationen von faktisch vertretenen, verzerrten Gottesbildern hellsichtig entlarven. Solange diese Aufdeckung noch nicht vollumfänglich geschehen ist, muss der Streit zwischen den Interpretationen weitergehen. Innerhalb dieses Streits ist das Ziel des hier vorgelegten Deutungsvorschlags der Nachweis, dass dieser Streit noch nicht zugunsten der „Position der Schlange“ entschieden ist.

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Summary:

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Gnosis, Enlightenment and today's literature show the suspicion that God is the moral cause for the Fall of Man. This criticism resembles the position of the serpent in the paradise narrative. But the assumption of a „Fall of modern age“, which in conjunction with a forced criticism against autonomy has been supported amongst others by Benedict XVI., seems too to resemble the position of the snake, who exaggerated the ban of the tree in paradise. Does this criticism of modern age therefore reveal a „Fall of theology“? Anyhow, the anti-theistic suspicions cannot be refuted successfully only by declaring them as consequences of the Fall of Man. Rather there has to be submitted an alternative answer to the question: Why did God put a forbidden tree into paradise?

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Anmerkungen:

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1. I. Allende, Der unendliche Plan, Frankfurt 2004, 104f.

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2. A. Miller, Evas Erwachen. Über die Auflösung emotionaler Blindheit, Frankfurt a.M. 2001. Prolog.

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3. „Es ist die Absicht des Schöpfers, die Namengebung dem Menschen zu überlassen. Damit wird eine allererste Autonomie des Menschen in einem begrenzten Bereich zum Ausdruck gebracht.“ C. Westermann, Genesis. Bd. 1. Genesis 1-11 (Biblischer Kommentar Altes Testament I/1), Neukirchen-Vluyn 1974, 311.

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4. Ein Double-Bind ist eine widersprüchliche Aufforderung, wobei der Widerspruch meist zwischen einer ausdrücklich artikulierten und einer impliziten, verdeckten Aufforderung besteht. Gregory Bateson deckte die massiv irritierende Wirkung von Double-Binds auf und wies nach, dass Kinder infolge von Double-Bind-Kommunikationen Symptome zeigen können, die jenen der Schizophrenie gleichen. Vgl. besonders G. Bateson, Vorstudien zu einer Theorie der Schizophrenie, in: ders., Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt a.M. 1981, 270-301. Vgl. auch die folgende Anmerkung.

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5. Vgl. dazu René Girards Ausführungen zum „inextricable double bind of imitation“, in: ders., Things Hidden since the Foundation of the World, London 1987, 290-294.

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6. Zur narzisstischen Wut vgl. W. Meng, Narzißmus und christliche Religion: Selbstliebe – Nächstenliebe – Gottesliebe. Zürich 1997, 86.

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7. Katechismus der Katholischen Kirche. Kompendium, Nr. 67.

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8. Die Syllogismen des Apelles sind uns nur über das polemische Referat von Ambrosius in seinem Werk „De Paradiso“ erhalten. Vgl. dazu H.S. Benjamins, Paradisiacal Life. The Story Of Paradise In The Early Church, in: Paradise interpreted. Representations of Biblical Paradise in Judaism and Christianity (Themes in Biblical narrative 2), Hg. G.P. Luttikhuizen, Leiden u.a. 1999, 153-167.

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9. Vgl. Ambrosius, De paradiso 8,38.

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10. Testimonium veritatis 48, nach der Übersetzung in: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Übers. u. komm. von K. Berger und Chr. Nord, Frankfurt 2001, 1028.

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11. Vgl. W. Schmidt-Biggemann, Geschichte der Erbsünde in der Aufklärung. Philosophiegeschichtliche Mutmaßungen, in: ders., Theodizee und Tatsachen. Das philosophische Profil der deutschen Aufklärung, Frankfurt a. Main 1988, 88-116, hier: 93.

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12. H.S. Reimarus, Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, herausgegeben von G. Alexander, Frankfurt 1972, Bd. 2, 462.

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13. Reimarus, ebd. Bd. 2, 463f. Ähnlich: ebd. Bd. 1, S. 761-763. Reimarus spitzt seine Kritik nochmals im Bezug auf den Engel mit dem Flammenschwert zu: „Nun kommt erst Gott dazu, nachdem die Sache schon geschehen war, kündiget jedem seine bevorstehende Strafe an, jagt sie aus dem Garten und pflantzt Cherubim davor, daß sie nicht wieder hineinkommen sollen. Würden die Cherubim mit ihren blitzenden Schwertern nicht bessere Dienste bey dem verbotenen Baum gethan haben?“ Ebd., Bd. 1, 461.

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14. Miller richtete diesen Vorwurf nicht direkt gegen Gott, wohl aber gegen das Gottesbild der biblischen Schriftsteller.

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15. „Also ist Gott (absit a me quidem blasphemia!) nach diesem angegebenen Ursprunge des Falles, die moralische Ursache der ersten Sünde der Menschen, und folglich alles daraus entstandenen Unheils.“ Reimarus (s. Anm. 12) 462.

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16. „Ehe die Vernunft erwachte, war noch kein Gebot oder Verbot und also noch keine Übertretung; als sie aber ihr Geschäft anfing und, schwach wie sie ist, mit der Thierheit und deren ganzen Stärke ins Gemenge kam, so mußten Übel und, was ärger ist, bei cultivirterer Vernunft Laster entspringen, die dem Stande der Unwissenheit, mithin der Unschuld ganz fremd waren. Der erste Schritt also aus diesem Stande war auf der sittlichen Seite ein Fall; auf der physischen waren eine Menge nie gekannter Übel des Lebens die Folge dieses Falls, mithin Strafe.“ I. Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, in: ders., Kant̓s gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe), Bd. 8. Abhandlungen nach 1781, Berlin-New York 1923, 115.

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17. So kann Kant doch mit der Bibel das Gute einem – allerdings deistisch verstandenen – Schöpfergott und das Böse den Menschen zuschreiben. Kants vergleichsweise scharfe Wahrnehmung der Problematik des Bösen zeigt sich in seinem wenig später publizierten Werk „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793) mit der darin entwickelten Theorie vom „radikalen Bösen“, die von Anhängern seiner Umdeutung der Sündenfallsgeschichte – insbesondere von Goethe – scharf kritisiert wurde.

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18. Kant, Mutmaßlicher Anfang (s. Anm. 16) 115.

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19. F. Schiller, Etwas über die erste Menschengesellschaft, in: ders., Sämtliche Werke. Vierter Band. Historische Schriften, München 1958, 767-783, hier: 769.

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20. I. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Akademie-Ausgabe Bd. VI, 72.

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21. H. Heine, Adam der erste, in: ders., Sämtliche Schriften, hrsg. von Klaus Briegleb, München 1971, Bd. 4, S. 412f. Vgl. dazu K. Schreiner, Das verlorene Paradies – Der Sündenfall in Deutungen der Neuzeit, in: Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500-2000. Hg. R. von Dülmen, Wien-Köln-Weimar 1998, 43-71, hier: 68.

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22. F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Augsburg 1979, 70 (= Zweiter Teil: Auf den glückseligen Inseln).

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23. Vgl. dazu W. Kasper, Autonomie und Theonomie. Zur Ortsbestimmung des Christentums in der modernen Welt, in: ders., Theologie und Kirche, Mainz 1987, 149-175, bes. 157-164.

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24. Rhetorisch zugespitzt finden wir diese Problematik bei Heinrich Heine. Er spricht im Bezug auf die Sündenfallgeschichte „von der Schlange, der kleinen Privatdozentin, die schon sechstausend Jahre vor Hegels Geburt die ganze Hegelsche Philosophie vortrug“. H. Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1835), Vorrede zur zweiten Auflage (1852), in: ders., Sämtliche Werke, Hg. H. Kaufmann, Bd. 9, 159; zitiert nach O. Marquard, Felix culpa? Bemerkungen zu einem Applikationsschicksal von Genesis 3, in: Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch (Poetik und Hermeneutik 9). Hg. M. Fuhrmann, München 1981, 53-71, hier: 60.

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25. In „Wendezeit für Europa? Diagnosen und Prognosen zur Lage von Kirche und Welt“ (Einsiedeln 1991, 87-93) spricht J. Ratzinger von „zwei Sündenfällen Europas in der Neuzeit“ und nennt als solche den Nationalismus und die Ausschließlichkeit der technischen Vernunft mit einer damit verbundenen Zerstörung des Ethos.

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26. Vgl. dazu J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, 33f.

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27. J. Ratzinger, Ein neues Lied für den Herrn. Christusglaube und Liturgie in der Gegenwart. Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1995. Vgl. dazu P. Sottopietra, Wissen aus der Taufe. Die Aporien der neuzeitlichen Vernunft und der christliche Weg im Werk von Joseph Ratzinger, Regensburg 2003, 77-87. Vgl. auch zuletzt: Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Freiburg-Basel-Wien 2007, 172f.

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28. Lehramtlich vgl. Gaudium et Spes 36; theologisch: W. Kasper, Autonomie und Theonomie (s. Anm. 23).

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29. Vgl. z.B. die Formulierung: „Sakrament ist seinem Wesen nach Ausschaltung der Willkür, des Selbermachens.“ J. Ratzinger, Kirche, Ökumene, Politik. Neue ekklesiologische Versuche, Einsiedeln 1987, 123. Dazu: J. Meyer zu Schlochtern, Sakrament Kirche. Wirken Gottes im Handeln der Menschen, Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1992, 171-176.

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30. So stellte Meyer zu Schlochtern bei Ratzinger ein „tiefes Mißtrauen gegen das neuzeitliche Freiheitsbewußtsein“ fest. Ders., ebd. 175.

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31. Vgl. oben, Anm. 3.

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32. Diesen Aspekt betont einseitig Dieter Froebe, wenn er im Titel seines Buches vom „Sündenfall der Theologie“ spricht: Ders., Der Sündenfall des Menschen und der Sündenfall der Theologie. Eine literarische Auslegung der Vorgeschichte Israels, Münster 2004.

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33. Vgl. R. Albertz, „Ihr werdet sein wie Gott“. Gen 3,1-7 auf dem Hintergrund des alttestamentlichen und des sumerisch-babylonischen Menschenbildes, in: Die Welt des Orients 24 (1993): 89-111. – H. Spieckermann, Ambivalenzen. Ermöglichte und verwirklichte Schöpfung in Genesis 2f, in: Verbindungslinien. Festschrift für Werner H. Schmidt zum 65. Geburtstag. Hg. A. Graupner, Neukirchen-Vluyn 2000, 362-376. – K. Schmid, Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2f und ihrer theologischen Tendenz. In: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (114) 2002, 21-39. – D.M. Slivniak, The Garden of double messages. Deconstructing hierarchical oppositions in the Garden story, in: Journal for the study of the Old Testament (27) 2003, 439-460.

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34. Aus Platzgründen können hier nur zwei klassische Kommentare des 20. Jahrhunderts berücksichtigt werden, während eine Berücksichtigung der neueren Exegese mit ihren erstaunlichen Annäherungen an die Position der Aufklärung und die Position der Schlange hier unterbleiben muss. Vgl. dazu die kurzen Hinweise oben im Haupttext zu Anm. 33.

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35. G. von Rad, Das erste Buch Mose Genesis, Göttingen 91972, 56.

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36. Nach ursprünglicheren Textschichten sei nur ein Baum verboten worden, der erst nachträglich im Sinne einer Abhebung vom Baum des Lebens als Baum der Erkenntnis von Gut und Böse bezeichnet wurde. Vgl. Westermann (s. Anm. 3) 303.

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37. Ebd.

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38. Vgl. z.B.: W. Brueggemann: „Frequently, this text is treated as though it were an explanation of how evil came into the world. But the Old Testament is never interested in such an abstract issue. In fact, the narrative gives no explanation for evil.“ Ders., Genesis, Atlanta 1982, 41.

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39. Von Exegeten wird darauf hingewiesen, dass ein Wort für Sünde noch nicht in der Paradiesesgeschichte, sondern erst in der Erzählung von Kain und Abel vorkommt. Exemplarisch für viele Exegeten hat Westermann die Rede von einem Sündenfall als unpassend abgelehnt. Vgl. ders. (s. Anm. 3) 374-380.

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40. Vgl. Westermann, ebd.

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41. Vgl. in diesem Sinn die Kritik des amerikanischen Exegeten Gordon Wenham an Westermann, mit dem erstaunlichen Fazit: „These comparisons point to an Augustinian reading of Genesis being closer to the author̓s intention than Westermann̓s neo-Pelagianism.“ Ders., Original Sin in Genesis 1-11, in: Churchman 104 (1990) 309-328, hier: 324.

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42. Vgl. E. Zenger, Mose und die Entstehung des Monotheismus, in: Der Monotheismus als theologisches und politisches Problem. Hg. St. Stiegler / U. Swarat, Leipzig 2006, 15-38.

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43. Dass diese Schwierigkeiten schon in der zwischentestamentlichen Zeit zunehmen, belegt: K. Koch, „Adam, was hast Du getan?“ Erkenntnis und Fall in der zwischentestamentlichen Literatur, in: Vor der Wende der Zeiten. Beiträge zur apokalyptischen Literatur. Hg. U. Gleßmer / M. Krause, Neukirchen-Vluyn 1996, 181-217.

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44. Diese Frage stellt sich nicht nur einer historischen Interpretation der biblischen Urgeschichte, sondern auch einer „existentialen“ Interpretation: Wie passiert es immer wieder, dass das Gute – erfahren als Befreiung auf Grund von Gottes gnädiger und rettender Zuwendung – in das Schlechte der frei gewählten Abwendung von Gott abrutscht? Solche Erfahrungen waren ja durchwegs für Israels Geschichte leitend und dürften als solche wohl auch die Sündenfallgeschichte beeinflusst haben.

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45. Vgl. z.B. Gen 3,22.

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46. Odo Marquards Unterscheidung zwischen rekonstruktiver und applikativer Hermeneutik ist hier hilfreich. Vgl. ders., Felix culpa? (s. Anm. 24), sowie Anm. 48.

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47. Wenham stellt fest, „that a weak doctrine of original sin is helped by the tendency to read the J and P passages in Genesis as independent. P̓s view of the original perfection of creation, which is emphasized in Genesis 1 is divorced from the Garden of Eden story ascribed to J.“ Wenham, Original Sin (s. Anm. 41) 314.

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48. Mit einer Unterscheidung von Odo Marquard kann gesagt werden: Im Sinne einer gelingenden rekonstruktiven Hermeneutik, die den primären Kontext der Sündenfallgeschichte freilegt – also dem eigentlichen Geschäft der biblischen Exegeten –, sind drängende Fragen einer applikativen Hermeneutik zu klären, – d.h. Fragen (aus dem „sekundären Kontext“), „auf die der Text noch nicht die Antwort war und sein konnte, weil es diese Fragen noch nicht gab, als der Text entstand“ O. Marquard, Felix culpa (s. Anm. 24) 53.

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49. Letzteres liegt nicht einfach an einem Versagen der Exegese, sondern an dem Umstand, dass es sich um eine Frage der „applikativen Hermeneutik“ handelt (vgl. Anm. 48), – eine Frage, die im Sinne einer adäquaten exegetischen Auslegung relevant ist, auch wenn sie von der Exegese (im Sinne einer rekonstruktiven Hermeneutik) nicht beantwortet werden kann. Es handelt sich um eine Frage, die in den Bereich der systematischen Theologie hineinreicht.

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50. Es ist hier nicht der Raum, auf übliche systematische Antworten einzugehen, die sich ja auch in den exegetischen Kommentaren widerspiegeln: Dass Gott das Verbot erlassen hat, um den Menschen zu erproben, um ihm damit die Freiheit zu geben (Problem: Freiheit muss auch ohne die Freiheit zu sündigen denkbar sein, sonst könnte es zumindest keinen Himmel geben); der Baum steht für das Gesetz, das den Menschen auf Gottes Wege führt. Die in diesen Antworten in Anspruch genommenen Begriffe – Erprobung, Freiheit, Gesetz – werden durch die kritische Lesung einem Verdacht ausgesetzt, der erst noch ausgeräumt werden müsste; – was schwer fällt, weil die mit diesen Begriffen angezielten Werte tatsächlich pervertierbar sind.

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51. Anschaulich illustriert wird dieser Zusammenhang durch die volkstümliche Fabel von der perfektionistischen Spinne: „Eines schönen Morgens glitt vom hohen Baum am festen Faden die Spinne herab. Unten im Gebüsch baute sie ihr Netz, das sie im Lauf des Tages immer großartiger entwickelte und mit dem sie reiche Beute fing. Als es Abend geworden war, lief sie ihr Netz noch einmal ab und fand es herrlich. Da entdeckte sie auch wieder den Faden nach oben, den sie über ihrer betriebsamen Geschäftigkeit ganz vergessen hatte. Doch verstand sie nicht mehr, wozu er diente, hielt ihn für überflüssig und biß ihn kurzerhand ab. Sofort fiel das Netz über ihr zusammen, wickelte sich um sie wie ein nasser Lappen und erstickte sie“ (Text mehrfach im Internet).

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52. Allerdings gibt es auch Deutungen von ExegetInnen, die in die vorgeschlagene Richtung zielen. Vgl. R. Brandscheidt, „Nun ist der Mensch geworden wie einer von uns . . .“ (Gen 3, 22). Zur Bedeutung der Bäume im Garten Eden, in: Trierer theologische Zeitschrift 103 (1994): 1-17.

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53. Vgl. Röm 8,32: Gott „hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“

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54. Zum Begriff einer dynamischen Gottebenbildlichkeit vgl. W. Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive. Göttingen 1983, 40-76.

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55. Hier lässt sich die von Kant so betonte Problematik des Bösen (vgl. das Zitat in Anm. 16) berücksichtigen, allerdings nicht als kontingente Folge eines als Erwachen zum Selbstbewusstsein begriffenen Sündenfalls, sondern als dessen zentrale Äußerung.

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56. Diese Kritik betrifft weniger die tridentinische Erbsündenlehre als demgegenüber radikalere Erbsündentheologien bei Martin Luther und im Jansenismus. Vgl. dazu Schreiner (s. Anm. 21), 46-54.

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57. Bewusst wähle ich die Formulierung „ambig“ (= mehrdeutig, doppelsinnig) anstelle von „ambivalent“ (= doppelwertig, zwiespältig). Letzteres würde besagen, dass das menschliche Streben zugleich als positiv und negativ zu bewerten ist. Damit wäre eine unaufgelöste Spannung, vielleicht eine Tragik, ausgesagt, die auf eine Ambivalenz in Gott zurückschlagen würde. Der Gottesverdacht – etwa im Sinne eines double-binds, der auf einen narzisstischen Fallenstellergott verweist (s.o.) – wäre damit nicht ausgeräumt, sondern genährt. Von daher halte ich neuere exegetische Deutungen des Sündenfalls, die auf eine ursprüngliche Ambivalenz des Weisheitsstrebens hinzielen, (vgl. Anm. 33) für unzureichend.

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58. Bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber den Versuchen kollektiver Selbstmanipulation des Menschen etwa durch die Gentechnologie, ist es gemäß der hier vorgetragenen Deutung unberechtigt, auf diese Versuche a priori den Vorwurf menschlicher Hybris im Sinne des biblischen Sündenfalls anzuwenden. In diesem Sinn konvergiert meine hier vorgetragene Deutung mit der vorsichtig positiven Einschätzung der Möglichkeiten menschlicher Selbstmanipulation durch R. Schwager: Ders., Erbsünde und Heilsdrama. Im Kontext von Evolution, Gentechnologie und Apokalyptik (BMT 4). Thaur-Münster 1997, 91-94.

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59. Im Vergleich dazu erweisen sich autonomiefeindliche Deutungen des Sündenfalls im Hinblick auf eine Ernstnahme der Sündenproblematik nicht als radikaler, sondern als zu wenig radikal, weil sie die Problematik des Sündenfalls erst dort beginnen lassen, wo Menschen mit erkenntlichen Ambitionen nach vorne drängen. Solche Einseitigkeit zieht begreiflicherweise Nietzsches Kritik an einem Ressentiment des Christentums auf sich.

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60. Insofern korrigiere und präzisiere ich meine Deutung des Sündenfalls, wie ich sie früher vorgelegt habe, und die v.a. von Paul Weß kritisiert wurde. Vgl. W. Sandler, Wie kommt das Böse in die Welt? Zur Logik der Sündenfallerzählung, in: Dramatische Theologie im Gespräch. Symposion/Gastmahl zum 65. Geburtstag von Raimund Schwager (BMT 14). Hg. J. Niewiadomski / N. Wandinger, Thaur-Münster 2001, 127-153. – P. Weß, Anfragen an die „Dramatische Theologie“, in: ders., Glaube zwischen Relativismus und Absolutheitsanspruch. Beiträge zur Traditionskritik im Christentum, Wien 2004, 135-144, hier: 139f.

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