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Niewiadomski Jozef: Die Kraft der Auferstehung. Predigt zum Ostersonntag, gehalten in der Jesuitenkirche
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Die Kraft der Auferstehung. Predigt zum Ostersonntag, gehalten in der Jesuitenkirche
(Am 21. April 2019 um 11.00 und 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-05-08

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Hat er die Prioritäten richtig gesetzt? Nachdem er dem Grab entstiegen ist. Liebe Schwestern und Brüder, wäre Jesus ein „up-to-date-sein-wollender Mann“ gewesen, ein Zeitgenosse sozusagen, einer, der weiß, wie das Leben heutzutage – gerade in einer medial strukturierenden Gesellschaft – funktioniert, so hätte er zumindest zu einer Pressekonferenz einladen müssen! Dabei das ihm zugefügte Unrecht geoutet, sich als Opfer präsentiert, Akteneinsicht verlangt und auch die volle Transparenz. Schlussendlich hätte er sein Recht eingeklagt, gar die Entschädigung fordern müssen, auf jeden Fall die Bestrafung der Täter. Und wenn er nicht unbedingt auf diese Trumpfkarte hätte setzen wollen, dann hätte er seine ersten Schritte in Richtung Tempelplatz einschlagen müssen. Der Besuch beim Hohen Rat hätte doch Normen setzen können für den interreligiösen Dialog, das Treffen mit Pontius Pilatus gar Maßstäbe für eine global verantwortbare Politik. Schließlich verfügte er auch über die noch unverbrauchte Trumpfkarte des Wunders.

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Sämtliche Größen moderner Managementtheorien, Konfliktstrategen, Soziologen, Politikberater und Kirchenverantwortlichen, jene Menschen also, die sich unaufhörlich die Köpfe zerbrechen über die Fragen, wie man mit attraktiven Angeboten die übersättigten modernen Menschen anlocken kann – sie animieren also, sich der Partei anzuschließen, oder dem Verein, gar der Religionsgemeinschaft –, sie alle müssen dem lieben Jesus einen unverzeihlichen Fehler vorwerfen: er habe die einmalige Chance, Prioritäten richtig zu setzen, verspielt. Ignorierte er doch sträflich all die Plätze und Bretter, die die Welt bedeuten, setzte sich schamlos über die Maßstäbe erfolgsgarantierender Kommunikationsstrategien hinweg, ging souverän an all dem vorbei, was auf Erden von Menschen für wichtig gehalten wird!

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Und doch... Doch ist das Ergebnis seines Handelns, des Handelns des Auferstandenen Jesus von Nazareth verblüffend. Kein anderes Ereignis hat nämlich die Weltgeschichte derart nachhaltig verändert, wie dieser „erster Tag der Woche“. Aber auch kein anderer religiöser Glaubenssatz ist derart vehement bestritten und geschmäht worden, wie das Bekenntnis, Gott habe den Gekreuzigten auferweckt!

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Dabei hat das Ganze wie ein mäßiger Hollywoodschinken begonnen, ein Blockbuster – wenn sie so wollen. Die Möchtegernhelden des Epos vom Einbruch des Reiches Gottes hier auf dieser Erde haben sich nach der Erfahrung der Katastrophe abgeschottet. Menschlich, allzu menschlich ist das, und verständlich auch. Angstbesessen sitzen sie hinter verschlossenen Türen, gleichen so dem toten Meister in seinem Felsengrab. Die Frau..., jene Frau, die viel geliebt und in den letzten Tagen noch mehr gelitten hat, schleppt sich in aller Früh zum Grab. Ausgelaugt, enttäuscht, müde und verstört. Aber auch ein wenig getröstet durch die Aussicht von ein paar ruhiger Minuten am Grab. Diese Frau sieht den weggeschobenen Stein. Ein Schreck fällt ihr in die Glieder, Gedanken rasen durch den Kopf. Grabräuber? Leichenschändung? Sie dreht sich um, läuft wie eine Besessene in die Stadt zurück. Atemlos erreicht sie das Haus, in dem die Haberer verbarrikadiert sitzen. Tränenüberströmt, mit ihrem wirren Gerede, zwingt sie Petrus und Johannes dazu, sie zu begleiten. Und dann? Dann der Knalleffekt. Das Grab ist leer. Fassungslos stehen die beiden Männer da, verstehen Bahnhof. Herz und Kopf sind leer. Wie bei jeder existentiellen Krise, kommt dann Pragmatik zum Zug: „Bloß am Boden bleiben. Eigentlich haben wir unsere Schuldigkeit getan!“ Also wenden sich die beiden ab und gehen nach Hause.

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Und sie? Die Frau? Maria betritt weinend das Grab. Der Leichnam, den sie betrauern wollte, der tote Jesus, den sie suchte, dieser Jesus ist nicht mehr da. Der Riss in ihrer Biographie wird nun zum regelrechten Bruch. Sie selber zum Schatten ihrer selbst. „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“; lauten die ersten Worte des Auferstandenen. Wie ein guter Seelsorger nähert sich Christus dem Menschen, der in völliger Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit vor ihm kauert. Dem Menschen, dem der Boden unter den Füßen völlig entzogen wurde. Er nähert sich nicht besserwisserisch, nicht vom oben herab, nicht belehrend: „Du brauchst doch nicht zu weinen!“ Nein! Liebevoll und mit einer Frage, die der hilflosen Frau den Mund und das Herz öffnet. Mit einer Frage, die ihr die Antwort nicht gleich in den Mund legt. Mit dieser Frage, verhilft er ihr dazu, das zu sagen, was sie bewegt, was sie selber glaubt begriffen zu haben. „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Solltest Du ihm fortgetragen haben, sag es bitte mir, dann werde ich ihn mir holen, mir holen, den, den ich gesucht habe“ – den toten Jesus! „Maria“, sagt der Auferstandene und erst da fällt der Groschen bei der Frau. Das Wesen, das aufgrund der zerstörerischen Brucherfahrung nur noch der Schatten seiner selbst war, dieses Wesen wird wiederum zur Frau, zum Beziehungswesen, zum Menschen mit seiner Identität, mit seiner Lebensgeschichte.

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Liebe Schwestern und Brüder, hat der Auferstandene die Prioritäten richtig gesetzt? – habe ich gefragt. War es richtig von ihm, nicht zum Tempelplatz zu gehen, um theologische Dispute zu führen und auch nicht zu Pilatus, um Weichenstellungen vorzunehmen, für eine richtige Politik? Sondern zum Grab, um dort eine – bis dahin doch unbedeutende – Frau zu treffen. Eine Frau, die ihn zwar liebte, die aber nun in einer fundamentalen Krise steckte. War es richtig? Denn –  so wird die moderne Welt denken – was ist schon eine einzige Frau, verglichen mit Tausenden ihrer gleichen? Was ist ein solches Treffen, wenn man es in Beziehung setzt zu all den Interessenverbänden, all den Meinungsmacher, Strategen und Beratern? Hat er richtig gehandelt?  

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JA! Die Kraft des Auferstehungsglaubens liegt nämlich nicht in der vorfabrizierten Strategie, die sich des Wunders bedient, um Interessen durchzusetzen: Machtinteressen, religiöse und ethische Programme, oder aber legitime Anliegen der Förderung attraktiver Lebensrezepte. Nein, die lebensspendende Kraft der Auferstehung Jesu ist nicht dort zu suchen. Wäre das der Kern des christlichen Glaubens, so wäre dieser Glaube nur eines von vielen Angeboten religiöser, ethischer, sozialer und politischer Art. Dann hätte der Auferweckte die Machtzentren der damaligen Welt aufgesucht oder in religiöse Denkfabriken eintauchen müssen. Mehr noch: er hätte seine Wundmale als unwiderlegbare Beweise für die Anklage präsentiert, um fortan auf diesem Weg und im Kontext opferstrukturierten Logik Recht zu bekommen, oder aber dieses zu erpressen. Auf diese Weise hätte er es geschafft, zumindest für ein paar Wochen oder Monate, zu einer Celebrity zu werden. Stattdessen spricht der Auferstandene einen ganz konkreten Menschen beim Namen an, erzeugt damit die Intimität einer zwischenmenschlichen Begegnung, einer Begegnung, die diesen Menschen heilt, einer Begegnung, in der ich mit meiner Angst und Trauer, mit meinen Zweifeln und Verzweiflung, gar mit falsch verstandenen Hoffnungen ernst genommen werde. Die Kraft des Auferstehungsglaubens liegt ja darin, dass ich vom menschgewordenen Gott, der ja in seinem Sterben tiefer fiel als der Mensch je zu fallen vermag, dass ich in meiner biographischen Einmaligkeit wahrgenommen werde, ernstgenommen und durch die Brüche hindurch zur Vollendung geführt werde. Kein politischer Verband, keine Lobbygruppe, nicht einmal die vielen Religionen der Menschheit – so wertvoll sie auch sein mögen – haben diese Radikalität gewagt, geschweige denn eingelöst!

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Und der Auferweckte selber? Ist er an diesem „ersten Tag der Woche“ sich treu geblieben, oder hat er selber Kompromisse gemacht, sich doch auf religionssoziologische Plausibilitäten eingelassen? Die Prioritäten des Ostertages entspringen alle ein und derselben Logik. Wenn er etwa während des Ostertages zuerst den zwei – doch unbedeutenden – Jüngern erscheint und mit ihnen wandert. Den Jüngern, die Hals über Kopf davongerannt sind – den unzähligen Menschen der Gegenwart nicht ganz unähnlich, die ja tief enttäuscht der Kirche den Rücken kehren, um nach ihrem eigenen Emmaus zu suchen –, wenn er ausgerechnet ihnen als Seelsorger erscheint, und dies anscheinend bloß deswegen, damit die Tieffrustrierten Gelegenheit haben, sich den ganzen Ärger und die maßlose Enttäuschung von der Seele zu reden. Er setzte seine Prioritäten, wenn er erst am Abend den abgeschotteten Aposteln begegnete und denen, die von lauter Gewissensbissen sich nicht einmal trauten einander in die Augen zu schauen, wenn er ihnen das Wort der Vergebung schenkte und den inneren Frieden. Gar mit ihnen gegessen und getrunken hatte und sie so mit sich selber und untereinander versöhnte. Er zeigte zwar auch seine Wunden, doch nicht deswegen, damit er damit das Kapital schlägt: weder Schlagzeilenkapital, noch jenes der Anklage und der erniedrigenden Rechthaberei. „Herr-Knecht-Dialektik“ war ihm fremder als der Mond.

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Liebe Schwestern und Brüder, die Prioritäten, die der Auferstandene an diesem „ersten Tag der Woche“ setzt, entspringen alle ein und derselben Logik. Ich habe sie als die Logik des Seelsorgers qualifiziert, eines Seelsorgers, der sich des ganz konkreten Menschen annimmt und ihm (zum Einen) über den Bruch hinwegzukommen verhilft, ohne daraus Kapital zu schlagen. Zum anderen aber verhilft er ihnen nicht dazu, aus der erlebten Sackgasse zu fliehen. Nicht Eskapismus aus der brüchig gewordenen Biographie steht auf dem Programm der Ostererfahrung, sondern Versöhnung mit den ganz konkreten Brüchen der ganz konkreten Lebensgeschichte. Ostern hat deswegen nichts, aber schon gar nichts mit der Mentalität der Selbstmordattentäter zu tun; Ostern entspringt auch nicht der esoterischen Verführung. Es ereignet sich auf  einem konkreten Kreuzweg. Einem Kreuzweg, den sich der Gekreuzigte nicht ausgesucht hatte, der ihm widerfuhr; einem Kreuzweg, der im Tod des Gekreuzigten endet. Deswegen verhilft der Auferweckte uns allen – uns, deren Lebenswege oft zu Kreuzwegen mutieren, auf jedem Fall aber im Tod enden –, er verhilft uns zur Versöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte. Sie wird zwar auch im Tod enden, dank dem Wirken des Auferstandenen wird sie aber durch den Tod hindurch weitergehen. Sie wird erst dort – nach dem Tod – durch den auferweckenden Gott vollendet. Bei all dem Wert einer interreligiös kompatiblen Perspektive der Hoffnung dürfen wir Christen die Einmaligkeit christlicher Hoffnungslogik nicht nivellieren und die Menschen um das darin enthaltene Glaubenspotenzial nicht betrügen.

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Denn: noch eines ist mit den Prioritäten des Auferstandenen verbunden. Es ist der Auftrag: „Geh zu den Anderen. Begegne ihnen so, wie ich Dir begegnet bin und sage auch: Jesus lebt, Christus ist auferstanden! Und wenn Du das glaubst, wirst auch Du leben. Du, als der ganz konkrete Mensch, ein Mensch mit einer Biographie, die voller Brüche ist, Du wirst versöhnt werden: mit dir selber und auch mit allen anderen!“ In dieser elementaren Form hat die Botschaft der Auferweckung die Welt umrundet. Sie hat Biographien auf den Kopf gestellt. Menschen sind für die Wahrheit des Bekenntnisses Gott habe den Gekreuzigten auferweckt in den Tod gegangen. Unzählige Christen haben Martyrium erlitten und bezeugt, dass Gott, der den Gekreuzigten auferweckt hat, dass dieser Gott die Brüche heilen kann, dass seinem heilenden Wirken keine Grenze gesetzt ist. Nicht einmal die Grenze des Todes. Darum jubeln die Christen zu Ostern. Und dies weltweit!

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(Anmerkung: Zum Zeitpunkt, als ich diese Predigt zum ersten Mal gehalten habe, wusste ich noch nichts von dem entsetzlichen Massaker mit über 250 Toten und unzähligen Verletzten, das die islamistischen Selbstmordattentäter gezielt im Kontext der Ostergottesdienste auf Sri Lanka angerichtet haben. Ostern 2019 war für unzählige Christen mit Tränen, Zweifel, aufkommendem Hass verbunden, aber auch mit der Gnade und Bemühung um “österliche Augen” und einen dementsprechenden Blick auch auf dieses Massaker).

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