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"Regulativ im Literaturbetrieb"
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"Regulativ im Literaturbetrieb"

Vor 55 Jahren wurde die Österreichische Gesellschaft für Literatur (ÖGfL) in Wien gegründet. Brigitte Schwens-Harrant sprach mit dem Leiter Manfred Müller über Literaturvermittlung, Subventionen und Veränderungen im Literaturbetrieb.

 

Sie sind seit mehr als 15 Jahren hier tätig, haben 2014 die Geschäftsführung übernommen: Vor welchen Herausforderungen steht eine so geschichtsträchtige Institution wie die Österreichische Gesellschaft für Literatur (ÖGfL)?

Einerseits gibt eine geschichtsträchtige Institution eine Richtung vor. Die ÖGfL war von Anfang an als Salon angelegt. Wir sind kein Theater, keine Bühne, wo nur etwas präsentiert wird, wir sind, schon was unsere Lage und die Ausstattung der Räume anbelangt, ein halb privater Ort, ein Ort der Diskussion, des Gesprächs. Das ist als Abgrenzung zu anderen Einrichtungen sehr wichtig. Andererseits muss weiterentwickelt werden, was entstanden ist. Die ÖGfL hatte im Sinn ihres Gründers Wolfgang Kraus drei Schwerpunkte. Der erste war die Vermittlung von Gegenwartsliteratur aus Österreich. Einen Ort anzubieten, wo eine Diskussion stattfinden kann über das, was gerade geschrieben wird, war damals, 1961, völlig neu. Der zweite Schwerpunkt war das Zurückholen jener Autorinnen und Autoren, die von den Nazis vertrieben wurden, die flüchten mussten und zu jener Zeit zum größten Teil noch nicht wieder in Wien gewesen waren. Kraus brachte Autoren und Wissenschaftler wie Manès Sperber, Erich Fried, Martin Esslin nach Wien.

Und dann war da noch der Sprung über den Eisernen Vorhang ...

Ja, Autorinnen und Autoren, die jenseits des Eisernen Vorhangs schrieben, sollten Möglichkeiten für Auftritte und Publikationen erhalten. Das war ein sehr komplexer, auch sehr politischer Schwerpunkt. Wir haben im Februar ein Forschungsprojekt über die Geschichte der ÖGfL begonnen - da spielt auch dieser Punkt eine große Rolle: die Kontaktanbahnung, die Finanzierung - wie ist das alles passiert, mit wem hat Kraus Kontakt gehabt, mit wem hat er reden können, dürfen und müssen. Ursprünglich spielte in seinen Überlegungen der Mitteleuropagedanke mit, auch der Gedanke, die alten Länder im Osten der Habsburgermonarchie wieder anzubinden an Wien, also nach dem Zweiten Weltkrieg einen Zustand wiederherzustellen, den es um die Jahrhundertwende gab.

Diese Themen haben sich im Lauf der Zeit ziemlich verändert ...

Ja, die Emigranten spielen mittlerweile natürlich eine kleinere Rolle in unseren Aufgaben, aber es gibt nach wie vor Kontakte und einen thematischen Schwerpunkt in diese Richtung. Auch im Bereich der Literatur in Mittel-,Ost-und Südosteuropa hat sich mit und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sehr viel verändert. Die Kontakte, die von der ÖGfL in den 60er und 70er-Jahren fast monopolartig betrieben werden konnten, sind mittlerweile von vielen anderen Institutionen mit übernommen worden. Trotzdem sind unsere Aufgaben immer noch wichtig: Wir betreuen im Auftrag des Außenministeriums die Österreichbibliotheken, vergeben Übersetzerstipendien, vermitteln Autorinnen und Autoren ...

Auch die Vermittlung österreichischer zeitgenössischer Literatur hat sich fundamental gewandelt ...

Die Szene ist heute eine völlig andere ist als zu Anfang der 60er-Jahre. Noch in den 80er-Jahren haben drei öffentlich geförderte Institutionen - die Alte Schmiede, das Literaturhaus und wir - weit mehr als die Hälfte aller Literaturveranstaltungen in Wien abgedeckt, die es damals gegeben hat. Mittlerweile sind es noch gute 10 Prozent, obwohl wir alle ein größeres Programm haben als damals. Jetzt gibt es unzählige andere Orte, wo man zu Buchpräsentationen hingehen kann: Buchhandlungen, Cafés, Gasthäuser, bibliotheken, Theater. Allein deshalb, und um sich von dieser Masse abzuheben, muss man sich auf das konzentrieren, was der eigentliche Auftrag einer öffentlich geförderten Institution ist. Und so gesehen sind wir heute sicher auch eine Form von Regulativ in einem immer größer werdenden, extrem heterogenen Literaturbetrieb.

Ein Regulativ in Bezug worauf?

Wir versuchen, den Markt auszugleichen. Auch denen eine Stimme zu geben, die am Markt aus welchem Grund auch immer nicht reüssieren, nicht nur die Bücher zu präsentieren, die von vornherein einen großen Verkaufserfolg garantieren, nicht nur die Autoren zu präsentieren, die aufgrund ihrer medialen Präsenz ohnehin bekannt sind. Wenn eine Buchhandlung Lesungen macht, muss sie mehr als wir darauf achten, dass das Publikum bringt und sich das Produkt Buch verkauft. In der ÖGfL geht es eben nicht darum, dass das Buch gut verkäuflich sein muss. Natürlich könnte man oft mehr Publikum ansprechen als zum Beispiel mit kleinen österreichischen Lyrikbänden, die aber, denke ich, wichtig sind und präsentiert werden müssen. Die Kriterien, nach denen wir auswählen, sind daher völlig andere. Auch was die Präsentation, Moderation, das Drumherum betrifft, sind unsere Aufgaben andere.

Im Buch "Der Kulturinfarkt. Von Allem zu wenig und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubventionen" forderte unter anderem der Direktor der Schweizer Kulturstiftung "Pro Helvetia" 2012 das Ende der gegenwärtigen Subventionskultur, vor allem bei Museen und Theatern. Künstler und Kulturvermittler sollten statt dessen marktgerecht produzieren. Was sagen Sie dazu?

Die Kulturszene ist sehr heterogen. Es gibt aber Bereiche, in denen der Verlust von Förderungen bedeuten würde, dass diese Bereiche verschwinden. Ohne Literaturförderung würde ein großer Teil der Literatur gar nicht in Buchform erscheinen, würden die meisten österreichischen Verlage nur schwer existieren, würden Autoren nicht leben können. Abgesehen davon sind die Summen, die in der Literaturförderung ausgegeben werden, bei sehr großer Wirkung vergleichsweise niedrig.

Die Frage ist ja auch, ob es Aufgabe des Staates ist, die Masse der Kulturproduktion zu erhalten, zu vergrößern ...

Ich meine: Ja, weil es niemand anderen gibt, der es tun könnte. Es gibt in einem kleinen Land wie Österreich kaum Mäzenatentum, kein Stiftungswesen, die so wie in anderen Ländern eine breitere Kulturproduktion garantieren könnten. Und es gibt, zumindest in der Literatur, eben keinen Markt, der dafür sorgt, dass viele ohne Förderungen existieren können. Österreich präsentiert und definiert sich im Ausland immer mit Kultur, gerade auch aus gegenwärtiger Produktion: Da finde ich es nur angemessen und logisch, wenn es dann diese Form von kulturellem Leben auch fördert. Man kann dann aber auch nicht sagen, ich fördere nur die Besten. Das ist ein bisschen wie in der Schuldiskussion: Man kann bei Achtjährigen oder Zehn-oder Zwölfjährigen in den seltensten Fällen sagen, aus dem wird was und aus dem nichts. Wenn der Staat also am Anfang nicht breit fördert, bleibt am Ende nichts übrig, womit er sich rühmen könnte. Kulturförderung ist daher immer auch damit konfrontiert, dass es Leute gibt, die irgendwann aufhören zu schreiben, aber eben auch welche, von denen man nicht erwarten konnte, dass sie jemals den Stellenwert haben würden, den sie nun haben. Wenn man also Literatur in Österreich im gewohnten, gewachsenen Ausmaß haben will - und gerade im deutschsprachigen Raum spielt die österreichische Literatur eine weit größere Rolle als die Einwohnerzahlen es erwarten ließen -, dann ist Kulturförderung die einzige Möglichkeit.

Die ÖGfL fördert auch, indem sie Autoren für ihre Auftritte entlohnt.

Ja, eine erschreckende Entwicklung ist, dass es zwar immer mehr Veranstaltungen gibt, Autorinnen und Autoren aber immer öfter ohne Honorar auftreten sollen. Das ist fatal. Von einem Buch, das in Österreich als Erfolg gilt, verkauft man ein paar Tausend Exemplare; man braucht lange, um es fertigzustellen, sitzt für einen Roman vielleicht zwei Jahre daran; für jedes Exemplar kriegt man zum Beispiel zwei Euro. Da kommt, wenn man nur vom Buchverkauf leben müsste, ein Stundenlohn heraus, der lächerlich ist. Es gibt daher in Österreich auch nur ein paar Leute, die ausschließlich davon leben können. Und deshalb sind Lesehonorare ein wichtiger Bestandteil des Einkommens.

Für Museen und Theater zahlt man selbstverständlich, bei Lesungen – mit Ausnahmen, das sind dann die Stars – wird kaum Eintritt verlangt.

Man zahlt bei uns auch für die sogenannten Stars keinen Eintritt. Es gibt aber natürlich Diskussionen unter Veranstaltern, ob man Eintrittsgelder verlangen könnte, und einige Literaturhäuser in Österreich denken da anders als wir. Ich weiß auch gar nicht, ob sich Eintrittsgelder auf die Publikumszahlen auswirken würden, denn viel Eintritt würden wir ja nicht verlangen. Es ist eher eine grundsätzliche Frage. Wir wollen Literatur weitergeben, ohne jede Hürde, und sei sie noch so klein – und wir erhalten genau dafür, für diesen niederschwelligen Zugang auch zu vermeintlich oder tatsächlich schwieriger Literatur, Förderungen. Es ist eine Einladung: Kommt zu uns und hört euch an, was da passiert, nehmt Teil an diesem Prozess. Es ist daher meiner Ansicht nach mit dem Auftrag einer Institution wie der unseren schwer zu vereinbaren, Eintrittsgelder zu verlangen. Die anderen großen öffentlich geförderten literarischen Veranstaltungshäuser in Wien wie die Alte Schmiede und das Literaturhaus verlangen übrigens alle keine Eintrittsgelder, aus ähnlichen Überlegungen.

Sie sprechen da auch einen bildungspolitischen Aspekt an.

Auf jeden Fall. Das ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Es gibt ja auch immer mehr literarische Veranstaltungen mit Eintritt in Wien und zum Teil werden diese Veranstaltungen von Institutionen gemacht, die ebenfalls öffentlich gefördert werden, wenn auch für andere Zielsetzungen als wir – zum Beispiel von Theatern. Wenn man aber hochrechnet, wie viel ein Sessel in einem Theater die Geldgeber kostet – das geht ja auch gar nicht anders, wenn man die Größenordnung der Produktionen berücksichtigt – und wieviel ein Sessel bei uns, dann steigen wir – ob mit oder ohne Eintrittsgeldern – sehr gut aus im Vergleich, weil wir durch unsere überschaubare Größe natürlich viel weniger Geld brauchen und bekommen.

Nun gibt es in einer Stadt wie etwa Wien sehr viele Institutionen, die öffentlich gefördert werden. Da ist es wohl wichtig, das eigene Profil zu betonen, etwa im Unterschied zu einer Alten Schmiede oder einem Literaturhaus?

Ein eigenes Profil ist natürlich sehr wichtig, aber die Konkurrenz sind nicht die genannten Institutionen. Es gibt in Wien eine kaum mehr überschaubare Zahl an Veranstaltungen. Ein Beispiel: Als Elfriede Gerstl das letzte Mal bei uns war, um zu lesen, hat sie einen Zettel mitgehabt, wo sie sich aufgeschrieben hat, was am gleichen Abend alles passiert. Der Abend war zwar trotzdem gut besucht und sie war sehr zufrieden, aber hergekommen ist sie mit sorgenvoller Miene und hat uns vorgerechnet, dass am gleichen Abend 27 literarische Veranstaltungen stattfinden, über Wien verteilt. Das war vor etwa zehn Jahren, mittlerweile wären es an manchen Abenden noch mehr. Und wenn man berücksichtigt, dass da noch keine Vernissage dabei ist, keine Theateraufführung, Kino sowieso nicht, Oper nicht, also alles, was irgendwie verwandt ist, dann muss man eigentlich von noch viel mehr Veranstaltungen ausgehen, die ein ähnliches Publikum ansprechen. Da sind die drei Institutionen, das Literaturhaus, die Alte Schmiede und wir, nur ein kleiner Teil davon. Aber eben ein wichtiger, regulierender Teil. Und natürlich hat jede dieser drei Institutionen ihre eigenen spezifischen Schwerpunkte. Das Literaturhaus und wir zum Beispiel sind beide größtenteils vom Bund subventioniert. Aber wir haben von Anfang an unterschiedliche Ausrichtungen. Das Literaturhaus ist ja eine Dachorganisation, die wesentlich größer ist, wichtige bibliotheken, Archive, die IG Autorinnen Autoren, die Übersetzergemeinschaft usw. beherbergt, die einen Ausstellungsraum hat. Wir auf der anderen Seite übernehmen eine Reihe von Vermittlungsaufgaben: Wir vergeben zum Beispiel im Auftrag des Bundeskanzleramts Übersetzerstipendien, wir übernehmen Betreuungsaufgaben, etwa für die Österreichbibliotheken im Ausland. Die Aufgabengebiete sind also sehr gut aufgeteilt. Wo sich die beiden Institutionen treffen, das ist nur ein Teil unserer Arbeit, die Veranstaltungen. Und wenn man sich hier die Programme ansieht, merkt man, dass es auch da gewachsene, eigenständige Profile jeder Institution gibt, die natürlich im Lauf der Zeit mehr und mehr herausgearbeitet werden. Und wir achten natürlich darauf, dass es keine Überschneidungen gibt. Die öffentlich geförderten Häuser sind daher nicht unsere Konkurrenz, sondern Partner, mit denen wir zusammenarbeiten.

Sie kooperieren ja seit vielen Jahren ...

Ja, es gibt immer wieder punktuelle Kooperationen, im Juni etwa im Rahmen der Poliversale-Reihe der Alten Schmiede, vor allem aber auch eine große Projektreihe mit dem Titel mitSprache, der elf große öffentlich geförderte Literaturinstitutionen angehören, das sind neun Literaturhäuser, die Alte Schmiede und die ÖGfL. Wir treffen einander regelmäßig, wir initiieren, organisieren Veranstaltungen und große Projekte, die die Kapazitäten der einzelnen Institutionen übersteigen. Es sind da wirklich schöne Sachen entstanden, und im heurigen Herbst wird in diesem Rahmen eine Enquete zur Situation der Literaturvermittlung in Österreich stattfinden. Der Titel mitSprache gibt auch schon eine Richtung vor: das Mitreden in Bereichen, wo die Literatur oft nur schwer hinkommt, wo einzelne Institutionen noch viel schwerer hinkommen.

Es gab immer kritische Stimmen über die politische Verflechtung und ideologische Ausrichtung der ÖGfL, es gab die Einteilung hier konservativ, dort links. In dieser Hinsicht dürfte sich im österreichischen Kulturbetrieb einiges verschoben haben?

Ja, sicher. Es gab diese Einteilungen lange. Die Ausrichtung der ÖGfL und ihres Gründers Wolfgang Kraus hat, nachdem die Szene sich zu entwickeln begann und die ÖGfL ihre Alleinstellung verloren hatte, auch Kritik verursacht. Kraus war jahrzehntelang unglaublich präsent in der literarischen Szene, er war nicht nur der Leiter der ÖGfL, er war auch im Außenamt aktiv, in Fernsehen und Radio präsent, er war Lektor des Europa- und des Zsolnay-Verlags und hat Kritiken geschrieben: Es gab wahrscheinlich wenige Möglichkeiten, als Autorin oder Autor an ihm vorbeizukommen, zumindest in den 60er-Jahren und Anfang der 70er-Jahre. Franz Schuh zum Beispiel hat in mehreren Texten als junger Autor Kraus geradezu als Reizfigur aufgebaut. Ich glaube aber nicht, dass irgendjemand, der die Szene kennt, heute noch sagen kann, dass es in der ÖGfL ideologische, politische, ästhetische Abgrenzungen gibt, wie sie Kraus, der bis 1993/94 Leiter der ÖGfL war, nachgesagt wurden. Es ist sicher auch ein Verdienst von Kraus' Nachfolgerin Marianne Gruber, dass sie die ÖGfL wieder geöffnet und zu einer Institution, die auch im Inland stark vernetzt ist, erweitert hat.

Diese Veränderungen betreffen ja nicht nur Literaturinstitutionen. In den 60 und 70 Jahren wurden politische Debatten anders geführt als heute und Menschen wollen sich oft nicht mehr dem einen oder anderen ideologischen Lager klar zuordnen.

Ja, allein der Konflikt zwischen der Grazer Autorenversammlung (GAV) und dem PEN-Club hat ab Anfang der 70er Jahre zu solchen Polarisierungen geführt. Diese Abgrenzungen sind zum Teil immer noch da, aber bei weitem nicht mehr so wie damals. Und Kraus hat sich zwar in vielen Punkten herausgehalten, aber schon dadurch positioniert, dass er selbst PEN-Clubmitglied war. Er hat daneben aber auch gute Kontakte gepflogen z.B. zu Ernst Jandl, obwohl dieser federführend an der Gründung der GAV beteiligt war.

Die ganze Problematik ist ja mittlerweile historisch, und ebenso wie die Positionierung der ÖGfL in der Zeit des Kalten Kriegs natürlich ein zentraler Teil unseres Forschungsprojekts. Viele Schreibende, die jetzt 30, 40 Jahre alt sind, können mit diesem Konflikt zwischen GAV und PEN jedenfalls überhaupt nichts mehr anfangen. Manchen müsste man wahrscheinlich erst erklären, worum es da ursprünglich überhaupt gegangen ist.

Wenn Sie sagen, Autoren können mit diesem Konflikt heute nichts mehr anfangen – heißt das, dass sie sich nicht mehr so politisch positionieren?

Heute gibt es andere, nicht weniger politische oder aktuelle Themen, wie Überwachung oder das Urheberrecht, und auch das Private ist ja heute politisch. Man kann ohnehin nie sagen, Literatur ist so oder so. Aber die großen, polar entgegengesetzten Positionen der siebziger Jahre gibt es in der Form nicht mehr, und ich weiß nicht, ob das unbedingt ein Nachteil ist. Ich glaube auch gar nicht, dass es jetzt ohne Weiteres möglich wäre, im literarischen Feld eine so lange anhaltende polare Konfliktbereitschaft überhaupt zu erzeugen. Die Voraussetzungen dafür sind anders als damals im Kalten Krieg, in der Nachkriegsgesellschaft, in der es fixe kulturelle Ordnungen gab, da waren die einen drin, die anderen nicht. Das heißt aber nicht, dass Autorinnen und Autoren heute weniger nachdenken, dass sie weniger konfliktbereit sind – es spielt sich nur auf anderen Ebenen ab.


Das Gespräch mit Manfred Müller führte Brigitte Schwens-Harrant.

Eine Kurzfassung erschien am 28.4.2016 in der österreichischen Wochenzeitung "Die Furche", Nr. 17 / 2016, S. 18-19.

Abbildungsnachweis: © Österreichische Gesellschaft für Literatur