- Leseraum
| Zur Suche nach dem Willen Gottes in GemeinschaftAutor: | Büchele Herwig |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | In der Praxis christlicher Gemeinschaften zeigt sich, dass sich durch Situationsanalyse und Erwägung normativer Leitprinzipien allein noch nicht eine bestimmte Entscheidung als die Entscheidung herauskristallisiert. Jede Christengemeinde muss sich daher fragen, welche von verschiedenen legitimen Möglichkeiten mehr (magis) dem Willen Gottes entspricht. Der vorliegende Artikel versucht, Wege aufzuzeigen, auf denen Gottes Anruf zu unterscheiden und eine Entscheidung zu fällen ist, die seinem Willen mehr entspricht. |
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Publiziert in: | Zeitschrift für Katholische Theologie 123 (1991), 244-260 |
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Datum: | 2002-04-26 |
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Inhalt1
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In den letzten Jahren ist die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung für Ordensgemeinschaften wie für Christengemeinden aus einer Vielfalt von Gründen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.(1) Da ist zuerst einmal die Autoritäts- bzw. Legitimationskrise zu nennen. Moderne Pluralismuserfahrung, exegetische Befunde (z.B. das biblische Kirchenbild), negative Erfahrungen mit dem alten Kirchenbild und überkommenen Kirchenstrukturen, besonders aber die Sehnsucht nach einer "neuen Geschwisterlichkeit" führen zu einer Infragestellung der traditionellen Gehorsamsstruktur. Man kann sich nicht mehr auf eine vorgegebene, in Regeln oder Weltanschauung fundierte Einmütigkeit verlassen. Entscheidungen und ihr Werden müssen innerlich verstanden werden, müssen rückgebunden sein an diejenigen, die sie anzunehmen und auszuführen haben. Der Gehorsam wird auch als ein Gehorsam der gesamten Gemeinschaft entdeckt: als gemeinsames Hinhörenlernen auf den Willen Gottes, der sich in den Ereignissen, in Neigungen, Wünschen, Widerständen zu erkennen gibt.
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Mit der Auflösung hierarchisch-formaler Strukturen tritt aber nicht - gleichsam "automatisch" - die erhoffte neue Geschwisterlichkeit ans Licht, sondern die Konflikt- und Kommunikationsschwäche wird als ein schmerzliches Ungenügen im Gemeinschaftsleben erfahren. Gleichzeitig wird aber auch anfänglich erfahren, wie sehr gemeinsame Entscheidungsfindungsprozesse Vertrauen und so Gemeinsamkeit stiften, wie sie ein gemeinsames Wachstums- und Reifegeschehen auslösen.
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Die Komplexität der Situation und ebenso vielfältige wie notwendige Rücksichtnahmen (personale Engpässe, Neuorientierung und Reorganisation von Arbeiten und Diensten, ungelöste Konflikte, rascher sozialer Wandel) machen Entscheidungen notwendig, die langfristige Folgen auslösen. Zielperspektive, Deutung des sozialen Kontextes und Einsatz der Mittel können sich aufgrund der plural-komplexen Situation sehr unterschiedlich darstellen. All dies erfordert, daß der Entscheidungsprozeß von möglichst vielen mitgetragen und mitverantwortet wird.
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Aus diesen und anderen Gründen erweist sich heute ein gemeinsames Bemühen um das Erkennen des Willens Gottes von grundlegender Bedeutung. Ihm wollen die folgenden Ausführungen dienen.
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Die Suche nach dem konkreten Imperativ für das Handeln im Hier und Jetzt ist nicht nur von grundlegender Wichtigkeit, weil von dieser Entscheidung sehr viel abhängen kann, sondern auch weil das Je-Bessere zu finden und zu tun ist.
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In der Praxis zeigt sich, daß sich durch Situationsanalyse und Erwägung normativer Leitprinzipien (wir nennen sie die essentiale Prüfungsmethode (2)) allein noch nicht eine bestimmte Entscheidung als die Entscheidung herauskristallisiert, sondern daß trotz Eingrenzung verschiedene Möglichkeiten offenbleiben, die sich in ihrer Verschiedenheit als berechtigt, wenn auch nicht immer als gleichberechtigt anbieten; so ist nicht mit Sicherheit zu erkennen, welcher Weg als der hier und jetzt bessere einzuschlagen ist.
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In einer Situation, in der die Auswahl aus mehreren sittlich erlaubten Wahlmöglichkeiten offen ist, sollte sich eine Christengemeinde dieser Entscheidung in einem geschichtlich kreativen Sinn überantworten: über die essentiale Güterabwägung hinaus einer anderen vor Gott, dem Gewissen der einzelnen und der Verantwortung der Gemeinde legitimen Entscheidungsfindung und
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-überprüfung. Wir nennen sie die existentielle Prüfungsmethode, weil sich die Christengemeinde auf Grund des Anspruches Jesu und der sich für sie daraus ergebenden existentiellen, d.h. inspirierten und inspirierenden Berufung fragen muß, welche von verschiedenen legitimen Möglichkeiten mehr (magis) dem Willen Gottes entspricht.
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Ein solches gemeinschaftliches Suchen des Willens Gottes nennen wir mit einer Tradition, die sich besonders Ignatius von Loyola verpflichtet weiß, die Lehre von der "Unterscheidung der Geister" (3), eine Lehre, die Kriterien für die Unterscheidung von wahren und falschen Zeichen vorlegt, um mit ihnen Gottes Anruf zu unterscheiden und eine Entscheidung zu fällen, die seinem Willen mehr entspricht.
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Erste Ansätze für eine solche die bloß essentiale Wahl- und Prüfungsmethode überbietende Entscheidungsmethode kennen wir schon aus der Lebenserfahrung der Ur-Kirche. Die Christen hatten den Eindruck, daß sie mit einer solch rationalen Methode wie der essentialen Güterabwägung allein nicht zu einem eindeutigen Resultat kommen würden; sie haben also gefastet und um die Erleuchtung des Hl. Geistes gebetet.
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Bei der Wahl des Nachfolgers des Verräters Judas (Apg 1,15-26) haben die Apostel aufgrund einer Situationsanalyse und der Klarstellung der "Norm" - "Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und in den Himmel aufgenommen wurde, - einer von diesen muß nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein" - nach Anrufung des Herrn das Los geworfen. Wenn ein solcher Weg im allgemeinen und im Normalfall sicher keine zu empfehlende Methode ist, so hatten die Apostel doch den Eindruck, daß sie über die sachliche Prüfung eines geeigneten Kandidaten hinaus noch etwas anderes zu tun hatten, weil sie mit einer solchen Prüfung allein nicht zu einem eindeutigen Resultat kommen konnten und eben nicht nach ihrem Belieben handeln durften. So auch auf dem Apostelkonzil Apg 15,1-35: "Denn der Hl. Geist und wir haben beschlossen" (15,28).
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Ähnliches können wir den Paulusbriefen entnehmen. "Paulus richtet seine Aufforderung zum Erkennen und Prüfen fast immer an eine Mehrzahl. Offenbar soll das auch heißen, daß nicht die Erkenntnisbemühung, das Prüfungsergebnis des einzelnen angefordert wird, sondern ein gemeinsames Bemühen um das Erkennen des Willens Gottes vorausgesetzt ist (vgl. Kol 1,9f; 4,12). Die Aufforderung zum 'Prüfen' ergeht an die versammelte Gemeinde und die einzelnen in ihr (Phil 1,10; 2 Kor 13,5; Röm 12,2; vgl. Thess 5,21; Eph 5,10)." (4)
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Um die notwendige Wahrheit zu finden, muß die Christengemeinde den Weg der Wahrheit in der Geschichte gehen. Der eine und bleibende Inhalt der ganzen menschgewordenen Wahrheit ist in der Geschichte jeweils neu und anders relevant: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,20) und: "Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen" (Joh 16,13), so hat uns Jesus verheißen. Deshalb hat die Lehre der "Unterscheidung der Geister" die Voraussetzungen und die Kriterien der Freiheitsentscheidung freizulegen, durch die der je geschichtliche Anruf Gottes erfahren werden kann.
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Wenn wir es im folgenden wagen, einige Voraussetzungen und Kriterien einer solchen gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung zu nennen, dann mit zwei Einschränkungen:
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1. Eine solche Lehre der Unterscheidung der Geister, d.h. der Prüfung der verschiedenen Antriebe (Geister) des Menschen in einer Gemeinschaft, ist nicht so selbstverständlich und klar, daß über die theoretische Verdeutlichung und Erklärung einer solchen "Lehre" bei allen Einmütigkeit herrschte. Trotz ihrer grundsätzlichen Bedeutung ist sie über erste Anfangsschritte hinaus noch nicht entwickelt worden. Sie kann auch nur aus den Lern- und Praxisfeldern von Christengemeinden entstehen, die sich diesem Anspruch stellen.
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2. Die Regeln der "Unterscheidung der Geister" sind zum einen keine eindeutigen, wißbaren, rational durchsichtigen Kriterien in dem Sinne, daß der einzelne bzw. die Gemeinde durch solche Kriterien über den Willen Gottes verfügen könnte. Zum anderen gibt es keinen äußeren Maßstab, an dem der heilige Wille Gottes gemessen werden könnte; nur der vom Hl. Geist erfüllte Mensch, die vom Hl. Geist inspirierte Gemeinde, erkennt den Hl. Geist. In den Worten des Paulus: "... Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes. Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott - nur der Geist Gottes" (1 Kor 10f). Oder mit dem Psalmisten: "In deinem Licht schauen wir das Licht" (Ps 36,10).
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Mit anderen Worten: Es darf die Wahrheit des Evangeliums nicht übersprungen werden, daß nur die "aus Gott Geborenen" (1 Joh 1,13) Gottes Zeichen erkennen. Nur derjenige weiß, wo wahre Zeichen der Gegenwart Gottes aufleuchten, der die aktive Übergabe seines Lebens an Gott und den Nächsten lebt. Die einzige Antwort auf die Frage nach dem "Wie" der Unterscheidung ist der Herr selbst. Alle anderen Maßstäbe versagen als Kriterien für die Unterscheidung von wahren und falschen Zeichen, weil sie vom Menschen her entworfen sind und daher dem Willen Gottes nicht entsprechen, obgleich das "von den Menschen her" nochmals zweideutig ist: Das Finden der Unterscheidung kraft der Gegenwart Christi kann nur in menschlicher Weise vollzogen werden. In dem Maße, wie die Christengemeinde mitten in aller Zerbrochenheit sich bemüht, aus dem Vertrauen in das Bejaht- und Geliebtsein von Gott zu leben und zu handeln, werden ihr auch jene Charismen geschenkt werden, die sie den Willen Gottes unterscheiden und tun lehren.
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a) Eine gemeinsame Unterscheidung kann es praktisch nur in einem kleinen Kreis von Menschen geben. Die Zahl der Teilnehmer wird von verschiedenen Umständen abhängig sein: von der spirituellen Erfahrung, von der Intensität gegenseitigen Verstehens, vom Sachgegenstand der Entscheidung. Als praktische Norm ist jene Anzahl von Menschen zu wählen, die an einem Beratungsvorgang aktiv mitwirken kann: daß alle sagen können, was sie denken, und von den anderen gehört werden können.
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b) Eine gemeinsame Unterscheidung ist eine Beratung auf einen Beschluß hin, wie sie unter sachlich eingestellten Menschen auch sonst vorkommt. Daraus ergibt sich, daß alle jene Spielregeln und menschlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen, die für eine solche gemeinsame Überlegung auf einen sachlich - gerechtfertigten Beschluß hin notwendig sind. Also sind z.B. Offenheit, Ehrlichkeit, Wille zur Sachlichkeit, selbstkritische Einstellung, der Wille, sich besser informieren zu lassen, eine Atmosphäre gegenseitigen Verstehens und gegenseitiger Achtung selbstverständliche Voraussetzungen.
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c) Für den Prozeß einer gemeinsamen Unterscheidung ist es von grundlegender Wichtigkeit, daß zu Beginn der Beratung die Grundlinien der Verfahrensweise festgelegt werden. Von diesen Grundlinien sollte die Gruppe im Laufe des Prozesses nur unter besonderen Umständen und mit dem Einverständnis aller abrücken. Deshalb muß sich die Gruppe für die Festlegung solcher Grundlinien genügend Zeit nehmen. Wer bestimmt und wie bestimmen wir, was wahr und richtig, was falsch und unrichtig ist, was gut und was besser ist? Wer entscheidet und wie entscheiden wir, welcher Weg gegangen werden soll, welche Zwischen-Ziele möglich sind und welche Mittel eingesetzt werden?
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Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die Planung der Zeit. Ist die Zeit knapp, kommt es leicht zu Zufallsentscheidungen. Abgebrochene Diskussionen führen zu einem resignativen Konsens anstatt zu einer dem Willen Gottes und den Umständen angemessenen Entscheidung.
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d) Von besonderer Wichtigkeit ist die Bestellung der Leiterin oder des Leiters des Prozesses einer gemeinsamen Unterscheidung. Sie oder er sollte eine Frau bzw. ein Mann geistlicher Erfahrung sein, aber auch natürliche Fähigkeiten zur Leitung einer Gruppenberatung besitzen. Eine Christengemeinde wird um die für diese Aufgaben nötigen Charismen ganz besonders beten, insbesondere um das Charisma der Unterscheidung zwischen Gruppengeist und Hl. Geist, zwischen dem emotionalen Wir und dem spirituellen Wir. Diese beiden Sphären müssen unterschieden, dürfen aber nicht getrennt werden.
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e) Jede Gemeinschaft lebt von der Kraft und dem Selbstsein der einzelnen. Daher ist es unabdingbar, daß sich die einzelnen je neu zu persönlichem Gebet und Überlegen zurückziehen, um das Erfahrene in sich einzulassen, um bestimmte Sichtweisen zu prüfen, zu relativieren, zu vertiefen, zu stärken oder auszuscheiden und sich so ein eigenes Urteil zu bilden.
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Aus diesen Zeiten der Einsamkeit gehen die einzelnen immer wieder in die gemeinsame Beratung zurück, um sich im gemeinsamen Erwägen alles vor Gott anzuvertrauen. Auch Zeiten der Anbetung sind vorzusehen, in denen einzeln oder gemeinsam die anstehenden Fragen vor Gott gebracht und ihm anheimgestellt werden: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden" - ohne die ungeduldige Erwartung, daß aufgrund eines solchen Gebetes sofort klar wird, was zu tun ist.
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Der einzelne und die Gemeinde, die sich einstimmen wollen in den Willen Gottes, müssen sich selbst loslassen, müssen die Ansprüche des selbstischen Ich bzw. jeden Gruppenegoismus preisgeben. Nur in dem Maße, wie Mensch und Gemeinde vor Gott arm werden, wird für die Unterscheidung seines Willens Raum geschaffen. Der Wille zur Wahrheit verlangt grundsätzlich Offenheit für die Wahrheit gerade dann, wenn sie über die bisherige Position des einzelnen bzw. der Gemeinde hinausgeht oder nicht ihren Interessen entspricht. Diese gelassene Offenheit schafft die Freiheit, sich die Fähigkeit des Wählens und Unterscheidens zu erhalten.
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Der Wille zur je größeren Wahrheit Gottes impliziert somit als Grundvoraussetzung zur Unterscheidung des Willens Gottes die Grundhaltung der aktiven Indifferenz - wie wir sie in der Tradition des Ignatius von Loyola nennen (5) - als kritische Distanz zu den eigenen wie den gesellschaftlich herrschenden Interessen und Wahrheitsvorstellungen. Sie impliziert (6):
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- aa) das gleiche Ja zu Armut wie Reichtum als Ausdruck der materiellen Anspruchslosigkeit gegen den Besitzdrang des einzelnen und der Gemeinde und des Frei-Seins gegenüber der Verfügungsgewalt über die materiellen Mittel des Lebens;
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- bb) das gleiche Ja zu Ohnmacht wie Macht als Ausdruck der geistigen Anspruchslosigkeit gegen den Macht- und Geltungsdrang des einzelnen und der Gemeinde und des Frei-Seins gegenüber der Verfügungsgewalt über die politischen Mittel der Macht;
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- cc) das gleiche Ja zum Leben wie zum Tod, zu Krankheit wie zu Gesundheit als Ausdruck der vitalen und existentiellen Anspruchslosigkeit gegen den Daseinsdrang des Menschen und der Gemeinde und des Frei-Seins gegenüber der Verfügungsgewalt über das Leben selbst.
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Die so gelebte und vollzogene aktive Indifferenz ist die Voraussetzung für die freie Bereitschaft zu jeglichem Verfügtwerden als Enteignung des Menschen und der Gemeinde auf die jetzt konkret notwendige, je bessere Wahrheit Gottes hin. Diese Freiheit für Gott vollzieht sich in einer "Freiheit-von" (frei - innerlich und äußerlich - von jeder Knechtschaft der Welt); in einer "Freiheit-zu" (frei zu jeglicher Verfügung durch Gottes Willen) und einer "Freiheit-in" (in einem Mitvollzug des Umsonstseins Gottes: "Umsonst habt ihr empfangen, so gebt umsonst" Mt 10,8).
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aa) Wichtig ist es, daß die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung immer positive Ansätze suchen, verstehen und retten, nicht verurteilen wollen. Vorsicht ist allerdings vor Lässigkeit geboten: Alles verstehen heißt nicht alles nachsehen. Sonst gerät alles in eine Gleichgültigkeit, die die Freiheit verrät und eine Absage an mögliche Umkehr, Veränderung und Verwandlung ist. Die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung haben sich daher immer wieder zu fragen, ob sie - in liebender Offenheit - auch von Mängeln und Schuld sprechen, wenn dies geboten ist.
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Sind die nach einer gemeinsamen Unterscheidung Suchenden in dieser Haltung gestärkt, werden sie auch fähig sein, eigene Schuld zu bekennen. Denn das Aufbrechen der je größeren Liebe läßt eigene Sünden entdecken. Hieraus entspringt eine fruchtbare Solidarität mit anderen: Wir haben ihnen nichts voraus! Ihre Schuld ist auch unsere Schuld. Wir finden wie sie unseren gemeinsamen neuen Anfang in der vergebenden Liebe Gottes, die wir selbst niemals gegen die anderen für uns vereinnahmen dürfen.
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bb) Es bedarf prüfender Wachsamkeit (insbesondere durch die geistliche Führung einer gemeinsamen Unterscheidung), damit die Gemeinschaft in ihrer Bildung, ihrem Zusammensein, ihrer gemeinsamen Beratung nicht entartet zu einer Ersatzbefriedigung: Die Gemeinschaft darf nicht benützt werden zum Zwecke der Flucht vor sich selbst, vor Einsamkeit oder Trostlosigkeit, zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Kommunikation und Mitmenschlichkeit. Die Gruppe muß auch die Gefahr des gegenseitigen Sich-Hineinsteigerns in einen Gemeinschaftsenthusiasmus sehen, der blind macht für die gemeinsame sachbezogene Arbeit.
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Beachtet man diese Gefahren nicht, dann werden die emotionalen, rationalen und spirituellen Prozesse einer gemeinsamen Unterscheidung fehlgeleitet; die objektive Erörterung, Analyse, Beurteilung eines Problemfeldes wird durch ichhafte bzw. gruppenegoistische Aspekte verfälscht. Die Gefahr einer solchen Verfälschung muß klar ins Auge gefaßt werden; denn in einer solchen gemeinsamen Unterscheidung würde man nur sich selbst suchen - und die Gemeinschaft mißbrauchen.
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Die Teilnehmer müssen es darum allein mit Gott aushalten können und den Mut haben, sich mit seiner einmaligen und unvertauschbaren Berufung Gott zu stellen. Daher ist immer Vorsicht geboten bei Äußerungen wie diesen: Ich kann in der Gruppe besser denken; ich fühle mich im gemeinsamen Gebet wohler als allein; ich verstehe mich besser, wenn ich mich mit dem Selbstverständnis vergleiche, das andere in der Gruppe äußern.
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Andererseits ist die Gefahr einer Flucht in die Einsamkeit und deren Ideologisierung zu sehen: aus Gruppenunfähigkeit oder um der Last eines gemeinsamen Prozesses zu entgehen; aus Sorge um Anerkennung; aus Angst, Masken fallen lassen zu müssen und als der zu erscheinen, der ich wirklich bin. Deshalb ist es wichtig, die eigene Meinung nicht zu verstecken aus Angst, sich zu blamieren; man muß aber auch die Geduld aufbringen, die Meinung des anderen anzunehmen, selbst wenn sie querliegt zur eigenen, und sich auf sie ruhig und lernend einzulassen.
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cc) Grundlegend ist die Klärung versteckter Interessen, die unausgesprochen den einzelnen oder die Gemeinschaft bei der Lösung eines für sie relevanten Problems mitbestimmen. Warum wollen wir es überhaupt einer Lösung zuführen? Dienen wir dadurch nur uns oder auch den anderen, denen wir helfen wollen? Handeln wir vielleicht aus Mißtrauen, daß sie ihre Fragen nicht selbst lösen können? Aus dem Bedürfnis, uns in den Vordergrund zu spielen und durch unser Helfen andere unter dem Schein der Selbstlosigkeit von uns abhängig zu machen? Aus Besserwisserei, um andere unserem Anspruch zu unterstellen? Vertrauen wir bei unserer Suche nach der Wahrheit auf das Wort: "Der Beistand aber, der Hl. Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe" (Joh 14,26 Oder spielen wir unter dem Deckmantel der Demut selbst "lieber Gott"? Unter solchen Bedingungen würde die Gruppe nur richten anstatt zu retten.
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Wo die Gruppe sich zudem nicht auf der Basis eines positiven Anliegens findet, sondern nur durch die Negation von etwas, erwächst kein Anfang, der aus einem Ja lebt. Die Gruppe ist daher schon von vornherein blind für den Dienst an den anderen; sie wird unfähig, die Sache, bzw. die anderen, um die es geht, bejahend (in Liebe kritisierend und gerade so auch verwandelnd, weiterführend) sie selbst sein zu lassen.
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Schließlich gibt es noch die Versuchung, sich zusammen mit den anderen in eine Art spirituelle Scheinhilflosigkeit und Pseudo-Armut zu stürzen; den Willen Gottes in einer Pseudo-Demut zu beschwören und ihn gleichsam mittels des offensichtlichen Elends der Gruppe unter dem Hilferuf nach Barmherzigkeit auf die Kommunität herabzuziehen. Das Sprichwort: "Wo die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten" wird hier pervertiert. Eine solche Grundhaltung ist nichts anderes als ein frommes Kaschieren der eigenen Mutlosigkeit, ja Feigheit und Resignation. Eine solche Grundhaltung hat nichts zu tun mit dem Mut, tapfer die - oft gegebene - Rat- und Weglosigkeit vor Gott zu tragen und zu akzeptieren.
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dd) Die Einübung in die Grundhaltung der Indifferenz ist besonders wichtig für den Leiter/die Leiterin einer gemeinsamen Unterscheidung. Auf Überlegungen wie folgende wird er/sie evtl. auch mit Freunden zusammen sich betend vor Gott einlassen müssen: Sind es sachliche Gründe, die mich bewegen, oder versuche ich nur unter dem Schein der Sachlichkeit, ichhafte Bedürfnisse zu verwirklichen: andere leiten und lenken zu können; sonne ich mich in meiner Unabkömmlichkeit: man braucht mich; in Gedanken: wie gut bin ich doch; oder: ich bin zwar einer unter anderen in der Gruppe, aber letztlich doch das Zentrum, der geheime Dirigent; beabsichtige ich, die anderen so lange reden und diskutieren zu lassen, aber auch selbst mich in der Diskussion zur Sprache zu bringen, bis das Gespräch in Ausweglosigkeit endet und ich schließlich die Trumpfkarte der Lösung ausgeben kann; oder: ich habe schon lange Zeit genug anderen gehorcht, jetzt sollen andere mir gehorchen.
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Zusammenfassend ist zu sagen, daß jede Kommunität - bevor sie mit dem eigentlichen Prozeß der "Unterscheidung" beginnt -in Gelassenheit vor Gott und voreinander sich die Voraussetzungen, die mit der Grundhaltung der Indifferenz gegeben sind, bewußtmachen und sich auf sie einlassen muß. Aus dieser Grundhaltung heraus ist dann erst die Frage zu stellen, was Gottes Wille hier und jetzt für uns ist.
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Welches sind nun die Kriterien der Wahlerkenntnis, die einer Christengemeinde dazu verhelfen, den Willen Gottes zu unterscheiden, um zu einer Einzelerkenntnis zu gelangen, die aus einer Situationsanalyse und der "Norm" allein sehr oft nicht ermittelt werden kann? Die Kriterien resultieren aus drei Wirklichkeitsebenen, durch die bzw. auf denen der Anspruch Gottes sowohl an einen Menschen wie auch an eine Christengemeinde erkennbar wird. Dieser Anspruch vollzieht sich 1. in einer bestimmten konkreten, gesellschaftlichen Situation und umgreift 2. die Vernunft (die "Norm" ) und 3. die Erfahrung (den "Anruf") - Ebenen, die zu unterscheiden sind, die sich aber im konkreten Prozeß der Unterscheidung immer wieder überschneiden und ineinander übergehen.
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Jede Gemeinde handelt immer in einer bestimmten, vorgegebenen Situation, weder ohne Vernunft, noch ohne Freiheit: denn ohne Einsicht wäre das Handeln blind, ohne Handeln bliebe die Einsicht abstrakt. Wenn eine gesellschaftliche Theorie (der Prinzipien) nicht nur Theorie der Praxis, sondern zwingende Vorgabe für konkrete gesellschaftliche Veränderung wäre. Dann wäre das gesellschaftliche Wagnis und damit die Freiheit des Menschen bzw. der Christengemeinde überflüssig. Dort allerdings, wo die normierende Kraft der ethischen Prinzipien und der Vermittlungswege ausfällt, verfällt die Freiheit der Beliebigkeit und Willkür.
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Daß eine Christengemeinde mit unbedingten Anrufen von seiten Gottes zu rechnen hat, ergibt sich aber nicht nur aus der Unableitbarkeit der Freiheit, sondern auch aus dem Umstand, daß im Rahmen der "Grundnorm" mehrere konkrete Wahlmöglichkeiten offenbleiben. Jede Christengemeinde hat also damit zu rechnen, daß Gott sie mit einer besonderen Aufgabe betraut und ihr dazu auch die notwendigen Charismen schenkt.
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Die Frage ist also die: Wie erkennt die Christengemeinde den konkreten Imperativ, der der Entscheidung den Charakter des "magis" verleiht? Es ist die Frage nach der "Logik der Praxis" zur Findung der konkreten Maxime in ihrer positiven, inhaltlichen Einmaligkeit für ein bestimmtes Handeln an einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle.
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Die bestmögliche Kenntnis der Situation bildet die Voraussetzung eines sachgemäßen Handelns. Die Analyse einer Situation ist das Aufhellen all dessen, was "ist". Notwendig ist die bestmögliche Kenntnis der Landschaft, in der sich die Christengemeinde bewegt, damit sie der Wirklichkeit in ihren Schattierungen, ihrem Reichtum, in ihrer Vielfalt gerecht wird. In welchem Kontext taucht die Frage auf? Die Erfahrung oder Kenntnis welcher Sachlage führt zu diesem Problem? In welchen Perspektiven nehmen wir diesen gesellschaftlichen Kontext wahr? Haben wir ihn selbst erlebt, erfahren - und wenn nicht selbst, dann durch wen? Wo liegen vorweg die möglichen Einseitigkeiten der Interpretation dieses Kontextes?
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Was können und sollen wir? Im Vertrauen auf Gottes Hilfe umsichtiges Austasten des eigenen Vermögens im Sinne des Gleichnisses "Vom Turmbau" (z.B. Lk 14,28ff). Wissen, worauf man sich einläßt.
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Alle Überlegungen müssen sich auf das eigene und gesellschaftliche Wirklichkeitsfeld beziehen unter Berücksichtigung der kulturellen Erfahrung und der gesellschaftlichen Verfassung, wobei man sich bewußt sein muß, daß eine klare und eindeutige Situationsanalyse in vielen Fällen durch die Verwobenheit und Komplexität der Situation auch bei Anwendung der sublimsten und ehrlichsten Methoden nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist.
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Jede Entscheidung wird aufgrund bestimmter Wertmaßstäbe getroffen. Ob sich eine Gruppe auf die Wertordnung der Bergpredigt oder auf die Torheit des Kreuzes oder auf Wertmaßstäbe wie die der sozialen gerechtigkeit beruft, ist für Theorie und Praxis des gesellschaftlichen Handelns nicht gleichgültig. Ist der Maßstab verkehrt, wird auch die Entscheidung falsch ausfallen. Die Wert-Maßstäbe sind daher immer einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
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Im Hinblick auf den Anspruch des Reiches Gottes hat für eine Christengemeinde die Grundnorm zu sein: Welche ist die beste Weise, dem anderen und der Gesellschaft zu dienen? Diese Grundnorm grenzt nicht nur legitime Wahlmöglichkeiten ein, sondern eröffnet auch einen weiten Spielraum, innerhalb dessen geschichtliche Entscheidungen, die nicht deduzierbar sind, sich bewegen können.
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Ein grundlegendes Kriterium für die Rationalität eines Weges ist seine "Kommunikabilität", d.h. seine universelle Einsehbarkeit. Denn die Wertmaßstäbe und Prinzipien, nach denen eine Christengemeinde ihre Zwischen-Ziele und Mittel ins Auge faßt, sollten jenen einsehbar sein, denen sie helfen und die sie als Partner gewinnen will, wie auch jenen, die sich ihrem Einsatz entgegenstellen bzw. sie bekämpfen. Eine Christengemeinde wird sich also fragen müssen, wie weit sie in der Lage ist, ihre Vermittlungswege zu begründen, Freunden - Gegnern - Feinden evtl. eine neue Sicht ihrer eigenen ethischen Vermittlungswege zu vermitteln oder ihre eigenen in der Auseinandersetzung mit denen der anderen besser verstehen zu lernen. Können sie uns helfen, die Prinzipien des Sollens, denen sie sich unterstellen, besser zu verstehen?
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Können wir ihnen und sie uns helfen, diese Prinzipien im Feld des je eigenen Daseins- und Lebensvollzugs zu entdecken? Muß sich dadurch evtl. die sprachliche Vermittlung dieser Prinzipien ändern? Inwiefern bringen die anderen von sich her schon eine reiche Überlieferung von Werten und Wertentwürfen mit, die wir in der Wahl unseres Sollens zu respektieren haben?
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Solche Fragen hat sich eine Christengemeinde im Bereich des Prinzipiellen gerade auch deshalb zu stellen, weil sie die Folgen ihres Tuns auch zu verantworten hat, wobei diese nicht eindimensional berechenbar sind. Die Christengemeinde hat nicht nur von ihrer Seite her ihr Tun zu verantworten, sondern die Folgen ihres Tuns für andere mitzuverantworten - wobei die Folgen nie ganz abschätzbar sein werden; zusätzlich hat sie auch noch die Konsequenzen zu verantworten, die sich aus dem Verhalten der anderen ihr gegenüber ergeben werden. Wer hat den Nutzen, wer den Schaden?
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Hier geht es darum, Kriterien zu nennen, aufgrund derer der Anruf an eine Christengemeinde auf der Basis der Situationsanalyse und der Vergewisserung der "Norm" unterschieden werden kann.
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Bei Mk 10,26f lesen wir, wie die Jünger angesichts des radikal-fordernden Anspruches des Reiches Gottes erschraken und zueinander sagten: "Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich."
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Dieses Ereignis legt die Struktur des gesuchten Grundkriteriums frei: Der Anspruch des Willens Gottes wird sich dort enthüllen, wo er einerseits erfahren wird als ein Anspruch, der die eigenen Kräfte übersteigt (die Erfahrung des "Kreuzes"), andererseits als ein Anspruch, der in der Erfahrung des Friedens und der Freude die Kraft schenkt, das "Unmögliche" zu tun (die Erfahrung der "Auferstehung"). Der Anspruch Gottes beschenkt (die Erfahrung der Auferstehung), indem er fordert (die Erfahrung des Kreuzes).
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Der Anspruch des Willens Gottes offenbart sich also einerseits dort, wo er als der den Eigen-Entwurf der angesprochenen Christengemeinde überfordernde Impuls erfahren wird, d.h. als eine Wirklichkeit, über die nicht die Christengemeinde verfügt, sondern von der sie verfügt wird. Ein Entwurf, der nicht den eigenen "Tod" implizierte, d.h. nicht ohne Eigen-Motiv und ohne Eigen-Grund und daher auch nicht im "Raum" des Umsonst sich realisierte, ist immer in Gefahr, das (egoistische) Eigeninteresse als Wille Gottes mißzuverstehen; und dann bleibt eine solche Christengemeinde in einen Prozeß eingeschlossen, in dem sie ihr eigener Herr ist. Nur dort also, wo sie auf die Verwirklichung ihres Eigenentwurfs verzichtet, insoweit dieser Entwurf begrenzt ist durch ihr (mehr oder weniger bewußtes, egoistisches) Eigeninteresse, bzw. wo sie darauf verzichtet, allein auf ihre eigenen Kräfte zu bauen, vollzieht sie nicht mehr eine Wiederholung ihrer eigenen Situation als Wiederentwurf ihrer selbst, sondern erfährt den Anspruch als den Anspruch Gottes.
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Der Anspruch Gottes, der den "Tod" des je eigenen Sinnentwurfes der Freiheit fordert, darf aber andererseits nicht als Negation der Freiheit, als Entfremdung, als "Nur-Kreuz" erfahren werden, sondern muß sich als die Integration der Freiheit in den Frieden und die Freude Gottes manifestieren. Gott gibt die Freiheit in sich selbst frei und führt sie aus der Entfremdung in ihr "Bei-sich-Sein", in ihr "Zu-Hause-Sein". Der Anspruch des Willens Gottes offenbart sich demnach nur dort, wo er nicht nur als "Tod", als Überforderung, sondern gleichzeitig als "Neu-Geburt" der Freiheit, als Friede, Trost und Freude erfahren wird.
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Eine Christengemeinde entgeht von einem solchen Ansatz her der großen Gefahr, die einzelnen oder sich selbst der Etablierung von Prinzipien zu opfern, also in den zerstörerischen Prozeß negativer Selbstlosigkeit hineinzugeraten, die schließlich in Überforderung, Selbsthaß und so in Entselbstung endet. Ein Gruppenideal als Gruppen-über-Ich kann so nach und nach eine Gruppe auslöschen. Entsprechend kann eine gemeinsame Unterscheidung in Selbstauszehrung enden: Die Gruppe opfert sich dem Gruppenideal, so wie sie andere ihren Prinzipien opfert, die sie als das unbedingt zu Sollende vorstellt und durchzusetzen trachtet. Unter dieser Rücksicht kann gerade das Prinzip, nur das Beste zu wollen, in eine zerstörende Lieblosigkeit umschlagen. Es darf also nicht übersehen werden, daß man anderen nicht dadurch helfen kann, daß man sie dem bloßen Gesetz des Guten unterstellt und sie dadurch als konkrete Menschen, die sie sind, aus dem Auge verliert und verneint - weil man sie einem Prinzip opfert.
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Daher muß in einer sorgfältigen Unterscheidung der Geister der wahre Friede Gottes, seine tröstende Liebe, die Übereinstimmung in der lebendigen Wahrheit Gottes, die in einer gemeinsamen Unterscheidung wachsen kann, sehr klar unterschieden werden von der allseitigen Übereinkunft in einem durchzusetzenden Prinzip, mit dem alle übereinzustimmen haben im Sinne: wir sind uns einig, daß getan werden muß, was und wie wir es beschlossen haben. Alle haben in inhaltlicher und formaler Sicht zugestimmt. Dieser sogenannte Friede des gemeinsamen Machens ist nicht identisch mit dem Frieden eines gemeinsamen liebenden Einsatzes, sondern nur die Befolgung eines gruppendynamisch eruierten abstrakten Prinzips.
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In diesem Wahlverfahren geht es darum, die Alternativen, die sich aus einer sachlichen und kritischen Diskussion herauskristallisiert haben, gegeneinander abzuwägen. Die Entscheidung der Alternative muß immer auch dadurch geschehen, daß die Christengemeinde im Dienst am anderen auch von ihm her und nicht nur von ihr selbst her - über die Wahl der Alternative entscheidet.
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Die Suche nach der zu wählenden Alternative wird oft schon durch ein Auswahlverfahren zum Ziel kommen, in dem die Argumente Für und Wider - schriftlich und übersichtlich aufgezeichnet - gegeneinander abgewogen werden. Die Christengemeinde wird also oft schon aufgrund einer vernünftigen Abwägung - auch ohne eine besondere Bewegtheit durch einen inspirativen Vorgang - zu mehr Klarheit kommen können.
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Die Teilnehmer an einer gemeinsamen Unterscheidung lassen sich im Gebet - einzeln und gemeinsam, gleichsam im reinen Atmen ihrer Existenz - auf die Unendlichkeit Gottes ein, um in der grenzenlosen Offenheit des menschlichen Geistes auf Gott hin leer und frei von allem zu werden, was nicht Gott ist. Sie orientieren sich dabei an der rational nicht noch einmal legitimierbaren kontemplativen Grundhaltung Jesu. In diese Offenheit auf Gott hin halten sie den Wahlgegenstand und versuchen zu erfahren, ob er diesen unendlichen Horizont Gottes verdunkelt oder ob er offen und licht bleibt.
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Mit anderen Worten: Bei einer solchen prüfenden Hineinnahme des konkreten Wahlgegenstandes in die offene und schweigende
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Begegnung der Glaubenden mit dem unendlichen Gott werden sie einzeln und gemeinsam die Erfahrung machen, daß der eine Gegenstand positiv mit der sich im Horizont Gottes vollziehenden Freiheit harmoniert, während ein anderer als Widerspruch erfahren wird. Im einen Fall empfinden sie Trost, Friede, Freude, Heiterkeit, im anderen Fall wird der unendlich ruhige, schweigende Horizont Gottes verstellt und verdunkelt; sie erfahren Mißtrost, Unfriede, Verwirrung.
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Aufgrund solcher Erfahrungen von Trost und Mißtrost, d.h. davon, ob eine gelöste, heitere, bei den einzelnen mit dem Geheimnis Gottes harmonierende Gestimmtheit entsteht, bzw. ob die gemeinsam den Willen Gottes Suchenden inspirierte Einheit, Friede und Freude erfahren, oder ob sich im Gegenteil Verfinsterung und Spannungen einstellen, werden sie dann die Wahl treffen.
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Sollten auch bei dieser Methode unterschiedliche Möglichkeiten der Entscheidung offenbleiben, dann können die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung - aufgrund ihrer Indifferenz und ihrer Offenheit auf Gott hin - daraus die Ermächtigung Gottes an sie ablesen, guten Gewissens die Wahl zu treffen, die ihnen am besten zu sein scheint. Sie dürfen dann ihre aufgrund rationalen Überlegens getroffene Entscheidung vertrauensvoll als den konkreten Willen Gottes interpretieren - auch dann, wenn sich mit der Zeit herausstellen sollte, daß die Entscheidung aus ihrer Perspektive nicht die vorteilhafteste war.
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Aus dem bisher Gesagten ergibt sich auch, daß die angeführten Wahlzeiten nicht einfach nebeneinander zur beliebigen Auswahl stehen, sondern sich gegenseitig bedingen. Eine Überprüfung der Ergebnisse jeder Wahlzeit durch die Methode der jeweils anderen wird sich immer als klug erweisen, ja es wird in der Praxis selbst immer zu einer Synthese dieser theoretisch unterscheidbaren Wahlzeiten und Wahlmethoden kommen. Denn auch die Wahlmethode der Güterabwägung vollzieht sich ja in der unbedingten Offenheit auf Gott hin. Insofern werden aus der Praxis religiöser Gemeinschaften verschiedene Grundtypen der "Wahlmethoden" erwachsen.
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Aber nicht nur das: Es werden sich legitimerweise mit zunehmender Erfahrung - aufgrund der Einheit in Verschiedenheit der Erlösungs- und (vernünftigen) Schöpfungsordnung - sehr viele Spielarten und Methoden der Entscheidungsfindung herauskristallisieren, die von den Humanwissenschaften entdeckt worden sind und im außerkirchlichen Raum praktiziert werden. Sie sind in Verbindung mit der ausdrücklichen Prüfung vor Gott fruchtbar zu machen.
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Zu erinnern ist dabei an das, was wir schon zu Beginn unserer Ausführungen sagten: Es gibt keinen Weg und keine Wahlmethode, die unfehlbar garantieren, daß eine gefällte Entscheidung dem Willen Gottes entspricht. Sollte sich die Gruppe nicht in einem (einstimmigen) Konsens finden können (der immer sehr viel Zeit braucht, soll er keine Zufallsentscheidung sein) und sich zu einer Mehrheitsentscheidung entschließen, dann muß auch immer die Position der Minderheit ausdrücklich mitberücksichtigt werden - wenn schon nicht in der Entscheidung selbst, so doch bei der Festlegung der konkreten Ausführungsbestimmungen. Denn nichts ist in dieser Welt "Endlösung". Die Argumente und Einsichten einer Minderheit, die durch die Wahl, die die Mehrheit trifft, vorläufig als "überholt" erscheinen, können durchaus für die weitere Zukunft schon jetzt Richtiges getroffen haben oder zumindest helfen, einer möglichen Verabsolutierung der Entscheidung gegenüber kritisch zu bleiben.
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Nach dem Auseinandergehen sollten die Teilnehmer im Gespräch bleiben und sich ebenso vor Verbitterung und Groll wie vor triumphalistischen Gebärden ("wir haben es geschafft") hüten. In einer betend gesuchten gemeinsamen Unterscheidung hat grundsätzlich jeder dem anderen, haben alle jedem einzelnen gedient.
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Durch die gemeinschaftliche Beratung begegnet eine Gruppe dem vielleicht schwerwiegendsten und am weitesten verbreiteten Mangel unseres sozialen Lebens: der Unfähigkeit, friedlich zusammenzuarbeiten, lernfähig und effizient zu sein. Alles, was zur gemeinschaftlichen Beratung gesagt wurde, trifft mutatis mutandis auf alle Gruppen an allen sozialen Orten zu, nicht allein auf christliche Gruppierungen und Gemeinden. Alle Gruppen, die diesen Weg gehen, können die Erfahrungen, die sie mit gemeinschaftlicher Beratung machen, austauschen und so voneinander lernen.
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Darüberhinaus kann eine Christengemeinde einander feindlich gegenüberstehenden Gruppierungen in der Gesamtgesellschaft dadurch ihren Dienst erweisen, daß sie eben diesen Konflikt zum Gegenstand einer gemeinschaftlichen Beratung mit diesen Gruppierungen macht: im Weg des gemeinsamen Gesprächs und nicht als Kampf um Sieg oder Niederlage. Das bedeutet: aufeinander hören, und zwar auf das, was die anderen "eigentlich" meinen, und nicht nur auf das, wo sie sich Blößen geben; das Selbstbild und das Fremdbild klären; die Leidenschaften erkennen, die für Argument und Gegenargument blind machen; die vom jeweils eigenen Interesse vielleicht abweichenden Interessen erkennen und respektieren; Teilwahrheiten auch in dem erkennen, was an Falschem oder Fragwürdigem vorgebracht wird; kurz: die Voraussetzungen schaffen für eine kommunikative Wahrheitssuche.
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In dem Maße, wie einzelne und Gemeinden Gott nahe kommen, nehmen sie ihr Leben aus der Fülle wahr, aus der alles lebt. Das gemeinschaftliche Suchen des Willens Gottes ist ein Sicheinüben in ein Sollen, das nicht von außen an die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung herangetragen wird, sondern ein Sollen, das im Raum ihrer Freiheit und ihres Gewissens aufzuspüren, zu erkennen und zu leben ist, so daß dieses Sollen nicht als ein äußeres Gesetz, sondern als innerer Imperativ der Freiheit für das von Gott geschenkte je-bessere Leben entdeckt wird.
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Das Sollen (der Imperativ) muß immer aus dem "Sein" (dem Indikativ) hervorgehen: "Sein" als die erfahrene Wirklichkeit Gottes, die sich gleichsam anzeigt in der Erfahrung von Freude, Friede und Gelassenheit. Neue Normen sollen deshalb für eine Christengemeinde nur dann verbindlich sein, wenn sie sich aus der fundamentalen Erfahrung der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes gleichsam ergeben; sonst ginge es nur um ein Aufzwingen von außen - das Sollen würde das Sein ersetzen und nichts würde sich ändern. Wird diese fundamentale Erfahrung nicht gemacht, ist die Zeit noch nicht reif, und es muß gewartet werden, ehe man neue Normen erläßt.
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Worum es letztlich geht, ist der Zugang zum Reich Gottes, ist die Erfahrung dessen, wozu wir durch Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu Christi befreit sind: zum Sein der Kinder Gottes. Nur aus der Fülle, dem Reichtum dieses Seins heraus ist die Formulierung eines Sollens möglich, das inmitten der Relativität des Endlichen und der Brüchigkeit unseres Lebens unbedingt verpflichtet - mit einer Unbedingtheit, die aber nicht tötet, sondern befreit.
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Die Voraussetzungen und Kriterien, die die Logik einer gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung kennzeichnen, bei der es darum geht, den Willen Gottes als Anruf an die Einmaligkeit und schöpferische Unableitbarkeit der geschichtlichen Freiheit einer Christengemeinde zu erfahren und zu "unterscheiden" und die intendierte Aktion als dem Anspruch Gottes entsprechend oder widersprechend auszuweisen, bleiben freilich immer auch Theorie. Das konkrete Handeln kann daher nie vom Charakter des Wagnisses und von der Möglichkeit des Scheiterns befreit werden. Denn Gott allein ist Herr der Geschichte.
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Anmerkungen:
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1. Ein bedeutsames Dokument ist der Brief "Über die geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft" des Generaloberen der Jesuiten, Peter-Hans Kolvenbach ([Geistliche Texte S.J. 12] Frankfurt a.M. 1987, hg. v. d. Provinzialkonferenz der Deutschen Assistenz SJ); vgl. außerdem: G. Switek, Geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft. In: K. Frielingsdorf-G. Switek, Entscheidung aus dem Glauben. Modelle für religiöse Entscheidungen und eine christliche Lebensorientierung (Grünewald-Praxis). Mainz 1978, 153-164 (dort weitere Literaturhinweise); A. Riedlsperger, Entscheidungsabläufe in den Ordensgemeinschaften. In: Ordensnachrichten 26 (1987), 143-150; F. Hengsbach, Apostolische Unterscheidung in Gemeinschaft - eine Inspiration für die katholischen Sozialverbände? In: Ignatianisch. Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu. Hg. M. Sievernich - G. Switek. Freiburg i.Br. 1990, 569-583.
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2. Entscheidende Anregungen zu diesem Kapitel verdanke ich den Arbeiten Karl Rahners, die den Entwurf einer "Existentialethik" anzielen. Rahner versucht darin, die Aporie eines bestimmten ontologisch-metaphysischen Denkens vor der geschichtlichen Wirklichkeit zu überwinden. Vgl.: K. Rahner, Der Einzelne in der Kirche. In: Ders., Gefahren im heutigen Katholizismus (ChH 1,1). Einsiedeln 31955, 11-38; Ders., Über die Frage einer formalen Existentialethik. In: Ders., Schriften zur Theologie [= SchTh]. Bd.2. Einsiedeln 1964, 227-246; Ders., Das Dynamische in der Kirche [QD 5]. Freiburg i.Br. 1960; Grenzen der Amtskirche. In: SchTh Bd. 6. Einsiedeln 1965, 499-520; Der Anspruch Gottes und der Einzelne: ebd. 521-536; Zur "Situationsethik" aus ökumenischer Sicht: ebd., 537-544; Zur theologischen Problematik einer "Pastoralkonstitution". In: SchTh Bd. 8. Einsiedeln 1967, 613-636.
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3. Siehe hierzu die sehr guten Arbeiten von M. Schneider, "Unterscheidung der Geister". Die ignatianischen Exerzitien in der Deutung von E. Przywara, K. Rahner und G. Fessard, (ITS 11). Innsbruck 1983, und J. Toner, A Commentary on Saint Ignatius Rules for the Discernement of Spirits. St. Louis (USA) 1982 (beide Bücher mit ausführlichem Literaturverzeichnis).
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4. H. Schürmann, Die Gemeinde des Neuen Bundes als der Quellort des sittlichen Erkennens nach Paulus. In: Cath(M) 26 (1972) 15-37, hier 22f.
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5. Vgl. dazu: Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Übersetzt und erläutert von P. Knauer. Graz 1978, 24f.
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6. S. dazu E. Przywara, Deus Semper Maior. Theologie der Exerzitien. Bd. 1. Wien 1964, 110-118.
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Zur Suche nach dem Willen Gottes in Gemeinschaft
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von P. Herwig Büchele SJ, Innsbruck
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In den letzten Jahren ist die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung für Ordensgemeinschaften wie für Christengemeinden aus einer Vielfalt von Gründen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.(1) Da ist zuerst einmal die Autoritäts- bzw. Legitimationskrise zu nennen. Moderne Pluralismuserfahrung, exegetische Befunde (z.B. das biblische Kirchenbild), negative Erfahrungen mit dem alten Kirchenbild und überkommenen Kirchenstrukturen, besonders aber die Sehnsucht nach einer "neuen Geschwisterlichkeit" führen zu einer Infragestellung der traditionellen Gehorsamsstruktur. Man kann sich nicht mehr auf eine vorgegebene, in Regeln oder Weltanschauung fundierte Einmütigkeit verlassen. Entscheidungen und ihr Werden müssen innerlich verstanden werden, müssen rückgebunden sein an diejenigen, die sie anzunehmen und auszuführen haben. Der Gehorsam wird auch als ein Gehorsam der gesamten Gemeinschaft entdeckt: als gemeinsames Hinhörenlernen auf den Willen Gottes, der sich in den Ereignissen, in Neigungen, Wünschen, Widerständen zu erkennen gibt.
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Mit der Auflösung hierarchisch-formaler Strukturen tritt aber nicht - gleichsam "automatisch" - die erhoffte neue Geschwisterlichkeit ans Licht, sondern die Konflikt- und Kommunikationsschwäche wird als ein schmerzliches Ungenügen im Gemeinschaftsleben erfahren. Gleichzeitig wird aber auch anfänglich erfahren, wie sehr gemeinsame Entscheidungsfindungsprozesse Vertrauen und so Gemeinsamkeit stiften, wie sie ein gemeinsames Wachstums- und Reifegeschehen auslösen.
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Die Komplexität der Situation und ebenso vielfältige wie notwendige Rücksichtnahmen (personale Engpässe, Neuorientierung und Reorganisation von Arbeiten und Diensten, ungelöste Konflikte, rascher sozialer Wandel) machen Entscheidungen notwendig, die langfristige Folgen auslösen. Zielperspektive, Deutung des sozialen Kontextes und Einsatz der Mittel können sich aufgrund der plural-komplexen Situation sehr unterschiedlich darstellen. All dies erfordert, daß der Entscheidungsprozeß von möglichst vielen mitgetragen und mitverantwortet wird.
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Aus diesen und anderen Gründen erweist sich heute ein gemeinsames Bemühen um das Erkennen des Willens Gottes von grundlegender Bedeutung. Ihm wollen die folgenden Ausführungen dienen.
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Die Suche nach dem konkreten Imperativ für das Handeln im Hier und Jetzt ist nicht nur von grundlegender Wichtigkeit, weil von dieser Entscheidung sehr viel abhängen kann, sondern auch weil das Je-Bessere zu finden und zu tun ist.
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In der Praxis zeigt sich, daß sich durch Situationsanalyse und Erwägung normativer Leitprinzipien (wir nennen sie die essentiale Prüfungsmethode (2)) allein noch nicht eine bestimmte Entscheidung als die Entscheidung herauskristallisiert, sondern daß trotz Eingrenzung verschiedene Möglichkeiten offenbleiben, die sich in ihrer Verschiedenheit als berechtigt, wenn auch nicht immer als gleichberechtigt anbieten; so ist nicht mit Sicherheit zu erkennen, welcher Weg als der hier und jetzt bessere einzuschlagen ist.
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In einer Situation, in der die Auswahl aus mehreren sittlich erlaubten Wahlmöglichkeiten offen ist, sollte sich eine Christengemeinde dieser Entscheidung in einem geschichtlich kreativen Sinn überantworten: über die essentiale Güterabwägung hinaus einer anderen vor Gott, dem Gewissen der einzelnen und der Verantwortung der Gemeinde legitimen Entscheidungsfindung und
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-überprüfung. Wir nennen sie die existentielle Prüfungsmethode, weil sich die Christengemeinde auf Grund des Anspruches Jesu und der sich für sie daraus ergebenden existentiellen, d.h. inspirierten und inspirierenden Berufung fragen muß, welche von verschiedenen legitimen Möglichkeiten mehr (magis) dem Willen Gottes entspricht.
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Ein solches gemeinschaftliches Suchen des Willens Gottes nennen wir mit einer Tradition, die sich besonders Ignatius von Loyola verpflichtet weiß, die Lehre von der "Unterscheidung der Geister" (3), eine Lehre, die Kriterien für die Unterscheidung von wahren und falschen Zeichen vorlegt, um mit ihnen Gottes Anruf zu unterscheiden und eine Entscheidung zu fällen, die seinem Willen mehr entspricht.
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Erste Ansätze für eine solche die bloß essentiale Wahl- und Prüfungsmethode überbietende Entscheidungsmethode kennen wir schon aus der Lebenserfahrung der Ur-Kirche. Die Christen hatten den Eindruck, daß sie mit einer solch rationalen Methode wie der essentialen Güterabwägung allein nicht zu einem eindeutigen Resultat kommen würden; sie haben also gefastet und um die Erleuchtung des Hl. Geistes gebetet.
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Bei der Wahl des Nachfolgers des Verräters Judas (Apg 1,15-26) haben die Apostel aufgrund einer Situationsanalyse und der Klarstellung der "Norm" - "Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und in den Himmel aufgenommen wurde, - einer von diesen muß nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein" - nach Anrufung des Herrn das Los geworfen. Wenn ein solcher Weg im allgemeinen und im Normalfall sicher keine zu empfehlende Methode ist, so hatten die Apostel doch den Eindruck, daß sie über die sachliche Prüfung eines geeigneten Kandidaten hinaus noch etwas anderes zu tun hatten, weil sie mit einer solchen Prüfung allein nicht zu einem eindeutigen Resultat kommen konnten und eben nicht nach ihrem Belieben handeln durften. So auch auf dem Apostelkonzil Apg 15,1-35: "Denn der Hl. Geist und wir haben beschlossen" (15,28).
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Ähnliches können wir den Paulusbriefen entnehmen. "Paulus richtet seine Aufforderung zum Erkennen und Prüfen fast immer an eine Mehrzahl. Offenbar soll das auch heißen, daß nicht die Erkenntnisbemühung, das Prüfungsergebnis des einzelnen angefordert wird, sondern ein gemeinsames Bemühen um das Erkennen des Willens Gottes vorausgesetzt ist (vgl. Kol 1,9f; 4,12). Die Aufforderung zum 'Prüfen' ergeht an die versammelte Gemeinde und die einzelnen in ihr (Phil 1,10; 2 Kor 13,5; Röm 12,2; vgl. Thess 5,21; Eph 5,10)."(4)
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Um die notwendige Wahrheit zu finden, muß die Christengemeinde den Weg der Wahrheit in der Geschichte gehen. Der eine und bleibende Inhalt der ganzen menschgewordenen Wahrheit ist in der Geschichte jeweils neu und anders relevant: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,20) und: "Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen" (Joh 16,13), so hat uns Jesus verheißen. Deshalb hat die Lehre der "Unterscheidung der Geister" die Voraussetzungen und die Kriterien der Freiheitsentscheidung freizulegen, durch die der je geschichtliche Anruf Gottes erfahren werden kann.
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Wenn wir es im folgenden wagen, einige Voraussetzungen und Kriterien einer solchen gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung zu nennen, dann mit zwei Einschränkungen:
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1. Eine solche Lehre der Unterscheidung der Geister, d.h. der Prüfung der verschiedenen Antriebe (Geister) des Menschen in einer Gemeinschaft, ist nicht so selbstverständlich und klar, daß über die theoretische Verdeutlichung und Erklärung einer solchen "Lehre" bei allen Einmütigkeit herrschte. Trotz ihrer grundsätzlichen Bedeutung ist sie über erste Anfangsschritte hinaus noch nicht entwickelt worden. Sie kann auch nur aus den Lern- und Praxisfeldern von Christengemeinden entstehen, die sich diesem Anspruch stellen.
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2. Die Regeln der "Unterscheidung der Geister" sind zum einen keine eindeutigen, wißbaren, rational durchsichtigen Kriterien in dem Sinne, daß der einzelne bzw. die Gemeinde durch solche Kriterien über den Willen Gottes verfügen könnte. Zum anderen gibt es keinen äußeren Maßstab, an dem der heilige Wille Gottes gemessen werden könnte; nur der vom Hl. Geist erfüllte Mensch, die vom Hl. Geist inspirierte Gemeinde, erkennt den Hl. Geist. In den Worten des Paulus: "... Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes. Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott - nur der Geist Gottes" (1 Kor 10f). Oder mit dem Psalmisten: "In deinem Licht schauen wir das Licht" (Ps 36,10).
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Mit anderen Worten: Es darf die Wahrheit des Evangeliums nicht übersprungen werden, daß nur die "aus Gott Geborenen" (1 Joh 1,13) Gottes Zeichen erkennen. Nur derjenige weiß, wo wahre Zeichen der Gegenwart Gottes aufleuchten, der die aktive Übergabe seines Lebens an Gott und den Nächsten lebt. Die einzige Antwort auf die Frage nach dem "Wie" der Unterscheidung ist der Herr selbst. Alle anderen Maßstäbe versagen als Kriterien für die Unterscheidung von wahren und falschen Zeichen, weil sie vom Menschen her entworfen sind und daher dem Willen Gottes nicht entsprechen, obgleich das "von den Menschen her" nochmals zweideutig ist: Das Finden der Unterscheidung kraft der Gegenwart Christi kann nur in menschlicher Weise vollzogen werden. In dem Maße, wie die Christengemeinde mitten in aller Zerbrochenheit sich bemüht, aus dem Vertrauen in das Bejaht- und Geliebtsein von Gott zu leben und zu handeln, werden ihr auch jene Charismen geschenkt werden, die sie den Willen Gottes unterscheiden und tun lehren.
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a) Eine gemeinsame Unterscheidung kann es praktisch nur in einem kleinen Kreis von Menschen geben. Die Zahl der Teilnehmer wird von verschiedenen Umständen abhängig sein: von der spirituellen Erfahrung, von der Intensität gegenseitigen Verstehens, vom Sachgegenstand der Entscheidung. Als praktische Norm ist jene Anzahl von Menschen zu wählen, die an einem Beratungsvorgang aktiv mitwirken kann: daß alle sagen können, was sie denken, und von den anderen gehört werden können.
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b) Eine gemeinsame Unterscheidung ist eine Beratung auf einen Beschluß hin, wie sie unter sachlich eingestellten Menschen auch sonst vorkommt. Daraus ergibt sich, daß alle jene Spielregeln und menschlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen, die für eine solche gemeinsame Überlegung auf einen sachlich - gerechtfertigten Beschluß hin notwendig sind. Also sind z.B. Offenheit, Ehrlichkeit, Wille zur Sachlichkeit, selbstkritische Einstellung, der Wille, sich besser informieren zu lassen, eine Atmosphäre gegenseitigen Verstehens und gegenseitiger Achtung selbstverständliche Voraussetzungen.
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c) Für den Prozeß einer gemeinsamen Unterscheidung ist es von grundlegender Wichtigkeit, daß zu Beginn der Beratung die Grundlinien der Verfahrensweise festgelegt werden. Von diesen Grundlinien sollte die Gruppe im Laufe des Prozesses nur unter besonderen Umständen und mit dem Einverständnis aller abrücken. Deshalb muß sich die Gruppe für die Festlegung solcher Grundlinien genügend Zeit nehmen. Wer bestimmt und wie bestimmen wir, was wahr und richtig, was falsch und unrichtig ist, was gut und was besser ist? Wer entscheidet und wie entscheiden wir, welcher Weg gegangen werden soll, welche Zwischen-Ziele möglich sind und welche Mittel eingesetzt werden?
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Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die Planung der Zeit. Ist die Zeit knapp, kommt es leicht zu Zufallsentscheidungen. Abgebrochene Diskussionen führen zu einem resignativen Konsens anstatt zu einer dem Willen Gottes und den Umständen angemessenen Entscheidung.
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d) Von besonderer Wichtigkeit ist die Bestellung der Leiterin oder des Leiters des Prozesses einer gemeinsamen Unterscheidung. Sie oder er sollte eine Frau bzw. ein Mann geistlicher Erfahrung sein, aber auch natürliche Fähigkeiten zur Leitung einer Gruppenberatung besitzen. Eine Christengemeinde wird um die für diese Aufgaben nötigen Charismen ganz besonders beten, insbesondere um das Charisma der Unterscheidung zwischen Gruppengeist und Hl. Geist, zwischen dem emotionalen Wir und dem spirituellen Wir. Diese beiden Sphären müssen unterschieden, dürfen aber nicht getrennt werden.
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e) Jede Gemeinschaft lebt von der Kraft und dem Selbstsein der einzelnen. Daher ist es unabdingbar, daß sich die einzelnen je neu zu persönlichem Gebet und Überlegen zurückziehen, um das Erfahrene in sich einzulassen, um bestimmte Sichtweisen zu prüfen, zu relativieren, zu vertiefen, zu stärken oder auszuscheiden und sich so ein eigenes Urteil zu bilden.
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Aus diesen Zeiten der Einsamkeit gehen die einzelnen immer wieder in die gemeinsame Beratung zurück, um sich im gemeinsamen Erwägen alles vor Gott anzuvertrauen. Auch Zeiten der Anbetung sind vorzusehen, in denen einzeln oder gemeinsam die anstehenden Fragen vor Gott gebracht und ihm anheimgestellt werden: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden" - ohne die ungeduldige Erwartung, daß aufgrund eines solchen Gebetes sofort klar wird, was zu tun ist.
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Der einzelne und die Gemeinde, die sich einstimmen wollen in den Willen Gottes, müssen sich selbst loslassen, müssen die Ansprüche des selbstischen Ich bzw. jeden Gruppenegoismus preisgeben. Nur in dem Maße, wie Mensch und Gemeinde vor Gott arm werden, wird für die Unterscheidung seines Willens Raum geschaffen. Der Wille zur Wahrheit verlangt grundsätzlich Offenheit für die Wahrheit gerade dann, wenn sie über die bisherige Position des einzelnen bzw. der Gemeinde hinausgeht oder nicht ihren Interessen entspricht. Diese gelassene Offenheit schafft die Freiheit, sich die Fähigkeit des Wählens und Unterscheidens zu erhalten.
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Der Wille zur je größeren Wahrheit Gottes impliziert somit als Grundvoraussetzung zur Unterscheidung des Willens Gottes die Grundhaltung der aktiven Indifferenz - wie wir sie in der Tradition des Ignatius von Loyola nennen (5) - als kritische Distanz zu den eigenen wie den gesellschaftlich herrschenden Interessen und Wahrheitsvorstellungen. Sie impliziert (6):
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- aa) das gleiche Ja zu Armut wie Reichtum als Ausdruck der materiellen Anspruchslosigkeit gegen den Besitzdrang des einzelnen und der Gemeinde und des Frei-Seins gegenüber der Verfügungsgewalt über die materiellen Mittel des Lebens;
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- bb) das gleiche Ja zu Ohnmacht wie Macht als Ausdruck der geistigen Anspruchslosigkeit gegen den Macht- und Geltungsdrang des einzelnen und der Gemeinde und des Frei-Seins gegenüber der Verfügungsgewalt über die politischen Mittel der Macht;
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- cc) das gleiche Ja zum Leben wie zum Tod, zu Krankheit wie zu Gesundheit als Ausdruck der vitalen und existentiellen Anspruchslosigkeit gegen den Daseinsdrang des Menschen und der Gemeinde und des Frei-Seins gegenüber der Verfügungsgewalt über das Leben selbst.
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Die so gelebte und vollzogene aktive Indifferenz ist die Voraussetzung für die freie Bereitschaft zu jeglichem Verfügtwerden als Enteignung des Menschen und der Gemeinde auf die jetzt konkret notwendige, je bessere Wahrheit Gottes hin. Diese Freiheit für Gott vollzieht sich in einer "Freiheit-von" (frei - innerlich und äußerlich - von jeder Knechtschaft der Welt); in einer "Freiheit-zu" (frei zu jeglicher Verfügung durch Gottes Willen) und einer "Freiheit-in" (in einem Mitvollzug des Umsonstseins Gottes: "Umsonst habt ihr empfangen, so gebt umsonst" Mt 10,8).
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aa) Wichtig ist es, daß die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung immer positive Ansätze suchen, verstehen und retten, nicht verurteilen wollen. Vorsicht ist allerdings vor Lässigkeit geboten: Alles verstehen heißt nicht alles nachsehen. Sonst gerät alles in eine Gleichgültigkeit, die die Freiheit verrät und eine Absage an mögliche Umkehr, Veränderung und Verwandlung ist. Die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung haben sich daher immer wieder zu fragen, ob sie - in liebender Offenheit - auch von Mängeln und Schuld sprechen, wenn dies geboten ist.
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Sind die nach einer gemeinsamen Unterscheidung Suchenden in dieser Haltung gestärkt, werden sie auch fähig sein, eigene Schuld zu bekennen. Denn das Aufbrechen der je größeren Liebe läßt eigene Sünden entdecken. Hieraus entspringt eine fruchtbare Solidarität mit anderen: Wir haben ihnen nichts voraus! Ihre Schuld ist auch unsere Schuld. Wir finden wie sie unseren gemeinsamen neuen Anfang in der vergebenden Liebe Gottes, die wir selbst niemals gegen die anderen für uns vereinnahmen dürfen.
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bb) Es bedarf prüfender Wachsamkeit (insbesondere durch die geistliche Führung einer gemeinsamen Unterscheidung), damit die Gemeinschaft in ihrer Bildung, ihrem Zusammensein, ihrer gemeinsamen Beratung nicht entartet zu einer Ersatzbefriedigung: Die Gemeinschaft darf nicht benützt werden zum Zwecke der Flucht vor sich selbst, vor Einsamkeit oder Trostlosigkeit, zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Kommunikation und Mitmenschlichkeit. Die Gruppe muß auch die Gefahr des gegenseitigen Sich-Hineinsteigerns in einen Gemeinschaftsenthusiasmus sehen, der blind macht für die gemeinsame sachbezogene Arbeit.
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Beachtet man diese Gefahren nicht, dann werden die emotionalen, rationalen und spirituellen Prozesse einer gemeinsamen Unterscheidung fehlgeleitet; die objektive Erörterung, Analyse, Beurteilung eines Problemfeldes wird durch ichhafte bzw. gruppenegoistische Aspekte verfälscht. Die Gefahr einer solchen Verfälschung muß klar ins Auge gefaßt werden; denn in einer solchen gemeinsamen Unterscheidung würde man nur sich selbst suchen - und die Gemeinschaft mißbrauchen.
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Die Teilnehmer müssen es darum allein mit Gott aushalten können und den Mut haben, sich mit seiner einmaligen und unvertauschbaren Berufung Gott zu stellen. Daher ist immer Vorsicht geboten bei Äußerungen wie diesen: Ich kann in der Gruppe besser denken; ich fühle mich im gemeinsamen Gebet wohler als allein; ich verstehe mich besser, wenn ich mich mit dem Selbstverständnis vergleiche, das andere in der Gruppe äußern.
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Andererseits ist die Gefahr einer Flucht in die Einsamkeit und deren Ideologisierung zu sehen: aus Gruppenunfähigkeit oder um der Last eines gemeinsamen Prozesses zu entgehen; aus Sorge um Anerkennung; aus Angst, Masken fallen lassen zu müssen und als der zu erscheinen, der ich wirklich bin. Deshalb ist es wichtig, die eigene Meinung nicht zu verstecken aus Angst, sich zu blamieren; man muß aber auch die Geduld aufbringen, die Meinung des anderen anzunehmen, selbst wenn sie querliegt zur eigenen, und sich auf sie ruhig und lernend einzulassen.
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cc) Grundlegend ist die Klärung versteckter Interessen, die unausgesprochen den einzelnen oder die Gemeinschaft bei der Lösung eines für sie relevanten Problems mitbestimmen. Warum wollen wir es überhaupt einer Lösung zuführen? Dienen wir dadurch nur uns oder auch den anderen, denen wir helfen wollen? Handeln wir vielleicht aus Mißtrauen, daß sie ihre Fragen nicht selbst lösen können? Aus dem Bedürfnis, uns in den Vordergrund zu spielen und durch unser Helfen andere unter dem Schein der Selbstlosigkeit von uns abhängig zu machen? Aus Besserwisserei, um andere unserem Anspruch zu unterstellen? Vertrauen wir bei unserer Suche nach der Wahrheit auf das Wort: "Der Beistand aber, der Hl. Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe" (Joh 14,26 Oder spielen wir unter dem Deckmantel der Demut selbst "lieber Gott"? Unter solchen Bedingungen würde die Gruppe nur richten anstatt zu retten.
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Wo die Gruppe sich zudem nicht auf der Basis eines positiven Anliegens findet, sondern nur durch die Negation von etwas, erwächst kein Anfang, der aus einem Ja lebt. Die Gruppe ist daher schon von vornherein blind für den Dienst an den anderen; sie wird unfähig, die Sache, bzw. die anderen, um die es geht, bejahend (in Liebe kritisierend und gerade so auch verwandelnd, weiterführend) sie selbst sein zu lassen.
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Schließlich gibt es noch die Versuchung, sich zusammen mit den anderen in eine Art spirituelle Scheinhilflosigkeit und Pseudo-Armut zu stürzen; den Willen Gottes in einer Pseudo-Demut zu beschwören und ihn gleichsam mittels des offensichtlichen Elends der Gruppe unter dem Hilferuf nach Barmherzigkeit auf die Kommunität herabzuziehen. Das Sprichwort: "Wo die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten" wird hier pervertiert. Eine solche Grundhaltung ist nichts anderes als ein frommes Kaschieren der eigenen Mutlosigkeit, ja Feigheit und Resignation. Eine solche Grundhaltung hat nichts zu tun mit dem Mut, tapfer die - oft gegebene - Rat- und Weglosigkeit vor Gott zu tragen und zu akzeptieren.
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dd) Die Einübung in die Grundhaltung der Indifferenz ist besonders wichtig für den Leiter/die Leiterin einer gemeinsamen Unterscheidung. Auf Überlegungen wie folgende wird er/sie evtl. auch mit Freunden zusammen sich betend vor Gott einlassen müssen: Sind es sachliche Gründe, die mich bewegen, oder versuche ich nur unter dem Schein der Sachlichkeit, ichhafte Bedürfnisse zu verwirklichen: andere leiten und lenken zu können; sonne ich mich in meiner Unabkömmlichkeit: man braucht mich; in Gedanken: wie gut bin ich doch; oder: ich bin zwar einer unter anderen in der Gruppe, aber letztlich doch das Zentrum, der geheime Dirigent; beabsichtige ich, die anderen so lange reden und diskutieren zu lassen, aber auch selbst mich in der Diskussion zur Sprache zu bringen, bis das Gespräch in Ausweglosigkeit endet und ich schließlich die Trumpfkarte der Lösung ausgeben kann; oder: ich habe schon lange Zeit genug anderen gehorcht, jetzt sollen andere mir gehorchen.
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Zusammenfassend ist zu sagen, daß jede Kommunität - bevor sie mit dem eigentlichen Prozeß der "Unterscheidung" beginnt -in Gelassenheit vor Gott und voreinander sich die Voraussetzungen, die mit der Grundhaltung der Indifferenz gegeben sind, bewußtmachen und sich auf sie einlassen muß. Aus dieser Grundhaltung heraus ist dann erst die Frage zu stellen, was Gottes Wille hier und jetzt für uns ist.
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Welches sind nun die Kriterien der Wahlerkenntnis, die einer Christengemeinde dazu verhelfen, den Willen Gottes zu unterscheiden, um zu einer Einzelerkenntnis zu gelangen, die aus einer Situationsanalyse und der "Norm" allein sehr oft nicht ermittelt werden kann? Die Kriterien resultieren aus drei Wirklichkeitsebenen, durch die bzw. auf denen der Anspruch Gottes sowohl an einen Menschen wie auch an eine Christengemeinde erkennbar wird. Dieser Anspruch vollzieht sich 1. in einer bestimmten konkreten, gesellschaftlichen Situation und umgreift 2. die Vernunft (die "Norm" ) und 3. die Erfahrung (den "Anruf") - Ebenen, die zu unterscheiden sind, die sich aber im konkreten Prozeß der Unterscheidung immer wieder überschneiden und ineinander übergehen.
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Jede Gemeinde handelt immer in einer bestimmten, vorgegebenen Situation, weder ohne Vernunft, noch ohne Freiheit: denn ohne Einsicht wäre das Handeln blind, ohne Handeln bliebe die Einsicht abstrakt. Wenn eine gesellschaftliche Theorie (der Prinzipien) nicht nur Theorie der Praxis, sondern zwingende Vorgabe für konkrete gesellschaftliche Veränderung wäre. Dann wäre das gesellschaftliche Wagnis und damit die Freiheit des Menschen bzw. der Christengemeinde überflüssig. Dort allerdings, wo die normierende Kraft der ethischen Prinzipien und der Vermittlungswege ausfällt, verfällt die Freiheit der Beliebigkeit und Willkür.
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Daß eine Christengemeinde mit unbedingten Anrufen von seiten Gottes zu rechnen hat, ergibt sich aber nicht nur aus der Unableitbarkeit der Freiheit, sondern auch aus dem Umstand, daß im Rahmen der "Grundnorm" mehrere konkrete Wahlmöglichkeiten offenbleiben. Jede Christengemeinde hat also damit zu rechnen, daß Gott sie mit einer besonderen Aufgabe betraut und ihr dazu auch die notwendigen Charismen schenkt.
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Die Frage ist also die: Wie erkennt die Christengemeinde den konkreten Imperativ, der der Entscheidung den Charakter des "magis" verleiht? Es ist die Frage nach der "Logik der Praxis" zur Findung der konkreten Maxime in ihrer positiven, inhaltlichen Einmaligkeit für ein bestimmtes Handeln an einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle.
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Die bestmögliche Kenntnis der Situation bildet die Voraussetzung eines sachgemäßen Handelns. Die Analyse einer Situation ist das Aufhellen all dessen, was "ist". Notwendig ist die bestmögliche Kenntnis der Landschaft, in der sich die Christengemeinde bewegt, damit sie der Wirklichkeit in ihren Schattierungen, ihrem Reichtum, in ihrer Vielfalt gerecht wird. In welchem Kontext taucht die Frage auf? Die Erfahrung oder Kenntnis welcher Sachlage führt zu diesem Problem? In welchen Perspektiven nehmen wir diesen gesellschaftlichen Kontext wahr? Haben wir ihn selbst erlebt, erfahren - und wenn nicht selbst, dann durch wen? Wo liegen vorweg die möglichen Einseitigkeiten der Interpretation dieses Kontextes?
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Was können und sollen wir? Im Vertrauen auf Gottes Hilfe umsichtiges Austasten des eigenen Vermögens im Sinne des Gleichnisses "Vom Turmbau" (z.B. Lk 14,28ff). Wissen, worauf man sich einläßt.
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Alle Überlegungen müssen sich auf das eigene und gesellschaftliche Wirklichkeitsfeld beziehen unter Berücksichtigung der kulturellen Erfahrung und der gesellschaftlichen Verfassung, wobei man sich bewußt sein muß, daß eine klare und eindeutige Situationsanalyse in vielen Fällen durch die Verwobenheit und Komplexität der Situation auch bei Anwendung der sublimsten und ehrlichsten Methoden nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist.
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Jede Entscheidung wird aufgrund bestimmter Wertmaßstäbe getroffen. Ob sich eine Gruppe auf die Wertordnung der Bergpredigt oder auf die Torheit des Kreuzes oder auf Wertmaßstäbe wie die der sozialen gerechtigkeit beruft, ist für Theorie und Praxis des gesellschaftlichen Handelns nicht gleichgültig. Ist der Maßstab verkehrt, wird auch die Entscheidung falsch ausfallen. Die Wert-Maßstäbe sind daher immer einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
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Im Hinblick auf den Anspruch des Reiches Gottes hat für eine Christengemeinde die Grundnorm zu sein: Welche ist die beste Weise, dem anderen und der Gesellschaft zu dienen? Diese Grundnorm grenzt nicht nur legitime Wahlmöglichkeiten ein, sondern eröffnet auch einen weiten Spielraum, innerhalb dessen geschichtliche Entscheidungen, die nicht deduzierbar sind, sich bewegen können.
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Ein grundlegendes Kriterium für die Rationalität eines Weges ist seine "Kommunikabilität", d.h. seine universelle Einsehbarkeit. Denn die Wertmaßstäbe und Prinzipien, nach denen eine Christengemeinde ihre Zwischen-Ziele und Mittel ins Auge faßt, sollten jenen einsehbar sein, denen sie helfen und die sie als Partner gewinnen will, wie auch jenen, die sich ihrem Einsatz entgegenstellen bzw. sie bekämpfen. Eine Christengemeinde wird sich also fragen müssen, wie weit sie in der Lage ist, ihre Vermittlungswege zu begründen, Freunden - Gegnern - Feinden evtl. eine neue Sicht ihrer eigenen ethischen Vermittlungswege zu vermitteln oder ihre eigenen in der Auseinandersetzung mit denen der anderen besser verstehen zu lernen. Können sie uns helfen, die Prinzipien des Sollens, denen sie sich unterstellen, besser zu verstehen?
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Können wir ihnen und sie uns helfen, diese Prinzipien im Feld des je eigenen Daseins- und Lebensvollzugs zu entdecken? Muß sich dadurch evtl. die sprachliche Vermittlung dieser Prinzipien ändern? Inwiefern bringen die anderen von sich her schon eine reiche Überlieferung von Werten und Wertentwürfen mit, die wir in der Wahl unseres Sollens zu respektieren haben?
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Solche Fragen hat sich eine Christengemeinde im Bereich des Prinzipiellen gerade auch deshalb zu stellen, weil sie die Folgen ihres Tuns auch zu verantworten hat, wobei diese nicht eindimensional berechenbar sind. Die Christengemeinde hat nicht nur von ihrer Seite her ihr Tun zu verantworten, sondern die Folgen ihres Tuns für andere mitzuverantworten - wobei die Folgen nie ganz abschätzbar sein werden; zusätzlich hat sie auch noch die Konsequenzen zu verantworten, die sich aus dem Verhalten der anderen ihr gegenüber ergeben werden. Wer hat den Nutzen, wer den Schaden?
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Hier geht es darum, Kriterien zu nennen, aufgrund derer der Anruf an eine Christengemeinde auf der Basis der Situationsanalyse und der Vergewisserung der "Norm" unterschieden werden kann.
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Bei Mk 10,26f lesen wir, wie die Jünger angesichts des radikal-fordernden Anspruches des Reiches Gottes erschraken und zueinander sagten: "Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich."
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Dieses Ereignis legt die Struktur des gesuchten Grundkriteriums frei: Der Anspruch des Willens Gottes wird sich dort enthüllen, wo er einerseits erfahren wird als ein Anspruch, der die eigenen Kräfte übersteigt (die Erfahrung des "Kreuzes"), andererseits als ein Anspruch, der in der Erfahrung des Friedens und der Freude die Kraft schenkt, das "Unmögliche" zu tun (die Erfahrung der "Auferstehung"). Der Anspruch Gottes beschenkt (die Erfahrung der Auferstehung), indem er fordert (die Erfahrung des Kreuzes).
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Der Anspruch des Willens Gottes offenbart sich also einerseits dort, wo er als der den Eigen-Entwurf der angesprochenen Christengemeinde überfordernde Impuls erfahren wird, d.h. als eine Wirklichkeit, über die nicht die Christengemeinde verfügt, sondern von der sie verfügt wird. Ein Entwurf, der nicht den eigenen "Tod" implizierte, d.h. nicht ohne Eigen-Motiv und ohne Eigen-Grund und daher auch nicht im "Raum" des Umsonst sich realisierte, ist immer in Gefahr, das (egoistische) Eigeninteresse als Wille Gottes mißzuverstehen; und dann bleibt eine solche Christengemeinde in einen Prozeß eingeschlossen, in dem sie ihr eigener Herr ist. Nur dort also, wo sie auf die Verwirklichung ihres Eigenentwurfs verzichtet, insoweit dieser Entwurf begrenzt ist durch ihr (mehr oder weniger bewußtes, egoistisches) Eigeninteresse, bzw. wo sie darauf verzichtet, allein auf ihre eigenen Kräfte zu bauen, vollzieht sie nicht mehr eine Wiederholung ihrer eigenen Situation als Wiederentwurf ihrer selbst, sondern erfährt den Anspruch als den Anspruch Gottes.
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Der Anspruch Gottes, der den "Tod" des je eigenen Sinnentwurfes der Freiheit fordert, darf aber andererseits nicht als Negation der Freiheit, als Entfremdung, als "Nur-Kreuz" erfahren werden, sondern muß sich als die Integration der Freiheit in den Frieden und die Freude Gottes manifestieren. Gott gibt die Freiheit in sich selbst frei und führt sie aus der Entfremdung in ihr "Bei-sich-Sein", in ihr "Zu-Hause-Sein". Der Anspruch des Willens Gottes offenbart sich demnach nur dort, wo er nicht nur als "Tod", als Überforderung, sondern gleichzeitig als "Neu-Geburt" der Freiheit, als Friede, Trost und Freude erfahren wird.
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Eine Christengemeinde entgeht von einem solchen Ansatz her der großen Gefahr, die einzelnen oder sich selbst der Etablierung von Prinzipien zu opfern, also in den zerstörerischen Prozeß negativer Selbstlosigkeit hineinzugeraten, die schließlich in Überforderung, Selbsthaß und so in Entselbstung endet. Ein Gruppenideal als Gruppen-über-Ich kann so nach und nach eine Gruppe auslöschen. Entsprechend kann eine gemeinsame Unterscheidung in Selbstauszehrung enden: Die Gruppe opfert sich dem Gruppenideal, so wie sie andere ihren Prinzipien opfert, die sie als das unbedingt zu Sollende vorstellt und durchzusetzen trachtet. Unter dieser Rücksicht kann gerade das Prinzip, nur das Beste zu wollen, in eine zerstörende Lieblosigkeit umschlagen. Es darf also nicht übersehen werden, daß man anderen nicht dadurch helfen kann, daß man sie dem bloßen Gesetz des Guten unterstellt und sie dadurch als konkrete Menschen, die sie sind, aus dem Auge verliert und verneint - weil man sie einem Prinzip opfert.
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Daher muß in einer sorgfältigen Unterscheidung der Geister der wahre Friede Gottes, seine tröstende Liebe, die Übereinstimmung in der lebendigen Wahrheit Gottes, die in einer gemeinsamen Unterscheidung wachsen kann, sehr klar unterschieden werden von der allseitigen Übereinkunft in einem durchzusetzenden Prinzip, mit dem alle übereinzustimmen haben im Sinne: wir sind uns einig, daß getan werden muß, was und wie wir es beschlossen haben. Alle haben in inhaltlicher und formaler Sicht zugestimmt. Dieser sogenannte Friede des gemeinsamen Machens ist nicht identisch mit dem Frieden eines gemeinsamen liebenden Einsatzes, sondern nur die Befolgung eines gruppendynamisch eruierten abstrakten Prinzips.
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In diesem Wahlverfahren geht es darum, die Alternativen, die sich aus einer sachlichen und kritischen Diskussion herauskristallisiert haben, gegeneinander abzuwägen. Die Entscheidung der Alternative muß immer auch dadurch geschehen, daß die Christengemeinde im Dienst am anderen auch von ihm her und nicht nur von ihr selbst her - über die Wahl der Alternative entscheidet.
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Die Suche nach der zu wählenden Alternative wird oft schon durch ein Auswahlverfahren zum Ziel kommen, in dem die Argumente Für und Wider - schriftlich und übersichtlich aufgezeichnet - gegeneinander abgewogen werden. Die Christengemeinde wird also oft schon aufgrund einer vernünftigen Abwägung - auch ohne eine besondere Bewegtheit durch einen inspirativen Vorgang - zu mehr Klarheit kommen können.
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Die Teilnehmer an einer gemeinsamen Unterscheidung lassen sich im Gebet - einzeln und gemeinsam, gleichsam im reinen Atmen ihrer Existenz - auf die Unendlichkeit Gottes ein, um in der grenzenlosen Offenheit des menschlichen Geistes auf Gott hin leer und frei von allem zu werden, was nicht Gott ist. Sie orientieren sich dabei an der rational nicht noch einmal legitimierbaren kontemplativen Grundhaltung Jesu. In diese Offenheit auf Gott hin halten sie den Wahlgegenstand und versuchen zu erfahren, ob er diesen unendlichen Horizont Gottes verdunkelt oder ob er offen und licht bleibt.
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Mit anderen Worten: Bei einer solchen prüfenden Hineinnahme des konkreten Wahlgegenstandes in die offene und schweigende
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Begegnung der Glaubenden mit dem unendlichen Gott werden sie einzeln und gemeinsam die Erfahrung machen, daß der eine Gegenstand positiv mit der sich im Horizont Gottes vollziehenden Freiheit harmoniert, während ein anderer als Widerspruch erfahren wird. Im einen Fall empfinden sie Trost, Friede, Freude, Heiterkeit, im anderen Fall wird der unendlich ruhige, schweigende Horizont Gottes verstellt und verdunkelt; sie erfahren Mißtrost, Unfriede, Verwirrung.
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Aufgrund solcher Erfahrungen von Trost und Mißtrost, d.h. davon, ob eine gelöste, heitere, bei den einzelnen mit dem Geheimnis Gottes harmonierende Gestimmtheit entsteht, bzw. ob die gemeinsam den Willen Gottes Suchenden inspirierte Einheit, Friede und Freude erfahren, oder ob sich im Gegenteil Verfinsterung und Spannungen einstellen, werden sie dann die Wahl treffen.
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Sollten auch bei dieser Methode unterschiedliche Möglichkeiten der Entscheidung offenbleiben, dann können die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung - aufgrund ihrer Indifferenz und ihrer Offenheit auf Gott hin - daraus die Ermächtigung Gottes an sie ablesen, guten Gewissens die Wahl zu treffen, die ihnen am besten zu sein scheint. Sie dürfen dann ihre aufgrund rationalen Überlegens getroffene Entscheidung vertrauensvoll als den konkreten Willen Gottes interpretieren - auch dann, wenn sich mit der Zeit herausstellen sollte, daß die Entscheidung aus ihrer Perspektive nicht die vorteilhafteste war.
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Aus dem bisher Gesagten ergibt sich auch, daß die angeführten Wahlzeiten nicht einfach nebeneinander zur beliebigen Auswahl stehen, sondern sich gegenseitig bedingen. Eine Überprüfung der Ergebnisse jeder Wahlzeit durch die Methode der jeweils anderen wird sich immer als klug erweisen, ja es wird in der Praxis selbst immer zu einer Synthese dieser theoretisch unterscheidbaren Wahlzeiten und Wahlmethoden kommen. Denn auch die Wahlmethode der Güterabwägung vollzieht sich ja in der unbedingten Offenheit auf Gott hin. Insofern werden aus der Praxis religiöser Gemeinschaften verschiedene Grundtypen der "Wahlmethoden" erwachsen.
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Aber nicht nur das: Es werden sich legitimerweise mit zunehmender Erfahrung - aufgrund der Einheit in Verschiedenheit der Erlösungs- und (vernünftigen) Schöpfungsordnung - sehr viele Spielarten und Methoden der Entscheidungsfindung herauskristallisieren, die von den Humanwissenschaften entdeckt worden sind und im außerkirchlichen Raum praktiziert werden. Sie sind in Verbindung mit der ausdrücklichen Prüfung vor Gott fruchtbar zu machen.
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Zu erinnern ist dabei an das, was wir schon zu Beginn unserer Ausführungen sagten: Es gibt keinen Weg und keine Wahlmethode, die unfehlbar garantieren, daß eine gefällte Entscheidung dem Willen Gottes entspricht. Sollte sich die Gruppe nicht in einem (einstimmigen) Konsens finden können (der immer sehr viel Zeit braucht, soll er keine Zufallsentscheidung sein) und sich zu einer Mehrheitsentscheidung entschließen, dann muß auch immer die Position der Minderheit ausdrücklich mitberücksichtigt werden - wenn schon nicht in der Entscheidung selbst, so doch bei der Festlegung der konkreten Ausführungsbestimmungen. Denn nichts ist in dieser Welt "Endlösung". Die Argumente und Einsichten einer Minderheit, die durch die Wahl, die die Mehrheit trifft, vorläufig als "überholt" erscheinen, können durchaus für die weitere Zukunft schon jetzt Richtiges getroffen haben oder zumindest helfen, einer möglichen Verabsolutierung der Entscheidung gegenüber kritisch zu bleiben.
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Nach dem Auseinandergehen sollten die Teilnehmer im Gespräch bleiben und sich ebenso vor Verbitterung und Groll wie vor triumphalistischen Gebärden ("wir haben es geschafft") hüten. In einer betend gesuchten gemeinsamen Unterscheidung hat grundsätzlich jeder dem anderen, haben alle jedem einzelnen gedient.
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Durch die gemeinschaftliche Beratung begegnet eine Gruppe dem vielleicht schwerwiegendsten und am weitesten verbreiteten Mangel unseres sozialen Lebens: der Unfähigkeit, friedlich zusammenzuarbeiten, lernfähig und effizient zu sein. Alles, was zur gemeinschaftlichen Beratung gesagt wurde, trifft mutatis mutandis auf alle Gruppen an allen sozialen Orten zu, nicht allein auf christliche Gruppierungen und Gemeinden. Alle Gruppen, die diesen Weg gehen, können die Erfahrungen, die sie mit gemeinschaftlicher Beratung machen, austauschen und so voneinander lernen.
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Darüberhinaus kann eine Christengemeinde einander feindlich gegenüberstehenden Gruppierungen in der Gesamtgesellschaft dadurch ihren Dienst erweisen, daß sie eben diesen Konflikt zum Gegenstand einer gemeinschaftlichen Beratung mit diesen Gruppierungen macht: im Weg des gemeinsamen Gesprächs und nicht als Kampf um Sieg oder Niederlage. Das bedeutet: aufeinander hören, und zwar auf das, was die anderen "eigentlich" meinen, und nicht nur auf das, wo sie sich Blößen geben; das Selbstbild und das Fremdbild klären; die Leidenschaften erkennen, die für Argument und Gegenargument blind machen; die vom jeweils eigenen Interesse vielleicht abweichenden Interessen erkennen und respektieren; Teilwahrheiten auch in dem erkennen, was an Falschem oder Fragwürdigem vorgebracht wird; kurz: die Voraussetzungen schaffen für eine kommunikative Wahrheitssuche.
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In dem Maße, wie einzelne und Gemeinden Gott nahe kommen, nehmen sie ihr Leben aus der Fülle wahr, aus der alles lebt. Das gemeinschaftliche Suchen des Willens Gottes ist ein Sicheinüben in ein Sollen, das nicht von außen an die Teilnehmer einer gemeinsamen Unterscheidung herangetragen wird, sondern ein Sollen, das im Raum ihrer Freiheit und ihres Gewissens aufzuspüren, zu erkennen und zu leben ist, so daß dieses Sollen nicht als ein äußeres Gesetz, sondern als innerer Imperativ der Freiheit für das von Gott geschenkte je-bessere Leben entdeckt wird.
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Das Sollen (der Imperativ) muß immer aus dem "Sein" (dem Indikativ) hervorgehen: "Sein" als die erfahrene Wirklichkeit Gottes, die sich gleichsam anzeigt in der Erfahrung von Freude, Friede und Gelassenheit. Neue Normen sollen deshalb für eine Christengemeinde nur dann verbindlich sein, wenn sie sich aus der fundamentalen Erfahrung der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes gleichsam ergeben; sonst ginge es nur um ein Aufzwingen von außen - das Sollen würde das Sein ersetzen und nichts würde sich ändern. Wird diese fundamentale Erfahrung nicht gemacht, ist die Zeit noch nicht reif, und es muß gewartet werden, ehe man neue Normen erläßt.
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Worum es letztlich geht, ist der Zugang zum Reich Gottes, ist die Erfahrung dessen, wozu wir durch Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu Christi befreit sind: zum Sein der Kinder Gottes. Nur aus der Fülle, dem Reichtum dieses Seins heraus ist die Formulierung eines Sollens möglich, das inmitten der Relativität des Endlichen und der Brüchigkeit unseres Lebens unbedingt verpflichtet - mit einer Unbedingtheit, die aber nicht tötet, sondern befreit.
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Die Voraussetzungen und Kriterien, die die Logik einer gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung kennzeichnen, bei der es darum geht, den Willen Gottes als Anruf an die Einmaligkeit und schöpferische Unableitbarkeit der geschichtlichen Freiheit einer Christengemeinde zu erfahren und zu "unterscheiden" und die intendierte Aktion als dem Anspruch Gottes entsprechend oder widersprechend auszuweisen, bleiben freilich immer auch Theorie. Das konkrete Handeln kann daher nie vom Charakter des Wagnisses und von der Möglichkeit des Scheiterns befreit werden. Denn Gott allein ist Herr der Geschichte.
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Anmerkungen: | 228
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1. Ein bedeutsames Dokument ist der Brief "Über die geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft" des Generaloberen der Jesuiten, Peter-Hans Kolvenbach ([Geistliche Texte S.J. 12] Frankfurt a.M. 1987, hg. v. d. Provinzialkonferenz der Deutschen Assistenz SJ); vgl. außerdem: G. Switek, Geistliche Unterscheidung in Gemeinschaft. In: K. Frielingsdorf-G. Switek, Entscheidung aus dem Glauben. Modelle für religiöse Entscheidungen und eine christliche Lebensorientierung (Grünewald-Praxis). Mainz 1978, 153-164 (dort weitere Literaturhinweise); A. Riedlsperger, Entscheidungsabläufe in den Ordensgemeinschaften. In: Ordensnachrichten 26 (1987), 143-150; F. Hengsbach, Apostolische Unterscheidung in Gemeinschaft - eine Inspiration für die katholischen Sozialverbände? In: Ignatianisch. Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu. Hg. M. Sievernich - G. Switek. Freiburg i.Br. 1990, 569-583.
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2. Entscheidende Anregungen zu diesem Kapitel verdanke ich den Arbeiten Karl Rahners, die den Entwurf einer "Existentialethik" anzielen. Rahner versucht darin, die Aporie eines bestimmten ontologisch-metaphysischen Denkens vor der geschichtlichen Wirklichkeit zu überwinden. Vgl.: K. Rahner, Der Einzelne in der Kirche. In: Ders., Gefahren im heutigen Katholizismus (ChH 1,1). Einsiedeln 31955, 11-38; Ders., Über die Frage einer formalen Existentialethik. In: Ders., Schriften zur Theologie [= SchTh]. Bd.2. Einsiedeln 1964, 227-246; Ders., Das Dynamische in der Kirche [QD 5]. Freiburg i.Br. 1960; Grenzen der Amtskirche. In: SchTh Bd. 6. Einsiedeln 1965, 499-520; Der Anspruch Gottes und der Einzelne: ebd. 521-536; Zur "Situationsethik" aus ökumenischer Sicht: ebd., 537-544; Zur theologischen Problematik einer "Pastoralkonstitution". In: SchTh Bd. 8. Einsiedeln 1967, 613-636.
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3. Siehe hierzu die sehr guten Arbeiten von M. Schneider, "Unterscheidung der Geister". Die ignatianischen Exerzitien in der Deutung von E. Przywara, K. Rahner und G. Fessard, (ITS 11). Innsbruck 1983, und J. Toner, A Commentary on Saint Ignatius Rules for the Discernement of Spirits. St. Louis (USA) 1982 (beide Bücher mit ausführlichem Literaturverzeichnis).
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4. H. Schürmann, Die Gemeinde des Neuen Bundes als der Quellort des sittlichen Erkennens nach Paulus. In: Cath(M) 26 (1972) 15-37, hier 22f.
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5. dazu: Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Übersetzt und erläutert von P. Knauer. Graz 1978, 24f.
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6. S. dazu E. Przywara, Deus Semper Maior. Theologie der Exerzitien. Bd. 1. Wien 1964, 110-118.
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