Guido Iori an Karl Felix Wolff
Guido Iori: Le dolomiti di Fassa. Canazei – Vigo – Moena. (Monografia. Canazei: Edizione Guido Iori [1952])
Nachlass-Bibliothek Karl Felix Wolff, Sig. 31-152
Widmung: “Allo scrittore che io stimo di piú e cui voglio bene. All’Uomo che ha dedicato tutta un’esistenza al mondo delle Dolomiti e che dalla mia valle ha tratte le sue piú belle leggende.
Guido Iori
Canazei 3 agosto 1952”
Übersetzung: „Für den Schriftsteller, den ich am meisten schätze und den ich liebe. Für den Mann, der der Welt der Dolomiten eine ganze Existenz gewidmet hat und der seine schönsten Sagen aus meinem Tal gewonnen hat. / Guido Iori / Canazei 3. August 1952“
Der Adressat dieser berührenden Zeilen und des schmalen Büchleins von Guido Iori war der in Bozen lebende, damals 73jährige Karl Felix Wolff (1879-1966), der von 1913 an in deutscher Sprache die von ihm vor allem in den ladinischen Tälern Tirols gesammelten Sagen bearbeitet und als „Dolomitensagen“ veröffentlichte. Wolffs Verdienst war es, „die ladinischen Überlieferungen vor dem gänzlichen Zusammenbruch der mündlichen Tradierung im letzten Augenblick schriftlich festgehalten und damit dem bewahrenden Gedächtnis erhalten zu haben“ (Ulrike Kindl 1997, 5).
Wolff war vom Familienzusammenhang ein typisches Kind der österreichisch-ungarischen Monarchie: Sein Vater, ein Schlesier, war österreichisch-ungarischer Militär, seine Mutter eine italienische Adelige aus dem Trentino; er wuchs in diversen Garnisonsstädten der Monarchie und schließlich in Bozen auf, wo er sein Leben lang blieb. Seine Muttersprache war deutsch, die Sprache seiner Mutter italienisch, und die Sprache seines Kindermädchens Ladinisch. Wolff korrespondierte auf deutsch und italienisch, und Briefkontakte zu ladinischen Kollegen wurden in einer dieser beiden Sprachen gepflegt. So auch mit dem Aktivisten, Politiker und Publizisten Guido Iori de Rocia (1912-1987). Die (italienischsprachige) Korrespondenz Wolffs mit Iori liegt heute in Ioris Nachlass im Istitut Cultural Ladin Majon di Fascegn in Vigo di Fassa /Vich im Trentino. Ulrike Kindl und Fabio Chiocchetti haben darüber mehrfach gearbeitet, die folgenden Zitate und Informationen stammen aus einem ihrer Aufsätze (siehe unten). In Karl Felix Wolffs umfangreichem Nachlass finden sich hingegen nur drei kleine Spuren von Guido Iori, eine davon die vorliegende Widmung.
Der Kontakt zwischen Wolff und Iori begann 1951 mit einem versuchten Besuch Ioris bei Wolff in Bozen (Wolff war nicht zu hause) und einem darauf folgenden Schreiben von Wolff. Von gemeinsamem Interesse war nicht nur die Sprache, die Kultur und die Geschichte der LadinerInnen; gerade zu dieser Zeit waren beide auch in Polemiken gegen den renommierten „aber politisch ziemlich eindeutig national orientierten“ Sprachwissenschaftler Carlo Battisti verwickelt. Kurz gesagt ging es darum, dass Battisti sprachwissenschaftlich beweisen wollte, dass „die vielen ladinischen Varianten […] nichts anderes als etwas altertümlich gebliebene italienische Dialekte“ seien (Kindl, Chiocchetti 2018, 152). Das diente dem nationalen italienischen Anspruch auf die Gebiete Südtirols und des Trentino (und damit der Italianisierung). Wolff hingegen vertrat die Ansicht, dass die ladinischen Varianten Idiome der eigenständigen Sprache des Rätoromanischen seien. Dem stimmten die ladinischen Intellektuellen zu, denn (abgesehen von linguistischen Vorbehalten) wurde mit der theoretischen Italianisierung die eigene Sprache zu einem Dialekt, zu etwas sprachlich Minderwertigem, erklärt; die gesamte Gruppe wurde damit nicht als Minderheit, sondern als minderwertig charakterisiert. Guido Iori führt dies in seinem Brief vom 4.12.1951 an Wolff aus:
„Ich […] muss […] feststellen, dass ich über meine eigene Heimat kaum Bescheid weiß, weil die italienische Regierung den Ladinern jeden Unterricht über die ‚Geschichte des eigenen Tales‘ verweigert hat: das sei alles unbedeutend und dummes Zeug, wodurch die ladinische Bevölkerung herabgewürdigt und gedemütigt werden sollte. An uns liegt es nun, und in erster Linie an Ihnen, dem abzuhelfen, und es wäre mein Wunsch, dass sich alle Freunde und Kenner des Ladiner- und des Tirolertums zusammentun könnten, um einen kleinen Verein, oder eine Akademie zu gründen. Da sollten alle historischen, linguistischen und naturwissenschaftlichen Aspekte behandelt werden, um eine reale und vertiefte Kenntnis unserer Eigenheit zu erarbeiten, auf dass auf solider historisch-wissenschaftlicher Grundlage das fast erloschene Flämmchen des ladinisch-tirolerischen Geistes wieder entfacht werde. Ich will hier keine Politik machen, sondern unsere Arbeit sollte allein der Sache dienen, damit wir, die sogenannten ‚ladinischen Hurensöhne‘ [i. Orig. ‚cosidetti >bastardi ladini<‘] wieder stolz auf unsere Vergangenheit sein können usw. usw.
Ich muss feststellen, dass wir hier im Fassatal, wir allesamt, von der Geschichte unserer engeren Heimat rein gar nichts wissen, und auch von der Schönheit und dem Reichtum unseres heimischen Idioms haben wir keine Ahnung.“ (Übersetzung: Ulrike Kindl)
Im selben Brief kommt das vorliegende Büchlein, die Monographie des Fassatals, zur Sprache. Offenbar handelt es sich hier um eine zweite Auflage (die erste war wohl 1950 erschienen), die vom Mailänder Touring-Club bestellt worden war; das Buch sollte Ende 1951 abgeschlossen sein. Ioris Wunsch war es, dass die Monografia auch in Fassa gelesen werde, denn eine „gute Kenntnis unserer Vergangenheit ist die beste Grundlage für das Wachsen und Gedeihen des ladinischen Selbstbewusstseins.“
Daneben bot die handliche Monografia nützliches Wissen für alle TouristInnen an, eine kleine eingelegte Wanderkarte, Hinweise auf Wanderungen und Touren, auf Schipisten und Hotels, sowie nützliche Adressen, von der Apotheke bis zur Feuerwehr. Auch hier hat sich Iori möglicherweise an Wolff orientiert, denn dieser hat in 27 selbständigen Veröffentlichungen und in unzähligen Artikeln die Tourismusgeschichte Südtirols und des Dolomitengebietes zwischen 1907 und etwa 1950 maßgeblich mitgeprägt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Ursula A. Schneider
Literatur:
Ulrike Kindl, Fabio Chiocchetti: Die Briefwechsel von Karl Felix Wolff mit ladinischen Aktivisten aus Fassa. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 37/2018, Sonderheft Karl Felix Wolff und die Dolomitensagen im dreisprachigen Raum, hg. v. Ursula A. Schneider und Ulrike Tanzer, 151-163. Näheres zu Karl Felix Wolff und verschiedenen Aspekten seines Werkes finden Sie in diesem Buch, das auch online frei zugänglich ist: https://diglib.uibk.ac.at/miba/periodical/titleinfo/4364482
sowie Ulrike Kindl: Kritische Lektüre der Dolomitensagen von Karl Felix Wolff. Bd. 2: Sagenzyklen. Die Erzählungen vom Reich der Fanes. San Martin de Tor: Istitut Cultural Ladin "Micurá de Rü" 1997.