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Nervenzellen in Farbe sehen – Universität Innsbruck
Das Nervensystem der Hydra in Grün und Rot als Netz sichtbar

Das Nervensystem der Hydra im Überblick: Zu sehen ist u.a. die Zusammensetzung der Nervenzellen in Neuritenbündeln.

Ner­ven­zel­len in Farbe sehen

Ein neuartiger Antikörper erkennt alle Nervenzellen im Modellorganismus Hydra: So konnten Wissenschaftler:innen verblüffende Details zur neuronalen Reizweiterleitung im Nervennetz des Süßwasserpolypen beobachten. Bert Hobmayer und sein Team vom Institut für Zoologie haben zu den kürzlich publizierten, für die Neuro- und Entwicklungsbiologie relevanten, Ergebnissen beigetragen.

Aufgrund ihres einfachen Körperbaus mit einer begrenzten Anzahl an Zelltypen lassen sich an Süßwasserpolypen (Hydra) viele grundlegende Prozesse des Lebens erforschen. In den letzten Jahren erlebte Hydra – nicht zuletzt durch die US-amerikanische BRAIN-Initiative – auch als Modellorganismus für die Neurowissenschaften eine Renaissance. „Hydra verfügen über ein sehr ursprüngliches und einfaches Nervensystem ohne zentrale Steuerung, sie haben also kein Gehirn. Das durchaus komplexe Verhalten des Polypen wird über ein Nervennetzwerk gesteuert“, erklärt der Hydra-Experte Univ.-Prof. Bert Hobmayer vom Institut für Zoologie. „Spannend am Nervensystem der Hydra ist außerdem, dass es, wie Hydra, permanent wächst. Allerdings war bisher noch unverstanden, wie die täglich aufs Neue produzierten Nervenzellen in das bestehende System integriert werden“, ergänzt er. Die jüngst im Fachjournal eLife unter Federführung der LMU München veröffentlichte Studie liefert Neuigkeiten zu diesem Thema: Zwar verknüpfen sich in Hydra die Nerven wie in höher entwickelten Tieren über Neurite, die Nervenimpulse werden jedoch nicht gezielt von chemischen Synapsen in Neuriten-Spitzen weitergeleitet, sondern Neurite verschiedener Nervenzellen lagern sich seitlich aneinander und bilden Bündel. „Die Bündel bestehen aus zwei bis sieben Neuriten, und die Informationsweiterleitung passiert entlang der gesamten Bündellänge“, hebt Hobmayer ein Ergebnis hervor, das die Forscher:innen besonders überrascht hat. Die Kombination von hochauflösender Elektronenmikroskopie und neuer molekularbiologischer Methoden zeigte außerdem, dass die Kommunikation im Nervensystem hauptsächlich über Gap-Junctions genannte Zell-Zell-Verbindungen erfolgt. Durch diese spezielle Struktur können sich Reize mit verhältnismäßig hoher Geschwindigkeit wellenartig über das gesamte Nervensystem ausbreiten und das Verhalten des Polypen steuern. Weiters konnten die Forscher:innen zeigen, dass Hydra zwei voneinander unabhängige Nervennetze hat.

Antikörper mit Geschichte

Möglich machte diese und weitere detaillierten Beobachtungen ein Antikörper, der bereits vor über 20 Jahren in einem Forschungsprojekt entdeckt wurde, an dem Bert Hobmayer damals noch an der TU Darmstadt beteiligt war. „Wir haben den Antikörper für einen anderen Zweck hergestellt, nämlich um Cadherin zu lokalisieren. Dafür war er ungeeignet, aber damals wurde schon beschrieben, dass er das Nervensystem anfärbt“, erzählt der Wissenschaftler. Ebendieser Antikörper wurde nun für die aktuell publizierte Untersuchung verwendet, die unter der Leitung von Charles David, Hobmayers ehemaligem Doktorvater, durchgeführt wurde. Der Kontakt zwischen Mentor und Mentee blieb über Jahrzehnte aufrecht und so entstand eine alte neue Kooperation. Die Zoologen der Universität Innsbruck unterstützten die Studie vor allem durch ihre methodische Expertise in der Arbeit mit Hydra. „Prozesse der Zellkommunikation im Organismus anzuschauen, erfordert eine sehr individuelle und gute Präparation der Gewebe“, betont Hobmayer. „Nur so können wir das Nervensystem mit bestmöglicher Auflösung im Elektronenmikroskop studieren.“ Die Daten aus dem Transmissionselektronen-Mikroskop kombinierten die Forscher:innen mit molekularen Daten und erhielten so ein wesentliches genaueres Bild davon, wie die Reizausbreitung in diesem evolutionär sehr ursprünglichen Nervensystem passiert.

Relikte der Evolution

Das Nervensystem der Hydra zu verstehen bedeutet für die Wissenschaft aber noch mehr: nämlich einen vergleichenden Einblick in die Evolution von mehrzelligen Tieren und deren Nervensystemen zu bekommen. Hydra zählen nämlich zu den über 600 Millionen Jahren alten Nesseltieren. Noch älter sind nur Schwämme und Rippenquallen, beide gelten als mögliche Ausgangspunkte vielzelliger Tiere und haben unterschiedliche Vorstufen von Nervensystemen, die sich beide von denen der Hydra unterscheiden. „Man kann anhand dieser verschiedenen Gruppen sehen, wie die Evolution zu Beginn verschiedene Baumuster von Nervensystemen zur Kontrolle von Verhalten hervorgebracht hat“, meint Bert Hobmayer. Das bei Hydra beschriebene Nervennetz kann als die Variante angesehen werden, die später zur Entwicklung komplexerer Nervensysteme in höher organisierten Tieren führte.

Publikation:
Keramidioti Athina, Schneid Sandra, Busse Christina, von Laue Christoph Cramer, Bertulat Bianca, Salvenmoser Willi, Heß Martin, Alexandrova Olga, Glauber Kristine M., Steele Robert E., Hobmayer Bert, Holstein Thomas, David Charles N.: A new look at the architecture and dynamics of the Hydra nerve net.
In eLife, February 2, 2024: https://doi.org/10.7554/eLife.87330.2

Bert Hobmayers Arbeitsgruppe ist am Forschungsschwerpunkt Molekulare Biowissenschaften (CMBI) beteiligt.

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