PANEL 2
Kunst und Corona
Chair: Dirk Rupnow (Innsbruck)
09.30-11.00
Art and the Plague. Konsequenzen von COVID-19 für die zeitgenössische Kunst
Ingeborg Reichle (Wien)
Die COVID-19 Pandemie hat die Kunstwelt dazu gezwungen, viele ihrer Aktivitäten in den virtuellen Raum zu verlegen, worauf diese nicht vorbereitet war. Auch die Auseinandersetzung mit Infektionskrankheiten oder Pandemien im Sinne einer höchst disruptiven global challenge – verursacht durch natürliche Zoonose oder durch menschengemachte Biologische Waffen – fand vor der COVID-19 Krise nur vereinzelt in der zeitgenössischen Kunst statt.
Die gegenwärtige Pandemie bietet dem Betriebssystem Kunst die Möglichkeit zu überdenken, wie der Betrieb des Systems Kunst virtuell bzw. online organisiert und fortgeführt werden kann: Welche Kunst kann online „ausgestellt“ werden? Was ist eine Online-Kunstausstellung? Und: ist das wirklich eine Ausstellung? Welche Rolle spielt der Kurator bzw. die Kuratorin in einer Online-Ausstellung? Welche Rolle spielen Galerien und Museum für Online-Kunst? Was machen Künstler und Künstlerinnen online, was sie nicht in einem physischen Raum tun? Die Bereitschaft, Kunst in virtuelle Welten zu verlagern, ist durch die COVID-19 Krise sicherlich gewachsen, was jedoch bislang zu wenig diskutiert wurde, ist der Umstand, dass diese Krise das massive Ausmaß bestehender Ungleichheiten aufgedeckt hat, was den Zugriff und die Teilhabe an diesen virtuellen Welten betrifft.
Es lässt sich vermuten, dass wir als eine Konsequenz der gegenwärtigen Krise die zunehmende Thematisierung von Infektionskrankheiten und Pandemien in der zeitgenössischen Kunst und ihren Institutionen erleben werden (ob dieses Thema ein ähnlich großes Gewicht bekommen wird wie gegenwärtig der Klimawandel oder die Plastikverschmutzung der Meere wird sich zeigen).
Ingeborg Reichle (geb. 1970) ist Professorin für Medientheorie an der Universität für angewandte Kunst Wien und lehrt zudem an der School of Visual Arts (SVA) in New York City. Ihre aktuelle Forschungs- und Lehrtätigkeit liegt auf dem relationalen Verhältnis von Gegenwartskunst und Naturproduktion in den Technowissenschaften (Biotechnologie und Synthetische biologie).
Ästhetiken des Virus. Versuch einer Bildgeschichte
Martina Baleva (Innsbruck)
Virulent wurde Corona (SARS-CoV-2) auf dem europäischen Kontinent erstmals im Frühjahr 2020 – nicht nur im biologischen Sinne, sondern auch als ästhetische Form. Zuvor, als es noch auf die beiden chinesischen Provinzen Wuhan und Hubei beschränkt war, beschränkte sich auch dessen visuelle Darstellung eher auf Bildmetaphern wie leere Straßenzüge oder Menschen in Schutzanzügen. Seit den ersten Infektionen in Europa ist jedoch das bonbonfarbene Bild von der makellosen Sphäre mit ihrer flauschigen Oberfläche und den charakteristischen ‚Dornen` (spikes) allgegenwärtig. Die bekannteste Version stammt von den beiden Medizin-Illustratoren Alissa Eckert und Dan Higgins. Diesen populärsten visuellen Entwurf nimmt der Vortrag zum Ausganspunkt und versucht eine Geschichte des Bildes vom bekanntesten Virus der Gegenwart nachzuzeichnen.
Martina Baleva ist Universitätsprofessorin für Kunstwissenschaft mit Schwerpunkt Neueste Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschichte und Theorie der Fotografie sowie der Bild- und Mediengeschichte seit der Moderne bis in die Gegenwart.
The Camille Diaries. Reflecting on the Aesthetics of Care
Regine Rapp (Berlin)
Das Projekt CAMILLE DIARIES reflektiert aktuelle künstlerische Forschung und Praktiken über derzeitige Umweltveränderungen, Gender-Aspekte, Biopolitik u.a. Es geht um eine „Ästhetik der Fürsorge“ als Grundlage für das Zusammenleben zwischen den Arten, der Planet wird als ein symbiotisches Netz verstanden, in dem wir alle miteinander verstrickt sind (Menschen, Pflanzen, Tiere, Umwelt) – auf molekularer, organischer, ethischer und biopolitischer Ebene. Die künstlerischen Positionen des Projekts, das den Untertitel New Artistic Positions on M/otherhood, Life and Care trägt, befassen sich kritisch mit Reproduktionsmechanismen, biochemische Verbindungen zwischen Menschen und nichtmenschlichen Organismen, reflektieren kritisch über weibliche Fortpflanzungsorgane und verweisen auf alternative Biomaterialien als „Quelle des Lebens“ in zukünftigen Zeiten der Verknappung und Krise.
Regine Rapp, M.A., ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Leiterin von Art Laboratory Berlin. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Installationskunst, Künstlerbücher, Hybrid Art sowie Art-&-Science-Kollaborationen. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle hat sie Kunstgeschichte gelehrt. Als Mitbegründerin und Leiterin von Art Laboratory Berlin forscht, kuratiert und publiziert sie zur Kunst des 21. Jahrhunderts an der Schnittstelle zu (Natur-)Wissenschaft und Technologie. Dafür konzipierte sie die internationalen Konferenzen Synaesthesia. Discussing a Phenomenon in the Arts, Humanities and (Neuro)Science (2013) und Nonhuman Agents (2017) und The Camille Diaries (2020). Im Projekt Mind the Fungi in Kollaboration mit der TU Berlin arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen künstlerischer und naturwissenschaftlicher Forschung.