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Die Folgen von Trianon – Universität Innsbruck
Gruppenfoto Ringvorlesung
Der Vortragende, Rudolf Gräf (2. von rechts) mit Organisatorinnen und Organisator (von links): Kurt Scharr, Ingrid Böhler und Gunda Barth-Scalmani.

Die Folgen von Trianon

Rudolf Gräf, Direktor der Österreich-Bibliothek an der Babeș-Bolyai-Universität Cluj, Rumänien, ging in der Ringvorlesung „100 Jahre Republik Österreich“ auf den Vertrag von Trianon ein, der sowohl Folgen für Österreich-Ungarn als auch für Alt-Rumänien sowie die nicht-rumänische Bevölkerung in den nach dem Ersten Weltkrieg neu hinzugekommenen Provinzen hatte.

Rumänien entstand als unabhängiger Staat erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Vereinigung der Moldau und der Walachei. Im Ersten Weltkrieg kämpfte das zunächst neutrale Land auf der Seite der Entente, nachdem im Geheimvertrag von Bukarest 1916 u. a. alle von Rumänen bewohnten Gebiete der ungarischen Krone zugesichert worden waren. Auf der anderen Seite hatten auch das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn Rumänien umworben und einen Gebietszuwachs auf Kosten Russlands versprochen, wenn es den Mittelmächten beitreten würde.

Struktur der Nationalitäten

Rudolf Gräf betonte, dass die Frage der Nationalitäten in Rumänien 1899 noch nicht existiert habe. In diesem Jahr setzte sich die Bevölkerung zu 92 Prozent aus Rumänen zusammen, die restlichen acht Prozent verteilten sich auf verschiedene Gruppen, die unter dem Schutz des Staates lebten, aber rechtlich nicht gleichgestellt waren.

Im noch zu Ungarn gehörenden Siebenbürgen bestand die Bevölkerung 1910 zu etwas mehr als der Hälfte aus Rumänen, die die führende Rolle der Magyaren immer mehr in Frage stellten. In jenem Teil des Banat, der ein knappes Jahrzehnt später ebenfalls zu Rumänien kommen sollte, war die Bevölkerung ethnisch und konfessionell stark gemischt. Dennoch gab es kaum Spannungen, weil es anstatt Privilegierung Formen des Zusammenlebens gab.

Diese zukünftigen Provinzen wollten an Bukarest anschließen, auch wenn sie mit Ausnahme des bis 1918 russischen Bessarabien oft besser entwickelt waren als Rumänien selbst. Als Hauptargument diente dabei die Demographie, die rumänische Mehrheitsbevölkerung.

Die Vereinigung wird konkret

Das Völkermanifest Kaiser Karls I. vom 16. Oktober 1918 besagte, dass Österreich gemäß dem Willen seiner Völker zu einem Bundesstaat werden sollte, in dem jeder Volksstamm sein Siedlungsgebiet und sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildete, jedoch ohne die Integrität der Länder der ungarischen Krone zu berühren. Das war aber nicht möglich. Die auf ungarischem Gebiet lebenden Rumänen wollten ebenso nicht mehr zu Budapest gehören und diese Haltung nützte die rumänische Regierung aus.

Einziges Problem war, dass Rumänien aufgrund der Unterzeichnung des Separatfriedens vom 7. Mai 1918 mit den Mittelmächten beinahe nicht zu den Siegermächten gezählt wurde und schließlich nur mit französischer Hilfe wieder in den Krieg eintreten und an den Friedensverhandlungen in Versailles teilnehmen konnte. Um die von der Entente versprochenen Provinzen auch tatsächlich zu bekommen, organisierte Bukarest zum einen Nationalversammlungen in den Provinzen oder ließ die Vereinigung mit Rumänien proklamieren. Zum anderen wurde durch Einrücken des rumänischen Heeres Druck ausgeübt.

Gräf hob hervor, dass es drei Elemente waren, die die Vereinigung begünstigten: die internationale Lage, der Wille der Siebenbürger Rumänen sich von Ungarn loszusagen und das militärische Eingreifen Rumäniens.

Pariser Friedenskonferenz

Regierungschef Ion I. C. Brătianu konnte mithilfe historischer Argumente die internationale Anerkennung der neuen rumänischen Grenzen erreichen. Im Vertrag waren auch die Minderheitenschutzbestimmungen verankert. Die Nationalversammlung von Alba Iulia vom Dezember 1919 gewährte den Minderheiten im neuen Rumänien „die volle nationale Freiheit für alle mitwohnenden Völker“, dazu politische Partizipation, Gleichberechtigung und freie Religionsausübung. Mit dem Minderheitenschutzvertrag der Westmächte mit Rumänien von 1919 hatte sich das Land verpflichtet, diese Bestimmungen als Grundgesetz anzuerkennen.

Wie standen die Minderheiten zur Vereinigung? Die Deutschen („Sachsen“) in der Bukowina, in Bukarest und Siebenbürgen gaben ihre Zustimmung aufgrund des damit verbundenen Selbstbestimmungsrechts. Bei den Deutschen („Schwaben“) im Banat bestanden aufgrund der magyarisierten Eliten mehr Vorbehalte. In der Realität war es letztlich aber so, dass Rumänien die Provinzen in Besitz genommen hatte, wodurch ein neues Großrumänien entstanden war, in dem der Minderheitenanteil nun 28 Prozent betrug. Wie der rumänische Staat mit seinen neuen Bürgern umging, veranschaulichte Gräf anhand der nicht eingelösten Kriegsanleihen und die Agrarreform von 1921, wodurch v. a. die Deutschen große wirtschaftliche Verluste erlitten.

Verfassung von 1923 und Reformen

Die Verfassung von 1923 nahm die Bestimmungen des Minderheitenschutzvertrages nicht auf. Die politischen Entscheidungsträger organisierten den Staat als zentralisierten Nationalstaat, der die Minderheiten ignorierte. Der Protest des Nationalrats für Siebenbürgen verhallte ergebnislos, weil er von der Bukarester Schaltzentrale ausgeschlossen war.

Für diese Reformen nannte Gräf zwei mögliche Gründe: Zum einen das Entstehen „imperialer Ideen“ in den Köpfen der damaligen politischen Führer Rumäniens und zum anderen den sofort nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Trianon im Juni 1920 einsetzende ungarische Revisionismus, wodurch in der rumänischen Regierung Verlustängste im Hinblick auf die neuen Provinzen aufkamen.

Gräf schloss seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass die durch die Friedensverträge getroffenen Entscheidungen über die neuen Grenzen Rumäniens – aus rein demographischer Sicht betrachtet – korrekt gewesen seien.

(Andrea Kern)

 Der Vortrag zum Nachsehen

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