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Niewiadomski Jozef: Wüstenwanderung - zum 40. Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils
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Wüstenwanderung - zum 40. Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils
(Predigt beim Festgottesdienst der Fakultät und der Diözese Innsbruck)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Jesuitenkirche am 2. Dezember 2005
Datum:2005-12-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Welchen Kairos aus der Geschichte des Volkes Gottes verdichtet diese Feier? Vor 40 Jahren machte sich die größte organisierte Religionsgemeinschaft der Menschheit auf einen atemberaubenden Weg. In der Folge eines beispiellosen Reformkonzils! Gibt es nun einen Grund, um ausgerechnet nach 40 Jahren innezuhalten, Vergangenheit gegenwärtig werden zu lassen, sich der Gegenwart, vor allem aber der Zukunft zu vergewissern, Gott für seine Gegenwart zu danken, oder auch mit ihm zu hadern? Gar zu murren? Gibt es diesen Grund nach 40 Jahren? Fast alle Studierende, denen ich die Frage so gestellt habe, assoziierten 40 Jahre mit den 40 Jahren der Wüstenwanderung, legten mir also - wenn auch ungewollt - nahe, den Kairos, den dieses Jubiläum verdichtet, mit jenem Augenblick zu assoziieren, in dem das müd gewordene Volk Gottes an den Grenzen des gelobten Landes steht und zurückblickt auf den mühsamen Weg des scheinbar Auf-der-Stelle-Tretens. Die meisten kennen ja nichts anderes, als das Herumirren in der Wüste, wo man das Gefühl hat, kein Mensch weiß eigentlich, was das Ganze soll. Da ist man schon froh über die kleinsten Oasen. Der große Traum? Wer vermag den noch zu träumen nach 40 Jahren? Man ist zermürbt! Und auch, wenn die Grenze des Landes zum Greifen nahe ist, will man nicht unbedingt den Schritt dorthih wagen, man lässt sich eher fesseln: durch Alltagsbanalitäten und Alltagsrivalität, v.a. durch den Streit um die legitime Autorität.

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Natürlich geht es uns allen “um das Reich Gottes” und “um das gelobte Land”. Doch wer entscheidet über den nächsten Schritt dorthin? Natürlich stellt “die Wallfahrt aller Völker zum Zion” den umfassenden Rahmen unseres Treibens dar, doch wer baut die Autobahnen dorthin, wer sorgt um klare Verhältnisse und wer schlichtet den Streit bei den Kollisionen? Und derer wird es immer mehr geben in der gegenwärtigen Anything-goes-Kultur. Wer?

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“Hat Gott etwa nur mit dir gesprochen? Nur dir die Leitung überantwortet?” So sprachen jene zu Mose, die sich mit Korah identifiziert haben und den Aufstand in der Wüste probten. “Wohin hast du uns denn verführt? Wir sind ja dir nachgefolgt. Doch, seima uns ehrlich: Schon jetzt, kaum dass wir den Aufbruch gewagt haben, schon jetzt wird eines klar: wir haben das Land, in dem Milch und Honig fließen, wir haben dieses Land gerade verlassen: das haus voll Glorie, das haus, das uns die Sicherheit des Glaubens gegeben hat. Wir haben es verlassen und wo stehen wir jetzt? Wir sterben in der Wüste! In der Wüste der Beziehungslosigkeit, in der Wüste des entfesselten Begehrens. Wir haben uns - von dir wohl verführt - auf den Weg ins 21. Jahrhundert aufgemacht, lauschten damals begierig nur auf jene Kundschafter, die voll des Lobes waren auf diese Moderne, ließen uns blenden durch die Früchte des Fortschritts, die sie mitgebracht haben, sahen nur die großen Trauben, nicht aber den Preis der Genmanipulation. Und vor allem überhörten wir die Botschaft jener Kundschafter , die uns gewarnt haben: Das Land ist schlecht, es frisst seine Bewohner. Die Leute, die die Philosophie dieses Landes verinnerlicht haben, sie sind stärker als wir. Wir halten den Vergleich nicht stand. Sie sind groß, wir dagegen winzig, wie Heuschrecken. Entweder kehren wir zurück, oder machen uns unauffällig. Jeder nächste Schritt kann nur verantwortet werden, wenn er zur Angleichung an die Bewohner dieses Landes führt. Lass uns also zu Kanaaniter des 21. Jahrhunderts werden, und dies ohne wenn und aber. Neuheidentum sei das Schicksal unserer Welt! Denn: nur indem wir uns anpassen, können wir mit dem Leben davonkommen.”

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Allzu weit sind wir von dieser Logik nicht entfernt, jener Logik, die die Phantasie des Volkes Gottes in der Wüste Paran schon zu Beginn der Wüstenwanderung gefesselt hat. Trotz der nun schon vergangenen 40 Jahre. Alltagsrivalitäten, Alltagsbanalitäten, der Streit um die legitime Autorität, tagtägliche Erfahrung des Sterbens in der Wüste: all das fesselt unsere Aufmerksamkeit. Ganz gleich ja wohin unser Blick fällt, sehen wir sterbende kirchliche Strukturen. Das Volk Gottes blutet aus. Wie wird man damit fertig? Zum 40. Jahrestag. Soll man da nicht das Gebet des Psalmisten: “Vierzig Jahre war mir diese Generation zuwider” (vgl Ps 95), soll man nicht dieses Gebet beim Wort nehmen?

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Liebe Schwestern und Brüder! Uns allen, ganz gleich, ob wir zu jener Gruppe gehören, die immer noch umkehren will und wiederum trennende Mauern errichten möchte: Mauern zwischen der sog. Welt von heute und der Kirche, zwischen der Kirche und anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, zwischen der Kirche und anderen Religionen, v.a. aber zwischen jenen, die nur katholisch sind und denen, die noch katholischer werden wollen, ob wir also Mauern errichten wollen, oder ob wir uns unter denen wohl fühlen, die zwar munter durch die Wüste unterwegs sind, diese ganz konkrete Kirche aber wie die versalzene Suppe in ihrem Mund erleben und sie auch am liebsten ausspucken würden, es aber nicht können, deswegen auch das verdünnende Wasser der Anything-goes-Mentalität trinken und trinken und trinken in der Hoffnung, irgendwann dieses katholische Salz ausspülen zu können, uns allen, ganz gleich, ob wir uns hinter Mose und Josua mit ihren scheinbar klaren Marschroutenplänen zur Überschreitung der Grenze in Richtung Moderne anschließen, oder lieber bei der Rotte Korahs bleiben, dem stumm gewordenen Aaron beistehen und auch der ausgeschlossenen Mirjam, uns allen ist eines gemeinsam: der sichere Misserfolg unseres Engagements ...: wenn der Herr das haus nicht baut! Wenn er die Stadt nicht behütet. Wenn er sein Reicht nicht Gegenwart werden lässt und auch den Weg in das gelobte Land nicht mitgeht. Dann: dann können die Fundis auch noch so stark wachsen und die Kirchenfresser auch noch so laut schreien und die politisch korrekten sich noch so stark betroffen zeigen: Alles umsonst! Schall und Rauch bleibt ihr Kirchenmanagement.

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Und wer klärt uns auf... darüber, ob der Herr das haus baut und mit uns auf dem Weg ist? Da brauchen wir nicht lange überlegen! Leiht man das Ohr der scheinbar allmächtigen Stimme unserer Gazetten und anderer liberalen Medien, schenkt man Vertrauen der medial verstärkten vox populi, so scheint die Botschaft klar zu sein: “Überall kannst Gott finden, überall ist er am Wert, nur nicht in der Kirche! Vor allem nicht in der Katholischen. Kehrt ihr also den Rücken, tritt aus! Wieso soll dir irgend jemand sagen, wie dein Weg zu Gott aussehen soll? Überschreite also mutig die Grenze zum gelobten Land des 21. Jahrhunderts und plappere nach: Jedem Menschen seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seinen eigenen Weg dorthin! Und wenn einer es schon nicht loslassen kann und deswegen auch nach Traditionen sucht, dann werde er doch bitte Buddhist!” Hört man auf diese vox populi so wird man ständig dazu verführt, Gott außerhalb der Kirche zu vermuten, man wird sich für seine Kirchlichkeit immer noch entschuldigen. Auch, oder gerade mitten in einer entkirchlichten Welt. Wer klärt uns also auf darüber, ob der Herr das haus baut und auch sein Reich errichtet?

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Der klare cantus firmus unserer medialen Öffentlichkeit, jener Gesang, der alle Religionen zu einem bekömmlichen göttlichen Eintopf beim Fest des entfesselten menschlichen Begehrens reduziert, dieser klare cantus firmus wird in der Öffentlichkeit dauernd von einem Kontrapunkt begleitet, einem Kontrapunkt, der etliche Menschen in Rage bringt - selbst in der Kirche. Man vergisst ja allzu leicht, dass es der Kontrapunkt ist, der einer Tonmasse symphonische Struktur gibt. Für diesen Kontrapunkt sorgt jene Religionsgemeinschaft, die den 40. Jahrestag des Aufbruchs ins 21. Jahrhundert feiert, nun nach 40 Jahren auch innehält, Vergangenheit gegenwärtig werden lässt, sich der Gegenwart, v.a. aber der Zukunft vergewissert, und wie schon seit eh und je auch Eucharistie feiert. Danksagung! Sie hört auf das Wort Gottes, das ihr ein bisschen Licht auf die vergangenen Jahre wirft und das auch die ängstliche Stimme des Psalmisten zurechtrückt, jene Stimme, die die 40 Jahre nur unter der Perspektive sah: “vierzig Jahre war mir diese Generation zuwider”. Was bekommen wir heute zu hören? “Vierzig Jahre war der Herr, dein Gott bei dir. Nichts hat dir gefehlt. Vierzig Jahre begleitete er dich und lernte dich die atemberaubende Weisheit, wie Wahrheit und Religionsfreiheit zusammengehen: Gott ruft, zwingt aber nicht!” Und gerade deswegen haben sich auf seinen Ruf hin weltweit Völker zur jener Wallfahrt nach Zion aufgemacht, und dies in einem Ausmaß, dass die Religionssoziologen vom Staunen der Mund immer noch offen bleibt. Deswegen gibt es in der Kakophonie der Götter und Götzen immer noch klare Maßstäbe, was Recht und Gerechtigkeit, und was Gewalt ist. Deswegen gibt es landauf landab beeindruckendes Zeugnis, das Zeugnis bis hin zum Martyrium: Das Zeugnis vom gewaltfreien Gott, der nicht nur für das Recht des Opfers sorgt, sondern sich auch sein Schicksal zu eigenem Geschickt macht. Das Zeugnis von jenem Gott, der auf meine Augenhöhe herabsteigt, ja tiefer fällt als ich je zu fallen vermag, bloß damit ich aufgefangen werde in meinem Fall, in meinem Versagen, in dem Gefühl der Gottverlassenheit. Dieser Gott wandelt ja immer noch das Böse, er sprengt immer noch die Sackgassen und bleibt mir treu. Gerade dann, wenn alle Götzen mich verlassen haben oder auch mich ausgesaugt haben. Er bleibt treu, treu durch den Tod hindurch.

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So bleibt er treu seinem widerspenstigen katholischen Volk. Er baut das haus. Er bewacht die Stadt. Er kümmert sich um seine Kirche. Zum 40. Jahrestag des Aufbruchs, nach 40 Jahren Wüstenwanderung können wir uns also doch einiges an gläubiger Gelassenheit gönnen und trotz aller Probleme feiern!

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