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Niewiadomski Jozef: Niemand will ihn. Und doch: Es riecht nach Krieg! Im „Ukraine-Konflikt“.
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Niemand will ihn. Und doch: Es riecht nach Krieg! Im „Ukraine-Konflikt“.
(Predigt beim Friedensgebet, organisiert von der Gemeinschaft Sant’Egidio, Katholische Aktion, Focolari-Bewegung u.a. in der Spitalskirche am 17. Februar 2022 um 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-02-17

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Nimmt man sie beim Wort: all die politischen Vermittler, so will keiner den Krieg. Sie alle wollen Dialog. Jede und jeder beteuert aber, dass ihr Tun, die strategischen Schritte der jeweiligen Konfliktpartei, der Verhinderung des Krieges dienen. Und doch! Doch riecht es überall nach Krieg. Der Unterton, hin und wieder der Cantus firmus der medialen Berichterstattung, potenzieren diesen Geruch. Unterstellungen und Misstrauen, Unsicherheit und Angst bestimmen die Luft, die wir alle atmen. Nicht nur die Menschen in der Ukraine, in Polen, oder in Russland. Misstrauen dem anderen gegenüber und natürlich auch die Überzeugung von dem eigenen guten Willen prägen die Atmosphäre unserer Tage. Der Wille, den Frieden in Europa nicht zu gefährden, diesen Frieden gar abzusichern, das Friedensethos, das die Politikerinnen und Politiker auf beiden Seiten auf den Tafeln der von ihnen proklamieren Mission tragen, all das lässt mich – so paradox es zuerst klingen mag – an das biblische Szenario denken, an den Mose, der mit steinernen Tafeln ausgerüstet, den Berg Sinai hinunter geht. All den Politikerinnen und Politikern mit ihren schweren Koffern bei den Friedensmissionen nicht ganz unähnlich.

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Als Mose unten ankommt, lässt er die Tafeln fallen. Sie zerbrechen. Eine rabbinische Geschichte sucht dieses Scheitern zu erklären. Sie sagt, dass Mose – von seinem guten Willen und der Überzeugung, ethisch das richtige zu tun, getragen – im Geist der Verantwortung handelnd, die Last der Steine gar nicht spürte. Es waren ihm auch keine Steine. Vielmehr waren es Dokumente zukunftsweisender Politik. Als er aber mit der realen Situation konfrontiert wurde, mit der conditio humana, als er sich all die Bosheit des Alltags in Erinnerung rief – war er doch selber davon überzeugt, dass es ein störrisches Volk sei, mit dem er da zu tun hat – da bemächtige sich seiner der Zweifel, der Zweifel, ob all das, was er nun tat, ob das noch einen Sinn hat und zukunftsfähig sei. Und siehe da – so die Rabbiner – da verschwanden die Worte aus den steinernen Tafeln. Sie waren nur noch das, was sie halt waren: schwere Steine. Heute würden wir analog dazu sagen, Berge sinnloser Makulatur. Das Gepäck war für Mose zu schwer, er ließ es fallen. Seine „Friedensmission“ ist gescheitert.

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Warum diese Geschichte beim Gebetstreffen um den Frieden im gegenwärtigen „Ukraine-Konflikt“? In der doch einmaligen Situation, in der alle, aber gar alle versichern, dass sie den Krieg nicht wollen, in der es aber nach Krieg riecht. Weil alle, aber gar alle den Kriegstreiber bloß bei anderen sehen. Warum diese Geschichte? Weil sie uns den Sinn unseres Gebetes aufzeigt. Sie weist ausdrücklich hin auf den unersetzlichen Wert der Ethik, auf den – wenn sie so wollen – unersetzbaren Wert friedenspolitischen Bemühens, das vom guten Willen der Handelnden – und zwar aller Handelnden – getragen wird. Sie weist aber auch auf die „Katastrophe der Ethik“ hin: Der gute Wille allein und ein hohes Ziel reichen scheinbar im Konfliktfall nicht aus. Im Gegenteil: allzu oft führen sie zur Überforderung, die ja den besten Boden für die Saat des Misstrauens dem Konfliktpartner gegenüber bereitet. Wenn aber die Rivalität, Misstrauen, Hass und Selbsthass die Luft bestimmen, die wir zu atmen haben, dann wird man bloß an der Spirale der Aggression drehen in der festen Überzeugung, ein guter Mensch zu sein. Gerade in der Welt solch lauter guter Menschen wird der Krieg zum Vater aller Dinge.

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Gibt es dann Hoffnung, gar eine Alternative? Die Geschichte des Scheiterns der Mission von Mose und auch deren rabbinische Version, diese Geschichte ist von mir bewusst in einer zensierten Version erzählt worden. So, dass sie auch dem modernen Zeitgenossen, jenen also, der bloß facta bruta anzuerkennen bereit ist, deswegen sich auch als Realist einschätzt, ansprechen sollte. Freilich – wird er kommentieren – hat Mose sein Volk realistisch eingeschätzt, wie dies auch die Realpolitik tut: es sei ein störrisches Volk, leicht zu verführen. Freilich hat sich seiner der Zweifel bemächtigt, angesichts der Realsituation, angesichts der von ihm wahrgenommenen conditio humana, der Zweifel an der Sinnhaftigkeit dessen, was er mit seiner „Vermittlungsmission“, samt der „Tafeln mit der zukunftsfähigen Friedenspolitik“ tut. Freilich war das Scheitern die Folge. Doch! Und da müssen andere Aspekte der Geschichte, Aspekte, die zuerst verschwiegen wurden, zur Sprache kommen. Doch: Das war nicht das Ende der Geschichte. Er haute sich zwei neue Steintafeln zurecht. Und er tat dies nur deswegen – und das ist das Entscheide für die ganze Geschichte –, weil schon beim ersten Mal nicht nur sein guter Wille, nicht nur sein ethischer Ernst mit am Werk waren (so wie ich das in meiner Nacherzählung berichtet habe), analog gedacht: nicht nur friedenspolitische Pläne und Strategien, sondern – so der biblische Glaube – Gott selber. Gott selber war mit dabei! So bat Mose schon am Anfang des ganzen Prozesses, Gott möge mit ihm und dem Volk zusammenziehen, weil das Volk ein störrisches Volk ist. Der Zweifel, der sich seiner bemächtigte bezog sich – so lautet auch die volle Weisheit der rabbinischen Geschichte – der Zweifel bezog sich zuerst auf seinen Glauben, dass Gott noch dabei ist … angesichts dessen, was er als Realpolitiker da sah. Deswegen bekam auch Misstrauen die Oberhand und auch die Aggression.

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Welchen Sinn hat also das Gebet um den Frieden in der Welt, die ihr friedenspolitisches Handeln so ausrichtet, als ob es Gott nicht gäbe: etsi Deus non daretur? In einer Welt, die im Argen liegt, gar am Rande des Abgrunds wandelt, deswegen nur noch die Luft des Misstrauens, der Unsicherheit und Angst atmet? Welchen Sinn hat das Gebet? Ganz einfach: Die Betenden sollen, ja sie müssen das ergänzen, wovon es u.U. den friedenspolitischen Strategen mangelt, was aber notwendig ist, um die Spiralen des Misstrauens und der Aggression zu durchbrechen. Jene die beten, bezeugen – und dies nicht im Geiste der Selbstgerechtigkeit, sondern im Geiste der demütigen Solidarität – sie bezeugen einer Welt, die zunehmend so aussieht und auch so handelt, als ob es Gott nicht gäbe, oder wenn schon eine Seite von ihm spricht, so reklamiert sie ihn bloß als Partei für sich selber und gegen ihre Gegner, die Betenden bezeugen: Gott hat die Welt nicht verlassen. Sein Geist ist gegenwärtiger denn je. Und warum dies? Woher wissen wir das?

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Mit unserem Gebet knüpfen wir an die Erfahrung Jesu, an jene Erfahrung, die all die Erfahrungen des Mose, all die Bemühungen der Propheten um ein verantwortbares Handeln, auch das Handeln um eine Friedenspolitik, wir knüpfen an die Erfahrungen Jesu, die all die Erfahrungen von Menschen und Politikern guten Willens auch der heutigen Zeit verdichten, dieses gar angesichts erfahrbarer Katastrophen transformieren. Wir knüpfen an die Erfahrungen dessen, dem Gott so präsent war, wie die Luft, die er atmete, deswegen können wir an seinem Leben und an seinen Beziehungen zu den Menschen den Kontrast sehen zu unserer Zeit, zu einer Zeit, in der alle den Frieden wollen, in der es aber nach Krieg riecht. Weil Unterstellungen, Misstrauen, Angst und Unsicherheit unsere Luft prägen. In dieser Zeit ist es heilsam zu erinnern, dass Jesus andere Luft eingeatmet hat, dass er Gott als einen liebenden, barmherzigen Vater erfahren hat. Als einen Gott, der dem Menschen nicht misstraut, geschweige denn diese Menschen hasst. Jesus hat Gott als einen Gott erfahren, der sogar seine Feinde liebt. Selbst dann, wenn sie ihn verfluchten, segnet er sie. Er hat erfahren, dass Gott die Liebe ist, deswegen konnte er auch aus der Kraft dieser Liebe leben. Also nicht verurteilen; er konnte gar die andere Wange halten, im Sterben für seine Mörder beten: Gott möge ihnen verzeihen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Mit einem solchen Leben durchbrach Jesus die Spirale des Misstrauens, der Aggression und des Hasses. Er ersetzte damit nicht die Realpolitik, diese ist heute notwendiger denn je. Nur: Realpolitik ohne diesen Geist Jesu entspringt der und endet bei der Spirale des Misstrauens. Jesus bezeugte aber, dass der Mensch dem anderen Menschen nicht nur misstrauen, sondern auch trauen kann. Trauen selbst dann, wenn der andere das Prädikat: „Gegner“ oder gar „Feind“ trägt. Mit unserem Gebet knüpfen wir an die Erfahrungen Jesu an. Wir ersetzen damit das friedenspolitische Handeln der Strategen und der Politiker nicht. Wir ergänzen aber dieses Handeln, um das, was dem strategischen Handeln fehlt, was aber für eine Politik um des Menschen willen notwendig ist.

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So treten wir an die Seite Jesu und bitten den himmlischen Vater, der in Gemeinschaft mit dem Geist und dem Sohn, die Liebe selber ist: Himmlischer Vater, stärke die Gemüter und Herzen der Politikerinnen und Politiker mit der Kraft des Hl. Geistes, auf dass sie fähig werden, die Teufelskreise der gegenseitigen Verdächtigung zu unterbrechen, die Spirale des wachsenden Misstrauens nicht nur zu stoppen, sondern diese zu einer Spirale des Vertrauen zu transformieren. Himmlischer Vater, stärke das Deutungsvermögen der Medienschaffenden, damit sie nicht bloß Unsicherheit, Angst, Verdächtigung verstärken, sondern aus der Kraft des Geistes der Versöhnung und Verständigung den positiven Zeichen den größten Wert beimessen. Stärke mit dem Geist des Mutes all jene Menschen, die von Angst übermannt, gar gelähmt sind: in der Ukraine, in Russland, in Weißrussland, Polen, Slowakei, Litauen und anderswo…, und auch bei uns. Jesus, der du ja so etwas wie ein neuer Mose bist, bleibe bei uns. Bleibe bei den Menschen in Ukraine und anderswo: es ist ja längst Abend geworden. Und wenn Du dabei bist, wird es ein bergender Abend. Ein Abend erfüllt von dem Duft des Friedens.

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