- Leseraum
| Das Friedensgebet der Religionen in AssisiAutor: | Sandler Willibald |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | Religion erzeugt Gewalt - Einspruch!. Hg. R. Schwager, J.
Niewiadomski, Münster-Hamburg-London: Lit 2003, 78-97. |
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Datum: | 2005-08-29 |
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Inhalt1
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„Es reicht nicht, etwas für den Frieden zu tun, man muss für ihn beten.“ Francis Kardinal Arinze (1)
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Am 25. Jänner 1986 kündigte Papst Johannes Paul II. an, einen Weltgebetstag der Religionen für den Frieden in Assisi abzuhalten. Die Mitteilung erfolgte in der Kirche St. Paul vor den Mauern, ebenda, wo genau 25 Jahre früher Papst Johannes der XXIII. das 2. Vatikanische Konzil angekündigt hatte. (2) Ort und Zeitpunkt waren programmatisch. Johannes Paul II. wollte den Geist dieses Konzils weiterführen, (3) in dem die Verantwortung der Kirche für eine friedliche Welt und die Würdigung der anderen Religionen in einer noch nie dagewesenen Intensität wahrgenommen wurden.
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Angeknüpft hat der Papst nicht nur an der Ausrichtung des Konzils, sondern auch an bereits bestehenden ökumenischen und interreligiösen Initiativen für den Weltfrieden. (4) Johannes Paul II. hatte sich zudem bereits mehrfach für die Vermittlung des internationalen Friedens eingesetzt (5) und von Papst Paul VI. die jährliche Begehung eines Welttags des Friedens (immer am 1. Jänner) mit einer jeweils themenbezogenen Friedensbotschaft an Kirche und Welt übernommen.
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Trotz der vielen Anknüpfungspunkte brachte der Weltgebetstag von Assisi etwas Neues. Im Unterschied zur gängigen Praxis von Weltkonferenzen für den Frieden konzentrierte sich das „Ereignis von Assisi“ ganz auf das Gebet um Frieden sowie auf religiöse Vollzüge wie Pilgern, Schweigen und Fasten. Im Unterschied zu anderen vom Papst initiierten Friedensgebeten führte dieses Ereignis erstmals nicht nur Katholiken oder Christen zusammen (wie etwa in der ökumenischen Weltgebetswoche), sondern Vertreter aller Religionen, von Natur- und Stammesreligionen über nichttheistische Religionen wie den Buddhismus bis zu den monotheistischen Buchreligionen.
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Dieses Neue führte dann auch zu Kritiken am interreligiösen Gebetstreffen von Assisi, und zwar aus gegensätzlichen Lagern. Von progressiver Seite wurde eine Überspielung sachlicher Probleme in der Differenz der Religionen (die durch Dialog erst zu lösen wären) durch die ergreifende Gemeinsamkeit religiöser Vollzüge beanstandet. (6) Weit schärfer waren die Vorwürfe von fundamentalistisch-traditionalistischer Seite, die dem Weltgebetstreffen und dem Papst massiv einen religiösen Synkretismus sowie die Preisgabe des traditionellen Absolutheitsanspruchs christlicher Religion und katholischer Kirche vorwarfen. (7)
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Die gegensätzlichen Kritiken markieren Straßengräben, zwischen denen sich das Weltgebetstreffen von Assisi um einen Mittelweg bemühte: Gegen eine Vermischung religiöser Vollzüge betonte der Papst von Anfang an, dass es sich hier nicht um ein „miteinander Beten“ handelte, sondern um ein „Zusammenkommen um zu beten“. (8) Die Gebete der VertreterInnen verschiedener Religionen wurden jeweils nur von diesen vollzogen, während die anderen Teilnehmer diesen Vollzügen in respektvollem Schweigen beiwohnten. Zudem ließ der Papst keinen Zweifel am christlichen Anspruch, dass aller Friede Jesus Christus zu verdanken ist, (9) wobei er aber – ganz im Sinne des 2. Vatikanums – zugestand, dass dieser Friede Christi auch außerhalb eines ausdrücklichen christlichen Bekenntnisses, in den religiösen Vollzügen der Menschen aus anderen Religionen gefunden werden kann. (10)
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Gegen den Vorwurf einer emotionalen Verwässerung sachlicher Probleme kann darauf hingewiesen werden, dass die Friedensgebete eine tiefere Öffnung und Verständigung für Friedensprozesse bewirken können und somit die konkrete Friedensbemühungen in Dialog, Verhandlungen und Einsatz für menschenwürdige Bedingungen nicht ersetzen, sondern deren Chancen entscheidend verbessern. Deshalb darf die Kritik, mit der ein Zeitungskommentar zum Assisi-Friedensgebet titelte, umgedreht werden: Die Kommentar-Überschrift lautete: „Es reicht nicht, für Frieden zu beten, man muss auch etwas für ihn tun.“ Demgegenüber wollte der Papst gerade das Gegenteil betonen: „Es reicht nicht, etwas für den Frieden zu tun, man muss für ihn beten.“ (11) Wo Feindschaften das Vertrauen von Menschen zerstört haben, ist echter Friede ein menschlich nicht mehr machbares Gut. Kriegerische Konflikte reichen tief in die Seelen der Involvierten, und Kämpfe werden mit vielen Mitteln ausgetragen, nicht zuletzt mit propagandistischen. In diesem Kontext gerät der Einsatz für den Frieden in Wort und Tat allzu leicht in den Verdacht, selber parteiisch zu sein. Echter Friede ist nur möglich, wenn zwischen verfeindeten Parteien Vertrauen und die Bereitschaft zum gemeinsamen Einsatz für gemeinsame Ziele gewonnen ist. Dazu sind eine hohe Bereitschaft zur Vergebung, Vergebungsbitte und Einfühlung in die berechtigten Anliegen und verständlichen Befürchtungen der Gegenseite notwendig. Wo sich Menschen in wahrhaftigem Gebet auf jenen Gott hin öffnen, der die Sonne über Gute und Böse aufgehen lässt (Mt 5,45), werden solche Grenzüberschreitungen auf den verfeindeten anderen hin erleichtert und vielfach erst möglich gemacht. Dass somit wahrer Friede im Glauben an den Gott Jesu Christi wurzelt, und dass Friede deshalb über alles menschliche Bemühungen hinaus letztlich ein Geschenk Gottes ist, wurde vom Papst in den Friedensgebeten durchgängig betont. Im folgenden sollen diese Zusammenhänge genauer entfaltet werden.
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Im Rahmen der jüdisch-christlichen Offenbarungsgeschichte, wie sie uns in der Bibel entgegentritt, ist Friede ein ganz zentrales Gut. Das hängt zusammen mit der gemeinschaftlich-völkischen Dimension von Offenbarung, beginnend im Alten Testament: Gottes Selbstmitteilung zielt nie nur auf einzelne Menschen, sondern – auch vermittels ausgewählter Repräsentanten – immer auf die Erwählung eines Volkes. Auserwählung ist Zusammenführung, Sammlung eines Volkes, dem im Bund mit Jahwe Wohlstand und Behauptung gegenüber den Feinden verheißen wird. Beides hat einen inneren Frieden zur Voraussetzung. Die Reichsspaltung nach der Regentschaft Salomos und der Niedergang bis zur Zerstreuung ins Exil wurden von den Propheten auf eine schuldhafte Selbstentfernung Israels vom wahren Gott zurückgeführt. Durch diese Scheiternserfahrungen hindurch kommen aber auch neue Perspektiven in den Blick, darunter eine Universalisierung des Gottesverständnisses: Jahwe wird nun nicht mehr nur als Siegergott eines begrenzten Volkes gesehen, sondern als Gott, der das Heil und den Frieden aller Menschen und Völker will. Eschatologische Visionen wie die Völkerwallfahrt nach Jerusalem zeugen davon. (12) Zugleich wächst die sehnsuchtsvolle Erwartung auf einen von Gott eingesetzten messianischen König, der ein Friedensfürst ist. (13) Das Neue Testament bezieht solche Verheißungen auf Jesus Christus. Jesus versteht seine Botschaft vom Gottesreich als eine Botschaft des Friedens, und selbst nach seiner totalen Zurückweisung bis zum Tod am Kreuz begegnet der Auferstandene den Jüngern – die ihn immerhin verlassen, ja sogar verraten haben – mit der Botschaft: „Friede sei mit euch.“ Dieser Friedensgruß Christi findet sich vielfach in den neutestamentlichen Briefen wieder, – ein Beleg, wie zentral die Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus für die frühe Kirche mit dem Gut des Friedens zusammenhängt. Programmatisch ist das ausgedrückt in der paulinischen Aussage über Jesus Christus: „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14). Darauf hat sich Johannes Paul II. in seiner Botschaft zum Abschluss des Weltgebetstages in Assisi bezogen. (14)
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Das eben entfaltete Bild einer biblischen Friedensreligion ist allerdings einseitig. Durchwegs gibt es gegenläufige Züge. Dass der alttestamentliche Gott des Friedens zugleich ein Krieger ist, der in der Unterstützung seines auserwählten Volkes nicht davor zurückscheut, die Menschen gegnerischer Völker in die Vernichtung zu treiben, (15) lässt sich zwar durch die schon angedeutete spätere Universalisierung des Gottesbildes entschärfen. Aber leider ist das wohltuende Bild von der Völkerwallfahrt zum Berg Zion nicht die einzige eschatologische Vision. Apokalyptische Schreckensbilder vom Tag Jahwes, an dem dieser Blut in Strömen fließen lassen wird, verunklären das schöne Bild eines universalen Friedensgottes. Auch hier kann zwar ein prozessuales Offenbarungsverständnis auf spätere Klärungen verweisen, – nun durch Jesus von Nazareth, der alttestamentliche Aussagen über einen Heils- und Friedensgott aufgreift und an Gewaltaussagen vorbeigeht. (16) Aber die Evangelien erwecken den Anschein von neuen Zweideutigkeiten. Der Verkündiger eines liebend-verzeihenden Gottes droht auch mit Gericht und Hölle. Er beabsichtigt zwar eine neue Sammlung des Gottesvolkes, – aber wo er auftritt, spalten sich die Menschen in Befürworter und Gegner. Das Lukasevangelium hat das in voller Härte in einem Jesuswort ausgedrückt:
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„Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein.“ (Mt 10,34-36)Eine redliche Klärung des biblisch-christlichen Friedensverständnisses muss auch auf solche gegenläufige Texte Rücksicht nehmen. Dies ist möglich im systematischen Ansatz einer dramatischen Theologie, die ernst nimmt, dass die Erschließung der christlichen Offenbarung in einem dramatischen heilsgeschichtlichen Prozess erfolgte, in dem die Botschaft vom wahren, (friedlichen!) Gott sich nur gegen mannigfache Widerstände und Missverständnisse der Menschen behaupten konnte. (17) Damit ist anzuerkennen, dass gewalttätige Auseinandersetzungen zum Offenbarungsprozess selber gehörten. (18) Entscheidende Fortschritte bei der Einsicht in Gottes Wirken und Wesen erfolgten durch Wegkorrekturen und Umkehrerfahrungen. (19) So erwiesen sich in der Geschichte mit Gott Vorstellungen oder faktische Erscheinungsformen von Frieden immer wieder als unzulänglich und trügerisch. Sie mussten zerbrechen, damit – durch die Krise eines offenen Unfriedens hindurch – ein echter Friede wachsen konnte. In diesem Zusammenhang muss der zitierte Lukas-Text von Jesus als dem „Unfriedens-Stifter“ verstanden werden. Angesichts realer gesellschaftlicher und religiöser Verfassungen, die den Zaun der Thora durch Ausschließung von Sündenböcken (Zöllner, Dirnen, Kranke, Sünder) zu sichern meinten, riss Jesus durch die liebevolle Aufnahme dieser Ausgegrenzten vertraute Orientierungsmarken nieder und provozierte Verunsicherung und Unfrieden. Seine Vision war ein Gottesvolk, das seine Identität nicht der Negativfolie von ausgegrenzten Sündern verdankt, sondern ganz der Ausrichtung auf einen all-erbarmenden Gott. Diese positive Vision verbot Jesus jedes Arrangement mit konkreten Formen eines halbierten Friedens (d.h. der Einigung einer Partei im gemeinsamen Widerstand gegen eine Gegenpartei) oder eines „Friedens minus eins“ (d.h. der Einigung einer Gemeinschaft durch gemeinsame Distanzierung von einem Sündenbock).
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Eine tiefergehende Analyse kann deutlich machen, dass der Mensch in biblisch-christlicher Perspektive ein Wesen des Begehrens ist, der seinen Frieden mit sich und der Welt nur durch eine unverstellte Rückbindung zu Gott gewinnen kann. (20) Diesem Ziel steht immer wieder die reale Situation einer erbsündigen Schuldverstrickung entgegen, in der den Menschen der Zugang zu Gott verstellt ist und sie das göttliche Begehrensziel durch Ersatzbildungen substituieren, die die Bibel Götzen nennt: Diese werden repräsentiert durch Werte wie Macht, Besitz und Ansehen, – Konkurrenzgüter, über die stets nur wenige auf Kosten vieler anderer verfügen können. So führt die Orientierung an Ersatzgöttern zu Rivalität und Gewalt, während allein die Umkehr zum wahren Gott die Menschen zu echtem Frieden zu einen vermag. (21)
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Dabei zeigt das biblische Heilsdrama in AT und NT, dass die Gegensätze zwischen wahrem Gott und falschen Götzen längst nicht immer so eklatant zutage liegen wie etwa beim Tanz Israels um das goldene Kalb. Der wahre Gott ist niemals verfügbar; als der „immer größere Gott“ entzieht er sich nicht nur theoretischen Definitionsversuchen, sondern auch dem Festhalten an authentischen Gotteserfahrungen. In subtilen Verschiebungen können echte Gottesvorstellungen abgleiten zu Zerrbildern, die den Gott des Lebens in einen lebensfeindlichen Gott pervertieren. Man wird der Kritik Jesu an den Pharisäern oder der Gesetzeskritik eines Paulus nur gerecht, wenn man sieht, dass hier subtile Verschiebungen angeprangert werden, in denen ursprünglich gute Anliegen zu höchst korrekturbedürftigen Fehlformen abgerutscht sind. Übersieht man das, so macht man die kritisierten Personengruppen zu Sündenböcken und verfällt so gerade jenen Pervertierungen, die Jesus diesen Personengruppen vorgeworfen hat. Das war eine der großen Fallen, in die sich weite Teile der Kirche über lange Zeit mit einem biblisch legitimierten Antijudaismus verfangen hatten. Begreift man hingegen, dass die großen Auseinandersetzungen, etwa zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten, sich um folgenschwere kleine Verschiebungen im Verständnis von Gott und seinem Wirken drehten, dann weiß man auch darum, dass solche Verschiebungen eine ständige Gefahr für jeden Christen bedeuten, – eine Gefahr, die sich niemals vollständig vermeiden lässt. Man verfällt weniger leicht in ein Aburteilen anderer, das die Saat des Unfriedens nur weiterträgt, und ist offener für Einsicht in eigene Fehler.
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In diesem Sinn gehört die fortgesetzte Umkehr, die immer wieder versuchte Neuorientierung am wahren Gott, zur unverzichtbaren christlichen Grundhaltung. In solcher selbstkritischer Neuzuwendung zum Gott des Friedens und des Lebens liegt ein großes Potential für das christliche Friedensgebet. Von daher ist es auch klar, dass der tätige Einsatz für den Frieden durch das Friedensgebet nicht gelähmt, sondern vielmehr freigesetzt wird.
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Die Verwirklichung von echtem Frieden hängt von friedenssichernden gesellschaftlichen Bedingungen ab. Die Päpste nennen in ihren sozialen Schreiben vor allem drei Bereiche: gerechtigkeit, Wahrheit, Freiheit. Anderseits betonen sie, dass Friede nicht nur durch Veränderung von Strukturen erreicht wird, sondern bei Veränderungen im Herzen der einzelnen Menschen ansetzen muss: In diesem Sinn wird die Liebe als vierte Voraussetzung für einen echten Frieden genannt. (22) Im folgenden sollen diese Aspekte in ihrem inneren Zusammenhang skizziert werden.
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Wo Völker sich in Kriegen oder Bürgerkriegen gegenseitig zerfleischen, ist eine Eindämmung von kriegerischen Aktivitäten das erste und dringlichste Ziel von Friedensbemühungen. Durch die Präsenz von militärischen Schutzmächten oder durch massive Sanktionsdrohungen werden Kampfhähne auseinandergehalten. Damit ist die Stabilität eines echten Friedens noch nicht erreichtet. Eine gerechte Konfliktlösung, die Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens aller Kontrahenten (v.a. mit der Sicherung von Grundrechten) ist ebenso notwendig, wie eine geschichtliche Aufarbeitung von begangenem und erlittenem Unrecht. In diesem Sinn sind Freiheit, gerechtigkeit und Wahrheit Voraussetzungen für einen echten und damit stabilen Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg.
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Nun sind Freiheit, gerechtigkeit und Wahrheit Grundwerte, die tief in der Personalität der Menschen verwurzelt und deshalb durch ihre personale Konstitution perspektivisch beeinflusst sind. In einer Situation der Rivalität um bestimmte Güter wird eine Verteilung, die für alle Beteiligten als gerecht empfunden wird, kaum herzustellen sein. Wo Menschen noch von der Urangst existentieller Bedrohung gezeichnet sind, reichen auch weitgehende Rechtsgarantien nicht aus, um ihnen das Gefühl von unbedrohter Freiheit zu geben. Und wo Menschen nicht wenigstens offen sind für einen Prozess der Vergebung, drohen Schuldzuweisungen bei der Aufarbeitung von Schuldgeschichte im Sinne geschichtlicher Wahrheit maßlos zu werden. Aus diesen Gründen ist es eine Illusion, die Realisierung von Friedensbedingungen allein auf objektiver und struktureller Ebene erreichen zu wollen. Es ist immer auch eine Vermittlung zwischen den Konfliktpartnern auf Personebene notwendig. Erreicht werden muss ein neues Vertrauen zwischen den Involvierten, sowie deren Bereitschaft, sich miteinander für gemeinsame Ziele einzusetzen. Bedenkt man, welch ungeheures Leid bei langdauernden kriegerischen Konflikten die Menschen aller gegnerischen Parteien in der erfahrenen Zerstörung von Leben und Gütern erleiden mussten, erscheinen die personalen Minimalbedingungen für die Schaffung echten Friedens als totale Überforderung. Um die Kraft zu Vergebung und neuem Vertrauen zu gewinnen, müssen Menschen sich in einer Tiefe ihrer Existenz ansprechen lassen, die vernünftigen Appellen unzugänglich sind. In religiösen Vollzügen können solche Tiefendimensionen eher erreicht werden.
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Entscheidende Voraussetzungen für personale Friedensfähigkeit sind die Bereitschaft, von eigenen festgefahrenen Sichtweisen abzurücken, selbstkritisch auch eigene Fehler zuzugeben und die Bemühungen der Gegenparteien zu würdigen. Es ist Einfühlung in die Kontrahenten notwendig, die Wahrnehmung von deren legitimen Ansprüchen, sowie die aufrichtige Bereitschaft, legitimen Ansprüchen durch Selbstverpflichtung zu entsprechen. Es bedarf des Abrückens von Fixierungen auf den eigenen Opferstatus, sowie der Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Situation der Gegenseite hineinzuversetzen. Solche Haltung der Liebe wird ermöglicht durch die Ausrichtung auf eine transzendente Macht, von der man weiß, dass sie sich nicht nur der eigenen Gruppe, sondern auch allen anderen voll Erbarmen zuwendet.
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Diese tieferen, letztlich transzendenten Voraussetzungen für die Verwirklichung von echtem, dauerhaftem Frieden werden mit der Praxis gemeinsamer, religions- und völkerübergreifender Friedensgebete angezielt. Die Ausrichtung auf eine transzendente Macht, von der man bereit ist anzunehmen, dass sie sich schützend und einigend nicht nur den Repräsentanten der eigenen Gruppe, sondern der ganzen Welt mit allen Menschen zuwendet, verbindet in ihrer friedensbegründenden Kraft die Gebetsvollzüge vieler Religionen miteinander. In diesem Sinn nannte Johannes Paul II. als Gemeinsamkeit der in Assisi vertretenen Religionen „die Überzeugung, dass der Friede die menschlichen Kräfte weit übersteigt, besonders in der gegenwärtigen Lage der Welt, und dass deshalb seine Quelle und Verwirklichung in jener Wirklichkeit zu suchen sind, die über uns allen ist.“ (23)
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Bedenkt man in diesem Zusammenhang die vorsichtige Praxis eines „Zusammenkommens um zu beten“, anstelle sich miteinander zu einem gemeinsamen Gebet zusammenzuschließen, so wird deutlich, dass diese Vorsicht nicht nur der Vermeidung eines religiösen Synkretismus dient. Sie nimmt auch Rücksicht auf die konflikthaften Differenzen in der Geschichte der beteiligten Religionen und Kulturen. Hier kann das Gebet miteinander schon überfordern, während das Gebet voreinander, in der respektvollen Wahrnehmung des aufrichtigen, alle einbeziehenden und segnenden Gebetes von Fremden ein friedenbegründendes Vertrauen und Einfühlen fördert.
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Der Weltgebetstag der Religionen wurde bewusst freigehalten von direkten Aktionen für den Frieden. Er sollte als Zeichen für die Welt und für die Religionen selber wirken, das die Bemühungen um den Frieden in der Welt und um die Versöhnung zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen unterstützt, durch die Förderung einer Kultur des Friedens.
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Johannes Paul II. betont die große Bedeutung Gesten des Friedens für den Aufbau einer Kultur des Friedens. Am deutlichsten hat er das in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2003 zum Ausdruck gebracht:
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„Bei einer gründlicheren Betrachtung der Dinge ist zu erkennen, dass der Friede weniger eine Frage der Strukturen, als vielmehr der Personen ist. Friedensstrukturen und Friedensprozesse – rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Charakters – sind sicher notwendig und glücklicherweise oft gegeben. Sie sind jedoch nur die Frucht der Weisheit und Erfahrung, die sich im Laufe der Geschichte mittels unzähliger Friedensgesten angesammelt hat, gesetzt von Männern und Frauen, die zu hoffen vermochten, ohne sich der Entmutigung zu überlassen. Friedensgesten erwachsen aus dem Leben von Menschen, die eine dauerhafte Haltung des Friedens in ihrem Herzen hegen. Sie sind das Werk des Verstandes und des Herzens der »Friedensstifter« (Mt 5,9). Friedensgesten sind möglich, wenn die Menschen die Gemeinschaftsdimension des Lebens voll zu schätzen wissen, so daß sie die Bedeutung und die Folgen begreifen, die bestimmte Ereignisse auf ihre Gemeinschaft und auf die Welt insgesamt haben. Friedensgesten erzeugen eine Tradition und eine Kultur des Friedens.
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Die Religion besitzt eine lebenswichtige Rolle beim Anregen von Friedensgesten und bei der Festschreibung von Voraussetzungen für den Frieden. Diese Rolle kann sie um so wirksamer wahrnehmen, je entschlossener sie sich auf das konzentriert, was ihr eigen ist: die Öffnung für Gott, die Lehre von einer universalen Brüderlichkeit und die Förderung einer Kultur der Solidarität. Der »Gebetstag für den Frieden«, den ich am 24. Januar 2002 in Assisi unter Einbeziehung der Vertreter zahlreicher Religionen abgehalten habe, hatte genau diesen Zweck. Er wollte den Wunsch zum Ausdruck bringen, durch die Verbreitung einer Spiritualität und Kultur des Friedens zum Frieden zu erziehen.“In Sinne einer solchen Kultur des Friedens wollte Johannes Paul II. mit dem Weltgebetstreffen in Assisi 1986 „dazu beitragen, eine Weltgebetsbewegung für den Frieden ins Leben zu rufen, die über die Grenzen der einzelnen Nationen hinweg die Gläubigen aller Religionen einbezieht und die ganze Erde umfassen soll.“ (24) Zwar fand das „Ereignis Assisi“ von 1986 auf internationaler Ebene nur begrenzte Beachtung, (25) aber die Idee eines gemeinsamen Gebets der Religionen wirkte nachhaltig weiter. Von Seiten des Papstes wurde ein Gebetstag der Religionen bisher zweimal wiederholt: im Jänner 1993 mit Juden und Muslimen anlässlich des Balkankriegs; am 24. Jänner 2002 als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. In Weiterführung der päpstlichen Initiative organisierte die Gemeinschaft von Sant’ Egidio seit 1987 jährlich Gebetstreffen in Assisi und anderen Städten. (26) – Aus dem „Ereignis Assisi“ wurde ein „Modell Assisi“ (27) . Darüber hinaus wurde die weltweit bereits bestehende Praxis konfessions- und religionsübergreifender Friedensgebete durch das Ereignis Assisi weiter stimuliert. (28)
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Solche Gebetsbewegungen förderten eine bereits bestehende Tendenz, kritische Phasen von Konflikten durch intensives Friedensgebet zu begleiten und so gewaltsame Eskalationen zu verhindern und Revolutionen friedlich verlaufen zu lassen.
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Das spektakulärste Ereignis in dieser Hinsicht – zumindest in Europa (29) – war drei Jahre nach dem ersten Weltgebetstag von Assisi der Fall des Eisernen Vorhangs, der seit 1947 Deutschland in zwei Teile geteilt hatte. Von vielen wurde es als Wunder betrachtet, dass der Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ nahezu gewaltlos erfolgte. Eine entscheidende Rolle spielten für diese friedliche Revolution Friedensgebete, die nach jahrelangem unspektakulärem Schattendasein zum Kristallisationskern von politischen Massenbewegungen wurden. Exemplarisch dafür stehen die Leipziger Montagsdemonstrationen, die sich teilweise spontan aus Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche gebildet hatten. (30) Kurz vor dem Höhepunkt mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Rücktritt der kommunistischen Regierung kamen zu den wöchentlichen Montagsgebeten – verteilt auf verschiedene Stadtkirchen – bis zu 10.000 Menschen, die sich anschließend zu den Montagsdemonstrationen mit teilweise bis zu 300.000 Teilnehmern ausweiteten. (31) Es sind zwar Zweifel angebracht, wie weit diese Gebetszeiten noch als eigentlich liturgisches Geschehen bezeichnet werden konnten oder nicht eher das Forum und den Vorwand für politische Aktionen bildeten. (32) Dennoch ist unbezweifelbar, dass die Gebetspraxis einen Einfluss auf den Charakter der Widerstandsbewegung hatte.
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„Die soziopolitische Konstellation des Herbstes 1989 dürfte einmalig sein: Noch nie wurde eine Revolution hautpsächlich durch permanent wiederholte friedliche Demonstrationen bewirkt, die dazu auch noch spontan, d.h. ohne definierbare Organisation zustande kamen. Es ist von daher fraglos, dass die Friedensgebete durch ihre drei Komponenten Regelmäßigkeit, Öffentlichkeit und Autonomie der Kommunikation der durch nichts zu ersetzende Kristallisationspunkt und Katalysator für die alternativen Bewegungen und dann für die Demonstrationen und andere Aktionen waren.“ (33) – „Die Friedensgebete waren eine Sphäre, die sich dem Denkhorizont der Machthaber völlig entzog, den Akteuren aber eine Gottesnähe vermittelte und ihnen damit eine moralische Resistenz gab, die Verfolgungen, Verhaftungen und Misshandlungen mutig überstehen ließ und letztlich den Schritt aus den Kirchenmauern heraus ermöglichte.“ (34) Dass die Revolution in Leipzig (wie auch in anderen ostdeutschen Städten) dann weitgehend gewaltlos verlief, ist über das Zusammentreffen von Mut und Selbstdisziplin der Protestierenden hinaus einer überraschenden Konstellation verschiedenster Faktoren zuzuschreiben, die nicht nur gläubige Menschen zur spontanen Rede von einem „Wunder von Leipzig“ veranlasste. (35)
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In engerem Zusammenhang mit dem Friedensgebet von Assisi stehen die Friedensinitiativen der römischen Gemeinschaft Sant’ Egidio. Nach dem Weltgebetstag von Assisi 1986, in dessen Vorbereitung sie vom Papst eingebunden worden war, setzte die Gemeinschaft die Idee Assisi jährlich in verschiedenen v.a. europäischen Städten fort, wobei gemeinsames Gebet mit Friedensgesprächen zwischen den TeilnehmerInnen verbunden wurde. Zugleich profilierten sich Vertreter der Gemeinschaft als Friedens-Vermittler für internationale Konflikte. Den größten Erfolg erzielte die Gemeinschaft im Jahr 1992 bei der Vermittlung eines Friedens in Mosambik. (36) Dieser höchst ungewöhnliche Weg zum Frieden vermag die Bedeutung einer gebetsgestützten Friedensspiritualität zu erhellen und illustriert überdies, wie Gebet, soziales Engagement und Friedensdialog sich gegenseitig ergänzen.
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Die Gemeinschaft von Sant' Egidio zählt heute 20.000 Mitglieder und ist in 34 Ländern vertreten. Sie wurde 1968 von Schülern eines römischen Gymnasiums gegründet. (37) Zentriert um die beiden Achsen von Gebet und sozialer Aktion wandte sie sich zunächst ausgesetzten Kindern in den Slums Roms zu und weitete ihre Arbeit nach und nach auf Benachteiligte aller Art aus. Sie engagierte sich in den ärmsten Ländern der dritten Welt, darunter in Mosambik, das seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1975 durch einen blutigen Bürgerkrieg zwischen der Chissano-Regierung und der Widerstandsbewegung der Renamo zerrissen war. Bald stellte sich für die Gemeinschaft heraus, dass humanitäre Hilfe ohne eine Überwindung des Bürgerkriegs nicht zielführend war. Da diplomatische Friedensbemühungen wegen der Unerreichbarkeit der Partisanen-Vertreter unmöglich waren, begannen Vertreter der Gemeinschaft ihre Kontakte und ihr Ansehen, das sie durch jahrelanges Helfen und Mitleben vor Ort gewonnen hatten, zur Initiierung von Friedensgesprächen zu nutzen. So wurde es möglich, dass 1990 im Kloster der Gemeinschaft Sant' Egidio im Römischen Trastevere offizielle Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Renamo-Opposition beginnen konnten. Diese führten 1992 zu einem Friedensabkommen, das Neuwahlen unter demokratischen Verhältnissen ermöglichte. Für die Friedensverhandlungen arbeiteten Diplomaten zusammen mit Vertretern der Gemeinschaft. Die ausschlaggebende Bedeutung der Gemeinschaft für diese erfolgreiche Friedensvermittlung hat UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali gewürdigt:
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„Die Gemeinschaft Sant’ Egidio hat Techniken entwickelt, die anders sind als die Techniken, die professionelle Friedensstifter anwenden, sie aber gleichzeitig ergänzen. In Mosambik hat diese Gemeinschaft jahrelang diskret gearbeitet mit dem Ziel, ein Treffen zwischen den beiden Parteien zustande zu bringen. Sie hat ihre Kontakte gut eingesetzt. Sie war besonders erfolgreich dabei, andere miteinzubeziehen, damit sie zu einer Lösung beitragen konnten. Sie hat ihre Techniken zurückhaltend und ohne große Formalitäten so eingesetzt, dass sie in Einklang mit der offiziellen, von den Regierungen und regierungsübergreifenden Organisationen geleisteten Arbeit standen. Aufgrund der mosambikanischen Erfahrung wurde der Begriff ‚Italienische Formel‘ geprägt, der diese in ihrer Art einzigartige Mischung friedensstiftender Arbeit von Regierungs- und Nichtregierungsseite beschreibt. Der Respekt für die am Konflikt beteiligten Parteien, für die, die vor Ort in den Konflikt verwickelt sind, ist ein grundlegender Faktor für den Erfolg dieser Arbeit.“ (38) Wesentliche Faktoren für den Erfolg der Friedensvermittlungen durch die Gemeinschaft Sant' Egidio waren: Glaubwürdigkeit durch soziales Engagement; Vermittlungsbemühungen ohne Nebenabsichten und Eigeninteressen; der Umstand, dass die Gemeinschaft nie der Versuchung erlag, ihre Vermittlerrolle im Alleingang durchzuführen und sich selbst in den Vordergrund zu spielen; selbstloser Einsatz ohne eigenen politischen oder wirtschaftlichen Nutzen oder internationales Prestige. (39) Ein entscheidender Faktor, der professionellen diplomatischen Vermittlern mit ihrer Zeitknappheit und ihrem Erfolgsdruck unerreichbar ist, besteht in einem grenzenlos geduldigen Einsatz. Der unbegrenzte Einsatz an Zeit und Geduld beweist den Angesprochenen, dass es den Friedensmittlern tatsächlich um die betroffenen Menschen geht und nicht um einen profitablen Effekt. (40) Damit entspricht die mediatorische Praxis der Gemeinschaft von Sant’ Egidio dem Prinzip Johannes Pauls II., dass die Verwirklichung struktureller Friedensbedingungen (Wahrheit, Freiheit, gerechtigkeit) bei der Würdigung der Personen ansetzen muss (Liebe). Die Friedensaktivitäten der Gemeinschaft Sant’ Egidio belegen die Realitätsfähigkeit der vielleicht ideal wirkenden Ausführungen in den päpstlichen Schreiben. Es wird deutlich, dass gerade in verfahrenen Konfliktsituationen eine durch Glaube und Gebet ermöglichte Haltung (zeitlich) unbegrenzter Solidarität Frieden auch dort erreichbar macht, wo er konventionellen diplomatischen Bemühungen verschlossen bleibt.
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Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Möglichkeit hervorgehoben, dass Menschen auch außerhalb der institutionellen Kirche Wege offenstehen, das Heil zu finden. Das ist im Hinblick auf das Heilsgut „Friede“ von den Päpsten seither immer wieder betont worden. Dabei machten sie deutlich, dass der Gott Jesu Christi das Heilsgut Friede den Menschen außerhalb der Kirche nicht nur in ihren individuellen Bemühungen eröffnet, sondern auch in ihren gemeinschaftlichen Anstrengungen, sei es in religiösem oder nichtreligiösem Kontext. Dass auch den nichtchristlichen Religionen eine positive Bedeutung zur Verwirklichung des Friedens zukommt, hat Johannes Paul II. vor allem im Kontext der Weltfriedensgebete in Assisi mehrfach betont. (41) Doch auch die Friedensbemühungen von nichtreligiösen Organisationen werden gewürdigt: So hat Johannes Paul II. den Weltgebetstag von Assisi als Beitrag zum Internationalen Jahr des Friedens verstanden, das von den Vereinten Nationen für das Jahr 1986 ausgerufen worden war. (42) Schon Johannes XXIII. hat kurz vor seinem Tod in der Enzyklika „Pacem in Terris“ die Bedeutung der UNO, insbesondere mit ihrer Charta der Menschenrechte, herausgestrichen. Anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums dieser Enzyklika hat Johannes Paul II. in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2003 diese Würdigung nichtreligiöser Organisationen – insbesondere der UNO und der Menschenrechtsorganisationen – erneuert. (43)
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Der Anerkennung von Friedensbemühungen nichtreligiöser Organisationen zur Erreichung eines Friedens, der dennoch als „Friede Christi“ bezeichnet wird, entspricht folgerichtig eine Zuschreibung solcher „säkularer“ Bemühungen (sofern sie erfolgreich im Sinne eines wahren Friedens sind) an den Gott Jesu Christi. In diesem Sinn stellte Johannes Paul II. zum Abschluss des Weltgebetstags in Assisi 1986 fest, „dass der Friede die menschlichen Kräfte weit übersteigt, besonders in der gegenwärtigen Lage der Welt, und dass deshalb seine Quelle und Verwirklichung in jener Wirklichkeit zu suchen sind, die über uns allen ist.“ (44)
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Hier deckt sich das Anliegen des Papstes und insbesondere der von ihm initiierten interreligiösen Weltfriedensgebete mit der zentralen Intention des Forschungsprogramms „Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung“. Dessen erster Programmaufsatz gipfelt in folgender Leithypothese:
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„Ein tiefer, echter und dauerhafter Friede zwischen Menschen, der nicht auf Opferung Dritter aufgebaut ist und ohne Polarisierung auf Feinde auskommt, ist sehr schwierig, ja übersteigt menschliche Kräfte. Wenn er dennoch Wirklichkeit wird, ist dies ein klares Zeichen, daß Gott selber (der Hl. Geist) in den Menschen am Wirken ist. Diese inkarnatorische Logik ist sowohl an der biblischen Botschaft als auch an den zahlreichen ekklesialen „Zeichen der Zeit“ in der menschlichen Geschichte ablesbar.“ (45)
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Besagter Artikel bringt diese Aussage als Leithypothese eines Forschungsprogramms im Sinne von Imre Lakatos in den Diskurs der Wissenschaften ein. Insofern greift er das Anliegen der Weltfriedensgebete von Assisi auf und führt es theologisch reflektiert weiter.
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Anmerkungen:
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1.
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F. Arinze, Religionen gegen die Gewalt. Freiburg 2002, 94.
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2.
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Vgl. Johannes Paul II., Predigt beim Gottesdienst zum Abschluss der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen in der Basilika St. Paul vor den Mauern am 25. Januar. In: Der Apostolische Stuhl 1986, Hg. vom Sekretariat d. Dt. Bischofskonferenz, Köln o.J., 1092-1096.
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3.
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Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz am 22. Oktober 1986 in Assisi, in: Der Apostolische Stuhl 1986 ebd. 257: „Ich möchte, dass dieses für die Versöhnung der Menschen untereinander und mit Gott so bedeutsame Ereignis von allen Söhnen und Töchtern der Kirche im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Lehren gesehen und ausgelegt wird.“
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4.
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„Was wir heute tun, ist ein weiteres Glied in jener Gebetskette für den Frieden, die von einzelnen Christen und von christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften geknüpft worden ist, eine Bewegung, die in den letzten Jahren in vielen Teilen der Welt stärker geworden ist.“ (Johannes Paul II., Ansprache beim Gebetstreffen der christlichen Konfessionen und Gemeinschaften in der San-Rufino-Kathedrale in Assisi am 27. Oktober 1987. In: Der Apostolische Stuhl [s. Anm. 2] 1668). Zu solchen Friedensinitiativen zählen die Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (jährlich seit 1968), der Weltgebetstag der Frauen (seit 1949 jährlich am ersten Freitag im März), sowie zahlreiche Friedenskonferenzen, u.a. vom Ökumenischen Weltrat der Kirchen. Vgl. den Überblick von Arinze (s. Anm. 1) 101-109, sowie Franz Kardinal König. In: Die Friedensgebete von Assisi. Einleitung von Franz Kardinal König, Kommentar von Hans Waldenfels, Freiburg 1987, 6-7. Für Deutschland vgl. auch die Praxis von „politischen Nachtgebeten“, zurückgehend auf Dorothee Sölle auf dem Kölner Katholikentag 1968.
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5.
| 52
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Abgesehen von mahnenden Botschaften anlässlich verschiedener internationaler Konflikte unternahm Johannes Paul II. diplomatische Bemühungen im drohenden Grenzkonflikt zwischen Argentinien und Chile (1980), sowie im Falkland-Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien (1982). Weiters sind für diesen Zusammenhang friedensfördernde Initiativen des Papstes zu berücksichtigen, wie die Aufforderung zu einem Schuldenerlass für die ärmeren Länder im Jahr 2000.
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6.
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So Hans Küng, nach: G. Riedl, Modell Assisi. Berlin-New York 1998, 14, Anm. 63.
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7.
| 56
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Vgl. Bericht bei Max Seckler, Synodos der Religionen, ThQ 169 (1989) 5f.
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8.
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Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Generalaudienz am 22. Oktober 1986. In: Der Apostolische Stuhl [s. Anm. 2] 258, sowie ders., Ansprache zu Beginn des Weltgebetstags der Religionen für den Frieden in der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi am 27. Oktober 1986. In: Der Apostolische Stuhl [s. Anm. 2] 1667.
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9.
| 60
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„Ich wiederhole demütig hier meine eigene Überzeugung: Friede trägt den Namen Jesu Christi“ (Ansprache zum Abschluss des Weltgebetstags der Religionen für den Frieden vor der Franzikus-Basilika in Assisi am 27. Oktober, in: Der Apostolische Stuhl [s. Anm. 2] 1672; vgl. ebd. 1670.
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10.
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Vgl. Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss... [s. Anm. 9]1670f.
| 63
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11.
| 64
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Vgl. Arinze, a.a.O. 94. Vgl. aber auch die gegenläufigen Aussagen des Papstes: „Wenn auch das Gebet in sich selbst schon Aktion ist, so entschuldigt uns dies jedoch keineswegs davon, auch für den Frieden zu arbeiten“ (Ansprache zum Abschluss... [s. Anm. 9] 1673), sowie: „Dem Gebet um Frieden müssen geeignete Friedensaktionen folgen“ (Ansprache beim Gebetstreffen... [s. Anm. 4] 1669).
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12.
| 66
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Vgl. Jes 2, Mi 4
| 67
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13.
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vgl. Jes 9,6, Ps 72,7
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14.
| 70
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Vgl. Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss...[s. Anm. 9] 1670; sowie ders., Ansprache beim Gebetstreffen...[s. Anm. 4] 1668.
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15.
| 72
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Vgl. das Meerlied in Ex 15, das als Lesung in der Osternacht immer wieder Kirchenbesucher erschreckt.
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16.
| 74
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Vgl. z.B. die selektive Rezeption von Jes 61,1f in Lk 4,18f.
| 75
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17.
| 76
|
Zum Ansatz einer dramatischen Theologie vgl. R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre (IThS 29). Innsbruck-Wien 1990 (im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/212.html); Dramatische Erlösungslehre. Ein Symposion (IThS 38). Hg. von J. Niewiadomski [u.a.], Innsbruck-Wien 1992. W. Sandler, Was ist dramatische Theologie? In: Religion- Literatur - Künste. Aspekte eines Vergleichs. Hg. von P. Tschuggnall, Anif/Salzburg 1998, 41-57 (im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/156.html).
| 77
|
18.
| 78
|
Vgl. Raymund Schwager, Offenbarung als dramatische Konfrontation. In: Christus allein? Der Streit um die pluralistische Religionstheologie, Hg. von R. Schwager, Freiburg i. Br. 1996, 95-106, hier: 95 (im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/24.html#1): „Die weltweiten Mechanismen funktionieren hart, erzeugen Opfer und verschleiern vieles. Diese Konflikthaftigkeit ist für den christlichen Glauben allerdings nichts grundsätzliches Neues. Gewalttätige Auseinandersetzungen gehörten im AT zum Offenbarungsprozess selber. Diese ... Linie möchte ich hier aufnehmen und ins Neue Testament weiterführen.“
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19.
| 80
|
Vgl. z.B. Jes 53,4f: Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.
| 81
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20.
| 82
|
Das ist eine Grundannahme des Forschungsprogramms „Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung“, die einen breiten Rückhalt in der christlichen Tradition (vor allem bei Augustinus) findet und in Auseinandersetzung mit der mimetischen Theorie René Girards weiter entwickelt wurde. Vgl. dazu u.a.: Schwager, Raymund: Brauchen wir einen Sündenbock? Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften. Thaur 1994 (im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/299.html); R. Schwager, Mimesis - Nachahmung. In: Philosophie - Ethik. Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 19 (1997) 149-156 (im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/58.html); Vom Fluch und Segen der Sündenböcke. Raymund Schwager zum 60. Geburtstag: Hg. von J. Niewiadomski [u.a.], Thaur 1995; W. Palaver (im Internet v.a. http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/283.html#h7); W. Sandler, Verstrickt in Gewalt - Befreit von Gewalt. Theologische Perspektiven: im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/100.html.
| 83
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21.
| 84
|
René Girard hat aus dieser Perspektive eine gewalttätige Dimension religiöser Vollzüge wie Riten und Opfer entwickelt, die auch für Hochreligionen, selbst Judentum und Christentum ihre Bedeutung bewahren als Fehlformen, in die authentische Vollzüge immer wieder abgleiten können. Vgl. R. Girard, Das Heilige und die Gewalt. Aus dem Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh. Einsiedeln-Zürich-Köln: Benziger 1987.
| 85
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22.
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So spricht Johannes Paul II. mehrfach von Wahrheit, gerechtigkeit, Liebe und Freiheit als vier Säulen des Friedens, womit er zurückgreift auf die Enzyklika Pacem in Terris von Johannes XXIII. Vgl. Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss... [s. Anm. 9] 1673, sowie die Botschaft zum Weltgebetstag des Friedens 2003 (im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/328.html).
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23.
| 88
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Ansprache zum Abschluss...[s. Anm. 9] 1672.
| 89
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24.
| 90
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Johannes Paul II., Predigt beim Gottesdienst... [s. Anm. 2] 1096.
| 91
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25.
| 92
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Vgl. H. Waldenfels, Assisi 1986. In: ThQ (1989) 24-33, 29. Immerhin wurde der Appell des Papstes an kriegführende Parteien, wenigstens an diesem Tag als Zeichen für Friedenswillen die Waffen schweigen zu lassen, in weiten Teilen der Welt befolgt.
| 93
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26.
| 94
|
Vgl. M. Leineweber, Die Friedensgebete von Sant’ Egidio. Die internationalen Treffen der Weltreligionen für den Frieden in der Nachfolge von Assisi. In: Una Sancta 53 (1998) 318-321.
| 95
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27.
| 96
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Vgl. G. Riedl, Modell Assisi. Christliches Gebet und interreligiöser Dialog in heilsgeschichtlichem Kontext. Berlin - New York 1998.
| 97
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28.
| 98
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Vgl. Riedl, ebd.. 9-13.
| 99
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29.
| 100
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Für Asien sei exemplarisch die „Rosenkranz-Revolution“ auf den Philippinen im Jahr 1986 genannt. Der sich verschärfende Unmut gegen die Marcos-Diktatur wurde von Bischof Sin und Ordensleuten in Richtung auf gewaltlose Widerstandsformen gelenkt. Die Revolution von 1986 verlief dann erstaunlich friedlich: „Die Bevölkerung begab sich massenhaft auf die Straße und, angeführt von Nonnen und Priestern, Brote und Blumen anbietend, stellte sich singend und mit dem Vater-Unser und dem Rosenkranz-Gebet auf den Lippen und z.T. mit Tränen in den Augen den Panzern entgegen, die Panzer stoppten, mit den Soldaten wurde gesprochen und sie fuhren nach Stunden zurück. Die Herrschaft des Diktators war zerfallen.“ (Im Internet: http://www.guetekraft.net /gkberichte/gkbericht0007.html.)
| 101
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30.
| 102
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Vgl. dazu: E. Tiefensee, Die Friedensgebete in Leipzig und die Wende 1989. In: LJ 49 (1999) 145-170.
| 103
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31.
| 104
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Vgl. die detaillierten Teilnehmerzahlen a.a.O. 152f.
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32.
| 106
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Tiefensee berichtet von den Schwierigkeiten der kirchlichen Organisatoren, den Gebetscharakter gegenüber politischen Akteuren aufrechzuerhalten. Von da aus geht er der Frage nach dem liturgischen Charakter dieser Veranstaltungen nach.
| 107
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33.
| 108
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Tiefensee, ebd. 164.
| 109
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34.
| 110
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Tiefensee, ebd. 166.
| 111
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35.
| 112
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Vgl. Tiefensee, a.a.O., v.a. 163f.
| 113
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36.
| 114
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Zum folgenden vgl. R. Morozzo della Rocca, Vom Krieg zum Frieden. Mosambik: Geschichte einer ungewöhnlichen Vermittlung (Texte zum Kirchlichen Entwicklungsdienst 56). Hamburg: Verlag Dienste in Übersee 1997.
| 115
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37.
| 116
|
Dieser Umstand bestätigt die hohe Bedeutung, die Johannes Paul II. in seiner Rede am Weltgebetstreffen von Assisi 1986 der Jugend für die Verwirklichung des Weltfriedens zugesprochen hat. Vgl. ders., Ansprache zum Abschluss...[s. Anm. 9] 1673.
| 117
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38.
| 118
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Zitiert nach R. Morozzo (s. Anm. 36) 21
| 119
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39.
| 120
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Vgl. dazu das Vorwort von G. Linnenbrink. In: Morozzo (s. Anm. 36) 9f.
| 121
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40.
| 122
|
„When the foreign minister of an important country travels to mediate in a given situation, he or she has limited time yet their mission must lead to results. They cannot risk failing because failure would damage their credibility, because there is pressure from public opinion or because elections are imminent. But how can conflicts that have taken shape over several decades be solved in a matter of months? The community has no target date for results.“ M. Giro, Sant’ Egidio’s diplomacy of friendship, im Internet in: http://www.unesco.org /courier/2000_01/uk/dossier/txt09.htm.
| 123
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41.
| 124
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Vgl. Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss... [s. Anm. 9] 1670f. Kritisch dazu: Max Seckler, Synodos der Religionen (s. Anm. 7) 17f.
| 125
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42.
| 126
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Vgl. Johannes Paul II., Angelus am 14. September 1986. In: Der Apostolische Stuhl [s. Anm. 2] 223.
| 127
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43.
| 128
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„Er [Papst Johannes XXIII., W.S.] war jedoch davon überzeugt, dass die Welt trotz der in gewisser Hinsicht dramatischen Lage sich bestimmter geistiger Werte immer bewußter werde und immer mehr Offenheit zeige für den inhaltlichen Reichtum jener »Säulen des Friedens«, nämlich der Wahrheit, der gerechtigkeit, der Liebe und der Freiheit. Durch die Bemühungen, diese Werte in das gesellschaftliche Leben sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene einzubringen, würden sich Männer und Frauen immer mehr der Bedeutung ihrer Beziehung zu Gott, der Quelle alles Guten, bewußt werden, dem festen Fundament und dem höchsten Maßstab ihres Lebens sowohl als Einzelpersonen wie auch als soziale Wesen“ (Johannes Paul II., Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2003 Nr. 3).
| 129
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44.
| 130
|
Ansprache zum Abschluss... [s. Anm. 9] 1672.
| 131
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45.
| 132
|
R. Schwager, J. Niewiadomski u.a., Dramatische Theologie als Forschungsprogramm. In: ZkTh 118 (1996) 317-344, hier: 334 (im Internet: http://info.uibk.ac.at/c/c2/theol/itl/9.html#46).
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