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Leher Stephan: Gesundheit als Menschenrecht in der Dritten Welt
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Gesundheit als Menschenrecht in der Dritten Welt
(Antrittsvorlesung von Stephan Leher am 15.11.2002)

Autor:Leher Stephan
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-11-28

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke Ihnen allen, dass Sie der Einladung von Wolfgang Palaver und mir zu unserer Antrittsvorlesung gefolgt sind.

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Worüber soll ich bei meiner Antrittsvorlesung sprechen? Meine Skripten für die Vorlesungen in Moraltheologie sind schon geschrieben und veröffentlicht. Ich darf also die Gelegenheit hier nutzen und meine Forschung vorstellen, d.h. mein Projekt „Entwicklung quantitativer und qualitativer individueller Gesundheitsindikatoren".

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 Worum geht es in meiner kleinen Forschung?

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Es geht zunächst um die Entwicklung und Validierung eines standardisierten Fragebogens, d.h. eines Messinstrumentes für individuelle quantitative und qualitative Gesundheitsindikatoren.

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Ich möchte jetzt erzählen, wie ich zu diesem Forschungsthema kam. Ich möchte Ihnen 2. das Design des Fragebogens vorstellen. Und ich möchte 3. auch noch etwas zum angekündigten Thema des Vortrages: "Gesundheit als Menschenrecht in der Dritten Welt" sagen.

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 1. Wie komme ich zu diesem Projekt und was sind die individuellen Indikatoren:

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Am 7. European Congress für Intensivmedizin im Juni 1994 hatte ich über die ärztliche Verantwortung ethischer Entscheidungen beim Multiorganversagen vorzutragen. Um die Behandlungsindikationen und die Zuteilungsprobleme auf Intensivstationen für die ÄrztInnen zu erleichtern, wurden sog. Scoring-Systeme entwickelt, auf Deutsch Punkt-Systeme. Es gibt eine ganze Reihe solcher Scores, wie z.B. den APACHE- SCORE (Acute Physiology And Chronic Health Evaluation), den SAPS Simplified Acute Physiology Score oder die MPMs Mortality Probability Models. Auf diesen Listen stehen bestimmte Eigenschaften des Organismus, wie z.B. Körpertemperatur, arterieller Mitteldruck, Herzfrequenz, Sauerstoffpartialdruck des Blutes, Wasserstoffionenkonzentration, Kalium-, Kalziumkonzentration im Blut, motorische und verbale Reaktionen auf Reize, etc. Je nachdem inwieweit diese Eigenschaften bei dem jeweiligen Intensivpatienten / bei der jeweiligen Intensivpatientin noch vorhanden sind, bzw. inwieweit sie fehlen, werden diesen Eigenschaften auf der Liste Punkte zugewiesen. Am Ende wird zusammengezählt. Die Punkteanzahl gibt dann z.B. Rückschlüsse auf die Überlebenschancen. Die Überlebenschancen von wem oder was? Wenn Sie beim MPM die Mortalitätsprobabilität zur Zeit der Aufnahme, nach 24 Stunden, nach 48 Stunden, oder im Verlauf messen, um wessen Mortalität handelt es sich da? Um die Mortalität eines Kollektivs oder eines Individuums?

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Die Diskussion auf dem Kongress zeigte sehr bald: Allen diesen Scores ist gemeinsam, dass sie den Schweregrad einer Erkrankung in der Intensivstation zwar hoch spezifisch für Patientenkollektive zu messen vermögen, über den konkreten Patienten zu urteilen erlauben sie sich wegen der fehlenden Sensibilität für das Individuum jedoch nicht. Auf Deutsch: Eine hohe Signifikanz von Scores löst das Problem der Sensibilität nicht. Die ethische Entscheidung über Behandlungsindikation und Allokation bleibt eine subjektiv zu verantwortende Entscheidung über ein Individuum. Den Arzt, die Ärztin in die Lage zu versetzen, diese individuellen ethischen Entscheidungen zu verantworten, ist in der Ausbildung der Medizinstudentinnen und -studenten mein erstes Lehrziel geworden.

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Als Jesuit hatte ich die Chance, über den Brunnenrand des reichen Europas ein wenig in den Schmutz und das Elend dieser Welt zu tauchen.

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Als ich 1995 das erste Mal in Kolumbien war, und als ich 1997 drei Monate in den Slums von Bogotá mit den Gesundheitsproblemen der Slumbewohnerinnen und -bewohner konfrontiert war, wurde mir auch klar: Die ganzen Armutsindikatoren der Weltgesundheitsorganisation und der Public Health Studien laufen über dieselbe Logik der hohen Signifikanz und der geringen Sensibilität. Denken Sie an Indikatoren wie die Mortalität, die Morbidität, die Invalidität, oder auch die Entwicklungs- und Menschenrechtsindikatoren. Sie sind wichtig und notwendig. Aber Gesundheits-versorgung kann heute nur gelingen, wenn das Gesundheitsversorgungssystem von den Bedürfnissen der Individuen ausgeht und nicht von anonymen Kollektiven.

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Wie muss ein standardisiertes Instrumentarium aussehen, welches individuelle Gesundheit in den Megastädten der Dritten Welt dokumentieren kann? Ist das z.B. mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens möglich? Ich habe mit Primarius Prof. Schmalzl und Prof. Denz, dem Sozialempiriker, einen ersten Fragebogen mit bio-psycho-sozialen Indikatoren am Landeskrankenhaus Hall pilotgetestet. Mein Freund Hermann Denz, ohne dessen sozial-empirisches Know-how ich nicht anfangen hätte können, hat mich nach der Auswertung ermutigt, weiterzuarbeiten.

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 Weiterzuarbeiten woran?

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 An einem Fragebogen für die Megastädte der Dritten Welt?

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 Warum Megastädte? Weil dort schon mehr als die Hälfte der Menschheit lebt?

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Warum Dritte Welt? Weil die Erste Welt in der Zwischenzeit begonnen hat, genau diese individuellen Indikatoren in ihren Städten großflächig anzuwenden.

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„Gesundheit in Wien" wird die Wiener Gesundheits- und Sozialsurvey aus dem Jahre 2001 überschrieben. Dieser Vienna Health Report wurde mit Hilfe von 8000 Interviews in Zusammenarbeit von WHO, dem Magistrat der Stadt Wien und von Public-Health-Experten erstellt.

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Warum gehe ich in die Dritte Welt? Weil ich dorthin etwas bringen kann, was die Experten und Gesundheitssystemmanager in Bogotá dringend benötigen und ich hoffentlich einen Beitrag leiste, der den Menschen wirksam hilft.

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 Wie sieht das Instrumentarium aus? Ich komme zum 2. Punkt meiner Ausführungen.

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Ausgangspunkt ist ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff und die Auffassung von Gesundheit als einem Menschenrecht.

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 Fragebogen

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Jetzt komme ich zum ausgeschriebenen Thema der Antrittsvorlesung: "Gesundheit als Menschenrecht in der Dritten Welt", zum 3. Punkt meiner Ausführungen:

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John Gibson reiht in seinem Dictionary of International Human Rights Law standardgemäß die Gesundheit unter die sog. "Zweite Generation der Menschenrechte", d.h. unter "Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte". Er bezieht sich dabei auf den Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die von der UN-Generalversammlung 1948 verkündet wurde, sowie auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und auf den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die beide 1966 von der UN-Generalversammlung angenommen wurden und 1976 in Kraft traten.

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Was haben nun Menschenrechtserklärungen und festgeschriebene Rechte mit den Gesundheitsindikatoren zu tun, die ich z.B. mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens erhebe? Diese Frage beantwortet Maria Green sehr eindeutig. Maria Green ist Direktorin des International Anti-Poverty Law Center in New York und stellte im Auftrag der UNO im Human Development Report 2000 fest: Menschenrechtsindikatoren, die festgeschriebenes Menschenrecht untersuchen und Menschenrechtsindikatoren, die individuelle Zustände - wie z.B. den der Gesundheit - messen, sind zwei unverzichtbare Aspekte derselben Aufgabe, nämlich die Verwirklichung von Menschenrechten durch Dokumentation zu kontrollieren und sicherstellen zu helfen. (1)

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Menschenrechtsindikatoren werden also von zwei Seiten her entworfen: Einmal von der Compliance der Regierung. Hier wird der Grad gemessen, in dem eine Regierung ein bestimmtes Recht erfüllt und damit ihrer Pflicht nachkommt, die Menschenrechte in ihren Gesetzen zu schützen und den gesetzlich garantierten Schutz im Gesellschaftsleben auch zu verwirklichen. Ein Menschenrechtsindikator muss aber auch von der Seite der Person her entworfen werden. Er ist dann ein Mittel zur Feststellung des Ausmaßes, in dem ein Individuum zu den Menschenrechten, wie z.B. der Sicherstellung des Basisbedürfnisses Gesundheit, tatsächlich Zugang hat.

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Die UNO hatte gesehen, dass es wenig aussagekräftig ist, im Sinne von kollektiven Indikatoren Chile z.B. einen Entwicklungs- oder Menschenrechtsindikator von 2 und Deutschland einen Entwicklungsindikator von 200 zuzuteilen. Das sagt über die Individuen und deren Leben sehr wenig aus.

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Mit 8000 einstündigen Interviews können Sie für Wien einiges aufzeigen, was an Gesundheitsförderungs- und Präventionsprogrammen notwenig ist.

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Mein Projekt in Bogotá ist bescheidener. Es geht um Fragen nach der Effektivität und Effizienz gesundheitspolitischer Maßnahmen, genauer gesagt um die bedarfs-gerechte Verteilung der begrenzten öffentlichen Ressourcen in Bogotá. Bogotá ist eine Stadt in den Tropen, allerdings auf 2500 Meter Seehöhe. Auf einem Hoch-plateau der östlichen Kordillerengruppe leben auf einer Fläche von 30 mal 40 Kilometer 8 Millionen Menschen. Ziel des Fragebogens ist die Dokumentation von individuellen Gesundheitsinformationen in den unterschiedlichen sozio-ökonomischen Subpopulationen dieser Stadt.

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Ich habe mit dem 25seitigen Fragebogen im September 11 Probeinterviews gemacht. Das lokale Büro der WHO und das Gesundheitsmagistrat haben mich dabei unterstützt. Dr. Castaneda und Dr. Vanegas vom Department für Epidemiologie der Universitätsklinik San Ignacio der Universität Javeriana validierten anhand dieser Interviews den Fragebogen.

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  Validierung heißt:

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 Die einzelnen Fragen des Fragebogens müssen folgende Charakteristika aufweisen:

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 1. Die Frage muss so gestellt sein, dass der/die Befragte sie verstehen kann.

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 2. Der/die Befragte müssen die Frage beantworten können.

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3. Der/die Fragende und der/die Befragten müssen die Frage auf dieselbe Art und Weise verstehen. Dazu muss die Frage eindeutig und klar gestellt sein.

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4. Die Fragen dürfen nicht verletzen. In Kolumbien ist z.B. die Abtreibung illegal. Wie fragen Sie da eine Frau, ob sie schon einmal abgetrieben hat oder nicht?

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 5. Die standardisierten Antwortmöglichkeiten müssen eindeutig und klar formuliert sein.

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6. Die standardisierten Antwortmöglichkeiten müssen alle auf die Frage möglichen Antwortmöglichkeiten auflisten.

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Jetzt liegt der Fragebogen vor, der in der Studie verwendet werden kann. Die Fallzahlschätzung ergab:

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Was ist der Sinn und Zweck meines Projektes in Bogotá? Ich darf Sie kurz über den Grad an Gesundheitsversorgung in Kolumbien ins Bild setzen, um Ihnen die Problemsituation nahe zu bringen. Ich folge Consuelo Ahumada Beltrán. Política social y reforma de la salud en Colombia. (2)

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Die Sozialdiagnose Kolumbiens - „El Salto Social" hat das geheißen - sah 1994 folgendermaßen aus (1994-1998 Ernesto Samper. El Salto Social):

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53,6% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. 25% der Bevölkerung haben keinen Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser. 34% der Bevölkerung haben keinen Kanalanschluss.

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 50% der Stadtbevölkerung und 80% der Landbevölkerung haben keine Sozialversicherung.

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 18% der Kolumbianerinnen und Kolumbianer werden überhaupt nicht medizinisch versorgt.

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Es fehlen 2 Millionen Wohnungen und 18% der Bevölkerung leben in sog. „kritischer Armut", d.h. sie haben einen Anteil von 3,6% am Bruttosozialprodukt des Landes.

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 Dann kam die Neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik der USA ins Land:

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 1993 forderte die Weltbank für das Gesundheitssystem in Kolumbien:

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Erhöhung der Produktivität der bestehenden Sozialleistungen. Dazu wurde gefordert, die Intensivmedizinkapazitäten zugunsten wirtschaftlicherer Rehabilitationseinrichtun-gen für chronisch kranke Menschen zu verringern, die medizinische Diagnostik in Ambulatorien zu verlegen und in Ambulatorien über ein stationäre Aufnahme in ein Spital zu entscheiden. Gleichzeitig sollten für die medizinische Behandlung und Pflege zu Hause entsprechende private medizinische Dienste aufgebaut werden.

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 Es kam aber anders.

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Die Basisversorgung verbesserte sich nicht, sie blieb gleich schlecht. Denn zugleich mit den Vorschlägen der Weltbank zum Ausbau der Ambulatorien verlangte sie einen drastischen Sparkurs in den öffentlichen Ausgaben, um die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. So wurden zwar Krankenhäuser geschlossen und die Ausbildungsplätze für ÄrztInnen reduziert, aber die Basisversorgung wurde keineswegs verbessert. Denn der Staat konnte aufgrund der Sparmaßnahmen weder wie vorgesehen für Millionen Menschen den Zugang zu einer staatlichen Sozialversicherung sicherstellen, noch blieb ihm das Geld, den Eintritt in die jetzt privaten Sozialversicherungen zu subventionieren.

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Und so blieben bis 1996 über 45% der Stadtbevölkerung und 80% der Landbevölkerung weiterhin ohne irgendeinen Schutz durch eine Sozialversicherung.

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 Und im Februar 2002 wurden folgende Zahlen veröffentlicht:

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Von den 43 Millionen Einwohnern Kolumbiens verdienen 65% (= 27 Millionen 795.000) weniger als 2 Euro täglich.

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 9 Millionen leben von weniger als einem Euro täglich.

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 2 Euro täglich ist auch die Armutsgrenze, d.h. 65% der Bevölkerung liegen darunter.

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 Von 1999 bis 2001 stieg die Armutsrate von 50% auf 65% der Bevölkerung.

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Wenn Sie 2 Euro täglich verdienen, damit eine Familie zu versorgen haben und Lungenentzündung bekommen, haben Sie keine Ressourcen, die Antibiotika zu bezahlen. Und es nützt Ihnen auch nicht viel, wenn der Zugang zum Arzt gerade noch subventioniert wird, wenn Sie dann aber die rezeptierten Medikamente nicht kaufen können.

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Warum interessiert die Planer im Gesundheitsmagistrat von Bogotá eine Studie, die den individuellen Gesundheitszustand dokumentiert? Es interessiert sie, da die Ergebnisse hoffen lassen, dass die Leistungen der Sozialversicherung bedürfnis-orientierter verteilt werden, d.h. dass die Verteilungsgerechtigkeit verbessert wird. Ich hoffe, die Bedürfnisse individuell dokumentieren zu können.

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Die Gesundheitssituation in Bogotá und Kolumbien spiegelt sehr gut die weltweite Situation wider. Der Titel "Gesundheit als Menschenrecht in der Dritten Welt" ist daher gerechtfertigt.

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 Der Internationale Währungsfonds berichtete 2001 Folgendes:

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Weltweit leben 1,3 Milliarden Menschen von weniger als einem Euro täglich. D.h. 1300 Millionen Menschen leben von weniger als einem Euro täglich.

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1,4 Milliarden, das sind 1400 Millionen Menschen, haben keine Versorgung mit Wasser, welches Trinkwasserqualität hat.

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 900 Millionen Menschen sind Analphabeten.

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Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich innerhalb der Staaten und zwischen armen und reichen Staaten.

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Das Pro-Kopf-Einkommen der 20 reichsten Länder der Welt ist 37 mal höher als das der 20 ärmsten Länder der Welt. Gesundheit ist wie andere Menschenrechte ein äußerst aktuelles Menschheitsproblem.

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Dies ist die Antrittsvorlesung eines katholische Moraltheologen. Hat die Frage der Menschenrechte die Frage nach dem guten und richtigen christlichen Handeln abgelöst?

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Die Frage ist schon so gestellt, dass sie die Wohlwollenden verneinen müssen. Mir geht es aber um etwas anderes.

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Es ist schon außerordentlich, wenn plötzlich ein Jürgen Habermas das christliche Sinnangebot und seine humanisierende Ordnungskraft verteidigen muss. Hat er tatsächlich, wie in der Zeit Nr. 52/2001 berichtet wurde, gesagt, dass das Christentum für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur Katalysator gewesen ist, sondern etwas viel Wichtigeres? Ich zitiere: „Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative." (3)

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Sollte Habermas das gesagt haben, was sagt dann noch der katholische Moraltheologe? Ich folge hier Bielefeldt: (4)

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Die Idee der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, das christlich geprägte Naturrecht, die Einsicht, dass authentischer Glaube nur in Freiheit möglich ist - diese und andere Motive der christlichen Tradition bilden Anknüpfungspunkte für das moderne Menschenrechtsdenken.

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Im Übrigen ist die Einbindung der Menschenrechte in die westliche Kulturgeschichte nicht auf christliche bzw. religiöse Aspekte der Geschichte beschränkt. Auch die stoische Philosophie, die Renaissance, die englischen Verfassungskämpfe um die „Rule of Law" oder das neuzeitliche Vernunftrecht gehören in diese sog. westliche Tradition.

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Menschenrechte sind erst in der Moderne entstanden, und zwar im Kontext der großen demokratischen Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sie stellen eine politisch-rechtliche Antwort auf Unrechtserfahrungen dar, und zwar insbesondere auf strukturelle Unrechtserfahrungen in der Entwicklung moderner Gesellschaften. Zum historischen Kontext, aus dem heraus erstmals Menschenrechtsforderungen laut geworden sind, gehören Religionskriege, absolutistische Willkür und kapitalistische Ausbeutung. Die Anerkennung und Normierung von Menschenrechten im internationalen Recht folgte auf die Unrechtserfahrungen des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf den nationalsozialisti-schen Völkermord.

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Wenn ich als katholischer Moraltheologe von dem Menschenrecht auf Gesundheit in der Dritten Welt spreche und kleine Erfahrungen in dieser Dritten Welt selber machen darf, dann tue ich dies, um mich in der Welt und in der Zeit in der wir tatsächlich leben, zu verorten. An der Universität soll nachgedacht werden. Und ich möchte sichergehen, dass ich über das Richtige nachdenke. Und ich möchte den Studentinnen und Studenten über ein Bild der Tatsachen dieser Welt Auskunft geben und über nichts anderes.

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Zu den Tatsachen dieser Welt gehört auch der christliche Glaube. Als Christ glaube ich, als Christinnen und Christen glauben wir an den wahren Gott, unseren Schöpfer. Wir glauben nicht an den Satz: "Gott ist die erste und ungeschaffene Wahrheit", sondern wir glauben an den wahren Gott, unseren Schöpfer. Und Gott als die "erste Wahrheit" ist nicht irgendein Gegenstand des Glaubens, nicht dies und das. Gott ist der Gegenstand des Glaubens.

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Wir glauben an Gott. Und was das Nachdenken, die Reflexion und die Theologie betrifft, heißt dies auch: Dass Gott als erste Wahrheit Gegenstand des Glaubens ist, bedeutet für die Erkenntnis des menschlichen Intellekts, "dass Gott nur als principium subjecti, nicht als subjectum gegeben ist" (5). Das ist ein klassischer Satz Karl Rahners, zweimal klassisch: einmal für Karl Rahner und einmal für die christliche Tradition der Metaphysik: Der Grund menschlicher Erkenntnis ist gegeben und als gegebener vorausgesetzt. Der Grund menschlicher Erkenntnis Gottes ist gegeben, ist ein geschenkter, ein gefundener, ein empfangener. Ohne diesen Grund hat die Theologie kein Fundament, deshalb muss der Theologe/die Theologin zuerst Gott als Glaubensgrund begegnen, dann folgt deutscher Gesang und spekulative Systematik.

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Was ist mir als Moraltheologe wichtig? Erlauben Sie mir eine persönliche Antwort ausgehend von meiner Grundüberzeugung:

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Gott ist Mensch geworden heißt für mich, ich muss mich um den Menschen kümmern, damit ich etwas mit Gott zu tun bekomme.

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Gott ist das Geheimnis der Menschen, und die Menschen sind das Geheimnis Gottes. Jesus Christus ist der Lehrer dieses Geheimnisses. Sein Beispiel und seine Botschaft sind aktuell. Gott ist das Geheimnis der Menschen, und die Menschen sind das Geheimnis Gottes. D.h. auch: Die Menschenrechte müssen nach wie vor im Leben dieser Welt gefunden werden, damit wir die Spur dieses Geheimnisses nicht verlieren.

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Ich bin dankbar, dass ich die Berufung auf diesen Lehrstuhl erhalten habe und dass mir die Universität die Möglichkeit gibt, ein bisschen Menschenrechtsforschung zu betreiben; ich habe viel Freude und Spaß mit den Studentinnen und Studenten und darf viele Erfahrungen machen, wenngleich der Lehrberuf auch mühsam ist. Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit und möchte sie gewissenhaft und mit Freude erfüllen. Für Ihren Besuch danke ich und für Ihre Aufmerksamkeit.

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Anmerkungen:

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1. Sie schrieb in der Nummer 23 von Human Rights Quarterly 2001 zum Thema: Current Approaches to Human Rights Measurement. Und frägt: Worüber sprechen wir, wenn wir über Indikatoren sprechen.

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2. Consuelo Ahumada Beltrán. Política social y reforma de la salud en Colombia, en: Relaciones internacionales, política social y salud: desafíos en la era de la globalización. Bogotá 1998. 129-156.

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3. Habermas in einem 1999 geführten Gespräch „Über Gott und die Welt" (ich zitiere aus der Zeit Ausgabe Nr.52 von 2001)

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4. Bielefeldt, Heiner. Philosophie der Menschenrechte. Darmstadt 1999.

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5. Rahner, K., Geist in Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin. München 1957 (2. Auflage) 393.

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