„Die Bogenmeile. 1700 Meter Innsbruck“ 2020/2021
Leitung: Dr. Oliwia Murawska
Studierende: Kassian Andergassen, Johanna Böhm, Debora Burtscher, Sarah Erlebach, Carina Fritz, Laura Gander, Christoph Gänsluckner, Veronika Goller, Katharina Gruber, Joshua Gschwentner, johannes Klocker, Tara Lanzendorfer, Stefan Ouroumidis, Nora Platzgummer, Nikoletta Popadiyna, Elfriede Prokop, Fabian Reutlinger, Lea Rieder, Anisa Schlichtling, Lino Siebertz, Alexandra Thaler, Johanna Thaler, Helene Wolf
Im Rahmen des zweisemestrigen Lehrforschungsprojektes „Regionalkultur: Die Bogenmeile. 1700 Meter Innsbruck“ erkundeten Studierende der Europäischen Ethnologie einen faszinierenden Mikrokosmos der Stadt: die Innsbrucker Bögen. Der sich über 1700 Meter entlang der Ing.-Etzel-Straße erstreckende Bögenviadukt präsentierte sich ihnen als ein vielschichtiger Raum, an dem drastische Gegensätze widerspruchsfrei zu einer Einheit verschmelzen: Hier treffen die Bar Luzifer auf ein Gebetshaus, höhlenähnliche Rückzugsorte auf polizeiliche Videoüberwachung, über eine Porzellan-Manufaktur rollen tonnenschwere Züge hinweg. In Zeiten der Corona-Pandemie traten zudem ganz neue Facetten der Bögen in Erscheinung, etwa eine ansonsten selten dort anzutreffende Stille und Menschenleere. Doch ungeachtet der erschwerten pandemischen Bedingungen und der Lockdowns haben unsere Studierenden die Herausforderung angenommen und sich mit viel Kreativität und Engagement den Bögen aus einer stadtanthropologischen und ethnografischen Perspektive angenähert. Die Ergebnisse ihrer Studien werden in der multimedialen Schau „Gemma Bögen. Mikrokosmos Viadukt“ im Viaduktbogen 25 präsentiert, der eigens hierfür in einen temporären Ausstellungsraum umgewandelt wird. Begleitend zur Ausstellung ist eine Projekt-Webseite www.gemma-boegen.at entstanden.
Im Laufe des Projektes begannen die Studierenden die Bögen zunehmend als einen Ort zu verstehen, der sich erst durch die darin vollzogenen Bewegungen sowie die kollektiven und individuellen Vorstellungen und Erfahrungen zu einem Raum verdichtet. Ferner traten die Bögen als eine multisensorische Zone in Erscheinung, als ein Produkt sozio-materieller Verstrickungen und als eine Sphäre unerschöpflicher Möglichkeiten, die im dynamischen und offenen Prozess des Werdens begriffen ist. Besonders die Lektüre klassischer stadtanthropologischer Positionen von Michel De Certeau, Alexa Färber, Rolf Lindner oder Johanna Rolshoven sowie inspirierender Texte wie Walter Benjamins „Haschisch in Marseille“, Jane Bennetts „Vibrant Matter“ oder Italo Calvinos „Unsichtbaren Städte“ half dabei, Fragen an die Bögen zu formulieren: Welche Phänomene treten den Ethnograf:innen dort aus eigener Kraft entgegen? Welche wirkmächtigen und vibrierenden Materien affizieren die Sinne? Welche „verkehrten“ Ordnungen sind zu beobachten? Wo lassen sich liminale Zwischenräume und Sphären von NaturenKulturen finden? Inwiefern schreiben sich Ethnograf:innen selbst in den Bögen-Text ein? Wie lässt sich das Unsichtbare der Bögen – ihre Atmosphären, ihre Sinnlichkeit und ihre Poesie – ethnografisch festhalten?
Zur Erhebung des empirischen Materials haben die Studierenden die Perspektive ethnografischer Stadtgänger:innen (Johanna Rolshoven) eingenommen und einen foto-, video- und sinnlich-ethnografischen Ansatz gewählt. Im Modus des Gehens, einer ethnografischen Wahrnehmungstechnik, die sich auch im Ausstellungstitel „Gemma Bögen“ spiegelt, versuchten sie, das Transitäre und Flüchtige des gelebten urbanen Raums einzufangen und sich dem spezifischen Rhythmus der Bögen anzupassen. In Anlehnung an die Methode der Sensory Ethnography (Sarah Pink) haben sie ihre Körper als Instrumente des Erkenntnisgewinns eingesetzt, die es ihnen erlaubten, sich auf das konkrete Feld einzulassen, einzustimmen und es sprichwörtlich zu inkorporieren; ihre Eindrücke haben sie in Wahrnehmungsberichten festgehalten, reflektiert und transparent gemacht. Durch die Verwendung von Foto- und Videoapparaten entstanden zahlreiche Transitbilder (Michel de Certeau), die nicht nur die Offenheit, Vielschichtigkeit, Multisensualität und Intersubjektivität einer Bögen-Erfahrung dokumentieren, sondern die Ethnograf:innen daran erinnern, dass sie sich stets selbst in den Bögen-Raum eingeschrieben und diesen aktiv mitgestaltet haben. Mit der partizipativen und multisensorischen Schau sollen die Besucher:innen der Ausstellung in den kreativen Raumproduktionsprozess involviert und dazu eingeladen werden, mit geschärften Sinnen einen Bögen-Gang nachzuempfinden: Gemma Bögen!
Weitere Informationen zum Projekt und zur Ausstellung:
Ausstellung: Gemma Bögen. Mikrokosmos Viadukt
Das Projekt wurde durchgeführt mit freundlicher Unterstützung von:
Vizerektorat für Forschung der Universität Innsbruck, ÖBB-Immobilien, Otto Wulz, p.m.k., Contrapunkt Kulturkollektiv