Vor fast genau hundert Jahren starb der weltberühmte Jurist, Nationalökonom und Soziologe Max Weber im Alter von nur 56 Jahren in München an der Spanischen Grippe. Ebendort hielt er (21.04.1864–14.06.1920) zwei seiner bedeutendsten Vorträge, zu Wissenschaft als Beruf (1917) und Politik als Beruf (1919), während er im Sommer 1918 ein Semester an der Universität Wien unterrichtete.
Bild: Max Weber 1918. (Credit: gemeinfrei)
Ein Beitrag von Professor Ulrich Metschl (Institut für Philosophie) zu „Max Weber: Politik und Beruf“ war es dann auch, mit dem am Forschungszentrum social Theory der Universität aus gegebenem Anlass ein mit über vierzig Hörern und Hörerinnen (online) gut besuchtes Symposium zur Würdigung von Max Webers Denken nach Natalie Moosbruggers Einleitung zur Biographie Max Webers eröffnet wurde. Guido Thaler vom Institut für Erziehungswissenschaft setzte die Beitragsreihe fort mit Überlegungen zu „Max Weber – und die Jugend von heute“, die in der anschließenden Diskussion auf besonders hohes Interesse stießen, ehe dann mehrere Soziologen das Verhältnis von Weber zu den konkurrierenden Denkpositionen von Theodor W. Adorno (Dominik Gruber), Pierre Bourdieu (Lukas Mariacher, Mit Weber gegen Weber: Der Einfluss Max Webers auf die Soziologie Pierre Bourdieus), Michel Foucault (Thomas Mitterhofer), Jürgen Habermas (David Furtschegger) und Axel Honneth (Martin Steinlechner) ausloteten. Abschließend reflektierte Frank Welz „Webers Wissenschaftslehre – heute“.
In der Soziologie gilt Weber als der Klassiker des Faches schlechthin. Er steht als der unumstrittenste im Dreigestirn der sogar global im Lehrkanon fest verankerten Holy Trinity von Marx, Durkheim und Weber. Max Weber gab der Soziologie des zwanzigsten Jahrhunderts Blickrichtung und Themen vor. Seine Protestantismus-These zur Entstehung des Kapitalismus im Okzident ist Allgemeinwissen. So epochemachend die „Weber-These“ in den Sozialwissenschaften wirkte, so irrelevant ist sie für den „einmal im Sattel sitzenden Kapitalismus“ (wie Weber selbst bereits wusste), der sich hundert Jahre nach ihm auch ganz ohne die arbeitsethischen Vorgaben aus dem Glauben seiner unterdessen den gesamten Globus dominierenden Stellung sicher sein kann.
Ungeachtet seiner kulturgeschichtlichen Themen sind es vielmehr Webers wissenschaftslogische Theoreme, in denen die sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten des deutschsprachigen Raums heute tief verankert sind, auch wenn die vormals die Wissenschaft ausmachende ständige Selbstreflexion im genannten Wissenschaftsbereich unterdessen zum randständigen Annex wurde: die Übertragung der Frage nach der Objektivität der Wissenschaft auf die Frage nach ihrer Methode, die Notwendigkeit der neukantianischen Begriffslogik am Anfang jeder wissenschaftlichen Arbeit (diskutiert von Thomas Mitterhofer im Vergleich Weber-Foucault), der normative Anspruch auf Werturteilsfreiheit (deren Möglichkeit laut Dominik Gruber im Denken Theodor Adornos heftig bestritten ist) und – alles andere überragend - der entscheidende Fokus auf das den aristotelischen Praxisformen der Sittlichkeit enthobene handlungsfähige Einzelindividuum.
Dabei scheint es als die Ironie einer jetzt hundert Jahre alt gewordenen Geschichte nach Max Weber, dass die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften umso mehr sie sich heute in der Sache auf Weberschen Fundamenten gegründet darstellen, umso mehr von dessen übergreifenden, sein Werk überhaupt inspirierenden und zusammenhaltenden Fragen verabschiedet haben. Der zwischen Projektakquise und Leistungsbemessung in numerischen Kleinsteinheiten gehetzte gegenwärtige „Fachmensch“ (Weber) der Wissenschaft hat heute anders als Max Weber weder Zeit noch Chance, die Frage nach so etwas wie einem sämtliche Lebensbereiche durchgreifenden Rationalisierungsprozess stellen zu können oder gar der von Wilhelm Hennis aufgeworfenen, vermeintlich noch tiefer liegenden „Max Webers Fragestellung“ nach der Entwicklung der Persönlichkeit in den Strukturen der Moderne zu folgen, d.h. dem Problem wie, so Weber, eine „immer geartete Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen … [einem bestimmten, F.W.] menschlichen Typus ... die optimalen Chancen gibt, zum herrschenden zu werden“.
So oder so hatte das Forschungszentrum social Theory unserer Universität jedenfalls allen Grund, Max Webers Fragen und Positionen im lebendigen Austausch inklusive einer anschließenden Publikumsdiskussion zu erinnern. Und apropos, noch bis zum 25. September 2020 kann man sich virtuell in eine in München laufende Ausstellung „Bürgerwelt und Sinnwelt. Max Webers München“ (www.badw.de) einklinken, von welcher die vielen kurzen Hörbeiträge verschiedenster Stimmen aus Webers Zeit besonders empfohlen sind.
Wer Interesse an den o.g. Fragen hat und sei es im „Forschungszentrum social Theory“ Mitglied oder auch nur „Interessent“ werden und entsprechend die Veranstaltungseinladungen erhalten möchte, wende sich gerne per E-Mail an den Autor dieser Zeilen.
(Frank Welz)
Institut für Soziologie, Universitätsstr. 15, 6020 Innsbruck