- Leseraum
| Das biblische Fundament des trinitarischen BekenntnissesAutor: | Repschinski Boris |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | Die Lehre von der Dreifaltigkeit hat zwar eine Grundlegung in den biblischen Schriften, lässt sich aber nur in der Reflexion über die Grundstrukturen menschlichen Redens von Gott erheben. Die theologische Lehre von der Trinität ist eine Formulierung der in der Bibel erzählten Begegnung zwischen Mensch und Gott. |
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Publiziert in: | Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 54, Heft 2
(2004) 12-33 |
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Datum: | 2004-09-21 |
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Inhalt1
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„Die ökonomische Trinität ist die immanente und umgekehrt.“ Mit diesem erstaunlich kurzen Satz reflektierte Karl Rahner auf einen Gott, der auf rein sprachlicher Ebene sehr wenig mit der Bibel gemeinsam zu haben scheint. Trotzdem löste er eine entscheidende theologische Diskussion des letzten Jahrhunderts aus, die bis heute anhält. Es geht dabei um die grundlegende Einsicht, dass die Begegnung der Menschen mit Gott immer auf eine Art und Weise geschieht, die Gott schon als Trinität voraussetzt. Rahner formuliert in diesem, für Nicht-Theologen vielleicht etwas merkwürdigen Satz die Einsicht, dass wir nur deshalb über Gott überhaupt reden können, weil er sich uns in verschiedenster Weise mitteilt. Diese Selbstmitteilung Gottes geschieht in Jesus Christus und durch den Heiligen Geist. Was immer wir über Gott in Worte fassen können, lebt von dieser Selbstmitteilung Gottes als Vater im Sohn durch den Geist. Nur weil Gott an uns und mit uns – ökonomisch – handelt, wird uns ein Einblick gegeben, wie Gott in sich selbst – eben immanent – ist. So gesehen spricht Rahner also durchaus über den biblischen Gott: Den Gott nämlich, der sich uns auch in der Schrift mitteilt.
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Theologie, das Nachdenken und Formulieren, das Systematisieren und Spekulieren über Gott, ist letztlich also nichts anderes als der Versuch, die Erfahrung der Gottesbegegnung mitzuteilen. Am Anfang jeder Rede über und mit Gott steht schon die Erfahrung der Begegnung mit ihm, weil er sich an uns wendet. Der evangelische Exeget Ernst Käsemann formulierte einmal, dass Theologie immer mit Soteriologie beginne. Das Reden von Gott ist immer erst aus der Sehnsucht nach und der Erfahrung von Erlösung und Heil möglich.
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Solche Feststellungen bergen eine große Ambivalenz. Es ist bald einmal eine Versuchung, menschliche Lebenserfahrung zu schnell auf Gott hin zu übertragen. Der berühmte Atheist des 19. Jh., Ludwig Feuerbach, formulierte prägnant, dass nicht Gott den Menschen, sondern der Mensch Gott nach seinem Bild geschaffen habe. Dieser Vorwurf ist sicher immer noch berechtigt, schaut man sich die vielen modernen Spiritualitätsangebote an, die in einem Synkretismus aus Ost und West Gottesbegegnung mit Wellness verwechseln. Auf der anderen Seite steht die Gefahr, Gott völlig von menschlicher Erfahrung los zu lösen. Diese bedeutet dann in letzter Konsequenz, die Menschwerdung Gottes zu verharmlosen. Schließlich kann man nur noch mit Nietzsche, einem anderen Atheisten des 19. Jahrhunderts, feststellen, dass Gott tot ist.
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Auf der einen Seite muss die Reflexion auf Gott also immer ein Moment der Erfahrung beinhalten. Auf der anderen Seite muss die Gotteserfahrung und ihre Beschreibung in Theologie, Gebet oder Spiritualität noch einmal in einen Horizont eingebunden sein, der so etwas wie Objektivität besitzt und an dem die Erfahrung des Einzelnen in ihrer Authentizität bestätigt werden kann. Für Christen ist dies seit den Anfängen des Glaubens an Jesus die Schrift und das apostolische Bekenntnis. Die Schriften des Alten und des Neuen Testaments beschreiben Gott, wie er in langer Zeit vom Volk Israel erfahren wurde, und wie sich dieser Gott in seinem Sohn Jesus Christus vor den Jüngern und Jüngerinnen offenbart hat. Diese Überzeugung zeigt sich in der Aussage, dass die Schrift „inspiriert“ ist, angehaucht und durchwoben vom Heiligen Geist.
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Die Schrift ist also Grundlage christlicher Theologie. Damit ist sie auch objektiver Maßstab für die Beurteilung der Authentizität einzelner Gotteserfahrungen. Dies bedeutet allerdings nicht notwendigerweise, dass jede Art von Gotteserfahrung und Rede über Gott schon in der Bibel vorgegeben sein muss. Solch eine restriktive Auffassung biblischer Autorität würde ja eine Entwicklung im Glauben oder im Gottesverständnis völlig ausschließen. Aber wenn die Schrift tatsächlich Maßstab christlicher Tradition ist, dann müssen theologische Entwicklungen in der Bibel grundgelegt sein. Die Bibel ist also der Ausgangspunkt für Überlegungen über Gott und sein Verhältnis zu den Menschen.
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An dieser Stelle aber wird das Verhältnis von Bibel zu einer theologischen Formulierung der Trinitätslehre genauer bestimmt. Denn die Bibel enthält keine Trinitätslehre, wie sie in der Theologie der Kirchenväter und Konzilien entwickelt wurde. Die Formulierung, dass das eine göttliche Wesen in drei Personen existiere, ist erst im vierten und fünften Jahrhundert nach Christus zum Vokabular christlicher Theologie hinzugekommen. Doch die Kirchenväter haben nicht einfach wild herumspekuliert. Ihnen ging es darum, wie man die Erfahrung eines Gottes, der sich in der Geschichte Israels und schließlich in seinem Sohn offenbart hat, in Worte fassen könne. Wieder also ging es um die Reflexion auf eine Gotteserfahrung in einer Sprache, die für die damaligen Menschen verständlich und einsichtig war. Damals war dies die Sprache der Philosophen und Theologen.
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Auf den folgenden Seiten kann es also nicht darum gehen, sozusagen eine versteckte Trinitätslehre in den biblischen Schriften zu entdecken. Viel eher ist das Ziel aufzudecken, auf welche biblischen Erfahrungen mit Gott die christlichen trinitarischen Glaubenssätze zurück verweisen. Die Dreifaltigkeit ist in der Bibel, speziell im Alten Testament, zwar nicht ausdrücklich formuliert, aber schon vorbereitet. Dies soll nun zunächst im Alten, dann im Neuen Testament kurz aufgezeigt sein.
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In den Lehrbüchern für die Dogmatik war es bis in das letzte Jahrhundert hinein üblich, eine Art Grundlage der Trinitätslehre im Alten Testament zu schaffen. Es wurden Texte heraus gesucht, die beweisen sollten, dass Gott auch im AT schon als dreifaltiger offenbar ist. Angeführt wurden Texte, in denen Gott von sich selbst im Plural redet: „Dann sprach Gott: Lasst uns den Menschen machen, nach unserem Abbild“ (Gen 1,26). Viele Kirchenväter verstanden diese und ähnliche Formulierungen als einen Hinweis auf ein Gespräch unter den Personen der Dreifaltigkeit. Auch Jes 6,3 wurde als Anspielung auf die Dreifaltigkeit gesehen: „Sie riefen einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt.“ Hier nahmen die Kirchenväter an, dass jede Person der Dreifaltigkeit von den himmlischen Seraphim ein „Heilig“ zugerufen bekommt. Auch die dreimalige Segensbitte in Ps 67,7–8 wurde so ausgelegt: „Es segne uns Gott, unser Gott. Es segne uns Gott.“
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Manche Berichte über Gotteserscheinungen im AT wurden von den Vätern als Hinweise auf einen dreifaltigen Gott gesehen. Ein gutes Beispiel ist der Besuch Gottes bei Abraham nahe der Eichen von Mamre (Gen 18). Gott kommt zu Abraham, um ihm einen Sohn zu verheißen, und Abraham handelt mit Gott über das Schicksal von Sodom und Gomorra. Durch das ganze Kapitel hindurch wird abwechselnd von Gott als dem Herrn gesprochen und von seiner Erscheinung in Gestalt dreier Männer. Andere Gotteserscheinungen reden von dem „Engel des Herrn“, der für Jahwe eintritt, aber mit ihm nicht identisch zu sein scheint (Gen 16,7–14; 21,17–19, 22,11–18; Ex 14,19 etc.). Als Hagar aus Abrahams Lager davon läuft, weil sie die schlechte Behandlung Sarah's nicht weiter ertragen kann, erscheint ihr der Engel des Herrn mit dem Versprechen, aus ihrer Nachkommenschaft ein großes Volk zu machen. Hagar erkennt jedoch Jahwe und gibt ihm einen neuen Namen: El-Roï, Gott, der nach mir schaut. Die Übergänge zwischen verschiedenen Arten, von Gott zu reden, sind im AT sehr viel fließender, als wir das heute gewohnt sind. Hinter dieser Rede von Gott stehen auch sehr verschiedene Gottesbilder.
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Ein drittes Argument beschäftigt sich mit der Personifikation der Weisheit im AT. So erscheint die Weisheit in Spr 8 „in der Stadtburg, auf den Straßen, an der Kreuzung der Wege“ und erzählt von ihrer Erschaffung: „Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren, als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen.“ Auf ganz ähnliche Weise erzählen manche prophetischen Texte auch von einer Art Verselbstständigung des Wortes Gottes, beispielsweise Jes 55,10–11: „Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt und sie zum Keimen und Sprossen bringt, wie er dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe.“ Solche Texte boten sich in christlichen Auslegungen an, auf Jesus angewandt zu werden, zumal Jesus selbst ja auch als Wort Gottes bezeichnet wird (Joh 1,1).
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Schließlich gibt es im AT einige Texte, die von der Gottessohnschaft zu sprechen scheinen und von der traditionellen Theologie gerne in den Dienst des trinitarischen Bekenntnisses genommen wurden. In Jes 7,14 oder 8,8–10 ist vom königlichen Kind die Rede, dessen Name „Immanuel“ sein wird. Übersetzt heißt das in etwa: „Mit uns ist Gott.“ Ausdrücklich wird dieser Titel im Matthäusevangelium auf Jesus angewendet (Mt 1,23; 28,20). In Ps 2,7 spricht Gott zu seinem Gesalbten: „Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt.“ Ähnlich wird auch Ps 110,3 schon im Hebräerbrief (5,5; wahrscheinlich auch 1,5) verstanden, obwohl der hebräische Text der Stelle sehr missverständlich und seine originale Bedeutung wohl nicht mehr rekonstruierbar ist. In die Tradition der Texte über den Sohn Gottes gehört auch die Rede vom Menschensohn in Dan 7,13.
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Jedoch bleiben die genannten Texte theologisch unabhängig voneinander. Es gibt im AT keine Versuche, diese verschiedenen Arten, von Gott zu sprechen, in eine systematische Theologie hinein zu verbinden. Außerdem sind gerade die Gottessohntexte problematisch, weil sie im Kontext des AT meist das Volk Israel oder seinen gesalbten König meinen. Die Auslegung dieser Texte in eine trinitarische Richtung geschieht erst mit der christlichen Interpretation im Licht des Christusereignisses. Somit gibt es keinen Text im AT, der sich für einen Trinitätsbeweis wirklich eignen würde. Gleichzeitig bedeutet die Beschränkung auf „trinitarisch verwertbare“ Texte eine Verkürzung der Erfahrung Gottes und ihrer Ausdrucksformen im AT. So wird Gott im AT beispielsweise auch mit einer Mutter verglichen (Jes 49,15; 66,13). Solche femininen Gottesbilder jedoch finden in einer Theologie des dreifaltigen Gottes keinen Eingang. Auch im NT werden solche Bilder kaum reflektiert.
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Auf der anderen Seite zeigen die Texte, in denen vom Engel des Herrn gesprochen wird, oder von der Weisheit als personifiziert und von Gott ausgehend, dass der Gott des AT nicht als Einzelner oder Einziger verstanden wurde. Gott hat himmlische Wesen um sich herum, die er beauftragen kann, oder die er auch konsultieren kann. Bildlich wird dies deutlich im Prolog des Buches Job, in dem der Satan vor Gott und seinen Hofstaat aus Gottessöhnen hin tritt, um mit Gott über Job zu verhandeln (Job 1,6). Während solche Texte nicht von der Trinität sprechen, bereiten sie doch den Boden, auf dem das Gottesbild in Richtung der Dreifaltigkeit weitergedacht werden kann.
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Auch das NT bietet keine systematische Reflexion über den einen Gott in drei Personen. Es bietet ebenso wenig eine systematische Bearbeitung und Weiterführung alttestamentlicher Gottesvorstellungen. Aber das NT spricht in einer Weise über Gott, die weitere Überlegung, Meditation, und schließlich auch Theologie einlädt. Das NT spricht über den Gott Israels als den Vater eines Sohnes, der Fleisch angenommen hat und in seiner Herrlichkeit unter uns gewohnt hat (Joh 1,14), der mit Macht lehrte und heilte und völlig Neues von Gott zu berichten wusste (Mk 1,27), der als „König der Juden“ (Mt 2,2; 27,11 u.a.) qualvoll an einem römischen Kreuz starb (Mk 15,37). Dieser Gott Israels aber nahm sich seines Sohnes an und erhöhte ihn (Phil 2,9–11), damit für alle, die an ihn glauben, das Kreuz zum Zeichen des Heils und der Macht Gottes werde (1 Kor 1,17–18). Alle, die glauben, erhalten als Unterpfand dieser Verheißung (Eph 1,13–14) den Geist, der sie erkennen lässt, das Gott nicht nur der Vater Jesu, sondern auch der Vater aller Gläubigen ist (Röm 8,15–16). Damit wird ausgedrückt, dass der Gott, der sich schon im AT dem Volk Israel offenbart hatte, jetzt zuerst und am Besten in seiner Beziehung zu Jesus offenbar ist. Menschen werden Kinder Gottes, indem sie sich unter der Führung des Geistes der Nachfolge Jesu anvertrauen (Heb 12,2).
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Die ersten Jünger machten Erfahrungen mit Jesus, sie folgten ihm nach und wurden von ihm begeistert. Manche von ihnen erhofften vielleicht eine Art Königreich, in dem sie dann neben Jesus die Ehrenplätze einnehmen würden (Mk 10,37). Sie waren bereit, für die Ehre Jesu ein ganzes samaritanisches Dorf zu vernichten (Lk 9,54). Andere erhoffen sich von Jesus die Erlösung Israels (Lk 24,21). Wieder andere scheinen Jesus nicht verstanden zu haben (Mk 8,32; Joh 14,8), Petrus verleugnet ihn gar drei Mal. Die Jünger scheinen den irdischen Jesus nicht nur nicht verstanden zu haben. Markus berichtet auch immer wieder, wie sich die Jünger regelrecht vor Jesus fürchten (4,41; 9,6 u.a.). Deshalb ist es um so erstaunlicher, dass genau diese Jünger nach dem Tode Jesu ein Erlebnis haben, dass sie nur mit dem Begriff „Auferstehung“ in Worte fassen können. Dabei geht es nicht nur um eine persönliche Begegnung mit dem verklärten Jesus. Es geht um ein ganz neues Verständnis von Gott. In Zukunft können diese Jünger nur noch von Gott reden, indem sie auch von Jesus reden. Es ist, als ob Gott in Jesus von ihnen Besitz ergriffen hätte (Phil 3,12), oder, wie es der Seher Johannes ausdrückt: „Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen“ (Offb 1,10; ähnlich 4,2; 17,3).
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Genau hier liegt aber die Grundlage für die Entwicklung des trinitarischen Bekenntnisses. Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist für die Jünger immer auch Gottesbegegnung. Die Auferstehung erst lässt die Jünger begreifen, was ihnen mit Jesus widerfahren ist: Plötzlich „gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten“ Jesus (Lk 24,31). Für die Jünger bedeutet dies unter aderem, dass sie die Schriften des AT nun mit ganz anderen Augen lesen. Was im AT über Gott geschrieben ist, ist plötzlich auch über seinen Messias geschrieben, ausgehend von Moses und den Propheten (Lk 24,27). Für die junge Gemeinde ist plötzlich klar, dass die Begegnung mit Jesus auch immer eine Begegnung mit Gott ist. Doch wie drückt man das aus? Was Gott in Jesus an Menschen getan hat, das erfordert ganz neue Kategorien des Denkens und des Redens. Wie will man mitteilen, dass in der geschichtlichen Gestalt Jesu die Menschen dem ewigen und allmächtigen Gott begegnen? Wie soll man beschreiben, dass Gottes Wirken in der Welt in Jesus zu seinem Höhepunkt gekommen ist? Wie soll man beschreiben, dass dieses Wirken Gottes in den Feiern und Gottesdiensten der Gemeinden weiterlebt? Wie soll man mitteilen, dass für die Gemeinden wie auch für die einzelnen Gläubigen das im AT versprochene Heil im Glauben an Jesus Wirklichkeit geworden ist, zwar nicht in seiner endzeitlichen Fülle, aber doch in einer deutlich wahrnehmbaren Form?
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Das Dilemma der jungen Christengemeinde ist also, innerhalb der alttestamentlichen Traditionen die Bedeutung des Christusgeschehens mitteilbar zu machen. Letztlich geht es in den Gemeinden darum, in Treue zum Gottesbild des AT ihr Glaubensbekenntnis an Jesus als den Messias zu formulieren. Die neutestamentlichen Texte sind Zeugnisses dieses Ringens um diese Theologie. Gleichzeitig wird in ihnen auch deutlich wie unterschiedlich die Ansätze zur Beantwortung solcher Problemstellungen sein können. Beispielhaft seien im Folgenden kurz drei verschiedene Modelle skizziert.
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Wenn Paulus über Gott redet, spricht er fast immer auch über die Beziehung Gottes zu den Menschen. Ein abstraktes Reden über Gott kennt Paulus eigentlich nicht. Alle seine Briefe beginnen mit dem Wunsch der Gnade und des Friedens „von Gott unserem Vater“ (z.B. Röm 1,7). Er spricht von Gott als dem Vater, der sich den Menschen in der Schöpfung offenbart: „So haben doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin“ (1 Kor 8,6). Der Gott, der in der Schöpfung „sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten! -- er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet“ (2 Kor 4,6). Er hat sich im AT offenbart als Gott, der den Israeliten „die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, das Gesetz, der Gottesdienst und die Verheißungen“ (Röm 9,6) gegeben hat, die im neuen Bund nicht hinfällig sind, sondern ausgeweitet auf die neuen Christengemeinden, die „die Kinder der Verheißungen“ (Röm 9,6–8) sind.
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Der Römerbrief vermittelt besonders deutlich, wie sehr Paulus Gott von seiner Bedeutung für den Menschen her beschreibt. Zwei gegensätzliche Eigenschaften Gottes tauchen dort immer wieder auf. Das erst ist der „Zorn Gottes“. So schreibt Paulus in Röm 1,18: „Der Zorn Gottes wird vom Himmel herab offenbart wider alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten.“ Dieser Zorn Gottes ist eine Metapher, die Paulus in Ps 78,31 und in Jes 30,27–28 findet. Es geht in den alttestamentlichen wie in den paulinischen Stellen nicht darum, eine emotionale Regung Gottes zu zeigen. Gott „menschelt“ nicht, als ob er Rachegelüste oder bösartigen Hass hege. Der „Zorn“ ist Gottes Reaktion auf Sünde und Bundesbruch der Menschen. Gott beurteilt Sünde und Ungerechtigkeit mit zuverlässiger und berechenbarer Ablehnung. Im AT wird diese Ablehnung sichtbar im Gericht der Endzeit. Für Paulus ist dieser Zorn schon jetzt offenbar.
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Der Zorn Gottes geht einher mit seiner gerechtigkeit (z.B. Röm 3,21–31). Auch dieses Konzept hat Wurzeln im AT. Es handelt sich um eine Beschreibung Gottes aus dem Rechtswesen des AT. Gott richtet den Menschen nach seinen Werken und seiner Treue zum alttestamentlichen Gesetz und spricht ihn nach seiner Gnade frei. In Gottes gerechtigkeit manifestiert sich seine Treue zu seinem Volk. Paulus nimmt dieses Konzept auf und stellt es dem Zorn Gottes gegenüber. Würde Gott den Menschen nach seinem Tun beurteilen, so wäre jeder Zorn gerechtfertigt, den „alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren“ (Röm 3,23). Doch Gott wirkt seine gerechtigkeit und macht in ihr auch alle Menschen gerecht: „Ohne es verdient zu haben, werden die Menschen gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus“ (Röm 3,24). Für Paulus ist das Christusereignis die entscheidende Wende vom verdienten Zorn Gottes hin zu seiner gerechtigkeit, die auch jeden Menschen gerecht macht, der an Christus glaubt. In Christus geschieht die Erlösung, die die Liebe Gottes ausgießt in unsere Herzen (vgl. Röm 5,5) und uns vor dem Gericht seines Zornes bewahrt.
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An dieser Stelle wird deutlich, das Paulus von einem Heilsplan Gottes für die Erlösung der Menschen ausgeht. Dieser Plan kommt, nach der Periode von Abraham bis Moses und einer zweiten Periode unter dem Gesetz, zur Erfüllung in Jesus Christus: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4–5). Daraus folgt, dass „jetzt die Zeit der Erlösung“ ist (1 Kor 6,2) und die Gläubigen mit der „Erstlingsgabe“ (Röm 8,23) des Geistes „besiegelt“ (2 Kor 1,22) hat. Die Endzeit ist eingeläutet in Tod und Auferstehung Jesu und wartet auf den Tag, an dem Christus wiederkommt (z.B. 1 Thess 2,19; 1 Kor 15,23).
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Die Rolle Jesu in Gottes Heilsplan ist kaum zu überschätzen. Für Paulus ist der Tod und die Auferstehung das zentrale Ereignis, das den Heilsplan sichtbar macht. Dieses „Christusereignis“ ist so wichtig, dass im paulinischen Denken kein Raum mehr für das irdische Wirken Jesu bleibt. Paulus spart die Lehre Jesu, seine Heilungen und seine Geschichte vor der Passion fast komplett aus. Das „empörende Ärgernis“ und die „Torheit“ des Kreuzes (1 Kor 1,23) machen deutlich, wie sehr die „Weisheit Gottes“ (1,24) in der Machttat Gottes kulminiert, Jesus in der Auferstehung zu erhöhen. Die „Erniedrigung“ am Kreuz mündet in die Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes des Vater (Phil 2,6–11). In der Erniedrigung am Kreuz wird der Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater für die Gläubigen greifbar (Phil 2,8; Rom 5,19). Dieser Kreuzesgehorsam ist jedoch nicht nur eine Tat, die Jesus zum Vorbild für die Gläubigen machen würde. Paulus legt deutlich dar, dass Jesus „für uns gottlose Menschen starb“ (Röm 5,6). Dabei legt Paulus besonderen Wert auf den Tod Jesu als heilbringend, weil er den Preis für diese Erlösung betont, mit dem Jesus die Gläubigen „freigekauft hat“ (1 Kor 6,20).
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In der Erhöhung des Sohnes zeigt der Vater, dass er den Gehorsam Jesu angenommen hat. Deshalb sind Kreuz und Auferstehung auch untrennbar miteinander verbunden. Diese Verbindung besteht darin, dass die Gläubigen durch Kreuz und Auferstehung in die Gemeinschaft zwischen Vater und Sohn hineingenommen werden: „Wegen unserer Verfehlungen wurde Christus hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt“ (Röm 4,25). Damit deutet Paulus an, wie im Christusgeschehen dem Zorn Gottes die Grundlage entzogen wird und die Menschen Anteil bekommen an der gerechtigkeit Gottes: „Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus“ (Röm 5,1).
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Den gläubigen Menschen wird als Erstlingsgabe der Geist gegeben (Röm 8,23). Dieser Geist ist Zeuge dafür, dass all das, was noch nicht Realität ist und erst in Hoffnung existiert, von Gott zum Guten geführt wird (Röm 8,28). Die Gabe des Geistes macht deutlich, dass der Tod Jesu nicht umsonst war: „Jesus Christus hat uns freigekauft, damit ... wir so aufgrund des Glaubens den verheißenen Geist empfangen“ (Gal 3,14). Der Geist ist es, der die Wahrheit des angenommenen Glaubens bezeugt. So kann Paulus mit den Galatern heftig streiten, weil sie nicht mehr diesem Zeugnis des Geistes zu vertrauen scheinen: „Dies eine möchte ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist durch die Werke des Gesetzes oder durch die Botschaft des Glaubens empfangen? Seid ihr so unvernünftig? Am Anfang habt ihr auf den Geist vertraut, und jetzt erwartet ihr vom Fleisch die Vollendung“ (Gal 3,2-3). Der Geist lehrt, was von Gott geschenkt wird (1 Kor 2,12), weil er im Menschen wohnt (1 Kor 3,16).
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Der Geist, der den Menschen inne wohnt, beschenkt die Menschen mit den verschiedensten Gaben, bleibt jedoch eins (1 Kor 12,4). Dadurch wird die Gemeinde aus den verschiedenen Gliedern zu einem Leib zusammen geschweißt (1 Kor 12,11–13). Geschenkt wird der Geist in der Taufe, indem man mit dem Geist gleichsam „getränkt“ wird (1 Kor 12,13). Er macht frei und lebendig, so dass es keine Verdammnis mehr gibt (Röm 8,1–2). Paulus könnte den Eindruck erwecken, dass in einem vom Geist bestimmten Leben keine Sünde mehr möglich wäre. Aber dem ist nicht so: „Wenn denn Gottes Geist in euch wohnt“ (Röm 8,9), dann bedeutet dies auch, dass der Glaubende ein Leben im Geist führen muss. Ist das Innewohnen des Geistes eine Berufung zur Freiheit, darf diese Freiheit nicht missbraucht werden, um als Vorwand für ein ausschweifendes oder liebloses Leben zu dienen (Gal 5,1–2). Der Geist wird kenntlich an seinen Früchten: Liebe, Freude, Friede; Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Keuschheit (Gal 5,22–23).
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Doch ist der Geist nicht nur der Ermutiger zu einem rechten Leben. Er ist jemand, der den Menschen innewohnt und sie treibt, sich in eine neue Beziehung zu Gott als seine Kinder zu setzen (Röm 8,14). Der Geist leitet nicht zur Furcht vor Gott, sondern zu dem Gebet, in dem die Menschen Gott als „Abba – Vater“ erkennen (Röm 8,15). Der Geist selbst richtet den Menschen auf in seiner Beziehung zu Gott dem Vater: Wo menschliches Sehnen und Beten endet und nicht mehr in Worte gefasst werden kann, dort wirkt Gottes Geist selbst weiter „mit unaussprechlichem Seufzen“ und nimmt sich aller menschlichen Schwachheit an (Röm 8,26). Dieses Innewohnen des Geistes ist es, das sich im Vertrauen auf Gottes Vorsehung und seinen Willen zum Heil spiegelt.
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Paulus beschreibt also den Vater, seinen Sohn Jesus Christus, und den Geist immer in ihrer Beziehung zum Menschen. So hat Paulus ein äußerst funktionales Bild von Gott. Aus dieser funktionalen Betrachtungsweise ergeben sich auch Unschärfen. Manchmal unterscheidet Paulus nicht sehr deutlich zwischen dem Geist und Jesus Christus. So sind in Röm 8,9–11 die Termini „Geist Gottes“, „Geist Christi“ und „Christus“ anscheinend auswechselbar. In 2 Kor 3,18 spricht Paulus von Jesus als dem „Herrn, dem Geist“. Daher kann man nicht von einer Trinitätslehre bei Paulus sprechen. Paulus ist nicht systematisch genug. Oder vielleicht sollte man dieses scheinbare Manko bei Paulus eher positiv deuten: Paulus macht pastorale Theologie im besten Sinne des Wortes: Die Art und Weise, wie Paulus über Gott spricht, wird hauptsächlich bestimmt von der spezifischen Situation der Gemeinden, an die er schreibt. Versucht man zu generalisieren und zu systematisieren, geht viel vom ursprünglichen Feuer des Paulus verloren.
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Trotzdem legen die Briefe des Paulus viele Elemente zu Grunde, die in späteren trinitarischen Bekenntnissen aufgegriffen und weiter gedacht werden. So gibt es genügend Texte, in denen Paulus die Dreiheit von Vater, Sohn und Geist bezeugt. Beispielhaft soll hier 2 Kor 1,21–22 angeführt werden: „Gott aber, der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und der uns alle gesalbt hat, er ist es auch, der uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil den Geist in unser Herz gegeben hat.“ Genau hier wird auch deutlich, wie Paulus die „Rollenverteilung“ zwischen Vater, Sohn und Geist betrachtet: Gott der Vater ist der Eine, der alle Menschen an seiner gerechtigkeit teilhaben lassen möchte (Röm 3,30). Er tut dies durch seinen Sohn, der für alle, die an ihn glauben, in seinem Tod und seiner Auferstehung die gerechtigkeit in der Vergebung der Sünden bringt. Als erstes Geschenk und Vorgeschmack des vollkommenen Heils kommt der Geist in unsere Herzen und lässt uns dieses Geheimnis verstehen. Er lässt uns den Schatz erkennen, dass Gott in unseren Herzen aufgeleuchtet ist. Den Schatz aber tragen wir in den zerbrechlichen Gefäßen unseres Lebens (2 Kor 4,6–8).
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Anders als Paulus schreibt Matthäus etwa 30 Jahre später keine Briefe an seine Gemeinden, sondern er schreibt eine Geschichte, ein Evangelium. Dies ist an sich eine selbstverständliche Feststellung. Der Hinweis lohnt sich trotzdem, weil sämtliche Aussagen über Vater, Sohn und Geist in erzählerischer Form alttestamentliche Reflexionen, Titel, Metaphern und Erinnerungen an Jesu irdisches Wirken miteinander verbinden. Noch weniger also als in den paulinischen Briefen wird ein theologischer Traktat geboten. Stattdessen trifft der Leser auf Erzählungen und Berichte, die zwar viel von Gott sprechen, aber auch viel nur andeuten. Manchmal lädt die Geschichte des Matthäus den Leser auch zu Spekulation ein. Das Matthäusevangelium ist eben nicht nur eine Geschichte über Jesu Wirken in Galiläa und Judäa, sondern es ist auch eine erzählerische Darstellung seiner fortdauernden Gegenwart in der Kirche. So endet das Evangelium mit der Zusage des Auferstandenen an seine Jünger: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).
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Jedoch beginnt das Evangelium an einem ganz anderen Punkt, nämlich mit Gott. Es beginnt mit einem Rückblick auf Gottes Machttaten in Israel. Die Überschrift des Evangeliums beschreibt Jesus als den Messias, den Sohn Davids und Abrahams (1,1). Mit diesen kurzen Worten wird die Welt des AT in Erinnerung gerufen, wie auch die Verheißungen, die mit Gott im AT verbunden sind. Geschichte und Hoffnung des jüdischen Volkes mit Gott werden plötzlich lebendig. Sowohl Abraham wie David haben von Gott große Verheißungen erhalten. Abraham ist der Heide, der auf Gottes Ruf gehört hatte und dem Gott versprochen hatte, ihn zu einem Segen für alle Völker der Erde zu machen (Gen 12,1–3). David ist der König, dem Gott prophezeite, dass seine Familie auf ewig herrschen würde. In der Genealogie Jesu (Mt 1,2–17) wird die Rolle Abrahams und Davids noch herausgestrichen, auch das babylonische Exil wird in besonderer Weise erwähnt. Gottes Verheißungen einer großartigen Zukunft für sein Volk, wie auch sein Gericht über sein Volk wegen dessen Untreue am Bund, werden durch diese Anspielungen betont. Gleichzeitig wird auch deutlich gemacht, dass Gottes Handeln sich auf wunderbare Weise in Jesus fortsetzt. Obwohl Jesus schließlich nicht von Abraham und David abstammt, sondern vom Heiligen Geist, wird auch ihm eine großartige Verheißung mitgegeben, die die Verheißungen an Abraham und David noch übertrifft. Josef erfährt im Traum von einem Engel, dass Jesus „sein Volk von ihren Sünden retten“ (Mt 1,21) wird. Und darüber hinaus erzählt der Engel, dass durch Jesus eine weitere Verheißung in Erfüllung gehen wird, nämlich die des Jesaja, dass in diesem Kind Gottes Gegenwart Wirklichkeit wird. Das Kind soll Immanuel heißen, „das heißt übersetzt: Gott ist mit uns“ (Mt 1,23).
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Gottes Macht wird in der weiteren Geschichte weiter verdeutlicht, indem Matthäus verschiedene Figuren erzählerisch kontrastiert. In Bethlehem finden sich Josef und die Magier aus dem Osten, die sich den Verheißungen Gottes und seinen Taten öffnen, in Jerusalem schmieden Herodes und die Führer des jüdischen Volkes dunkle Pläne und versuchen mit aller Gewalt, den Triumph Gottes zu verhindern. Die Magier werden verfolgt, Josef und seine Familie werden vertrieben, schließlich befiehlt Herodes den Kindermord. Gleichzeitig erfahren die Magier im Traum, dass sie das Land heimlich verlassen müssen, Josef erfährt im Traum, dass er nach Ägypten fliehen muss. Während Herodes sich auf Gewalt verlässt, setzt Gott seinen Willen mit Hilfe von Träumen durch. Herodes scheitert, schließlich ist nur noch sein Tod zu berichten. Kaum ist er tot, befiehlt Gott dem Josef, nach Israel zurück zu kehren. Gottes Wille setzt sich durch.
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Eine Änderung der matthäischen Erzählperspektive wird durch Johannes den Täufer herbeigeführt. Er zitiert die alttestamentlichen Schriften, in seiner Kleidung ist er Elija ähnlich (Mt 3,4; 2 Kön 1,8). So wird deutlich, dass Johannes in der Tradition der Propheten steht und die Sichtweise Gottes vertritt. Wenn Johannes redet, dann spricht er aus der Sicht Gottes. Wenn Johannes des Messias als einen ankündigt, der „mit dem Heiligen Geist und mit Feuer“ taufen wird und zum Richten über „Spreu und Weizen“ kommt (Mt 3,11–12), dann kündigt Gott an, dass in Jesus die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen gekommen ist. Jesus selbst bezeugt dies, indem er von seiner Taufe als der Erfüllung aller gerechtigkeit spricht (Mt 3,15). Und schließlich ist es Gottes Stimme selbst, die in der Taufe Jesus als Gottes Sohn bestätigt (Mt 3,16–17). Dies geschieht in der Ausgießung des Geistes über Jesus. Von nun an ist Jesus der Gerechte, der den Willen Gottes tut und verkündet. Seine Loyalität zu Gott wird in der Versuchung in der Wüste bestätigt. Jedoch ist die Taufe nicht nur das Zeichen, an dem sich Jesu Gehorsam gegenüber Gott manifestiert. Vom Moment der Taufe an wird Jesus zum Hauptcharakter der Erzählung. War die Initiative des Geschehens in den Kapiteln der Kindheitsgeschichte noch mit Gott selbst, so zeigt sich von nun an Jesus als derjenige, der die Handlungsfäden der Erzählung führt. Symbolisch wird dies deutlich im Motiv des Geistes Gottes, der in Gestalt einer Taube auf Jesus herab fährt (Mt 3,16). In erzählerischer Form bietet Matthäus hier eine theologische Aussage von immenser Tragweite. Wenn sich Gott bisher in den alttestamentlichen Gestalten wie David oder Abraham, wie Jesaja oder Elija offenbarte, wenn er in Geschichte und Gesetz des Volkes Israel gegenwärtig war, handelt er nun auf eine neue Weise in Jesus. Die weitere Gestalt des Matthäusevangeliums macht dies immer wieder deutlich. Die Bergpredigt beispielsweise ist eine ganz offensichtliche Anspielung auf die Geschehnisse um Moses und das Volk Israel am Berg Sinai. Jedoch ist Moses am Sinai nur der Mittler des Gesetzes Gottes. In der Bergpredigt spricht Jesus jedoch mit seiner eigenen Autorität, wenn es heißt „Ihr habt gehört, dass ... Ich aber sage euch ...“ (z.B. Mt 5,21–22). Auch die Menschen erkennen, dass Jesus mit Vollmacht lehrt (Mt 7,29).
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Der neuen Autorität Jesu dient nicht nur seine Lehre, sondern auch die Wunder und die vielen Streitgespräche, in die er verwickelt wird. Immer wieder weist Matthäus darauf hin, wie viel größer Jesus ist als jüdische Institutionen wie der Tempel (12,6) oder alttestamentliche Könige oder Propheten (12,41–42). Dies sind nicht einfach Vergleiche, in denen Matthäus vielleicht jüdische Einrichtungen übertrumpfen will. Es geht um eine ganz neue Qualität in der Offenbarung Jesu, die in der Verklärung angedeutet wird und von Moses und Elija bestätigt wird (17,3). Ein beispielhafter Text ist das Petrusbekenntnis (16,13–17). Jesus stellt seinen Jüngern die Frage nach seiner Identität, und sie antworten mit den Vergleichen zu Johannes den Täufer, zu Elija oder Jeremia oder anderen Propheten. Auf Jesu Nachfragen jedoch gibt Petrus eine Antwort, die die Autorität Jesu ganz neu zu fassen sucht: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Die Antwort Jesu trägt dem Rechnung. Petrus hat eine Antwort gegeben, die ihm nicht selbst gekommen ist, sondern die auf eine Offenbarung des Vaters im Himmel zurück geht. Wer Jesus erkennen will, wer sein Wesen begreifen möchte, der muss von Gott selbst ergriffen sein. Wie groß dieses Geheimnis ist, beschreibt Matthäus schon in 11,25–27: „In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.“
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Was in diesem Zitat noch etwas kryptisch über die Verbindung zwischen Vater und Sohn ausgesagt wird, kommt am Ende des Evangeliums zur Vollendung. Dort kommt die Erzählung zu einem Abschluss, der auf ihren Beginn verweist. In der Verheißung an Josef zitierte der Engel Jesaja, um auf das Kind hin zu weisen, dass Immanuel heißt, Gott ist mit uns. Am Ende des Evangeliums steht der Auferstandene selbst vor seinen Jüngern und verheißt ihnen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (28,20). Der Zirkel schließt sich auf überraschende Weise: Matthäus zeigt, wie sich die Prophezeiung des Jesaja erfüllt: Jesus selbst ist Immanuel, ist Gott mit uns. Die Autorität, die Matthäus in vielen Geschichten, Wundern, Lehren und Streitgesprächen konkret erzählt hat, ist die Autorität Gottes selbst. Der Gott Abrahams und Davids, der in der Taufe seinen Geist auf Jesus hat herabkommen lassen, ist der Auferstandene.
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Matthäus geht mit seiner Theologie einen wichtigen Schritt in die Richtung trinitarischer Theologie, indem er die Einheit von Vater und Sohn in erzählerischer Weise formuliert. Generationen später wird dies in der theologischen Sprache der Konzilien von Nicäa und Chalcedon eingeholt. Doch für Matthäus ist die Dreifaltigkeit noch in weiter Ferne: Es gelingt ihm nicht, den Geist in die Beziehung zwischen Vater und Sohn zu integrieren. So erzählt er zwar, dass dem Josef im Traum gesagt wird, dass das Kind Mariens „vom Heiligen Geist“ ist (1,20), dass Jesus bei der Taufe den „Geist Gottes“ auf sich herabkommen sieht (3,16), und dass dieser Geist Jesus in die Wüste treibt (4,1). Jesus handelt im Geist Gottes (12,28), weshalb eine Sünde gegen den Geist nicht vergeben werden kann (12,31–32). Dieser Geist Gottes hat wohl auch David erleuchtet (22,43). Doch wird aus diesen sehr unterschiedlichen und teils auch widersprüchlichen Beschreibungen deutlich, dass Matthäus keine so klare Vorstellung vom Geist hat, wie er es in der erzählerischen Gestaltung der Figur Jesu zeigt. Warum Matthäus den Geist so sehr mit dem Gericht der Endzeit verbindet, wie er es in der Ankündigung des Täufers tut, Jesus werde „mit dem Geist und mit Feuer“ (3,11) taufen, bleibt letztlich offen.
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Trotzdem ist es Matthäus, der die wohl klarste trinitarische Formulierung des NT überliefert: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19–20). Dabei ist wichtig, dass diese Formulierung im Zusammenhang mit der Taufe auftritt. Man kann davon ausgehen, dass Matthäus hier nicht frei formuliert, sondern überlieferte Traditionen weitergibt, die in Taufzeremonien der frühen Kirche ihren Platz hatten. Was im liturgischen Gebrauch bereits üblich gewesen zu sein scheint, ist von Matthäus erzählerisch und theologisch nur ansatzweise aufgearbeitet. Er konzentriert sich auf das Verhältnis von Vater und Sohn. Er möchte seiner Gemeinde erzählen, wie sehr Gott sich in Jesus den Menschen offenbart hat. Er möchte seiner wohl hauptsächlich jüdisch-christlichen Gemeinde nahe bringen, dass der alttestamentliche Gott sich in Jesus als Immanuel erwiesen hat, als Gott mit uns.
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In etwa gleichzeitig mit Matthäus macht sich auch Johannes daran, eine Geschichte von Gott und seiner Gegenwart für die Jünger im auferstandenen Jesus zu erzählen. Doch die Unterschiede zu Matthäus sind so deutlich, dass man wohl von einer weitgehenden Unabhängigkeit der beiden voneinander ausgehen kann. Schon die Form des Evangeliums ist anders: auch Johannes schreibt zwar ein Evangelium mit vielen erzählerischen Elementen. Aber durch viele eingeschobene Monologe Jesu, oder Gespräche, in denen die Gesprächspartner Jesu eigentlich nur Stichwortgeber sind, gibt sich Johannes auch die Möglichkeit, sehr komplexe theologische Themen zu behandeln. Das Nikodemusgespräch im dritten Kapitel ist eigentlich eine längere Abhandlung über Taufe und Wiedergeburt im Geist, das Gespräch mit der samaritanischen Frau im folgenden Kapitel eine Art Lehrvortrag über rechten Gottesdienst und die Identität Jesu. Viele von Matthäus erzählte Ereignisse berichtet Johannes nicht, und umgekehrt erzählt Johannes Ereignisse, die sich nicht in Matthäus finden.
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Doch trotz dieser erzählerischen Unterschiede wird oft theologisch Ähnliches vermittelt. So hat Johannes eine ganz ähnliche Vorstellung von der Beziehung zwischen Vater und Sohn, wie sie schon bei Matthäus zu beobachten ist. Auch Johannes spricht von einer Verbindung zwischen Gott und Jesus, wie sie enger kaum gedacht werden kann, ohne beide miteinander zu verschmelzen. In seinem Vorwort zum Evangelium beginnt Johannes mit der Aussage: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ (Joh 1,1). Die Formulierung „im Anfang“ ist bei Johannes die Übersetzung des hebräischen „bereschît“, dem ersten Wort des AT. So beginnt die Beschreibung der Dinge, bevor Gott die Welt schuf. In diesem Anfang vor jeder Schöpfung sieht Johannes Gott und das Wort schon zusammen. Das Wort ist für Johannes Jesus selbst, wie aus der weiteren Beschreibung hervorgeht (1,2–18). Der Höhepunkt, und eigentlich der Inhalt des ganzen Evangeliums, besteht darin, dass dieses Wort, das vor allem Anfang schon bei Gott war, aus der Ewigkeit heraus sichtbar für alle Menschen wurde: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (1,14). Was für Matthäus im Namen „Immanuel“ ausgesagt wird, das ist für Johannes das Wort, das Fleisch geworden ist.
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Gleichzeitig ist dieses Wort im Anfang auch eine Anspielung auf die personifizierte Weisheit aus Spr 8. Doch nimmt Johannes nicht einfach die alttestamentliche Beschreibung der Weisheit auf, sondern er führt sie zu konsequent weiter. Im AT brüstet sich die Weisheit, die Erstgeborene der Schöpfung zu sein, geschaffen vor allem anderen: „Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit“ (Spr 8,22). Johannes vermeidet, vom Wort als geschaffen zu sprechen. Für ihn „ist“ das Wort von Anfang an. Es ist nicht geschaffen, sondern: „Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist“ (Joh 1,3). Steht die Weisheit im AT also noch auf der Seite der Schöpfung, so ist das Wort bei Johannes die schöpfende Kraft Gottes.
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Wenn Jesus jedoch das schöpferische Wort Gottes ist, das aus der Ewigkeit heraus menschliche Gestalt angenommen hat, hat dies auch Konsequenzen für die erzählerische Gestaltung des Evangeliums. Der leidende Jesus, der im Garten Gethsemane Blut schwitzt (Lk 22,44) und am Kreuz nur noch schreien kann (Mk 15,37), weicht einem Jesus, der von seiner Kreuzigung und Auferstehung als seiner Erhöhung spricht (Joh 3,14; 8,28; 12,32). Er ist nicht mehr den Mächten um die jüdischen Führer und Pilatus ausgeliefert. Er weiß um alles, was mit ihm geschehen muss (18,4), er weiß auch, dass Pilatus nur im Auftrag Gottes handeln kann (19,11). Jesus stirbt nicht einfach, sondern er „vollbringt“ den Willen Gottes, gibt sein Leben hin (10,35) und „übergibt seinen Geist“ (19,30). Johannes beschreibt einen Jesus, dessen ganzes Leben im Dienst der Erhöhung am Kreuz und in der Auferstehung statt findet. Dabei ist diese Erhöhung nicht nur ein Zeichen von Jesu Würde und seiner Machttat in Tod und Auferstehung, sondern gleichzeitig auch eine Anspielung auf die Erhöhung der ehernen Schlange in der Wüste, die den Israeliten als Zeichen des Heils und der Erlösung diente (Num 21,4–9). Schon zu Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu bezeichnet ihn Johannes der Täufer als das Lamm Gottes (1,29.36). Am Ende seines Lebens stirbt Jesus am Tag vor dem jüdischen Passahfest genau zu der Stunde, da die Lämmer für das Passahfest geschlachtet wurden. Das Portrait Jesu im Johannesevangelium ist stark der Bildersprache des AT verpflichtet und gleichzeitig von einer Erhabenheit, die sich sonst im NT so ausdrücklich kaum findet.
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Diese Erhabenheit Jesu ist eine Konsequenz aus der ursprünglichen Einheit mit Gott. So wirkt Jesus zwar Wunder, doch die erklären sich nicht mehr selbst, wie in den anderen Evangelien. Vielmehr sind sie Zeichen, die in anschließenden Reden Jesu ihre Auslegung finden. Letztlich dienen sie der Selbstoffenbarung Jesu, der immer wieder Sätze sagt, die mit „Ich bin ...“ beginnen: „Ich bin das Brot des Lebens“ (6,35), „Ich bin das Licht der Welt“ (8,12), „Ich bin der gute Hirt“ (10,14), „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (11,25). Diese kleine Auswahl belegt. wie wichtig für Johannes diese Formulierung ist. Sie leitet sich her aus der Erscheinung Gottes vor Moses im brennenden Dornbusch. Gott selbst identifiziert sich als der „Ich bin“ (Ex 3,14). Für Johannes heißt dies: Wer Jesus sieht, sieht den Vater (12,45). In Jesus ist Gott für den Glaubenden genau so gegenwärtig, wie er für Moses im brennenden Dornbusch gegenwärtig war.
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Dies aber wirft für die Gemeinde des Johannes ein Problem auf, dass in der Figur des ungläubigen Thomas erzählerisch eingefangen wird: Was passiert mit denen, die Jesus nicht sehen? Was ist, wenn Jesus selbst nicht da ist, um sich und Gott zu offenbaren? Oder anders gefragt, welchen Zugang zu Gott und Jesus gibt es für die, die nicht ihre Hände in die Wunden des Auferstanden legen können? In welcher Form ist Gott heute in seiner Gemeinde gegenwärtig? Die Antwort des Johannesevangeliums beginnt mit einem Versprechen Jesu an seine Jünger: „Ich werde Euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu Euch“ (14,18). Dies Versprechen erinnert an den Schluss des Matthäusevangeliums, in dem Jesus seine Gegenwart unter den Jüngern bis an das Ende der Welt zusagt (Mt 28,20). Doch Johannes führt weiter aus, wie diese Gegenwart zu denken ist: Jesus spricht davon, dass er zu seinem Vater zurück kehren wird: „Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Parakleten geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit“ (Joh 14,16–17). Dieser Geist, von dem Johannes spricht, ist nicht einfach der Geist Gottes oder der Geist Jesu, sondern er hat eine ganz eigene Qualität. Das griechische Wort „Paraklet“ kann verschiedene Aspekte bezeichnen. In seiner Grundbedeutung ist es jemand, der zu Hilfe gerufen wurde. In einer Gerichtsverhandlung ist es ein Rechtsbeistand, der für den Angeklagten eintritt. Aber darüber hinaus kann es sich auch um einen Tröster oder einen Fürsprecher handeln. Für Johannes ist dieser Anwalt, Tröster und Fürsprecher der Geist der Wahrheit. Der Geist aber gibt den Jüngern die Erkenntnis, „dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir, und ich in euch“ (14,20). In den Worten Jesu erzählt Johannes, dass der Geist den Jüngern die wahre Erkenntnis über die Beziehung zwischen Gott, Jesus und der Gemeinde gibt.
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Der Geist lehrt die Jünger auch auf eine Weise, wie Jesus selbst sie nicht gelehrt hat. So prophezeit Jesus seinen Jüngern: „Der Paraklet aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (14,26). Hier deutet sich an, wie Johannes den Geist als die Gegenwart Jesu unter seinen Jüngern versteht. Der Heilige Geist ist vom Vater gesandt, um den Platz Jesu unter den Jüngern einzunehmen. Jesus ist also nicht deshalb abwesend, weil die Jünger ihn nicht mehr sehen, sondern in seiner Abwesenheit wird er durch den Heiligen Geist den Jüngern präsent. Diese Präsenz jedoch ist klar umrissen und erkennbar, weil sie die Lehre Jesu an seine Jünger lebendig hält und die Jünger zu neuem Verstehen bringt. Johannes verdichtet diese Aussage etwas später noch einmal, indem er plötzlich vom Heiligen Geist als von Jesus selbst gesandt spricht: „Wenn aber der Paraklet kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.“ Der Geist aber legt nicht nur Zeugnis vor den Jüngern ab für Jesus und den Vater, sondern er bringt auch die Jünger dazu, selbst zu Zeugen zu werden: „Und auch ihr seid meine Zeugen...“ (15,26–27). Die Gegenwart des Geistes macht aus den Jüngern, was er selbst ist: Zeugen.
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Dies führt zu einer letzten Konsequenz für Johannes. Der Geist soll die Jünger unterrichten, er soll sie aufklären über Jesus und den Vater. Daher ist er auch kein „Ersatz“ für die Gegenwart Jesu, sondern eine ganz eigenständige Erfahrung der Gegenwart Gottes. So spricht Jesus zum Abschied zu seinen Jüngern: „Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Paraklet nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden“ (16,7). Der Geist kann glaubwürdig über Jesus und den Vater Zeugnis ablegen, weil er nicht mit ihnen identisch ist. Der Geist ist von Jesus gesandt und geht vom Vater aus, ist aber eine neue Erfahrung für die Jünger, in der Jesus, sein Tod, seine Auferstehung und seine Beziehung zum Vater erst verständlich wird. In diesem Sinne ist der Geist bei Johannes ein Herbeigerufener, ein Beistand und Tröster. Während Johannes die Theologie des Parakleten vor allem in den Abschiedsreden Jesu an seine Jünger erläutert, gibt er dieser Theologie auch eine wunderbare erzählerische Form: Der Auferstandene erscheint vor seinen Jüngern, die sich furchtsam hinter verschlossenen Türen versammeln. Jesus wünscht ihnen seinen Frieden und sendet sie hinaus, seine Botschaft zu verkünden. Dann „hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (20,22). Die Jünger, die den Herrn furchtlos in der Welt verkünden, tragen seinen Geist in sich.
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Johannes ist der Evangelist, der den späteren trinitarischen Dogmen wohl am Nächsten kommt. Er unterscheidet deutlich zwischen Vater, Sohn und Geist, weist allen dreien eine ganz klare und eigenständige Funktion zu, ohne ihre grundsätzliche Einheit jemals aus den Augen zu verlieren. Johannes gelingt dies, weil er konsequent die Jünger Jesu – stellvertretend für die christliche Gemeinde – im Blickfeld behält. Vater, Sohn und Geist sind für Johannes von ihren Funktionen für die Menschen her unterschieden: Der Vater sendet seinen Sohn in die Welt, der Sohn legt sein Leben nieder für die Schafe, der Geist lehrt die Jünger und macht sie zu Zeugen dieses Prozesses. Doch trotz dieser in den Ansätzen weitgehend trinitarischen Theologie überrascht, dass Johannes keine trinitarischen Bekenntnisse oder Formeln verwendet, wie sie bei Matthäus auftauchten. Wenn Johannes mit Glaubensbekenntnissen arbeitet, machen sie Aussagen über Jesus, nicht aber über den Vater oder den Geist (z.B. 9,38; 11,27; 20,28). Während also Matthäus Bekenntnisse kennt, die er in seiner Theologie noch nicht eingeholt hat, hat Johannes eine Theologie, die noch nicht in Bekenntnisformeln integriert ist.
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Der kurze und leider nur exemplarische Durchgang durch die biblischen Texte macht deutlich, dass das Bekenntnis zum dreifaltigen Gott ein Bekenntnis mit Wurzeln in der Bibel ist. Untersucht man diese Wurzeln genauer, lassen sich jedoch auch Unschärfen feststellen, an denen deutlich wird, dass die biblischen Autoren zwar ihre Gotteserfahrungen bewusst reflektierten, dass für die neutestamentlichen Autoren besonders das Verhältnis von Gott und Jesus wichtig war, dass aber auch eine Trinitätstheologie im Verständnis heutiger dogmatischer Theologie sicher nicht im Blickfeld dieser Autoren und ihrer Reflexion war. Schon allein die Herausbildung des nötigen theologischen Vokabulars von Personen, Naturen, und dem göttlichen Wesen ist den biblischen Autoren fremd. Wenn Karl Rahner ganz selbstverständlich von ökonomischer und immanenter Trinität spricht, so setzt er zweitausend Jahre theologischer Tradition voraus, die den biblischen Autoren nicht zur Verfügung stand. Diese Tradition jedoch basiert auf biblischen Texten und versucht, die in ihnen enthaltenen Gedanken konsequent weiter zu denken und ihre Implikationen auszuschöpfen.
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Die biblischen Texte verweisen auf mehrere Dimensionen, die in theologischer Reflexion nicht immer streng berücksichtigt werden. Zunächst betrifft dies die Verwurzelung aller authentischen Gottesbilder in der Erfahrung der Menschen. Die biblischen Texte verweisen immer wieder darauf, dass Gott ein Gott für uns ist. Die Eigenschaften Gottes zeigen sich in seiner Art, mit Menschen umzugehen. Gott zeigt sich als gerechter Richter in Reaktion auf die Ungerechtigkeit seines Volkes. Er zeigt sich als Gott des Erbarmens in der Not seines Volkes. Er zeigt sich als ein Gott, der den Menschen so nahe wie möglich sein möchte, indem er seinen Sohn auf diese Welt schickt. Er zeigt sich als Gott der Liebe, indem er seinen eigenen Sohn hingibt. Er zeigt sich als Gott, der den Menschen durch das Geschenk seines Geistes ein Verstehen seiner Liebe erst ermöglicht. Die biblischen Texte versuchen, dieser Erfahrung und diesem Verständnis Ausdruck zu verleihen. Dies bedeutet aber auch, dass die Art und Weise, wie wir heute über Gott reden, nicht nur in der Bibel begründet sein muss, sondern auch in unserer menschlichen Erfahrung. Die Authentizität jeder Theologie, auch der trinitarischen, ergibt sich erst aus ihrer Verwurzelung in der Begegnung zwischen Gott und Mensch, wie sich umgekehrt die Authentizität der Begegnung nur in der Auseinandersetzung mit der Schrift und der Theologie, also in der Auseinandersetzung mit ähnlichen Begegnungen anderer, entfalten kann. Diesem Zirkelschluss, oder vielleicht besser: dieser Gegenseitigkeit können und dürfen weder Theologie noch Spiritualität entkommen.
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Zweitens sind die biblischen Texte zwar die Grundlage trinitarischer Theologie, aber sie bieten eben „nur“ die Grundlage dieser Theologie, nicht ihre volle Entfaltung. Auf der Grundlage der Erfahrung des Volkes Israel und der ersten Jünger bietet die Bibel die Bausteine, aus denen dann in weiteren Generationen eine Tradition geschmiedet worden ist, auf die wir heute zurückblicken und auf der wir aufbauen. Dabei ist es immer wieder nötig, diese Bausteine neu anzuschauen, neu zu entdecken, neu zu beleben als Teil unserer eigenen Gotteserfahrung. Dies kann jedoch nicht in völliger Losgelöstheit von der Tradition geschehen. Wer sich heute vom biblischen Jesus begeistern lässt, wer sich heute von Gottes Unmittelbarkeit und Liebe in den biblischen Texten betreffen lässt, tut dies im Abstand einer zweitausendjährigen Geschichte. Innerhalb dieser Geschichte gab es immer wieder Auslegungen, die sich als falsch herausgestellt haben, wie es andererseits auch eine kontinuierliche Reflexion auf die biblischen Bausteine gab. Eine Neubelebung der biblischen Gotteserfahrungen geschieht auch in der Auseinandersetzung mit der Tradition. Nur wer seine Geschichte kennt, braucht sich nicht im Kreis zu drehen und sie zu wiederholen.
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Schließlich weisen die biblischen Texte auch darauf hin, dass es neben dem Reichtum der Gotteserfahrung, wie er im trinitarischen Bekenntnis formuliert ist, auch noch andere authentische Gotteserfahrungen gibt. Auch das Bild vom dreieinigen Gott kann die Wirklichkeit Gottes für uns nicht ausschöpfen. Andere biblische Gottesbilder wie das von Gott als einer Mutter sind vielleicht gerade deswegen in Vergessenheit geraten, weil sie nicht in die Zwänge dogmatischer Auslegung passen. Doch deshalb sind sie nicht weniger authentisch oder wahr. Im ersten Johannesbrief heißt es, dass Gott größer ist als unser Herz (3,20). Der Autor schrieb dies im Zusammenhang mit der unfassbaren Barmherzigkeit Gottes. Doch gilt dies wohl auch für die Bilder, die wir uns von Gott machen: Über die Bilder und Vorstellungen hinaus, über jede Sprache, jedes Konzept und jede Theologie hinaus erfahren wir immer auf’s Neue, dass Gott nur im Nachhinein der Begegnung mit ihm und in unvollständiger Weise in Worten beschrieben werden kann. Theologie hinkt der Erfahrung immer hinterher. Angelus Silesius fing dieses Dilemma in einem kurzen Vers ein: „Ich selbst muss Sonne sein, ich muss mit meinen Strahlen / das farbenlose Meer der ganzen Gottheit malen.“ Gotteserfahrung kann erst in den Farben und Grenzen menschlicher Sprache weitergegeben und verkündet werden. Auch für die Jünger von Emmaus ist der Beginn der Theologie die Reflexion auf das, was ihnen auf dem Weg von Jerusalem und beim Mahl in Emmaus geschehen ist (Lk 24,32). Aber die Jünger wissen auch, dass ihre Reflexion von Gott selbst begleitet wird: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“
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