This is a cache of https://www.uibk.ac.at/de/newsroom/subject/corona02/. It is a snapshot of the page at 2024-11-29T16:10:28.720+0100.
Wirtschaft neu lernen – Universität Innsbruck

Wirtschaft neu lernen

subject_09.2: Corona-Krise | Die Maßnahmen gegen die Verbreitung von Sars-CoV-2 ließen das öffentliche Leben wochenlang stillstehen. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Wirtschaft leidet – besonders der Tourismus ist betroffen. Wie kommen wir aus der Misere wieder heraus?

News-Redaktion der Uni Innsbruck, Mai 2020

Dieses subject ist das zweite in einer Reihe von Ausgaben zur Corona-Krise. Diesmal liegt ein Schwerpunkt auf den Auswirkungen der Krise auf Wirtschaft und Tourismus: Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen – von der Betriebswirtschaft über die Soziologie bis zur Geschichtswissenschaft – beleuchten unter anderem die Auswirkungen der Krise auf das Bankenwesen, auf Regionalität in der Nahrungsversorgung und werfen einen Blick auf die Zukunft der Berufsbildung oder die wirtschaftlichen Konsequenzen vergangener Pandemien.

Ein Blick zurück

test

Die Geschichtswissenschaft wertet nicht, sondern beobachtet und analysiert.

Im Interview beschreibt Prof. Wolfgang Meixner, Experte für Wirtschaftsgeschichte, die aktuelle Situation mit einem Blick in die Vergangenheit.

Gibt es Anknüpfungspunkte zu früheren Pandemien?

Meixner: Bisherige Randbereiche der Geschichtswissenschaften werden schlagartig in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, wie derzeit die Medizingeschichte. Die Pandemie zeigt, wie wenig Anknüpfungspunkte wir zu früheren Pandemien haben, da diese unter gänzlich anderen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen stattgefunden haben. Sie zeigt aber auch, dass gewisse Maßnahmen, wie etwa Händewaschen, Abstand halten oder Quarantänemaßnahmen sich weltweit bewähren werden. Daher kann man doch aus der Vergangenheit Lehren für den heutigen Umgang ziehen.

Im Bereich der Ökonomie lassen sich ebenfalls wenig Vergleiche finden, wie etwa zur Weltwirtschaftskrise, Tschernobyl oder Kriegsfolgen. Das bedeutet, dass die Gesellschaft darauf angewiesen ist, Lösungen ohne umfassende Vergleiche in der Vergangenheit zu finden bzw. bei den wenigen Ansätzen zu schauen, welche (negativen) Auswirkungen sie hatten. Daher kann man auch hier aus der Krise „lernen“.

Krisen wirken wie ein Durchlauferhitzer von Ideen und Vorschlägen. Sie beschleunigen auch Entwicklungen, die sowieso eingetreten wären, aber aus unterschiedlichsten Gründen nicht vorangetrieben werden konnten. Die Gefahr dabei ist, Notmaßnahmen beizubehalten (siehe die Grundrechtseinschränkungen). Beispiele dafür gibt es im Bereich der Notverordnungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, wo viele Staaten nicht mehr zur „Normalität“ der Vorzeit zurückgekehrt sind.

Welche Chancen entstehen aus der Krise?

Meixner: Die Chance wäre, zur Bewältigung der Krise vernetzte Ansätze anzuwenden, die umfassend nachhaltig sind und nicht nur einen Aspekt berücksichtigen. Die Gefahr ist, dass singuläre Maßnahmen zwar ein Problem beheben, aber neue oder weitere Probleme schaffen. Daher wären Maßnahmen, die auch den Klimaschutz berücksichtigen, wichtig. Sonst droht ein Rückfall in vergangene Zeiten, in denen ökologische Auflagen nur ein lästiges Anhängsel waren.

Wir haben als Gesellschaft die Chance, Megatrends neu zu denken: Arbeitswelt, Globalisierung, Klimawandel, Migration, Mobilität, Nachhaltigkeit, Regionalität, Solidarität, aber auch das Verhältnis von Arbeit und Gesellschaft, die Schaffung und Verteilung von Einkommen und Reichtum. Wichtig wäre, Visionen zuzulassen und nicht allen Eifer dahin zu stecken, den Zustand von vor Corona wiederherzustellen (der ja auch nicht in allem gut war).

Haben wir es hier nur mit einer Krise zu tun?

Meixner: Wir haben es bei den ökonomischen Folgen der Pandemie mit einer Nachfrage- bzw. Absatzkrise zu tun, aber auch mit einer Angebotskrise. Die Nachfrage- bzw. Absatzkrise entsteht aufgrund von Ausgabenreduktionen und nachlassender Massenkaufkraft bei einem Großteil der Bevölkerung. Die Menschen wollen nichts mehr kaufen bzw. verschieben geplante Investitionen in die Zukunft, weil sie auf bessere Zeiten hoffen oder verunsichert sind und das Geld ansparen, statt es auszugeben. Eine Angebotskrise entsteht dadurch, dass sehr viele Menschen nicht im Produktionsprozess sind, weil sie auf Kurzarbeit oder arbeitslos sind, daher fehlen diese Menschen in der Produktion und es können keine Güter mehr erzeugt werden. Zuletzt hatten wir 1974 in der Ölkrise solch eine Angebotskrise, weil das Erdöl „fehlte“, weil es eine künstlich herbeigeführte Verknappung durch die Öl-Produzenten gab. In der Corona-Krise haben wir erlebt, dass es an Schutzmasken, Desinfektionsmitteln, Ausrüstungen für medizinisches Personal fehlte, weil die Rohstoffe nicht vorhanden waren bzw. es keine Produktionsstätten mehr dafür im Inland bzw. in Europa gab.

Was können wir aus der Krise lernen?

Meixner: „Einfache“ oder „schnelle“ Lösungen sind nicht die wirksamsten. Eine solche Pandemie kann nicht nur naturwissenschaftlich oder virologisch erklärt werden, sondern ist ein umfassendes gesellschaftliches Phänomen, dessen Bewältigung Großteils von Vorerfahrungen, Handlungen, Umgangsweisen oder Deutungsmustern bestimmt wird.

Vieles, was wir als naturgegeben erleben, ist menschengemacht. Gewisse Maximen oder Doktrinen, die unser gesellschaftliches Leben bestimmt haben (Austeritätspolitik, Verhältnis von Staat und Gesellschaft, Verhältnis zu Privateigentum, Reichtum, Einkommen), werden hinterfragt und neu kalibriert. Entscheidend ist, wer sich an diesen Diskussionen beteiligt und welche Ansichten sich durchsetzen werden. Damit einhergehend stellt sich die Frage, ob wir bereits über alle Foren und Formen verfügen, diese Diskussionen ausreichend demokratisch partizipativ und transparent zu führen. Letztendlich werden in Krisenzeiten die Machtverhältnisse hinterfragt, neu gebildet und gefestigt. Es gibt nicht nur „Verlierer*innen“ und „Gewinner*innen“ einer Krise.

Wolfgang Meixner

Wolfgang Meixner, Professor am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie.

„Österreich wohlhabend halten“

Der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Huber spricht über aktuelle Wirtschaftsfragen durch die Coronakrise.

„Die Kernherausforderung ist: wie schaffen wir es, Österreich reich zu halten“, sagt Jürgen Huber, Leiter des Instituts für Banken und Finanzen im unten eingebetteten Video. Die Verlinkungen im folgenden Absatz führen zum jeweiligen Statement im Video: Für Huber sind Arbeitslosigkeit, Staatsschulden und Aktienmarkt derzeit die brennendsten Themen. Obwohl Österreich gut durch die Corona-Krise gekommen sei, müssten jetzt schnell wieder Arbeitsplätze geschaffen werden. Das gute Bildungs- und Gesundheitssystem sei mit dem Wohlstand gekoppelt. Durch den Digitalisierungsschub könnte sich die Corona-Krise als Chance für die Umwelt erweisen. Was die globalisierte Welt betrifft, wünscht sich Huber ein Überdenken der Arbeitspraktiken und der individuellen Ansprüche. Blanken Nationalismus lehnt er dezidiert ab, mehr inländische Produktion und regionaler Konsum würden aber Sicherheit schaffen und die heimische Wirtschaft stärken, von Industrie bis Tourismus.

Reise ins Ungewisse

Als Wirtschaftsexperte beobachtet Matthias Bank die gegenwärtige Situation auf den Finanzmärkten und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise genau.

Um sich einen schnellen und unmittelbaren Eindruck vom Zustand größerer Unternehmen zu machen, reicht normalerweise ein Blick auf die Börse. Aktuell könnte man hier durchaus den Eindruck gewinnen, dass das Schlimmste bereits überstanden ist. „Die Indizes haben sich – zumindest vorübergehend – von ihren Tiefpunkten erholt. Es bleiben aber zentrale, noch weitgehend unbeantwortete Fragestellungen offen“, sagt Matthias Bank, Professor für Bankwirtschaft am Institut für Banken und Finanzen und Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaft. „Insgesamt zeigt sich im Bereich der Banken und Finanzinstitutionen derzeit eine unübersichtliche Situation. Die Zeit ist von Unsicherheit geprägt, viele Sachverhalte sind unklar und wir stellen uns einer Reihe von Fragen“, so der Wirtschaftswissenschaftler weiter.

„Wie groß wird der Abschreibungsbedarf auf notleidende Kredite werden?“

„Ist die Eigenkapitalausstattung der Banken tatsächlich groß genug, um die anstehenden Verluste aus dem Kreditgeschäft aufzufangen?“

„Wie wird sich die extrem hohe Neuverschuldung der Staaten auf die Geldwertstabilität auswirken?“

„Können Zentralbanken in Zukunft überhaupt noch für Geldwertstabilität sorgen?“

Beispiele für viel gestellte Fragen in der Corona-Krise. Wirtschaftswissenschaftler wie Matthias Bank versuchen diese zu beantworten.

Die Aufgabe von Matthias Bank und seinen Forschungskolleginnen und -kollegen ist es nun, Zusammenhänge besser zu verstehen und daraus Handlungsmöglichkeiten für den Bankensektor, die Politik und die Gesellschaft abzuleiten. Denn auch für die Zukunft lassen sich ähnliche Krisen nicht ausschließen. Bank setzt hier vor allem auf Diversifikation, einem Lösungsansatz aus der Finanztheorie: „Treibt man die globale Arbeitsteilung zu weit, dann entstehen in einer weltweiten Krise massive Unterbrechungen in den Lieferketten. Deshalb müssen wir für die Zukunft ein ausgewogenes Maß zwischen globaler Arbeitsteilung und lokaler Versorgungssicherheit finden.“

Weltweit vernetzt

Von Anfang an hat die Banken- und Finanzbranche die Globalisierung wie kein anderer Sektor vorangetrieben. Da verwundert es nicht, dass sie heute für viele als Sinnbild der Globalisierung gilt. Weil große Finanzinstitute global aufgestellt sind, trifft sie der weltweite Lockdown gerade besonders hart. Doch die weltweite Vernetzung bringt auch Chancen für den Bankensektor. Mit der Corona-Krise erlebt die Digitalisierung gerade einen großen Ausbau. Dies beschleunigt Prozesse, die den Strukturwandel gerade auch in der Banken- und Finanzbranche vorantreiben. Künftig könnten dadurch viele teure Geschäftsreisen überflüssig werden. Kosten-/Nutzenüberlegungen werden die Entscheidungsträgerinnen und -träger in Banken zwingen, hier entsprechend umzusteuern. Als positiver Nebeneffekt ergäbe sich daraus gleichzeitig ein Beitrag zum Umweltschutz. Doch wie so oft gibt es in einem Veränderungsprozess nicht nur Gewinner: „Von einem Strukturwandel im Bankensektor wären auch weitere Brachen, wie die Luftfahrtindustrie und die Hotellerie, betroffen. Aber auch Arbeitsplätze in der Finanzbranche wären beispielsweise durch das Sterben von Geschäftsstellen, die Fusion kleiner Banken zu größeren Einheiten sowie durch das Wegfallen ‚analoger‘ Jobs direkt betroffen. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass viele neue ‚digitale‘ Jobs wegen der allgemein hohen Nachfrage nicht mit qualifizierten Personen besetzt werden können“, sagt Matthias Bank.

Matthias Bank

Matthias Bank ist Professor für Bankwirtschaft.

Digitalisierung kritisch hinterfragen

Dass sich im Bereich Digitalisierung derzeit viel tut, das beobachtet auch Ulrich Remus. Vieles davon ist positiv, aber der Wirtschaftsinformatiker fordert auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Digitalisierung.

Ulrich Remus

Ulrich Remus ist Professor für Wirtschaftsinformatik und Digitale Gesellschaft.

„Ich sehe einen Schub in Richtung Digitalisierung, gerade in Bereichen, welche bisher noch recht zögerlich ihre Prozesse digitalisiert haben, wie beispielsweise im Einzelhandel. Hier wurden zum Teil von heute auf morgen eigene Webshops erstellt. Kleine Unternehmen müssen nun mit den großen global agierenden Akteuren in Wettbewerb treten“, sagt der Wirtschaftsinformatiker Prof. Ulrich Remus. Hinzu kommt eine massive Zunahme der Arbeit im Homeoffice. Die ersten überwiegend positiven Erfahrungen damit schaffen mehr Vertrauen in diese Arbeitsform. „Es wird sich zeigen, inwieweit sich diese Erfahrungen auf freiwillig arrangierte Homeoffice-Konstellationen übertragen lassen. Aber möglicherweise sind ein bis zwei Tage Homeoffice für viele Arbeitnehmer in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme“, sagt Remus.

Die Krise nutzen

Gleichzeitig weist der Experte für Digitalisierung aber darauf hin, die Zeit der Krise dafür zu nutzen, einige Aspekte der Digitalisierung auch kritisch zu hinterfragen: „Das fängt an mit den sehr fragilen globalen IT-gestützten Wertschöpfungsketten, der extremen Arbeitsteilung und Spezialisierung, geht weiter über den maßvollen Umgang mit Big Data, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz, den sozio-emotionalen Auswirkungen der IT-Durchdringung in allen Lebensbereichen und endet bei wichtigen gesellschaftlichen Fragestellungen, wie dem Hinterfragen des Beschleunigungsparadigmas als Motor unseres nicht-nachhaltigen Wirtschaftssystems.“ In all diesen Bereichen spielt die Digitalisierung eine wichtige, wenn nicht sogar die tragende Rolle. Manche, auch kritische Aspekte der Digitalisierung werden durch die Krise erst offengelegt. Das wird beispielsweise an der Diskussion um Sicherheit, Nutzen und Tauglichkeit von Tracking-Apps, aber auch am Thema Fake News und Manipulation in social Media deutlich. Dass die Öffentlichkeit nun verstärkt über diese Aspekte diskutiert, findet der Wirtschaftsinformatiker Remus sehr wichtig.

„Technologisch ist vieles möglich, die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft sind mit Stand heute aber nur schwer abschätzbar. Dies ist umso kritischer, da aktuelle Forschung zeigt, dass es Menschen nicht wirklich bewusst ist, wie sehr IT in ihre Privatsphäre eindringt.“

Ulrich Remus

Plattformen wie Google und Facebook sammeln weit mehr Daten, als von Nutzern wahrgenommen wird. Auch das Nutzungsspektrum der gesammelten Daten, unter denen sich auch biometrische Daten befinden, wird durch Künstliche Intelligenz (KI) ständig erweitert, sei es zu personalisierter Werbung oder zum Trainieren von Gesichtserkennungssoftware. Dieser Trend wird laut Remus ohne entsprechende Regulierung in Zukunft noch zunehmen. Dabei weist er auf die Relevanz hin, die Gefahren, welche mit der Sammlung biometrischer Daten und ihrer Kombination mit Sensor- und Bewegungsdaten einhergehen, auch verstärkt in den Medien zu diskutieren. „Das halte ich für einen positiven Schritt, der weg von einer neuen Art von ‚Überwachungskapitalismus‘ in Richtung einer aufgeklärten und offenen Gesellschaft gehen kann. Was ich mir sicher nicht wünsche, ist eine weitere Zunahme digitaler Kontrolle und Überwachung, welche über die Hintertür ‚Corona‘ eingeführt werden kann“, so der Wirtschaftsinformatiker.

Ein resilientes System

Die Wirtschaftspädagogin Prof. Annette Ostendorf beschäftigt sich mit der Berufsbildung in Österreich. Das System hat nun einige Folgen der Krise abzufedern, sei dafür aber grundsätzlich gut gerüstet, sagt sie.

Eine durch die Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise erfasst auch die Berufsbildung: Jene an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen genauso wie die Lehrlingsausbildung und die berufsbezogene Weiterbildung. Prof. Annette Ostendorf leitet das Institut für Organisation und Lernen und befasst sich in ihrer Forschung seit langem mit dem breiten Feld beruflicher Kompetenzentwicklung. „Probleme sind im Hinblick auf den Lehrstellenmarkt zu erwarten, in Tirol insbesondere auch für den Tourismussektor. Außerdem bedarf es kurzfristig hoher Anstrengungen, um Brüche in Lehrverhältnissen oder Probleme beim Antritt von bereits fixierten Lehrstellen aufzufangen. Dafür gibt es aber in Österreich gute Instrumente und unterstützende institutionelle Rahmenbedingungen etwa durch die Kammern. Ziel der Politik muss aber sein, für die junge Generation trotz möglicher Verwerfungen in einer Rezession den Eintritt in die Berufs- und Arbeitswelt zu ermöglichen“, erklärt sie.

Herausforderungen

Gerade im jetzt kommenden Sommer entstehen auch kurzfristigere Probleme, was zum Beispiel Pflichtpraktika für Schülerinnen und Schüler betrifft: „Neben der Online-Lehre und der Schulorganisation ist auch die Durchführung von Betriebspraktika in Corona-Zeiten herausfordernd. Die Schülerinnen und Schüler der berufsbildenden Schulen könnten – gerade auch im Tourismus, aber auch in allen anderen Bereichen – Schwierigkeiten haben, in diesem Sommer geeignete Praktikumsstellen zu finden. Hier sind diejenigen Betriebe, die in von der Krise nicht so stark betroffenen Branchen tätig sind, aufgefordert, höhere Kapazitäten zu schaffen.“ Im Hinblick auf die Beschäftigten insgesamt sieht die Bildungsforscherin auch Potenzial, durch geeignete Angebote die Arbeitsmarktkrise zu entschärfen, das brauche allerdings auch Zeit: „Die Weiterbildungs- und Umschulungskapazitäten sind in der Krise und mittelfristig zu stärken. Viel mehr Personen sind jetzt darauf angewiesen, sich eine andere berufliche Perspektive zu erarbeiten.“

Trotz aller Probleme sei das berufsbildende System in Österreich allerdings sehr robust. „Berufsbildung in dualer und vollzeitschulischer Form wird in Österreich auch von einem Zusammenspiel robuster Institutionen getragen, den Schulen, Kammern, Weiterbildungsinstituten. Dies hilft auch über massive externe Schocks wie die Corona-Pandemie hinweg, das System an sich ist sehr resilient“, erklärt Annette Ostendorf. „Aber gerade deshalb ist sehr genau auf seine nachhaltige institutionelle und gesellschaftliche Verankerung und seine innere Systemlogik zu achten. Die Coronakrise wird nicht die letzte bleiben. Gerade im Hinblick auf die Digitalisierung und die nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens sind auch stets Berufsbildungsfragen mit zu diskutieren. Wir sollten mehr Wissen darüber generieren, wie Berufsbildungssysteme in ihrer Widerstandsfähigkeit gestärkt werden können.“

Perspektiven

Wie Bildungsinstitutionen ganz allgemein, betrifft die plötzliche Umstellung auf Distance-learning-Formate auch den beruflichen Bildungsbereich massiv. „Dieser Bereich muss auch in Zukunft stärker forciert werden, das ist klar. Und das betrifft die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, selbst auf diesem Weg zu lernen, genauso wie die mediendidaktische Ausbildung der Lehrenden. Beides sollte auch nach der Krise gestärkt werden.“ Außerdem müsse darauf geachtet werden, dass insbesondere die Lehrlingsausbildung breit aufgestellt wird. „Nur so kann man unterschiedliche berufliche Wege und flexible Anschlussmöglichkeiten fördern. In guten Zeiten wird das manchmal zu wenig beachtet, etwa wenn es um allgemeinbildende Fächer in der Berufsschule oder die Bedeutung des Berufsschulunterrichts geht“, sagt die Forscherin. Grundsätzlich blickt Annette Ostendorf für ihren Bereich aber optimistisch in die Zukunft: „Die berufsbildenden Schulen, Unternehmen und Sozialpartner werden sicherlich alles versuchen, um den Nachwuchs an Fachkräften zu sichern und ihrem Berufsbildungsauftrag nachzukommen. Im Hinblick auf die Lehrlingsausbildung sollte der Korporatismus, das heißt das zielgerichtete und wertschätzende Zusammenspiel der unterschiedlichen Interessensvertretungen zum Wohle der Berufsbildung, gestärkt werden. Das fördert die Resilienz des Systems, dafür wäre jetzt eine gute Zeit.“

Annette Ostendorf

Annette Ostendorf forscht über Berufsbildung.

Tourismus optimieren

Mike Peters, Professor am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus, beschäftigt sich mit der Frage, wie der Tourismus nach der Corona-Krise neu oder umgestaltet werden kann und soll.

Viele schlechte Angewohnheiten sollten über Bord geworfen werden. Daher lautet eine zentrale Frage: Wie können wir den Tourismus nachhaltiger und im Sinne der sozialen Verantwortung optimieren? Mike Peters, Professor am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus, zeigt auf, dass Klein- und Mittelbetriebe in der Beherbergung und die Gastronomie schnelle Hilfe brauchen. „Aber wie kann diese Hilfe gekoppelt werden mit strategisch nachhaltigen Entwicklungskonzepten, etwa in Richtung mehr Regionalität und mehr unverwechselbare Urlaubserlebnisse made in Austria?“, fragt er. Die Preise werden steigen, vor allem durch das vermehrte Angebot von regionalen Produkten und die damit einhergehenden höheren Kosten.

„Aber hier müssen wir die Frage beantworten: Wie können wir unsere touristischen Angebote für unsere Gäste in Tirol mehr „in Wert“ setzen? Und wie bewegen wir die Einheimischen zum Urlaub in Österreich? Die Marketingkampagnen laufen schon, die Politik schwört die Österreicher*innen auf einen Urlaub in Österreich ein – dies sind Rettungsmaßnahmen.“

Mike Peters

Die Corona-Krise ruft die Menschen zu engem Zusammenhalt auf – und das zeigt sich auch in der Wirtschaft. „Im Tourismus müssen wir uns regional und in der Destination helfen. Wie können wir regionale Kooperationen festigen und mit Ressourcen wie Mitarbeiter*innen, Kapital oder Ökologie wertschätzender umgehen und uns zudem auf zukünftige Krisen einstellen?“, so der Experte für Tourismus weiter. Resilienz ist gefragt, um in Zukunft besser gewappnet zu sein. Das gilt vor allem für Politik und Wirtschaft, wie Peters verdeutlicht: „Im Tourismus haben wir in der Vergangenheit viel gelernt, wenn es um Naturkatastrophen­management geht. Aber wir brauchen verstärkt Widerstandsfähigkeit und hier frage ich mich: Wie können wir schon jetzt Widerstandsfähigkeit zur Bewältigung zukünftiger Krisen entwickeln?“

Verlust und Chance

Die negativen Auswirkungen sind offensichtlich. Die Hälfte der Nächtigungen könnten in Österreich einbrechen, viele, vor allem bereits verschuldete, Betriebe werden die Krise nicht überstehen. Ein wahrscheinlich kurzfristiger, aber kostspieliger Imageschaden ist vor allem für den Wintertourismus entstanden.

„Die positiven Auswirkungen werden von meiner Hoffnung begleitet, dass man aus Fehlern der Vergangenheit lernt.“

Mike Peters

Strategische Neuausrichtungen, Neuproduktentwicklungen oder „Back to the roots“ werden als Schlagworte diskutiert. Solidarität, der Blick zum Nachbarn als Produzent und Lieferant, eine regionale Verdichtung und die Nachfrage nach regionalen Produkten werden in Österreich zunehmen, nicht nur im Tourismus. „Positive Umwelteffekte werden aber, so befürchte ich, nicht langfristig sein“, verdeutlicht der Experte.

„Die Erkenntnis ist wohl: Wir brauchen nicht alles!“

Mike Peters

In Zeiten Coronas werden zwar manche Produkte (WLAN, Office-Headsets, etc.) unentbehrlich, aber wir lernen, uns auf das Wesentliche zu besinnen, meint der Tourismusforscher. Shoppen um des Shopping-Erlebnisses willens ist nicht möglich – und viele werden dies nicht vermissen. „Viele werden weniger Reisen pro Jahr antreten, aber diese intensiver nutzen und im Falle auch mehr dafür ausgeben. Und andere nutzen dazu nachhaltigere Transportmittel, weil der Urlaub nicht in Übersee, sondern in der Region bzw. in Österreich stattfindet.“

Mike Peters

Prof. Mike Peters.

Längst in der Krise

Die Pandemie macht bestehende Missstände und Problemfelder der (globalen) Ernährungssituation noch deutlicher.

Die zurückliegenden Wochen mit ihren Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen und geschlossenen Gastronomiebetrieben haben die Ernährungsgewohnheiten der Menschen in die eigenen vier Wände versetzt und vielerorts zwangsläufig verändert. „Selbst kochen!“ hieß die Devise. Viele Menschen versuchten sich als Bäckerinnen und Bäcker. Neue Rezepte wurden getauscht und ausprobiert. Viele setzten sich möglicherweise auch intensiver mit den Zutaten für ihre Gerichte auseinander. Woher kommen die Produkte? Wie sieht es mit der Warenverfügbarkeit in dieser Pandemiesituation aus? Welche Produktionsweise möchte ich mit meiner Kaufentscheidung unterstützen? Oder beziehe ich meine Lebensmittel vielleicht direkt vom Bauern in der Nähe? Jutta Kister von der Arbeitsgruppe für Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsforschung am Institut für Geographie hat diese Vorgänge genau beobachtet. Die Humangeographin befasst sich seit Jahren mit dem Ernährungssystem auf globaler und regionaler Ebene und analysiert Wertschöpfungsketten auf ihre Nachhaltigkeit. „Zwei Dinge konnten meiner Meinung nach in den letzten Wochen beobachtet werden: Der Lebensmittelhandel, der auf einem etablierten, sehr dominanten und vorwiegend agroindustriellen Agrarsystem beruht, wurde mit der Versorgungssicherung der Menschen betraut. Gleichzeitig sind aber viele andere Initiativen innerhalb kürzester Zeit entweder intensiviert oder gar neu etabliert worden: Abonnierbare Bauern- und Biokisten konnten die Nachfrage kaum mehr decken, geschlossene Hotels nutzten Foodsharing-Plattformen, um die überschüssigen Lebensmittel nicht verkommen zu lassen. Digitale Portale für den lokalen Lebensmittelbezug wurden programmiert“, sagt Kister.

Jutta Kister

Jutta Kister, PhD, arbeitet als Post-Doc am Institut für Geographie der Universität Innsbruck. Sie forscht zu wirtschaftsgeographischen Themen mit Fokus auf Nachhaltige Entwicklung. (Foto: Felix Malte Dorn)

Multiple Krise

Viele dieser Entwicklungen werden sich bei der schrittweisen Rückkehr in den Normalbetrieb genauso schrittweise auch wieder verlieren, auch wenn möglicherweise eine gewisse Horizonterweiterung und Sensibilisierung stattgefunden hat. Aber auch wenn hier durchaus positive, nachhaltige Tendenzen zu beobachten waren: In einer multiplen Krise sieht Jutta Kister das Ernährungssystem schon längst: „Die agro-industrielle Produktionsweise setzt sich in der Lebensmittelproduktion seit den 80er Jahren weltweit durch. Sie ist wachstumsorientiert und mit hohem Verbrauch fossiler und natürlicher Ressourcen wie Boden und Wasser verbunden. Mit hohem Technologie- und Finanz-Einsatz verspricht sie hohe Gewinne, aber nur sehr wenige profitieren auch tatsächlich davon. Die Devise lautet ‚Wachsen oder Weichen‘ und zwingt viele Betriebe zur Aufgabe. Wertschöpfungsketten sind zunehmend global arbeitsteilig organisiert, das spüren wir jetzt durch die Unterbrechung. Gleichzeitig gerät das Agrarsystem zunehmend unter Rechtfertigungsdruck aufgrund der Kollateralschäden für die Natur und den wachsenden sozialen Ungleichheiten. Die Biodiversität nimmt ab, klimawandelbedingte Extremereignisse nehmen zu“, sagt die Wissenschaftlerin und gibt zu bedenken: „Das war auch vor der Corona-Krise schon so und wird langfristig Bestand haben.“

Österreich bzw. Tirol sind in einer vergleichsweise sehr privilegierten Position, dennoch macht die Corona-Krise Missstände, Brüche und Problemfelder nun umso deutlicher, wie Jutta Kister erklärt: „Aus agrarökonomischer Sicht ist Tirol ein ‚Ungunstraum‘, weil großflächige, technikbasierte Agrarindustrie nicht umsetzbar ist. Derzeit verspricht eine Tätigkeit im Tourismus einen höheren Lebensstandard als in der Landwirtschaft. Die Anzahl an den besonderen Naturraum angepasster Berglandwirtschaftsbetriebe nimmt stetig ab. Und Ernährungssicherheit besteht in Tirol derzeit nur bei Milch, denn die steilen höheren Agrarflächen sind nur als Weideland und nicht für den Ackerbau nutzbar. Zur Ernährung der Menschen können diese nur über den Umweg über Nutztiere wie Kuh, Schaf und Ziege beitragen. Der bewusste Konsum dieser Tierprodukte könnte daher zum Erhalt der Biodiversität und somit zu Tirols Ernährungssouveränität beitragen. Die tatsächlichen Folgen für die Ernährungssituation im Allgemeinen und für einzelne Regionen aufgrund der Corona-Krise sind im Moment noch nicht klar absehbar.“ Die potenziell größten Problemfelder sieht Jutta Kister im Fehlen von Arbeitskräften in der Landwirtschaft, in den wirtschaftlichen Folgen der stark verminderten Nachfrage und in der möglichen Unterbrechung von Lieferketten.

„Ziel muss es doch sein, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Ein ausbeuterisches Ernährungssystem führt immer zu Verlusten an Natur und an sozialer Gerechtigkeit.“

Jutta Kister


Wie könnten alternative Wege aussehen? Was könnten wir aus der Ausnahmesituation lernen? „Meine Forschung beschäftigt sich natürlich auch mit der Analyse alternativer Ernährungssysteme, die bereits in Nischen bestehen und in der Krise die Vorlagen für Lösungsstrategien darstellen könnten. Die alternativen Organisationsformen sind häufig kleinräumig strukturiert und lokal angepasst. Statt auf gewinnmaximierende Ausbeutung von Natur setzen sie auf Kreislaufwirtschaft und Gemeinwohlorientierung. Ab-Hof-Verkauf, Kisten-Systeme und solidarische Landwirtschaften, die über direkte KonsumentInnennetzwerke verfügen, sind stabiler, anpassungsfähiger und in der Lage, flexibel auf die Einschränkungen zu reagieren, wie sich in den letzten Wochen deutlich gezeigt hat.“ Kister plädiert dafür, spätestens diese große Krise daher zum Anlass zu nehmen, um über die eigenen Einkaufsstrategien nachzudenken. „Die Frage sollte meiner Meinung nach lauten: Was brauche ich wirklich zum Leben und was ist es mir wert? Ziel muss es doch sein, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Ein ausbeuterisches Ernährungssystem führt immer zu Verlusten an Natur und an sozialer Gerechtigkeit.“

Regionalisierung: Mythos und Realität

Durch Re-Regionalisierung soll Österreich künftig krisensicher werden. Agrar- und Regionalsoziologe Markus Schermer spricht über Möglichkeiten und Grenzen.

Schild mit der Aufschrift "Ab Hof Verkauf"

Die Corona-Krise hat vielen den Weg zu regionalen Erzeugnissen gewiesen.

Nach der Krise kommt die Regionalisierung. Das findet auch die österreichische Bundesregierung. Man wolle regionale Produkte begünstigen, ließen Kanzler und Vizekanzler Ende April vor Medien verlauten. Aber was könnte Regionalisierung konkret für ländliche Räume und Landwirtschaft bedeuten und wo liegen ihre Grenzen? Gemeinsam mit dem Agrar- und Regionalsoziologen Markus Schermer werfen wir einen Blick hinter die Fassade eines Schlagwortes.

Landwirtschaftliche Produkte aus der Umgebung waren und sind derzeit in jeder Hinsicht in aller Munde, Direktvermarktungs­schienen wie Bauernmärkte, die Bauernkiste, aber auch Regiomaten beliebter als je zuvor. Der heimischen Landwirtschaft wurde von der Politik plötzlich eine wichtige Rolle in der Lebensmittelversorgung zugeschrieben, obwohl Lebensmitteltransporte von den Mobilitätsbeschränkungen nie betroffen waren. „Für die Bäuerinnen und Bauern war und ist das natürlich sehr positiv. Teilweise wurde sogar der Ausfall der Gastronomie durch die erhöhte Nachfrage von Endverbraucher*innen kompensiert“, sagt Markus Schermer. Die Krise hat unmittelbar gezeigt, dass eine Globalisierung der Grundversorgung problematisch ist und gleichzeitig dazu beigetragen, dass regional erzeugte Produkte sowie die Arbeit von Landwirtinnen und Landwirten mehr wertgeschätzt werden. „Aber“, wendet Schermer ein, „Wertschätzung – das zeigt sich auch bei der Entlohnung der Krankenpflegerinnen und -pfleger – geht nicht unmittelbar in Wertschöpfung über.“ So geben die Österreicher*innen im Europavergleich prozentuell einen sehr geringen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Ob sich das durch die Corona-Krise ändert, bleibt fraglich.

Markus Schermer

„Wir machen jetzt natürlich wichtige neue Erfahrungen mit Regionalität und regionalen Produkten. Es lässt sich bestimmt einiges über die Krise hinaus mitnehmen.“

Markus Schermer

„Auch wenn es in irgendeiner Weise sicher zu einer Re-Regionalisierung kommt, stößt diese in der Landwirtschaft auf jeden Fall bald an ihre Grenzen“, formuliert Schermer es sehr explizit. Heimisches Obst und Gemüse – auch das machte die Krise offensichtlich – kann zwar in der Region wachsen, aber ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht geerntet werden. „Und natürlich kann man sich fragen, wie regional ein tierisches Produkt ist, wenn das Futter aus dem Ausland kommt“, ergänzt Schermer nachdenklich. Zu kompliziert und zu vernetzt ist – wie es auch die Geographin Jutta Kister beschrieben hat – derzeit der globale Markt. Das rein regionale Produkt bleibt also mit sehr wenigen Ausnahmen ein Mythos. „Aber wir machen jetzt natürlich wichtige neue Erfahrungen mit Regionalität und regionalen Produkten, der Kreis der Konsument*innen hat sich erweitert. Es lässt sich bestimmt einiges über die Krise hinaus mitnehmen“, ist er überzeugt.  So lohnt es sich seiner Meinung nach, gerade in Hinblick auf die Landwirtschaft die Beziehung zwischen Bauern und Konsument*innen weiter zu verstärken und die landwirtschaftliche Produktion wieder mehr in die Gesellschaft einzubetten. Mögliche neue Kooperationen und Initiativen sollen und müssen Teil des Nachdenkprozesses auf regionaler Ebene sein.

„Wenn wir über die Grundbedürfnisdeckung auf regionaler Ebene sprechen, dann brauchen wir auf jeden Fall ein funktionierendes Netzwerk an verschiedenen, kleinräumig strukturierten Unternehmen und Handwerksbetrieben.“

Markus Schermer

An eine Re-Agrarisierung glaubt Markus Schermer als Agrar- und Regionalsoziologe aber dennoch nicht. Die Landwirtschaft sieht er nämlich nur als zahlenmäßig kleinen (wenn auch sehr wichtigen) Baustein, wenn es darum geht, einen krisensicheren ländlichen Raum zu gestalten. „Wenn wir über die Grundbedürfnisdeckung auf regionaler Ebene sprechen, dann brauchen wir auf jeden Fall ein funktionierendes Netzwerk an verschiedenen, kleinräumig strukturierten Verarbeitungsunternehmen und Handwerksbetrieben“, so Schermer. Ein solches (wieder)aufzubauen und zu fördern, sollte unbedingt Teil der Restrukturierungsmaßnahmen sein, die die Corona-Krise notwendig gemacht hat. Bei der Vergabe staatlicher Hilfen und Förderungen sollte darauf ein Augenmerk gelegt werden, aber auch das Thema Nachhaltigkeit dürfe nicht vergessen werden. „Die strukturellen Maßnahmen, die jetzt gesetzt werden, sind auch eine Chance, dem Klimawandel entgegen zu treten.“ 

Reserven-Bildung fördern

Eines der wichtigsten Themen, wenn es um die Entwicklung eines resilienten ländlichen Raums geht, ist aber der Tourismus. „Wir müssen auf jeden Fall berücksichtigen, dass nahezu alle Lieferketten hier mit dem Tourismus zusammenhängen“, verdeutlicht Schermer. Eine Zukunftsvision für den ländlichen Raum muss also ganzheitlich entworfen werden. In diesem Zusammenhang weist Markus Schermer noch auf einen anderen Aspekt hin, der das gesamte Wirtschaftssystem betrifft: Es müssen wieder Anreize geschaffen werden, finanzielle Puffer zu bilden. „Wir haben gesehen, dass die Wirtschaft, allen voran der Tourismus keine Reserven hat: Zwei Wochen Einnahmenausfall und laufende Kosten können nicht gedeckt werden“, sagt Schermer eindringlich.  „Dazu brauchen wir ein Post-Wachstumsszenario“, meint er anschließend. „Das werden wir auf regionaler Ebene auf jeden Fall zum Thema machen.“

Logo der Universität Innsbruck

© News-Redaktion der Universität Innsbruck 2020

Mit Beiträgen von: Melanie Bartos, Eva Fessler, Udo Haefeker, Stefan Hohenwarter, Lisa Marchl, Daniela Pümpel

Fotocredit, wenn nicht anders angegeben: Universität Innsbruck

Nach oben scrollen