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Scharer Matthias: Auch in der Wissenschaft geht es nicht ohne die anderen
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Auch in der Wissenschaft geht es nicht ohne die anderen
(Rede des Studiendekans anlässlich der Promotion/Sponsion am 23.02.2002)

Autor:Scharer Matthias
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-02-22

Inhalt

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Die Ausgliederung der Medizinischen Fakultäten und die Errichtung eigener Universitäten für Medizin sind in aller Munde. Die bewährte Zusammenarbeit der sieben Fakultäten an der Universität Innsbruck soll zerschlagen werden: Dem Motto „Es geht auch ohne die anderen" will ich aus dem Blick der Theologischen Fakultät die These entgegsetzen: Nicht nur im alltäglichen Leben und Zusammenleben, auch in der Wissenschaft geht es nicht ohne den anderen. Warum? Auf diese Frage gibt es verschiedenste Antworten. Zunächst eine auf die unmittelbare Debatte bezogene, welche die bewährte Zusammenarbeit von Medizin und Theologie betrifft:

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1.Es gibt eine produktive Zusammenarbeit zwischen der Medizinischen und der Theologischen Fakultät - speziell in Innsbruck

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Diese Zusammenarbeit zeigt sich bei der heutigen Feier zumindest in zwei Diplomarbeiten: Michael Willam schreibt seine Diplomarbeit bei Prof. Leher über „Die ethischen Probleme mit der Legitimation der verbrauchenden Embryonenforschung". Die Arbeit kommt zu einer philosophisch und theologisch ‚gut begründeten' Ablehnung der verbrauchenden Embryonenforschung. Der Kandidat klärt die biologischen Grundbegriffe der Stammzelle und des Klonens auf dem Stand der aktuellen Forschung und stellt sich der entsprechenden ethischen Argumenation in relevanten internationalen Organisationen, wie der Bioethikkommission der UNESCO oder der Eropäischen Union. Mit dem Betreuer der Diplomarbeit, Prof. Leher, ist eine weitere Verbindung zwischen den beiden Fakultäten gegeben. Unser künftiger Moraltheologe ist auch Arzt und betreut gemeinsam mit Kollegen am Institut für Christliche Philosophie das Fach der Medizinischen Ethik an der Medizinischen Fakultät.

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Auch die Arbeit von Michael Ngmentero Doggu bei Prof. Rotter schlägt eine Brücke zwischen Moraltheologie und Medizin: „TheQuest for Salvation und Health. A Holistic, Theological Investigation into Medico-Moral and Ethical Problems vis-a-vis Alcohol, Drug Crime/Abuse. Proposals for Therapy." Ausgehend von den Grundbegriffen 'Heil und Gesundheit' stellt sich der Autor der Frage der Verantwortlichkeit und der konkreten ethischen Bewertung therapeutischer Situationen.

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2.Das philosophisch-theologische Interesse am Anderen

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Hier kann auf die langjährige Zusammenarbeit im Arbeitskreis Wissenschaft und Verantwortlichkeit hingewiesen werden, an der Theologen wesentlich beteiligt sind. Hier kann man auch auf die Initiative des Fakultätskollegiums der Innsbrucker Theologischen Fakultät verweisen, eine ‚gemeinsame Stellungnahme der österreichischen katholisch-theologischen Fakultäten zur Stammzellforschung' zustande zu bringen. Die Theologen sind dabei nicht die Besserwisser, doch sie können und dürfen um des Menschen und seiner Zukunft willen nicht schweigen, wenn entscheidende ethische Fragen, Fragen der Orientierung und des Lebenssinnes zur Debatte stehen.

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Nach einer dramatischen Geschichte von Verurteilungen, Abwertungen und Abgrenzungen hat die Katholische Kirche und mit ihr die Theologie zu einer neuen Verhältnisbestimmung von Wissenschaft und Glaube gefunden. Als klassischer Text für das Verhältnis von autonomer Erforschung und Gottesglauben kann Artikel 36 der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils gelten:

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„Wenn wir unter Autonomie der irdischen Dinge verstehen, daß die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften über eigene Gesetze und Werte verfügen, die vom Menschen schrittweise zu erkennen, zu gebrauchen und zu gestalten sind, dann ist es durchaus berechtigt, diese (Autonomie) zu fordern: dies wird nicht nur von den Menschen unserer Zeit gefordert, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Aufgrund ihres Geschaffenseins selbst nämlich werden alle Dinge mit einer eigenen Beständigkeit, Wahrheit, Gutheit sowie mit eigenen Gesetzen und (eigenen) Ordnungen ausgestattet, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methoden achten muß. Deshalb wird die methodische Forschung in allen Disziplinen, wenn sie in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, niemals dem Glauben wahrhaft widerstreiten, weil die profanen Dinge und die Dinge des Glaubens sich von demselben Gott herleiten... Ja wer bescheiden und ausdauernd die Geheimnisse der Dinge zu erforschen versucht, wird, auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist, gleichsam an der Hand Gottes geführt, der alle Dinge trägt und macht, daß sie das sind, was sie sind. Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen zu bedauern, die einst selbst unter Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft vorkamen und durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und Auseinandersetzungen in der Mentalität vieler die Überzeugung schufen, daß Glauben und Wissenschaft einander entgegengesetzt seien." (Denzinger 371991, Nr. 4336)

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Dieser Text zeigt auch der Theologie ihren Weg, wenn sie sich in so brisante Gebiete wagt, wie sie die Diplomarbeit von Oscar Thomas-Olalde bei Prof. Palaver behandelt: „Kampf der Kulturen oder Welthomogenisierung? Globalisierung, Gewalt und Kultur: Eine paradigmatische Analyse der Thesen Samuel P. Huntingtons und Francis Fukuyamas aus der Sicht der mimetischen Theorie." Es geht in dieser Arbeit um eine vergleichende Analyse zweier philosophisch-politischer Thesen zur Globalisierung aus der Sicht mimetischer Theorie.

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Christlicher Philosophie und Theologie geht es zental um Sinn- und Orientierungsfragen. Diesen Bereichen lassen sich die beiden Diplomarbeiten am Institut für Christliche Phiolosophie zuordnen; beide wurden von Prof. Battisti begleitet:

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Catharine Mumelter greift das Problem der Theodizee auf; jene Grundfrage der Menschheit, warum ein allmächtiger, allgütiger und allwissender Gott so viel Leid in der Welt zulassen kann. In der Fülle der Abhandlungen, die über dieses Thema geschrieben wurden, tauchen immer wieder die Namen Dostojewskij und Camus auf. Der Autorin gelingt ein kritischer Vergleich. Mag. Roman Karl Ferdinand Steiner beschäftigt sich ebenfalls mit einem wichtigen und durchaus umstrittenen Begriff, dem des Mitleids. Mit dem Vergleich des Mitleids bei Schopenhauer und Nietzsche wagt sich der Autor in die geistesgeschichtliche Kontroverse um das Mitleid.

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Das existentielle Ringen von Menschen schlägt sich in besonderer Weise in den biblischen Texten nieder. Dominik Markl behandelt den sehr schwierigen prophetischen Gebetstext in Habakuk 3 in exegetisch exzellenter Weise, sodass der Begleiter, Prof. Fischer, zur Veröffentlichung der Diplomarbeit rät.

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Wissenschaftliche Arbeit kann sehr konkret werden und unmittelbar am Menschen geschehen. Das zeigt die Diplomarbeit von Christine Amann, die an meiner Abteilung geschrieben wurde. Das vorrangige Interesse der Autorin gilt der Frage, wie sich Glauben im Laufe eines Lebens darstellt und entwickelt, wie besonders Brüche und Krisen erlebt und bearbeitet werden und welche Folgen sie für die religiöse Entwicklung haben können. Dem geht die Autorin in einer Fallstudie nach.

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Eine Diplomarbeit kann auch in der Reflexion der eigenen theologischen Praxis eine entscheidende Rolle spielen: Nach vierundzwanzig Jahren Pastoralarbeit nimmt sich Simon Fortuna einen Bildungsurlaub und verfasst eine Diplomarbeit mit dem Thema „Leben aus dem Geist im Lichte der Werke von Raniero Cantalamessa". Wer ist Cantalamessa? Er arbeitet als anerkannter Professor für die Geschichte der altchristlichen Literatur an der Universität Mailand und gibt seine Laufbahn auf, um sich der Erneuerung der Kirche zu widmen. Herr Fortuna sieht in dieser theologischen Gestalt eine Möglichkeit, ein Stück seines eigenen theologischen Weges, der ihn vom Grundstudium an der Theologischen Fakultät Innsbruck nach Slowenien führte, zu bearbeiten. Die Arbeit wurde von Prof. Niewiadomski begleitet.

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3.Gott in allen Dingen?

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Für meine Eingangsthese, dass es auch in der Wissenschaft nicht ohne die anderen gehe, stellt die Dissertation von Mag. Cephas Mgimwa aus Tanzania ein abschließendes Beispiel dar. In seiner Forschung zur „Sakramentale[n] Heilserfahrung im schwarzafrikanischen Kontext" bezieht sich der Kandidat speziell auf die Wiederentdeckung der Heilsbedeutung der Symbole in der schwarzafrikanischen Weltanschauung und in der Findung christlicher Identität.

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Die Wiederentdeckung des Symbolischen gibt mir die Gelegenheit, Sie noch einen Moment in den Dekanatssitzungssaal unserer Fakultät zu entführen. Mit dem Blick auf ein Deckenfresko in diesem Raum will ich meine Ausführungen schließen:

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An den vier Ecken des Freskos sind die Naturwissenschaften, die Medizin, die Rechtswissenschaften und die Theologie dargestellt; sie sind auf das „Buch der Natur" (mit sieben Siegeln) und auf das Lamm, das die Auferstehung und Wiederkunft Christi symbolisiert, ausgerichtet. Von der Schöpfung Gottes und von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus her und auf ihn hin kommen die Wissenschaften zu ihrem Wissen. So gesehen tragen alle Wissenschaften mit den ihren Forschungsgegenständen je angemessenen Verfahren - und nicht nur die Theologie - zu theologisch relevanten Einsichten bei. Es geht nicht ohne die anderen, auch nicht in den Wissenschaften.

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Dass Sie die wissenschaftliche Neugier auf Fremdes und Anderes auch nach Ihrem Studium begleiten möge, das wünsche ich ihnen sehr herzlich. Ihren Eltern, PartnerInnen, FreundInnen, Verwandten und wer immer Sie heute begleitet, danke ich dafür, dass sie Ihnen Mut gegeben haben, sich in das Andere und Fremde zu wagen, ohne das es keinen wissenschaftlichen Fortschritt gibt.

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