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Blog: Wie politisch ist der Eurovision Song Contest? – Universität Innsbruck
Schriftzug Eurovision Song Contest

Blog: Wie poli­tisch ist der Euro­vi­sion Song Con­test?

26.05.2025: Kaum eine Frage begleitet den Eurovision Song Contest (ESC) so zuverlässig wie jene im Titel – und sorgt Jahr für Jahr für neue Debatten. Zwar versteht sich der ESC laut Regelwerk der European Broadcasting Union (EBU) als unpolitisches Event, doch in der Realität sieht das oft anders aus. Was als Unterhaltungsshow gedacht ist, wird immer wieder zur Bühne politischer Spannungen. Unter der glitzernden Oberfläche brodelt es: Flaggen-Debatten, Proteste im Publikum, Statements von Politiker:innen – der ESC ist längst mehr als ein Gesangswettbewerb. Er ist Bühne, Spiegel – und nicht selten auch Brennglas – für das, was Europa bewegt.

Von Magdalena Posch

 

Was 1956 in Lugano als technisches Experiment für grenzüberschreitendes Live-Fernsehen begann, hat sich über die Jahrzehnte zu einem Symbol für ein vielfältiges und vereintes Europa entwickelt. Das seit 2023 verwendete Motto „United by Music“ erinnert nicht zufällig an das europäische Leitbild der Einheit in Vielfalt. Ursprünglich als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gedacht, sollte es nur ein Jahr bestehen bleiben. Doch das durchwegs positive Echo führte dazu, dass das Motto dauerhaft übernommen wurde – als programmatisches Statement für den ESC als verbindendes, grenzüberschreitendes Kulturereignis.

Wer darf eigentlich alles beim ESC mitmachen?

Der ESC ist ein Projekt der EBU, einem Netzwerk öffentlich-rechtlicher Sender aus der Europäischen Rundfunkzone – einem Gebiet, das ganz Europa, den Mittelmeerraum sowie Teile Nordafrikas und des Nahen Ostens umfasst. Wichtig ist: Nicht Länder sind EBU-Mitglieder, sondern ihre jeweiligen Rundfunkanstalten – etwa die ARD (NDR) in Deutschland, der ORF in Österreich oder die RAI in Italien. Ein interessanter Sonderfall ist Liechtenstein: Geografisch teilnahmeberechtigt, scheitert das Land an einer formalen Hürde – es fehlt eine nationale Rundfunkanstalt, die EBU-Mitglied sein könnte.

Rundfunkanstalten außerhalb der Europäischen Rundfunkzone – wie der australische Sender SBS – sind nur assoziierte Mitglieder der EBU. Australien wurde 2015 anlässlich des 60. ESC in Wien ursprünglich als einmaliger Gast eingeladen. Inzwischen ist Australien ein fester Bestandteil des Wettbewerbs. Und so heißt es jedes Jahr aufs Neue: „Good night Europe. Good morning Australia.“ Bleibt nur noch die Frage: Wer wird wohl zur 70. Ausgabe in Österreich eingeladen?

Während Australien seinen festen Platz im ESC feiert, entstehen andernorts Alternativen: Ehemalige Teilnehmer wie Russland und Ungarn arbeiten an einer Gegenveranstaltung – dem sogenannten Intervision Song Contest, der voraussichtlich im Herbst erstmals stattfinden soll, unter anderem mit Beteiligung von China und Indien.

Welche Songs sorgten für Schlagzeilen?

Selten wurde so intensiv über die politische Dimension eines ESC-Beitrags gestritten wie bei „1944“ von Jamala, der ukrainischen Siegerin des Jahres 2016. Der Song thematisiert die Zwangsumsiedlung der Krimtataren während des Zweiten Weltkriegs. Jamala selbst betonte, es gehe ihr nicht um ein politisches Statement, sondern um ihre Familiengeschichte: Ihre Urgroßmutter wurde 1944 mit fünf Kindern von der Krim nach Zentralasien deportiert. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gewann 2022 erneut ein ukrainischer Beitrag den ESC: Kalush Orchestra. Mit dem Beitrag „Stefania“ überzeugte die Band nicht nur künstlerisch, sondern auch emotional – und holte mit 439 Punkten aus dem Televoting einen Rekordwert.

Pro Palästina-Demonstrationszug vor dem ESC 2025 in Basel

Abbildung 1: Wie politisch ist der Euvision Song Contest? Im Bild eine propalästinensische Demonstraton am Rande der Veranstaltung.

Eine der meistdiskutierten Teilnehmer:innen der letzten Jahre war Eden Golan, Israels Vertreterin beim ESC 2024 in Malmö. Ihr ursprünglicher Song „October Rain“ bezog sich auf das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023, wurde jedoch von der EBU als zu politisch abgelehnt. Der Beitrag wurde überarbeitet, in „Hurricane“ umbenannt und inhaltlich entschärft – die emotionale Botschaft blieb erhalten. Auch 2025 setzte Israel ein deutliches Zeichen und schickte mit Yuval Raphael eine Überlebende des Angriffs. Die Teilnahme blieb umstritten und löste erneut politische Spannungen aus.

„Wir“ haben den ESC gewonnen!

Österreich (vertreten durch den ORF) hat 2025 zum dritten Mal den ESC gewonnen. Nach Udo Jürgens' Sieg 1966 mit „Merci, Chérie“ und Conchita Wursts Triumph 2014 mit „Rise Like a Phoenix“ holte nun JJ mit „Wasted Love“ erneut den Titel. Der ESC-Erfolg war auch 2025 nicht nur ein musikalischer Erfolg für Österreich, sondern ein aufgeladenes Medienspektakel. Die rasche Reaktion der Bundesregierung – wie etwa der Empfang durch den Vizekanzler und eine Einladung ins Bundeskanzleramt – zeigt, wie stark der ESC inzwischen als Bühne für nationale Repräsentation genutzt wird. Während Bundeskanzler Stocker in seiner Instagram Story von einem „besonderen Beitrag […] für Österreich“ sprach, stellte FPÖ-Parteiobmann Kickl in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung den „Österreich-Bezug“ infrage und warf der Regierung vor, mangels echter Erfolge das Ereignis für eigene PR-Zwecke zu instrumentalisieren.

Aktuell dreht sich die politische Debatte vor allem um die Frage, welche Stadt den ESC 2026 austragen darf. Auffällig sind dabei die widersprüchlichen Signale aus der FPÖ: Während sich die Bundespartei klar gegen eine Austragung ausspricht – sie erwartet ein „queeres, links-wokes Eurovision-Spektakel“ – zeigen sich lokale FPÖ-Politiker deutlich offener. So etwa der Bürgermeister von Wels, der sich in der ZIB 2 für eine Austragung in seiner Stadt aussprach. Der ESC sei eine große Musikveranstaltung, bei der das beste Lied im Mittelpunkt stehe – nicht die Politik.

Auch im Innsbrucker Gemeinderat wird derzeit intensiv über eine Bewerbung als ESC-Gastgeberstadt diskutiert. Schon 2015 hatte sich Innsbruck beworben – verlor damals jedoch knapp gegen Wien. Vielleicht klappt es ja diesmal!

Fest steht: Auch die 70. Ausgabe des Eurovision Song Contest wird nicht frei von gesellschaftlichen Debatten sein – und das sollte sie auch nicht. Nutzen wir doch den ESC als Bühne, auf der politische Fragen sichtbar werden.

Über die Autorin

Magdalena Posch ist Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft und beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit Formen politischer und öffentlicher Deliberation. Zum Eurovision Song Contest kam sie 2015, als sie beim Wettbewerb in Wien fünf Delegationen betreute. Seitdem ist sie Mitglied des österreichischen Fanclubs OGAE Austria und reist regelmäßig zu den Austragungsorten – zuletzt 2025 nach Basel.

Zitieren

Posch, Magdalena (2025): Wie politisch ist der Eurovision Song Contest?, Powi Blog, Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck, https://www.uibk.ac.at/de/politikwissenschaft/kommunikation/powi-blog/posch-esc.


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