Zehn Jahre nach dem Tod des Innsbrucker Dogmatikprofessors Raymund Schwager SJ begann im Jahr 2014 im Verlag Herder die Publikation einer großangelegten Werkausgabe mit dem Titel „Raymund Schwager Gesammelte Schriften“ (RSGS). 2018 und damit nur vier Jahre später konnte die achtbändige Edition abgeschlossen werden, die die wichtigsten publizierten Schriften Schwagers kritisch erschließt und auch bislang unpubliziertes Material zugänglich macht. Grund genug, bei Józef Niewiadomski, dem Leiter des Herausgeberteams, genauer nachzufragen.
Mit der RSGS liegt nach längeren Vorarbeiten eine umfassende Werkausgabe von Raymund Schwager vor – neben den „Sämtlichen Werken“ von Karl Rahner die umfangreichste Werkausgabe eines Innsbrucker Theologen. Wie kam es dazu?
Ganz am Ursprung des Projektes lag wohl die Tatsache, dass ich gleich nach dem plötzlichen Tod von P. Schwager im Jahr 2004 als der damals amtierende Dekan das Projekt eines „Raymund-Schwager-Archivs“ verwirklichen wollte. Mithilfe von zwei jungen Studenten (Mathias Moosbrugger und Stefan Huber) und der Unterstützung des Jesuitenordens (P. Paul Oberholzer) wurde das Projekt innerhalb kürzester Zeit verwirklicht. Dann kam die Idee, den Briefwechsel zwischen Raymund Schwager und René Girard zu publizieren. Es dürfte Wolfgang Palaver gewesen sein, der die Idee ins Gespräch brachte. Inzwischen war Mathias Moosbrugger dabei, an seiner Dissertation über die Opferkontroverse zwischen Schwager und Girard zu arbeiten. In Gesprächen zwischen ihm und mir und dann bald auch mit Niki Wandinger (der der Geburtshelfer eines FWF-Projektes im Vorfeld der Werkausgabe war) ist dann die Idee gereift, nicht nur den Briefwechsel, sondern auch die wichtigsten (publizierten und nicht publizierten) Werke Schwagers in einer Neuausgabe herauszubringen. Einen „Riesenanteil“ an der Projektierung (und der harten Knochenarbeit) haben also andere Menschen gehabt. Ich würde die Reihenfolge so sehen: Mathias Moosbrugger, Niki Wandinger, Karin Peter, Simon de Keukelaere; nicht zu vergessen Frau Christine Eckmair aus Linz, die alle Bände sorgfältig lektoriert hat, und der Student Michael Kirchler. Freilich hätte die Ausgabe nicht in dieser Geschwindigkeit beendet werden können, wenn die Sache mit den Druckkosten nicht klar geregelt gewesen wäre. Der Schweizer Jesuitenprovinzial P. Christian Rutishauser hat mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen Zuschüsse vonseiten der Schweizer Provinz zugesagt und sein Wort auch gehalten (obwohl am Schluss die Zuschüsse größer sein mussten, als ursprünglich geplant). Dafür ist ihm das ganze Team dankbar!
Sie waren Schwagers erster Doktorand und Assistent und haben sich in Ihrem Leben als Theologe bewusst in den Dienst der Arbeit an seinem Modell der Dramatischen Theologie gestellt. Warum würden Sie heute jungen Theologinnen und Theologen raten, Raymund Schwager zu lesen?
Weil sein Zugang zur Dogmatik diese Disziplin vom permanenten (affirmativ oder kritisch gefassten) Um-sich-selbst-Kreisen im kirchlichen Binnenbereich und damit auch vom kirchlichen Narzissmus befreit. Das dramatische Instrumentarium erlaubt einen frischen Blick auf ausgeleierte Wege. Und dies sowohl im Kontext der Reflexion zentraler Fragen der systematischen Theologie als auch im Kontext des Nachdenkens über spirituelle Praktiken. Und nicht zuletzt kann man mit diesem Denken die homiletische Kunst perfektionieren. Ich bin ja begeisterter Prediger.
Schwager hat als akademischer Lehrer viele Studierende fasziniert; er war aber nie Teil des theologischen Mainstreams und hat etliche Kolleginnen und Kollegen mit seinen Thesen verstört – und tut es bis heute. Was könnte der Grund dafür sein?
Schwager ist im besten Sinn ein unmoderner Theologe, der dazu noch die schmerzlichste Wunde der modernen Reduktion des Religiösen (und damit auch des theologischen Denkens) anspricht: Weil die Religion (faktisch) auf Ethik reduziert wird und die Theologie sehr oft diese Reduktion legitimiert oder verschleiert, verdrängen wir die auf Schritt und Tritt greifbare Erfahrung, dass Ethik immer und immer wieder scheitert. Schwager sprach in diesem Zusammenhang sogar von der „Katastrophe der Ethik“. Die gängigen Rezepte für den Ausweg aus dem allgegenwärtigen Scheitern an der Ethik kennen wir alle: die Kultur des Skandals, der moralisierenden Empörung, der Jagd auf Sündenböcke. Weil diese Praktiken uns allen so selbstverständlich geworden sind wie die Luft, die wir atmen, nehmen wir nur ungerne das kritische Potenzial der expliziten Reflexion solcher Zusammenhänge wahr, wie sie von Schwager in immer neuen Anläufen unternommen worden ist.
Schwagers Dramatische Theologie wird an der Innsbrucker Fakultät auch weiterhin intensiv gepflegt. Wo liegen hier in Zukunft die wichtigsten Aufgaben?
Zuerst dort, wo auch die zentrale Aufgabe des Studiums in Zukunft liegen wird. Immer mehr Studierende haben kaum einen Zugang zum biblischen Narrativ, von der (dogmatischen) kirchlichen Tradition ganz zu schweigen. Deswegen geht vielen der Wert eines systematisierenden Blicks auf die unterschiedlichsten dramatischen Entwicklungen in der Kirche und in der Welt nicht auf. Bei der Forschung wird es wohl die Intensivierung der Auseinandersetzung mit der Kategorie des „Dialogs“ sein. Die momentan hoch im Kurs stehenden interreligiösen und interkulturellen Dialoge tabuisieren ja meistens die „dramatische“ Komponente der Begegnung, die auch Misserfolg und Scheitern umfasst.
Sie haben Schwager auch persönlich sehr gut gekannt. Wie ist er Ihnen neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit denn als Mensch in Erinnerung geblieben?
Ich bekam die Stelle als sein erster Assistent Ende der 1970er-Jahre auch deswegen, weil es nur einen Mitbewerber gab und Schwager die Stelle geteilt hat. Nach einem Jahr bekam ich die ganze Stelle, stand aber meinem Chef kritisch gegenüber. Er tolerierte meine kritischen „Ausfälle“ und auch die Tatsache, dass ich bei einem seiner Kollegen mit der Dissertation angefangen hatte. Erst die Erfahrung des Scheiterns mit diesem Projekt (etwa eineinhalb Jahre nach dem Beginn) und die Tatsache, dass ich (sehr langsam) seinen Zugang zur Theologie zu schätzen lernte, führte dazu, dass ich schließlich ihn als Begleiter wählte und damit auch das Thema der Dissertation änderte. Beim Rigorosum (bei dem etwa 25 Personen als Zuschauer anwesend waren) hat Schwager mich dann derart in die Mangel genommen, dass der zweite Prüfer (P. Walter Kern) mit der Bemerkung „Angesichts dessen, was P. Schwager hier veranstaltet hat, verzichte ich auf meinen Part!“ mir die Note „sehr gut“ gegeben hat – ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen. Schwager war also streng, in der Arbeit sehr diszipliniert, aber von einer tiefen Sympathie zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geprägt. Nachdem ich dann etliche Jahre später die Nachfolge des zweiten hiesigen Dogmatikprofessors P. George Vass antreten sollte, und damit – wenn auch unterbrochen durch eine fünfjährige Zeit in Linz – von der Position als Schwagers Assistent in die Position seines Kollegen wechseln sollte, führte er mit mir ein vierstündiges Gespräch, in dem alles, was irgendwie unausgesprochen zwischen uns lag, zur Sprache gebracht wurde. Ich war mit den Nerven am Ende. Heute bin ich um dieses Gespräch sehr froh. Wir konnten dann Kollegen werden – ohne rivalisierenden Beigeschmack. So gesehen war er für mich ein ausgezeichneter Lehrer und Kollege, aber auch so etwas wie ein „geistiger Vater“.
Interview: Mathias Moosbrugger
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