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Komprimieren kann kühlen – Universität Innsbruck
Rote Teilchen in blauen Blasen vor einem dunklen Hintergrund

Die Dimensionen eines Quantensystems haben einen Einfluss auf dessen Temperatur.

Kom­pri­mie­ren kann küh­len

Ein internationales Forschungsteam aus Innsbruck und Genf hat eine neue Methode zur Messung der Temperatur von niedrigdimensionalen Quantengasen entwickelt. Mit dieser Methode konnten die Forscher nun nachweisen, dass die Verdichtung eines Gases zu dessen Abkühlung führen kann. Die Ergebnisse zu diesem kontraintuitiven Phänomen wurden soeben in der renommierten Zeitschrift Science Advances veröffentlicht.

Die alltägliche Erfahrung lehrt uns, dass Verdichtung erwärmt und Expansion abkühlt. Jeder, der schon einmal einen Fahrradreifen aufgepumpt hat, weiß das. Hier kommt die Quantenphysik ins Spiel. In der Quantenwelt gelten besondere Regeln. Teilchen, die als Bosonen bekannt sind, können gemeinsam kondensieren und supraflüssig werden. Fermionen unterliegen dem Pauli-Ausschlussprinzip und gehen sich gegenseitig aus dem Weg. In reduzierten Dimensionen wird die Situation noch komplizierter. Die Rolle der Quantenfluktuationen wird verstärkt, und Bosonen können fermionisieren, wenn die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen sehr stark sind.

Vor diesem Hintergrund haben sich Quantensysteme in reduzierter Dimensionalität zu einem spannenden Forschungsgebiet entwickelt. Sie werden heute als Plattform für Quantensimulationen genutzt. Insbesondere eindimensionale Quantendrähte haben angesichts der fortschreitenden Miniaturisierung elektronischer Schaltkreise große Aufmerksamkeit gefunden. Zur Realisierung solcher Quantendrähte und zur Quantensimulation der Eigenschaften von eingezwängten Elektronen werden als experimentelle Plattform kalte Atome, die in enge Lichtpotentiale eingesperrt sind, verwendet.

In einer gemeinsamen experimentellen und theoretischen Arbeit, die in Innsbruck am Institut für Experimentalphysik und am Institut für Physik der Quantenmaterie der Universität Genf durchgeführt wurde, haben die Forscher nun nachgewiesen, dass ein stark wechselwirkendes Quanten-Vielteilchensystem eine Abkühlung erfahren kann, wenn dessen Dimensionalität reduziert wird. Ein „Quantenreifen“ kann also abkühlen, wenn er aufgepumpt wird! Dieser Effekt steht im Gegensatz zu den Erwartungen und wurde bisher weder vorgeschlagen noch vorhergesehen. Möglich wurde die Beobachtung durch die Entwicklung einer Temperaturmessmethode, die Experiment und Theorie verbindet und besonders gut bei starken Wechselwirkungen funktioniert. „Wir sind in der Lage, Temperaturen in 1D-Systemen mit einer Empfindlichkeit von einem Nano-Kelvin zu messen“, sagt Yanliang Guo, einer der beiden Erstautoren der Studie. „Wir stellen fest, dass die Temperatur zunächst von 12,5 nK auf 17 nK ansteigt, wenn wir von 3D auf 2D komprimieren, und dann auf 9 nK fällt, wenn wir weiter auf 1D komprimieren.“ Die Abkühlung erfolgt aufgrund des Zusammenspiels der starken seitlichen Eingrenzung in einer Dimension und der starken Wechselwirkungen in einem Bereich, in dem die Bosonen fermionisieren. In dem Experiment hat das Team überprüft, dass starke Wechselwirkungen in 1D eine notwendige Voraussetzung für die Abkühlung sind. „Eine Änderung von 12,5 auf 9 nK scheint nicht viel zu sein“, sagt einer der Teamleiter, Hanns-Christoph Nägerl. „Aber seit den ersten Ergebnissen, die jetzt in dieser gemeinsamen Arbeit veröffentlicht wurden, haben wir uns deutlich verbessert und konnten Temperaturen von bis zu 2 nK mit einer Empfindlichkeit von 1 nK messen.“

Das Team geht davon aus, dass diese Ergebnisse in der Fachwelt auf großes Interesse stoßen werden. Niedrigdimensionale, stark korrelierte Quanten-Vielteilchensysteme weisen eine große Vielfalt von Quanteneffekten auf, und ihre Erforschung könnte Licht in viele Rätsel der Physik bringen, von denen das der Hochtemperatur-Supraleitung das prominenteste ist, mit weitreichenden Folgen, wenn es gelöst würde. Insbesondere niedrigdimensionale Systeme aus ultrakalten Atomen werden heute in großem Umfang als Plattform für Quantensimulationen genutzt, und in jüngster Zeit wurden eine Reihe sehr interessanter Ergebnisse für 1D-Systeme erzielt, z.B. zur Präthermalisierung, dynamischen Fermionisierung, zum anomalen Wärmefluss, zur Spin-Ladungs-Trennung usw. „Die Temperatur spielt für alle Quantensysteme eine entscheidende Rolle, und daher ist die Möglichkeit, die Temperatur zu messen, von größter Bedeutung“, sagt Hepeng Yao, der leitende Theoretiker dieser Studie. „Bislang wurde dies jedoch noch nicht für isolierte, stark korrelierte 1D- und 2D-Quanten-Vielteilchensysteme durchgeführt.“ Thierry Giamarchi, der Teamleiter aus Genf, stimmt dem zu: „Wir finden es konzeptionell sehr interessant, dass die Temperaturen mit zunehmendem Grad der Eingrenzung sinken können. Dies steht im Gegensatz zur allgemeinen Intuition und zeigt die subtilen Effekte, die in der Quantenwelt auftreten können.“

Die Ergebnisse, die nun in der Zeitschrift Science Advances veröffentlicht wurden, dienen den Forschern als Ausgangspunkt für weitere Forschungen zu dynamischen Prozessen in niedrigdimensionalen Quantengasen. Die Forschung wurde vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen eines Wittgenstein-Preises, von der Europäischen Union mit einem ERC-Grant und vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Milena Horvath ist Mitglied des FWF-Doktoratskollegs „Atome, Licht und Moleküle“ (DK-ALM).

Publikation: Anomalous cooling of bosons by dimensional reduction, Yanliang Guo, Hepeng Yao, Sudipta Dhar, Lorenzo Pizzino, Milena Horvath, Thierry Giamarchi, Manuele Landini, Hanns-Christoph Nägerl, Science Advances (2024) DOI: 10.1126/sciadv.adk6870

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